Jesaja 53 - Ein Dialog

Er wurde misshandelt

In Vers 7 nimmt Gott gleichsam die Sprache des Überrestes auf und führt die Linie weiter. Er bekennt sich also zu den Aussprüchen des Überrestes über seinen Sohn und vertieft sie. Jetzt sehen wir, dass nur Gott die wahren Beweggründe seines Sohnes kennt und wertzuschätzen weiß. Er sah die ganze Schönheit seines Sohnes. Die Menschen gaben Ihm diesen Platz auf dem Kreuz. Aber Gott sah die Herrlichkeit von Golgatha emporsteigen, diesen duftenden Wohlgeruch. Da singen wir mit recht:

„Aus den Gluten, aus dem Feuer
Deiner Leiden ging hervor,
Wohlgeruch so süß und teuer,
welcher stieg zu Gott empor“.

Jetzt sagt Gott: „Er wurde misshandelt“. Die Verachtung, die Ihm entgegengebracht wurde, die hat sich offenbart in Handlungen gegenüber dem Herrn Jesus. Der beißende Spott, der Hohn des Menschen war so schlimm, dass Er prophetisch klagen muss: „Der Hohn hat mein Herz gebrochen, und ich bin ganz elend“ (Psalm 69,21). Sie haben sich nicht gescheut, Hand an Ihn zu legen. Als Er an dem Kreuz hing, haben sie noch gesagt: „Wenn du Gottes Sohn bist, dann steige herab vom Kreuz.“ Das war eine mündliche Misshandlung. Er war Gottes Sohn. Sie haben gesagt: Gott rette Dich jetzt, wenn Er Dich begehrt. Hat Gott Ihn nicht begehrt? Oh doch! Aber sie haben Ihn auch angespien, der Ausdruck der allergrößten Verachtung. Sie haben Ihn geschlagen, gegeißelt, mit einer Dornenkrone gekrönt. So wurde Er von ihnen misshandelt. Wie beurteilt nun Gott seinen Sohn im Umgang mit den Menschen? „Aber er beugte sich“ vor diesen Menschen, die Ihn so misshandelt haben. „Und tat seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird.“ Er tat seinen Mund nicht auf.

Das Schweigen des Herrn

Wer schwieg? Das war Der, der nach Johannes 1,1 das Wort, der vollkommene Ausdruck der Gedanken Gottes, ist. In Offenbarung 5,5 wird zu Johannes gesagt. „Weine nicht, es hat überwunden der Löwe, der aus dem Stamm Juda ist.“ Hier wird der Herr Jesus als Löwe gezeigt. Wenn der Löwe seine Stimme in seiner Majestät und Macht erhebt, dann schweigt alles andere. Aber jetzt schweigt das Lamm.

Wann schweigt der Herr? Er schweigt immer dann, wenn Er selbst angegriffen wird.

Warum schweigt der Herr? Er schweigt, weil Er den Weg des Gehorsams zur Verherrlichung Gottes bis zum Kreuz gehen wollte. So heißt es von Ihm in Psalm 38,14+15: „Ich aber, wie ein Tauber, höre nicht, und bin wie ein Stummer, der seinen Mund nicht öffnet. Und ich bin wie ein Mann, der nicht hört, und in dessen Mund keine Gegenreden sind.“ Dann kommt die Begründung in Vers 16: „Denn auf dich, HERR, harre ich; du, du wirst antworten, Herr, mein Gott.“ Er vertraute völlig auf seinen Gott.

Folgende Stellen aus den Evangelien berichten uns über sein Schweigen:

  • In Matthäus 26,63 hatten die Juden vorher falsche Zeugen bestellt, die auch ihre Anklage vorbringen. Aber der Herr Jesus schweigt. Dann sagt der Hohepriester: „Warum antwortest du nicht? Jesus aber schwieg.“
  • In Matthäus 27 wird er gefragt: Bist du der König? Da sagt er noch: Du sagst es. Aber als er von den Hohenpriestern und Ältesten angeklagt wurde, da antwortete er nichts. Vers 14: „auch nicht auf ein einziges Wort.“
  • Markus 14,60–61 „Und der Hohepriester stand auf, trat in die Mitte und fragte Jesus und sprach: Antwortest du nichts? …. Er aber schwieg und antwortete nichts.“
  • Lukas 23,8–9: „Als aber Herodes Jesus sah, … befragte ihn aber mit vielen Worten; er aber antwortete ihm nichts.“
  • In Johannes 19,9 fragt ihn Pilatus: „Woher bist du? Jesus aber gab ihm keine Antwort.“

Er hat zwar auf dem Kreuz sieben Worte gesprochen, aber nur dann, wenn es zur Verherrlichung Gottes gereichte. Sonst schwieg Er. Wird Er uns groß in unseren Herzen? Der Mensch wendet sich im puren Eigenwillen auf seinen Weg. Aber dieses Lamm ließ sich führen nach Golgatha.

„so gingst du hin zum Kreuze
als Gottes treuer Knecht,
durch ew'ge Lieb getrieben,
gehorsam und gerecht.“

Das Lamm

Der Gedanke an das Lamm durchzieht die Bibel von Anfang bis zum Ende:

  • 1. Mose 22,8: „Und Abraham sprach: Gott wird sich ersehen das Schaf (oder Lamm) zum Brandopfer“. Isaak wusste nicht, wen Gott sich dazu ersehen würde.
  • 2. Mose 12,3: „Am Zehnten dieses Monats, da nehme sich ein jeder ein Lamm für ein Vaterhaus, ein Lamm für ein Haus.“
  • Johannes 1,29: Als der Herr Jesus kam und in seinem Volk auftrat, da sagt Johannes der Täufer: „Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt wegnimmt.“
  • Offenbarung 5,6: „Und ich sah inmitten des Thrones und der vier lebendigen Wesen und inmitten der Ältesten ein Lamm stehen wie geschlachtet“.

Da stimmen wir gern mit freudigen und dankbaren Herzen in die Worte des Liederdichters ein:

„Anbetung dir dem Lamme,
das unsere Sünden trug.“

und

„Lamm, Dich wir erheben!
voller Liebesglut
gabst Du hin dein Leben
und Dein teures Blut.“

In der Apostelgeschichte wird von einem Äthiopier berichtet, der auf dem Weg von Jerusalem nach Gaza war und den Propheten Jesaja las. Philippus wurde zu ihm geschickt, weil dieser Kämmerer nicht verstand, was er gelesen hatte. Dann wird in Apostelgeschichte 8,32 die Stelle zitiert, die er gelesen hat: „Er wurde wie ein Schaf zur Schlachtung geführt, und wie ein Lamm stumm ist vor seinem Scherer“. Fällt uns dabei etwas auf? Die Ausdrücke Schaf und Lamm werden in umgekehrter Reihenfolge genannt. Warum? Vielleicht denkt Jesaja an das Passahlamm und erwähnt deshalb das Lamm zuerst. Vielleicht denkt Lukas in der Apostelgeschichte an das Schaf des Schuldopfers im 3. Buch Mose. Diese Änderung ändert aber überhaupt nichts an der Tiefe und Schönheit dieses Werkes. 1

Als der Herr Jesus am Kreuz hing, schweigt Er nicht. Aber da schweigt Gott. Als der Herr Jesus rief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, heißt es „Mein Gott, ich rufe am Tag und du antwortest nicht.“ Was das bedeutet, können wir nicht ausdenken. Sind wir nicht beeindruckt von dem Herrn sowohl in seinem Leben als auch in seinem Sterben?“

Fußnoten

  • 1 Schaf – Lamm Frage: Der aus Jerusalem zurückkehrende Äthiopier las auf seinem Wagen die Stelle aus Jesaja 53 mit folgendem Wortlaut: „Er wurde wie ein Schaf zur Schlachtung geführt, und wie ein Lamm stumm ist vor seinem Scherer, so tut er seinen Mund nicht auf“ (Apg 8,32). Wenn wir aber nach Jesaja 53 schauen, so ist dort die Reihenfolge von Schaf – Lamm genau umgekehrt:,.... gleich dem Lamme, welches zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern; und er tat seinen Mund nicht auf“ (Vers 7). Wie ist dieser Wechsel erklärbar? Und wurde überhaupt ein Lamm geschoren? Antwort: Rein äußerlich ist der Wechsel dadurch zu erklären, dass Lukas in der Apostelgeschichte für seine Leser die Septuaginta, die griechische Übersetzung des Alten Testaments, zitiert. Dort wird >Schaf< mit >Schlachtung< in Verbindung gebracht und >Lamm< mit >Scherer<. Doch liegt nur ein scheinbarer Widerspruch mit dem hebräischen Text von Jesaja 53 vor, wo es tatsächlich umgekehrt ist. Um das nachvollziehen zu können, müssen wir uns allerdings ein wenig mit den dort verwendeten Wörtern beschäftigen. >Lamm< – das erste uns beschäftigende Wort in Jesaja 53,7 – ist die Wiedergabe des hebräischen Wortes >seh<, das ein Stück kleines Vieh bezeichnet und so auch >Schaf< oder >Ziege< bedeutet. Es begegnet uns zum Beispiel in 1. Mo 22,7; 2. Mo 12,5; 4. Mo 15,11 und 5. Mo 14,4. Interessant ist, dass die Elberfelder Übersetzung in der ersten Stelle zweimal das hebräische >seh< mit >Schaf< wiedergibt: „Wo aber ist das Schaf zum Brandopfer?“ Die zweite Stelle aus 2. Mose 12 macht auf eine weitere Einzelheit aufmerksam, die für unsere Frage von Bedeutung ist: Das >seh< oder Lamm für das Passahmahl sollte einjährig sein. Unter >Lamm< müssen wir uns also nicht unbedingt ein Lämmlein vorstellen, sondern ein etwa einjähriges Schaf, das durchaus auch schon geschoren wurde. Die griechische Entsprechung für >Lamm< ist >amnos<. Dieses Wort kommt im Neuen Testament außer in Apostelgeschichte 8 nur noch an drei Stellen vor (Joh 1,29.36; 1. Pet 1,19) und wird nur von Christus gebraucht oder auf Ihn bezogen. Es bewegt unsere Herzen, wenn der Heilige Geist dieses Bild oder Wort benutzt, um uns den Herrn Jesus als den vorzustellen, der durch sein unfassbares Leiden und Sterben die Sühnung vollbracht hat für unsere Sünden. Das zweite in Jesaja 53 gebrauchte hebräische Wort für >Schaf< ist >racheel<. Es bezeichnet im Gegensatz zum ersten Wort (>seh<) oft ein weibliches Schaf, ein >Mutterschaf< (vgl. 1. Mo 31,38; 32,14; Hld 6,6); es kann aber überhaupt auch nur >Schaf< bedeuten – wie in Jesaja 53,7. So sehen wir, dass die Bedeutungen der beiden Wörter > Schaf< und >Lamm< in den Original-Sprachen sich zum Teil erheblich überschneiden und dass die Aussagen beider Schriftstellen nach Wesen und Gehalt völlig übereinstimmen. ChB aus Fragen und Antworten Ermunterung + Ermahnung – Jahrgang 1999 – Seite: 126
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel