Betrachtung über Lukas (Synopsis)
Kapitel 21
Die Gespräche des Herrn in diesem Kapitel kennzeichnen auf eine besondere Weise den Charakter des Evangeliums. Der Geist der Gnade, im Gegensatz zu der jüdischen Gesinnung, findet sich in der Erzählung von dem Opfer der armen Witwe wieder. Indes erfordert die nachfolgende Prophezeiung des Herrn eine eingehendere Betrachtung. Vers 6 redet, wie wir am Ende des 19. Kapitels gesehen haben, nur von der nahen Zerstörung Jerusalems durch die Römer. Die Frage der Jünger bezieht sich ebenfalls auf dieses Ereignis. Sie sagen nichts von der Vollendung des Zeitalters. Der Herr geht dann auf die Pflichten und die Umstände Seiner Jünger vor jener Stunde ein. In Vers 8 sagt Er, was wir in Matthäus nicht finden: „Die Zeit ist nahe gekommen.“ Er geht hinsichtlich des Dienstes der Jünger während des Zeitabschnittes, von dem Er mit ihnen redet, weit mehr in Einzelheiten ein; Er ermutigt sie, und verheißt ihnen die nötige Hilfe. Die Verfolgungen sollten ihnen zu einem Zeugnis ausschlagen. Von der Mitte des 11. bis zum Ende des 19. Verses haben wir Einzelheiten bezüglich Seiner Jünger, die in den entsprechenden Stellen in Matthäus nicht gefunden werden. Diese letzteren stellen zwar den allgemeinen Zustand der Dinge in demselben Sinne wie Lukas dar, aber sie fügen den Zustand der Juden und besonders derer hinzu, die mehr oder weniger das Wort Gottes aufzunehmen bekannten. Der ganze Strom des in Beziehung zu Israel abgelegten, aber auch auf die Heiden sich ausdehnenden Zeugnisses findet sich in Matthäus 24, 1 - 14. In Lukas dagegen ist es der zukünftige Dienst der Jünger bis zu dem Augenblick hin, wann das Gericht Gottes dem ein Ende machen würde, was durch die Verwerfung Jesu tatsächlich schon zum Abschluss gekommen war. Demzufolge sagt der Herr in Vers 20 nichts von dem Gräuel der Verwüstung, von dem Daniel gesprochen hat, sondern Er redet von der Belagerung Jerusalems und von der nahe bevorstehenden Zerstörung dieser Stadt, nicht aber von dem Ende des Zeitalters wie in Matthäus. Denn dies waren „die Tage der Rache“ über die Juden, die durch die Verwerfung des Herrn das Maß ihrer Empörung voll gemacht hatten. Jerusalem sollte deshalb „zertreten werden von den Nationen, bis dass die Zeiten der Nationen erfüllt sein würden“, d. h. die Zeiten, die nach den in den Weissagungen Daniels geoffenbarten Ratschlüssen Gottes zur Herrschaft der heidnischen Reiche bestimmt sind. Dies ist die Periode, in der wir jetzt leben.
Hier unterbricht der Herr Seine Mitteilungen. Der Hauptgegenstand ist beendet; aber es bleibt noch die Enthüllung einiger Ereignisse übrig, die der letzten, die Geschichte jener heidnischen Herrschaft beschließenden Szene angehören.
Ferner ist noch zu bemerken, dass - obwohl es sich hier um den Anfang des Gerichts handelt, von dem Jerusalem sich nicht wieder erheben wird, bis alles erfüllt ist und das Lied von Jesaja 40 an die Stadt gerichtet werden kann - hier dennoch der „großen Drangsal“ keine Erwähnung geschieht. Wohl ist von großem Zorn und tiefem Elend die Rede, die in der Tat während der Belagerung Jerusalems durch Titus auf diesem Volke gelastet haben; auch sind die Juden als Gefangene weggeführt worden. Allein es heißt nicht wie in Matthäus: „Alsbald aber nach der Drangsal jener Tage.“ Nichtsdestoweniger sehen wir, ohne dass der Zeitabschnitt bestimmt bezeichnet wird, aber gleich nach Erwähnung der Zeiten der Heiden das Ende des Zeitalters kommen. Da sind Zeichen im Himmel, Drangsal auf der Erde, eine mächtige Bewegung in den Wogen der menschlichen Bevölkerung. Die Herzen der Menschen, durch eine Art prophetischer Furcht bewegt, sehen die Bedrängnisse voraus, die, obwohl noch unbekannt, sie bedrohen; denn alle die Einflüsse, die die Menschen beherrschen, sind dann erschüttert. In jenem Augenblick werden sie den einst von der Erde verworfenen Sohn des Menschen mit den Kennzeichen Jehovas, mit Macht und großer Herrlichkeit, vom Himmel kommen sehen (V. 27); Ihn, den Sohn des Menschen, von dem dieses Evangelium stets gesprochen hat. Damit endet die Prophezeiung. Wir hören hier nichts von dem Sammeln der auserwählten, zerstreut gewesenen Israeliten, von denen Matthäus redet.
Was hierauf folgt (V. 28), sind Ermahnungen, deren Zweck ist, den Tag der Drangsal zu einem Zeichen der Befreiung für den Glauben derer zu machen, die, vertrauend auf Jehova, der Stimme Seines Knechtes gehorchen. Das „Geschlecht“ (ein Ausdruck, den wir schon bei der Betrachtung des Evangeliums nach Matthäus erklärten) wird nicht vergehen, bis alles erfüllt ist. Die Länge der Zeit, die seit der Zerstörung Jerusalems verflossen ist und noch bis zum Ende hin verfließen muss, ist in Dunkel gehüllt. Die himmlischen Dinge lassen sich nicht durch Zeiten und Zeitpunkte messen. Überdies ist der Augenblick der Erscheinung des Sohnes des Menschen in den Ratschlüssen des Vaters verborgen; indes, Himmel und Erde werden vergehen, nicht aber die Worte Jesu.
Dann sagt der Herr Seinen Jüngern, dass sie, weil auf der Erde wohnend, wachsam sein müssten, damit ihre Herzen nicht beschwert würden durch Dinge, die sie in die Welt verstricken würden, in deren Mitte sie doch Zeugen sein sollten; denn jener Tag würde wie ein Fallstrick über alle kommen, die hienieden ansässig seien. Sie hatten zu wachen und zu beten, um allen diesen Gerichten zu entrinnen und vor dem Sohne des Menschen zu stehen. Auch hier finden wir wieder den Hauptgegenstand dieses Evangeliums: den Sohn des Menschen und einen Zustand in Verbindung mit dem, was Er ist. Bei Ihm zu sein als solche, die der Erde entronnen sind, unter den 144 000 Versiegelten auf dem Berge Zion zu stehen, ist eine Erfüllung dieser Segnung; aber der Ort wird hier nicht genannt, so dass (die Treue derer, an die Er Sich persönlich wandte, vorausgesetzt) die durch Seine Worte erweckte Hoffnung auf eine noch vortrefflichere Art in Seiner himmlischen Gegenwart am Tage der Herrlichkeit erfüllt werden sollte.