Einführender Vortrag zum Kolosserbrief
Kapitel 3
Wir finden hier indessen mehr als nur dieses. „Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt worden seid“ (V. 1). Nun betreten wir einen Bereich, der uns nicht nur von den Elementen der Welt reinigt, sondern auch in etwas Neues einführt. Wir benötigen Hinweise auf das Positive genauso wie auf das Negative. So wie wir bisher das Letztere vor uns hatten, so folgt nun das Erstere. Anstatt jetzt die Zügel schießen zu lassen in dem Rennen um eine Veredelung der Welt und Verbesserung der Gesellschaft oder ähnliche Ziele, welche die Menschen als solche beschäftigen, soll sich der Heilige Gottes davon völlig fernhalten. Viele Gläubige, die den Herrn wirklich lieben, werden fehlgeleitet in Hinsicht darauf, was die Pflicht eines Christen hienieden ist. „Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt worden seid, so suchet, was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes.“ Und als wäre dieses noch nicht genau genug, wird hinzugefügt: „Sinnet auf das, was droben ist!“ (V. 2). Hier geht es vor allem um den Verstand. So wichtig auch der Zustand des Herzens ist – es handelt sich in unserer Bibelstelle einfach um das Denken und Urteilen. „Sinnet auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist!“ Es geht nicht einfach darum, das Himmlische sozusagen in das Irdische hineinzubringen; und erst recht nicht darum, beides miteinander zu verbinden. Wie andere Christen neigten auch die Kolosser sehr dazu. Sie standen im Begriff, so zu handeln, darum musste der Apostel sie gerade in dieser Beziehung berichtigen. Er wollte eine solche Verschmelzung nicht dulden, sondern lehnte sie ab; und wir müssen uns daran erinnern, dass es in diesen Ermahnungen der Herr ist, der durch den Heiligen Geist in seinem Knecht wirkte. „Sinnet auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist; denn ihr seid gestorben.“
Beachten wir wieder gut, dass es hier nicht um den Menschen geht, der danach streben soll, tot zu sein. Diese Vorstellung ist der Offenbarung Gottes – neu oder alt – unbekannt. Tatsächlich bestand vor dem Tod Christi nicht einmal der Gedanke daran, nach einem Gestorbensein zu trachten; und als Er gestorben war, offenbarte der Heilige Geist zur gelegenen Zeit nicht allein, dass Er für uns gestorben ist, sondern auch, dass wir in Ihm gestorben sind. Somit bleibt kein Raum für das Streben nach einem Gestorbensein. Der Christ erkennt in der Taufe seinen Tod an; daher benötigen wir nicht ein Streben danach, dieses zu verwirklichen, sondern die Kraft des Geistes, um in dieser Wahrheit durch den Glauben zu handeln. Diese Erkenntnis ist es, die immer die Schwierigkeiten in der großen Auseinandersetzung behebt, die – damals wie heute und heute mehr als jemals zuvor – zwischen menschlicher Religion und der Wahrheit Gottes tobt. Seitdem Menschen eine gewisse Einsicht in den Tod Christi besitzen, ringen sie um ihren Tod. Dieses ist das Gesetz in einer neuen, unmöglichen Form. Alles, was in der Frömmigkeit der Welt gut erscheint, hat diese Grundlage. Es ist der Versuch, allem Schlechten gegenüber tot zu sein, nur das zu pflegen, was als zur Verherrlichung Gottes dienlich empfunden wird, und alles zu meiden, was seinem Willen entgegensteht und für die Seele schädlich ist. Doch ersetzen diese Bemühungen die Vorsorge der Gnade für einen Christen? Sind sie die Wahrheit? Müssen wir nicht zuerst und vor allem uns der Wahrheit unterwerfen? Falls ich Christus überhaupt als einen Heiland besitze, soll ich daran glauben, dass ich schon tot bin, und nicht in dem erwähnten Sinn um diesen Tod ringen.
Es ist bemerkenswert, dass die beiden wohlbekannten und feststehenden Einsetzungen des Christentums – ich möchte sie nicht Vorschriften nennen –, nämlich die Taufe und das Mahl des Herrn, die eindeutigen und bestimmten Ausdrücke des Todes in Gnade darstellen. Wenn eine Person getauft wird, ist dieses die Bedeutung jener Handlung; andernfalls hätte sie überhaupt keine wahre Wirkkraft, sondern wäre nur eine Täuschung, denn die getaufte Seele bekennt, dass die Gnade Gottes den Tod gegen die Sünde in Ihm, der gestorben und wieder auferstanden ist, mitteilt. Der Jude erwartete ausschließlich einen mächtigen König-Messias. Der Christ ist auf den Tod dessen getauft, der auf dem Kreuz litt. Er findet nicht nur, dass seine Sünden vergeben, sondern auch dass die Sünde und das Fleisch verdammt sind. Er selbst wird nun von Gott als tot hinsichtlich derselben angesehen. Nichts weniger als diese Tatsache wird durch die Taufe vorgestellt. So ist sie von Anfang an der Ausdruck einer sehr notwendigen Wahrheit, welche zum Trost der Gnade während des ganzen christlichen Lebensweges wird und daher niemals eine Wiederholung findet. Ferner, wenn wir uns an jedem Tag des Herrn zum Namen Christi versammeln – was steht dann nach dem Wort und Willen Gottes vor uns? Eine dem Wesen nach ähnliche Segnung ist auch dem Tisch des Herrn aufgeprägt. Wenn die Christen sich im Brotbrechen vereinigen, verkündigen sie den Tod Christi, bis Er kommt. Das ist nicht einfach eine Pflicht, die erfüllt werden muss. Stattdessen befindet sich das Herz in der Gegenwart jener objektiven Tatsache, dass Er für uns starb – sein Leib. Da wir an Ihn glauben, ist dort unser Platz. Solcherart ist die Grundlage der Freiheit, zu der Christus uns frei gemacht hat. Diese Freiheit gründet sich auf den Tod, der sich in der Auferstehung entfaltete und im Heiligen Geist erkannt wird. Wer diese Wahrheit in der Seele besitzt, ist berechtigt, auch im Leib bei seinem Kommen daran teilzunehmen. Außerdem sind wir ein Brot, ein Leib.
Demnach wird hier auch auf die herrliche zukünftige Entfaltung der Wahrheit Bezug genommen: „Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart werden wird ...“ (V. 4). Wir finden also beide Tatsachen: „Ihr seid gestorben“ und: „Euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott.“ Wir sollen uns damit zufrieden geben, verborgen zu sein, während Er verborgen ist. Er wird indessen nicht immer unsichtbar bleiben. Dem Christen werden alle Wünsche des neuen Menschen erfüllt. Jetzt schon darf er den gesegneten Genuss der Gemeinschaft mit Christus genießen. Doch es handelt sich um einen Christus, der auf der Erde gekreuzigt wurde. Seine Herrlichkeit ist im Himmel. Der Mensch an sich trachtet danach, hier in der Welt zu leuchten. Das ist jedoch ein achtloses, wenn nicht sogar herzloses Vergessen, dass Christus hier nichts als Verwerfung gekannt hat.
Bin ich also dem beständigen Zeichen von dem Tod meines Meisters untreu oder treu? Soll ich um die Ehre jener Menschen werben, welche Christus ablehnten und Ihm ein Kreuz gaben? Sollte ich seine Herrlichkeit in der Gegenwart Gottes vergessen? Sollte ich nicht meinem Maß des Glaubens gemäß beide Wahrheiten zum Ausdruck bringen? Habe ich nicht an der Schande und Unehre meines Meisters hier teilzunehmen? Habe ich nicht darauf zu warten, in dieselbe Herrlichkeit mit dem Christus Gottes einzutreten? So wird hier gesagt: „Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart werden wird, dann werdet auch ihr mit ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit.“ Folglich ist der Pfad der christlichen Pflicht auf diese wunderbaren Wahrheiten gegründet. „Tötet nun eure Glieder, die auf der Erde sind: Hurerei, Unreinigkeit, Leidenschaft, böse Lust und Habsucht, welche Götzendienst ist.“ Was für ein demütigender Gesichtspunkt, dass jene so Gesegneten (tot, wie wir gesagt haben, und auferstanden mit Christus) aufgefordert werden müssen, das, was aufs höchste schandbar und schändlich ist, zu töten! Aber so ist es. So ist der Mensch. Das ist die Natur, welche wir als Kinder Adams ausschließlich hatten. Diese verwerflichen Dinge werden, ach!, in der einzigartig kraftvollen Sprache des Geistes Gottes als die „Glieder“ des Menschen bezeichnet. „Tötet nun eure Glieder, die auf der Erde sind: Hurerei, Unreinigkeit, Leidenschaft, böse Lust und Habsucht, welche Götzendienst ist, um welcher Dinge willen der Zorn Gottes kommt über die Söhne des Ungehorsams; unter welchen auch ihr einst gewandelt habt.“
Es ist sinnlos, die klare Wahrheit von „als ihr in diesen Dingen lebtet“ zu leugnen. Hingegen ist es gesegnet zu wissen, dass wir jetzt „gestorben sind.“ Doch hören wir weiter: „Leget auch ihr das alles ab!“ (V. 8). Danach geht es nicht einfach um Dinge, die sich in Form jenes Verderbnisses entfalten, welches sich auf Gegenstände und Personen außerhalb von uns bezieht, sondern um die inneren Gefühle der Gewaltsamkeit. „Jetzt aber leget auch ihr das alles ab: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, schändliches Reden aus eurem Munde.“ Auch die Falschheit wird verurteilt wie niemals zuvor. „Belüget einander nicht, da ihr den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen und den neuen angezogen habt, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bilde dessen, der ihn erschaffen hat.“ Nicht Adam, sondern Christus ist der Maßstab – Christus, der sowohl Gott ist als auch Mensch. „Wo nicht ist Grieche und Jude, Beschneidung und Vorhaut, Barbar, Scythe, Sklave, Freier, sondern Christus alles und in allen.“ Wie gesegnet: „Christus (ist) alles und in allen.“
So kann der Gläubige voller Freude rund umher auf seine Geschwister blicken. Er darf mit Seelen aus jedem Stamm und jeder Sprache und von jedem Ort rechnen. Wer wurde in der allumfassenden und wirksamen Gnade unseres Gottes übersehen? Und wozu ist er zum Sehen berechtigt? Christus in ihnen! Welch eine Befreiung vom Ich, Christus in ihnen zu sehen! Aber Christus ist genauso wahrhaftig „alles“ wie „in allen“. O, vergessen wir doch alles, was Eifersucht, Stolz, Eitelkeit und jedes Gefühl im Gegensatz zu Gott und unerquicklich für den Menschen hervorruft! Trösten wir uns und andere durch jene Wahrheit: Christus ist alles, und Christus ist in allen! Das ist ein Wort Gottes; und sind wir berechtigt, so zu reden, oder nicht? Schmerzvolle Umstände mögen, ach!, von uns fordern, über böse Wege zu richten, indem wir in diese oder jene böse Lehre Einblick nehmen müssen. Der Apostel spricht indessen hier von den Erlösten in ihrem gewöhnlichen und normalen Verhalten. Bleibt dieses nicht immer dasselbe? Bin ich nicht berechtigt, hinfort, wenn ich auf einen Christen blicke, nichts als Christus in einem jeden von ihnen zu sehen? Ja, Christus ist in allen, und Christus ist alles. „Ziehet nun an!“ (sagt Paulus in dem Genuss einer solchen Gnade. Jetzt kommt der positive Charakter, der von uns gezeigt werden sollte.). „Ziehet nun an, als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte!“ (V. 12). Wie gleicht diese Beschreibung Christus selbst! Er war Gottes Auserwählter im höchsten Sinn. Er war der Heilige und Geliebte. Wer wandte sich jemals in seiner Verzweiflung an Ihn und fand nicht in Ihm Gefühle von Erbarmen, Güte, demütiger Gesinnung, Milde und Langmut? Darauf folgt das, was ausschließlich von uns gesagt werden konnte: „Euch gegenseitig vergebend, wenn einer Klage hat wider den anderen; wie auch der Christus euch vergeben hat, also auch ihr“ (V. 13). Das Einander-Vergeben wird verstärkt durch das Beispiel dessen, der nicht sündigte und in dessen Mund kein Trug gefunden wurde (vgl. 1. Pet 2,22!). Christus war auf der Erde ein gesegnetes Beispiel für Vergeben und Geduld. „Wie auch der Christus euch vergeben hat.“ Paulus führt jetzt offen Christus ein und zwar für uns.
Es gibt indessen noch eine krönende Eigenschaft: „Zu diesem allen aber ziehet die Liebe an!“ (V. 14). Letztere ist nämlich, wie nichts anderes es sein kann, das vollkommenste Zeichen dessen, was Gott in sich selbst ist – die Kraft seiner Natur. Sein Licht macht offenbar; aber seine Liebe ist die Quelle all seiner Wege. Worin auch immer das Bedürfnis bestehen mag – die Liebe ist auf jeden Fall notwendig und auch von größtem Einfluss. Sie liegt zugrunde, wenn wir an die Mängel der Heiligen Gottes hier auf der Erde denken. Es gibt ein Bild, welches ganz besonders die göttliche Natur in sittlicher Hinsicht kennzeichnet. Ich muss wohl kaum sagen, dass es sich um das Licht handelt, wie uns ausführlicher im Epheserbrief mitgeteilt wird. Aber vor allem sollen die Erlösten die Liebe anziehen, „welche das Band der Vollkommenheit ist.“ „Und der Friede des Christus regiere ...!“ (V. 15). So müssen wir lesen. Es ist nicht der Friede Gottes, sondern der Friede Christi. Alles in unserem Brief wird bis zu Christus als dem Haupt jeder möglichen Segnung weiterverfolgt.
So gilt auch: „Der Friede des Christus regiere in euren Herzen!“ Das ist genau der Friede, in dem Christus lebte und sich bewegte. Lasst seinen Frieden herrschen! Er weiß und fühlt alles. Ich darf mir vollkommen sicher sein: Woraus immer meine Sorge und meine Mühe des Geistes über irgendetwas bestehen mag – Christus fühlt alles, was uns in Unruhe versetzen mag, viel tiefer, ja, viel tiefer als irgend jemand sonst. Dennoch empfindet Er den vollen Frieden, der niemals unterbrochen oder für einen Augenblick gestört werden kann. Warum soll dann in uns, den armen schwachen Seelen, nicht dieser Friede im Herzen herrschen, zu dem wir ja auch in einem Leibe berufen sind? „Und seid dankbar.“ „Laßt das Wort des Christus reichlich in euch wohnen, ... in aller Weisheit“ (V. 16). Es ist das Wort Gottes; trotzdem wird es hier „das Wort des Christus“ genannt. Es mag Worte Gottes geben, welche nicht in demselben Maß Worte Christi sind. Wir finden viele Abschnitte in den Schriften, die in keinster Weise zum Zustand und Pfad eines Christen passen bzw. dieselben voraussetzen. „Laßt das Wort des Christus reichlich in euch wohnen, indem ihr in aller Weisheit euch gegenseitig lehret und ermahnet!“ Das ist nicht Christus selbst wie in Epheser 3 – die wunderbare Entfaltung durch die Kraft des Heiligen Geistes in uns schon jetzt. Doch in seinem Wort wird auf jeden Fall (wie die Kolosser es benötigten) eine wirksame und sehr reine Quelle der Belehrung und der Ratschläge sowie wechselseitiger Hilfe gefunden. Das ist die Frucht seines Wortes, welches auf solche Weise in uns wohnt. Aber das ist nicht alles. „Mit Psalmen, Lobliedern und geistlichen Liedern, Gott singend in euren Herzen in Gnade.“ Es spielt eine geringe Rolle, wie belehrt ein Erlöster sein mag und wie gut er die sittliche Schönheit und unfehlbare Weisheit des Wortes Gottes kennt, wenn die echte Frucht nicht zunimmt. Wenn der Geist und die Kraft der Anbetung nicht überfließen, kommt irgendetwas Entscheidendes zu kurz, bzw. ist es falsch. „Und alles, was immer ihr tut, im Wort oder im Werk, alles tut im Namen des Herrn Jesus, danksagend Gott, dem Vater, durch ihn!“ (V. 17). Auch wenn zur Zeit äußerlich kein Lob dargebracht wird, erwartet der Herr Dankbarkeit des Herzens, indem wir mit seiner Liebe in allem rechnen.
Danach folgen besondere Ermahnungen, bei denen wir jetzt nicht zu verweilen brauchen. Wir lesen von Frauen und Ehemännern, Kindern und Vätern, Knechten und Herren, welche hier zusammengestellt sind und nacheinander vor uns treten bis zum ersten Vers von Kapitel 4, welcher natürlich das 3. Kapitel abschließen sollte und nicht ein neues beginnen.