Einführender Vortrag zum Kolosserbrief
Kapitel 4
Es folgen allgemeine Anweisungen. „Beharret im Gebet und wachet in demselben mit Danksagung!“ (V. 2). Weder unsere Vollkommenheit in Christus, noch das freudevolle Bewusstsein unserer himmlischen Beziehungen, noch irgendeine Berücksichtigung unserer Verhältnisse in diesem Leben sollten für einen Augenblick das Empfinden für die Notwendigkeit und den Wert der Abhängigkeit von Gott schwächen, sondern vielmehr stärken. Auch eine Beständigkeit im Gebet reicht nicht aus. Außerdem sollte das aufmerksame Wachen in demselben keinesfalls die rechten Gelegenheiten für Fürbitten verstreichen lassen. Wenn alles mit Danksagung getan werden muss, dann erst recht das Gebet, welches keineswegs die Not jener an der Front des geistlichen Kampfes und der Bemühungen der Liebe vergisst. „Wachet in demselben mit Danksagung; und betet zugleich auch für uns, auf daß Gott uns eine Tür des Wortes auftue, um das Geheimnis des Christus zu reden, um deswillen ich auch gebunden bin, auf daß ich es offenbare, wie ich reden soll.“ Nicht allein Wachsamkeit ist erforderlich, sondern auch ein Blick in Liebe auf jene außerhalb. „Wandelt in Weisheit gegen die, welche draußen sind, die gelegene Zeit auskaufend. Euer Wort sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt, um zu wissen, wie ihr jedem einzelnen antworten sollt“ (V. 5–6). Die gelegene Zeit und dazu passende Rede – immer in Gnade und nicht ohne Treue Gott gegenüber – wie gut und notwendig sind sie!
Weiter lesen wir, wie die christliche Liebe sich daran erfreut, mitzuteilen und zu hören. Paulus vertraute auf die Liebe seiner Leser. Das zeigte sich nicht allein in seinem Verlangen, etwas über sie zu hören, sondern auch in der Überzeugung, dass sie gerne etwas über ihn hören wollten. Könnte etwas lieblicher sein als diese unverfälschte Einfachheit der Gefühle und des wechselseitigen Interesses? Bei einem Menschen von Natur wäre diese Erwartung sinnlos und seltsam; in einem Christen ist sie gesegnet. Kein aufrichtiger Mensch als solcher kann voraussetzen, dass sich andere um ihn sorgen und von seinen Umständen erfahren möchten (genauso wenig er in Bezug auf sie), es sei denn, dass eine besondere Beziehung zwischen ihnen besteht (wie die eines Freundes) oder dass es sich um eine öffentlich bekannte und herausragende Persönlichkeit handelt. Doch hier schreibt der demütig gesinnte Apostel in der vollen Gewissheit, dass, obwohl er sie niemals gesehen hatte (und auch sie ihn nicht), es eine echte und wechselseitige Freude ist, voneinander durch jenen Boten zu erfahren, der zwischen ihnen hin und her reiste. Welch eine Quelle der Kraft ist die Liebe Christi! Wahrhaftig, die Liebe ist das „Band der Vollkommenheit“ (Kol 3,14). „Alles, was mich angeht, wird euch Tychikus kundtun, der geliebte Bruder und treue Diener und Mitknecht in dem Herrn, den ich eben dieserhalb zu euch gesandt habe, auf daß er eure Umstände erfahre und eure Herzen tröste, mit Onesimus, dem treuen und geliebten Bruder, der von euch ist; sie werden euch alles kundtun, was hier vorgeht.“
Darauf folgen Anspielungen auf die verschiedenen Mitgefangenen und Mitknechte, von denen besonders Epaphras erwähnt wird, der im inbrünstigen Gebet für die Kolosser arbeitete. Das sollte sicherlich nicht gering geachtet werden, liebe Geschwister! Wir wissen, dass auf allen Seiten Gefahren drohen. Wir müssen erleben, wie traurig dieser Geist der Fürsorge verdorben worden ist. Doch es gibt ein Empfinden, und zwar ein sehr schwerwiegendes, in dem wir keinesfalls die Bindungen der Liebe zwischen den Erlösten Gottes überbewerten können. Das gilt vor allem dort, wo es sich um wirklichen heiligen Dienst zu ihren Gunsten handelt. Das tat der Apostel, insbesondere für einen Christen, der von den Kolossern kam. Wir dürfen wohl voraussetzen, dass es ein Hindernis gab, welches den vollen Ausfluss der Zuneigungen von ihrer Seite her störte. Aber der Apostel nahm alle Mühe auf sich, um zu zeigen, wie groß die Liebe des Epaphras zu ihnen war; denn der treue Sinn desselben musste ein Geringes von dem erfahren, was der Apostel sehr gut kannte, nämlich dass, je mehr er selbst liebte, er desto weniger geliebt wurde. (2. Kor 12,15). „Denn ich gebe ihm Zeugnis, daß er viel Mühe hat um euch und die in Laodicäa.“ (V. 13). Diese Liebe war keinesfalls untätig oder eingeschränkt. Sie war nicht der Ansicht, dass sie nur für die Erlösten in ihrem Heimatort zu sorgen habe. Paulus schränkte sich nicht auf örtliche Bindungen ein. Auch wir sollten nicht einen Moment solche Vorstellungen zulassen. Alle Erlösten gehören zu uns, wie auch wir zu ihnen allen gehören. Daher erwähnt er hier noch andere ausdrücklich, auch wenn einige dieses Band wenig fühlten. „Es grüßt euch Lukas, der geliebte Arzt, und Demas. Grüßet die Brüder in Laodicäa, und Nymphas und die Versammlung, die in seinem Hause ist. Und wenn der Brief bei euch gelesen ist, so machet, daß er auch in der Versammlung der Laodicäer gelesen werde“ (V. 14–16).
Offensichtlich sollten diese apostolischen Briefe unter den Erlösten herumgereicht werden; und vielleicht ist dieses der Schlüssel zu dem, was uns als nächstes gesagt wird. „Und daß auch ihr den aus Laodicäa leset.“ Es wird nicht gesagt, dass es sich um einen Brief an Laodizea handelt. Folglich haben wir keinen ausreichenden Grund, uns zu beunruhigen, als sei ein Teil der inspirierten Schriften verloren gegangen. Dafür gibt es keinen Beweis. Ich weiß, dass Menschen viel darüber nachgedacht haben. Hier haben wir einen Beweis dafür, dass es keinen Grund für diese Annahme gibt. Warum sollen wir Mutmaßungen anstellen? Hätten jene Zweifler mehr gebetet, das Ergebnis wäre besser ausgefallen. Möglicherweise haben die Apostel Briefe geschrieben, die nicht für die fortdauernde Belehrung der Kirche gedacht waren. Wir müssen jedoch entschieden aufgrund dessen, was wir von unserem Gott wissen, verneinen, dass irgendetwas Wesentliches verloren gegangen ist. Wer immer einen solchen Verlust unterstellt, leugnet, dass Gott angemessen für seine Kirche hienieden gesorgt habe; denn er hat sicherlich in seinem Wort in jeder Form für alles Vorsorge getroffen. In Gottes Wort gibt es keine Unvollkommenheit, noch besteht irgendein Grund für die Annahme, dass irgendein Teil desselben verschollen ist. Zweifellos können wir Schäden durch Nachlässigkeit der Menschen feststellen, indem sie nicht wussten, wie sie mit angemessener Sorgfalt das kostbare Gut der Wahrheit zu behandeln hatten. Doch das ist alles. Damit will ich sagen: Es gibt Unterschiede in der Lesart hier und dort, welche die volle Schönheit und Genauigkeit des gesegneten Wortes Gottes beeinträchtigen. Hinsichtlich seines Inhalts dürfen wir indessen dem Furchtsamsten versichern, dass er denselben selbst in den schlechtesten Bibelausgaben der Christen vorfindet. Sei nicht beunruhigt durch das Geschwätz der [Bibel]-Kritiker! Es ist natürlich, dass Verkäufer ihre Waren ausschreien. Sie beschäftigen sich mit den kleinsten Pünktchen und leben in Ungewissheit. Da von jenem Brief nicht gesagt wird, dass er an Laodizea adressiert war, dürfen wir also schließen, dass er entweder von jener Kirche stammte oder, wenn er apostolisch war, von Versammlung zu Versammlung herumgereicht wurde. Falls Letzteres stimmt, dann hatte er Laodizea erreicht. Von dort sollten die Kolosser sich ihn beschaffen.
Archippus sollte auf den Dienst achten, den er vom Herrn empfangen hatte. Zweifellos benötigen auch so manche von uns einen solchen Hinweis. Möchte der Herr uns treu machen und treu erhalten!