Der zweite Brief an die Korinther
Kapitel 10
Warnung vor falschem Rühmen und Konzentration auf Äußeres
Äußerliche oder innere Kraft
In den zwei vorhergehenden Kapiteln hatte der Apostel das Thema des Gebens und Nehmens behandelt. Paulus hatte betont, dass er den Korinthern kein apostolisches Gebot aufgab, sondern einen brüderlichen Ratschlag (vgl. 2. Kor 8,8-10). Es gab unter den Korinther jedoch einige, die sich ihres Fleisches rühmten. Sie versuchten, sich selbst dadurch zu erhöhen, dass sie den Apostel in Verruf brachten. Sie zogen zum Beispiel seine Autorität in Zweifel, die ihm von Gott übertragen worden war. So wollten sie sein Zeugnis schwächen und die Heiligen von dem Einen wegziehen, mit dem sie durch den Dienst des Apostels verlobt worden waren. Dadurch wurde es für den Apostel notwendig, seine Autorität als Apostel Christi zu verteidigen und die Korinther vor Feinden zu warnen, die sich mit einem falschen Bekenntnis als „Apostel Christi“ bezeichneten, in Wirklichkeit aber Diener Satans waren (vgl. 2. Kor 11,13.14). In dem restlichen Teil dieses Briefes geht es Paulus im Wesentlichen genau darum, die ihm übertragene Apostelschaft zu erweisen und zugleich diese bösen Heuchler zu entlarven.
„Ich selbst aber, Paulus, ermahne euch durch die Sanftmut und Milde des Christus, der ich unter euch anwesend zwar demütig, abwesend aber kühn euch gegenüber bin“ (Vers 1).
Der Apostel war sich bewusst, dass es eine sehr ernste Sache war, von sich selbst zu sprechen oder das Böse anderer bloßzulegen. Da dies aber die konkreten Umstände nötig machten, war es ihm umso wichtiger, in der richtigen Gesinnung zu handeln. Er wollte durch die Sanftmut und Milde Christi geprägt sein. In gleicher Weise kann Paulus später Timotheus ermahnen, „milde“ und „duldsam“ zu sein und „Sanftmut“ zu zeigen, wenn er mit Widersachern zu tun haben würde (vgl. 2. Tim 2,24.25).
Der Apostel gibt zu, dass er, als er bei den Korinthern anwesend war, eine unbedeutende persönliche Erscheinung für diese Griechen gewesen sein mochte. Denn für diese war der körperliche Eindruck sehr wichtig. Dennoch mussten auch die Korinther zugeben, dass er in seiner Abwesenheit mit seinen Briefen ihnen gegenüber kühn gewesen war.
„Ich flehe aber, dass ich anwesend nicht kühn sein müsse mit der Zuversicht, mit der ich gedenke, gegen einige dreist zu sein, die uns als nach dem Fleisch wandelnd erachten. Denn obwohl wir im Fleisch wandeln, kämpfen wir nicht nach dem Fleisch;“ (Verse 2.3).
Paulus warnt nun die Korinther, dass zwar sein persönliches Erscheinungsbild armselig gewesen sein mochte, sie jedoch aufpassen sollten, dass er nicht, wenn er zu ihnen käme, dreist sein müsse im Entlarven derer, die ihm vorwarfen, „nach dem Fleisch zu wandeln“. Tatsächlich „wandelte er im Fleisch“ und besaß einen armseligen Körper. Aber er kämpfte gegen den Feind nicht „nach dem Fleisch“, das heißt mit der alten, bösen Natur. Jemand hat zu Recht gesagt: „Alle, die hier auf der Erde leben, können sagen, dass sie ‚im Fleisch wandeln'. Für wie wenige aber ist das zweite wahr, „nicht nach dem Fleisch“ zu kämpfen! Zumindest der Apostel konnte das sagen“ (William Kelly).
Fleischliche oder geistliche Waffen
„... denn die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern göttlich mächtig zur Zerstörung von Festungen, indem wir Vernunftschlüsse zerstören und jede Höhe, die sich erhebt gegen die Erkenntnis Gottes, und jeden Gedanken gefangen nehmen unter den Gehorsam des Christus“ (Verse 4.5).
Da er nicht nach dem Fleisch kämpfte, hatte Paulus auch keinen Nutzen an fleischlichen Waffen in seinem Kampf gegen den Feind. Er war der Meinung, dass die Sanftmut und Milde Christi diejenigen Waffen waren, die Gott benutzte. Fünf glatte Steine und eine Schlinge schienen schwache Waffen zu sein, um damit einen vollausgerüsteten Riesen zu besiegen. Aber ein Stein in den Händen eines jungen Mannes war durch Gott mächtig genug, um diesen Riesen zu Fall zu bringen. So sind die Sanftmut und Milde Christi, wenn sie von einem Menschen benutzt werden, dessen äußere Erscheinung unscheinbar war, „göttlich mächtig“, um die Festungen Satans zu zerstören. Durch sie wurden die stolzen Überlegungen menschlicher Köpfe, die sich selbst gegen die Erkenntnis Gottes erhoben, zunichte gemacht indem sie jeden Gedanken unter den Gehorsam gegenüber Christus brachten.
„... und bereit stehen, allen Ungehorsam zu strafen, wenn euer Gehorsam erfüllt sein wird“ (Vers 6).
Der Apostel vertraute darauf, dass wenn er wieder zu den Korinthern kommen würde, keine Notwendigkeit bestünde, diese heilige Kühnheit gegen seine Feinde einzusetzen. Er erkannte das Maß des Gehorsams der Korinther seinem ersten Brief gegenüber an und vertraute darauf, dass sie sich in vollem Gehorsam vereinen würden, bevor er sie erneut besuchen würde. Wenn sie jedoch weiter ungehorsam blieben, so stünde er bereit, allen Ungehorsam zu strafen.
Der Blick allein auf das Äußere
„Seht ihr auf das, was vor Augen ist? Wenn jemand bei sich selbst darauf vertraut, dass er Christi sei, so bedenke er dies wiederum bei sich selbst, dass, wie er Christi ist, so auch wir. Denn falls ich mich auch etwas mehr über unsere Gewalt rühmte, die [uns] der Herr zur Auferbauung und nicht zu eurer Zerstörung gegeben hat, so werde ich nicht beschämt werden, damit ich nicht erscheine, als wolle ich euch durch die Briefe erschrecken. Denn die Briefe zwar, sagt man, sind gewichtig und kräftig, aber die Gegenwart des Leibes ist schwach und die Rede verächtlich. Ein solcher bedenke dies, dass, wie wir abwesend im Wort durch Briefe sind, wir solche auch anwesend in der Tat sein werden“ (Verse 7-11).
Die Frage des Apostels: „Seht ihr auf das, was vor Augen ist?“ deutet an, dass einige in der Versammlung in Korinth gesagt hatten, dass jemand mit einem solch schwächlichen Aussehen und mit einem derart armseligen Sprachstil kein Botschafter Christi sein könnte. Mit anderen Worten: Sie glaubten, sie wären des Christus aufgrund einer Eigenschaft in ihnen selbst, auf die sie sich sogar etwas einbildeten. Im Gegensatz zu diesen Verleumdern konnte der Apostel einen Beweis vorbringen, Christi zu sein, ohne sich schämen zu müssen. Denn seine apostolische Autorität war ihm direkt vom Herrn zur Auferbauung der Heiligen gegeben worden, nicht dagegen zu ihrer Zerstörung. Dennoch schreckte er davor zurück, seine apostolische Autorität zu betonen, da er sie nicht durch seine Briefe in Schrecken versetzen wollte. Denn das würde seinen Gegnern einen Anlass zum Widerspruch geben.
Offenbar suchten diese Verleumder den Einfluss des Apostels zu untergraben, indem sie den Korinthern nahe legten, diese müssten den gewichtigen und kräftigen Briefen keine Beachtung schenken. Diese Briefe seien nämlich nichts anderes als der Versuch, die Wirkung seiner schwachen körperlichen Erscheinung und seiner verächtlichen Rede bei ihnen auszugleichen. Sie sollten aber bedenken, dass der Apostel genauso, wie er „im Wort“ in seiner Abwesenheit war, er auch „in Tat“ gegenüber seinen Feinden auftreten würde, wenn er sie besuchte.
Sich der Arbeit anderer oder des eigenen Dienstes rühmen
„Denn wir wagen nicht, uns selbst einigen von denen beizuzählen oder zu vergleichen, die sich selbst empfehlen; aber sie, indem sie sich an sich selbst messen und sich mit sich selbst vergleichen, sind unverständig“ (Vers 12).
Der Apostel Paulus wollte sich nicht solchen beizählen, die ihre fleischliche Anmaßung dadurch verrieten, dass sie sich selbst rühmten und andere herabwürdigten. Sie offenbarten den vollkommenen Mangel an geistlicher Reife, indem sie menschliche Maßstäbe verwendeten und sich mit anderen verglichen.
„Wir aber wollen uns nicht ins Maßlose rühmen, sondern nach dem Maß des Wirkungskreises, den der Gott des Maßes uns zugeteilt hat, um auch bis zu euch zu gelangen. Denn wir strecken uns selbst nicht zu weit aus, als gelangten wir nicht bis zu euch (denn wir sind auch bis zu euch gekommen in dem Evangelium des Christus), wobei wir uns nicht ins Maßlose rühmen in fremden Arbeiten, aber Hoffnung haben, wenn euer Glaube wächst, unter euch vergrößert zu werden nach unserem Wirkungskreis, um noch überströmender das Evangelium weiter über euch hinaus zu verkündigen, ohne uns in fremdem Wirkungskreis dessen zu rühmen, was schon bereit ist“ (Verse 13-16).
Der Apostel wollte sich nicht bestimmter Dinge rühmen, die außerhalb des Bereichs lagen, für den Gott ihn ausgesandt hatte. Das Maß der Ausdehnung seines Dienstes war von Gott bestimmt worden, und es umfasste auch die Korinther. Wenn er daher zu ihnen käme und ihnen jetzt schrieb, überschritt er nicht das Maß, das Gott ihm gegeben hatte. Er drang dadurch auch nicht in den Arbeitsbereich eines anderen Dieners ein.
Der Apostel hatte nun die Zuversicht, dass er in Korinth in Gehorsam unter den Willen Gottes tätig war. Und so hoffte er, dass ihm die Korinther in Verbindung mit einem wachsenden Vertrauen darauf, dass Gott seine Diener führt, einen größeren Platz in ihren Zuneigungen geben würden, so dass er selbst zu überströmenderem Segen für sie tätig sein könnte. In dieser Weise besaß er die Erwartung, dass durch diese Versammlung der Weg für ihn geöffnet werden würde, das Evangelium in Regionen über Korinth hinaus zu verkündigen, wo er bislang noch nicht als Diener Gottes gearbeitet hatte. Das unterstreicht noch einmal, dass er sich nicht mit Arbeit rühmen wollte, die durch den Dienstbereich eines anderen ausgefüllt wurde.
„„Wer sich aber rühmt, der rühme sich des Herrn.“ Denn nicht der ist bewährt, der sich selbst empfiehlt, sondern der, den der Herr empfiehlt“ (Verse 17.18).
Der Apostel warnt uns am Ende dieses Kapitels nicht nur davor, uns durch die Arbeit anderer zu erhöhen, sondern auch davor, uns unserer eigenen Arbeit zu rühmen. „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn.“ Es ist wirklich für jeden Diener gut, von einer Selbstempfehlung zurückzuschrecken und nicht einmal nach der Empfehlung seiner Brüder Ausschau zu halten. Wir sollten allein die Billigung unsres Herrn suchen. „Denn nicht der ist bewährt, der sich selbst empfiehlt, sondern der, den der Herr empfiehlt.“