Betrachtung über den Propheten Hosea
Kapitel 13
3. Morgengrauen der Befreiung
Dieses Kapitel drückt erneut den Kontrast zwischen der Liebe Gottes für sein Volk und dem Gericht über dessen große Untreue aus. Die Worte des Propheten kündigen die Zerstörung Ephraims (Kap. 13) wie ein letztes Gewitter an, welches dem Anbruch des wolkenlosen Tages der Befreiung und des Segens (Kap.14) vorausgeht.
• Der Götzendienst Ephraims (Kap. 13,1–3)
Ephraim bekleidete als zweiter Sohn Josephs einst eine vorherrschende Stellung in Israel (V.1). Die anderen Stämme erkannten seine Macht an. Gemäß der Prophezeiung Jakobs würde seine Nachkommenschaft eine Fülle der Nationen sein (1. Mo 48,19). Bereits zur Zeit Josuas betrachtete sich Ephraim in dem Bewusstsein seiner eigenen Bedeutung als ein zahlreiches Volk, das ohne Widerspruch ein größeres Erbteil hätte erhalten müssen (Jos 17,14–18). Anschließend streitet Ephraim voller Neid heftig mit Gideon (Ri 8,1–3) und verursacht etwas später zu Zeiten Jephtas einen Bürgerkrieg, der 42000 Menschen das Leben kostet (Ri 12,6). Hosea zeigt hier, wie Ephraim immer weiter in der Sünde versinkt (V.2) und wie es wie die Morgenwolke, wie der Tau, wie die Spreu und wie der Rauch verschwindet (V.3). Diese Bilder drücken allesamt die Nichtigkeit und den vergänglichen Charakter des menschlichen Lebens aus. So wird auch Gott seine Tenne völlig reinigen, wenn der Weizen von der Spreu getrennt wird (Mt 3,12). Diese Prophezeiung hat sich buchstäblich erfüllt; die zehn Stämme sind bis heute noch unter die Nationen verstreut und ihre Spuren lassen sich nicht verfolgen. Bis Ephraim von seinen Neigungen zur Herrschsucht über andere und zum Neid befreit sein wird, muss die Zukunft noch abgewartet werden: „Und der Neid Ephraims wird weichen...; Ephraim wird Juda nicht beneiden“ (Jes 11,13).
• Die Antwort Gottes; Gnade und Gericht (Kap. 13,4–11)
In jedem Fall bleibt Israel das gedroschene Getreide des HERRN (Jes 21,10) und wird eines Tages wie der Weizen in seinen Speicher eingesammelt werden. Auch bekundet Gott seit dem Auszug aus Ägypten immer wieder seine Gnade gegenüber seinem Volk. Er bleibt ihr einziger Gott und ihr einziger Retter. Ephraim hatte sich in seiner Gleichgültigkeit gegenüber solcher Gnade in seinem Herzen erhoben und Gott vergessen.
Aber Gott konnte sie nicht vergessen, nicht mehr als ihre Undankbarkeit. Er würde sie dem zerstörerischen Gericht der bösen Tiere (Hes 14,21) ausliefern: dem Löwen, dem Leoparden, dem Bären und den Tieren des Feldes (V. 7.8). Es fällt die frappierende Ähnlichkeit mit den Symbolen für die Reiche der Nationen auf (Babylon, Griechenland, das Medo-Persische Reich und Rom), derer Gott sich bediente, um das ebenfalls untreue Juda zu richten.
Israel verblieb in seiner oppositionellen Haltung gegenüber Gott, was schließlich zu seiner Zerstörung führte (V.9). Die vom Volk selbst gewählten Könige würden ihm keinen Schutz bieten. Schon die Tatsache, einen König zu verlangen, war ein Aufgeben des wahren Gottes (1. Sam 8,7). Der göttliche Ausspruch: „Ich gab dir einen König in meinem Zorn und nahm ihn weg in meinem Grimm“ (V.11) hatte sich in erster Linie bei Saul, dem König nach dem Fleisch, erfüllt: Gott hatte zunächst der Bitte des Volkes stattgegeben, um diesen untreuen König später zu verwerfen (1. Sam 15,35; 16,1). Aber das Ausmaß dieses Ausspruchs erstreckt sich weiter bis zum Ende der Geschichte des Volkes: Jehu wurde Israel als Instrument des göttlichen Zorns gegeben; anschließend kamen die meisten seiner Nachkommen auf grausame Weise um, denn „der Grimm des HERRN stieg gegen sein Volk“ (2. Chr 36,16).
Wenn wir uns weigern, auf Gott zu hören, kann er uns hinsichtlich der Folgen unseres Wandels aufgeben und uns später die bitteren Früchte unserer Ungerechtigkeiten schmecken lassen.
• Der Tod in Sieg verschlungen (Kap. 13,12–14,1)
Die Sünde Ephraims lastet noch immer auf ihm. Der Prozess ist abgeschlossen und alle Schuldbeweise gegen das Volk liegen vor. Es muss seinen gerechten Lohn durch die Gerichte empfangen.
Der Vergleich mit den Geburtswehen deutet den unumgänglichen und plötzlichen Charakter der Gerichte an 1. Ein Wind der Vertrocknung würde alle Quellen der Erfrischung und der Freude in Israel versiegen lassen (V.15). Assyrien würde in seinem blinden Hass allen den Tod bringen: Männern, Kindern und werdenden Müttern. Was für eine schreckliche Szene!
Nun lässt Gott ohne Überleitung die Strahlen seiner Gnade scheinen. Auch wenn Ephraim noch keine Buße tat, würde der Messias ein Werk der Befreiung an ihnen verrichten (V.14). Die Anführung dieser Verheißung durch den Apostel Paulus (1. Kor 15,55) zeigt, dass sich ihre Tragweite weit über die Erde und das Volk Israel hinaus erstreckt, nämlich bis hin zu allen himmlischen Erlösten.
Der Tod und die Auferstehung des Retters bewirken die Befreiung des irdischen Volkes Gottes. Auch wenn das Werk vom Kreuz zugunsten der jüdischen Nation bereits vollkommen vollbracht ist (Joh 11,51; 19,30), stehen seine Folgen noch aus. Christus hat durch seinen Tod den Tod zunichte gemacht, um ihn in Sieg zu verschlingen (2. Tim 1,10; Jes 25,8). Auf diese Weise würde die Schmach des irdischen Volkes Gottes für immer von der ganzen Erde weggenommen werden.
Aber das Erlösungswerk bewirkt auch die Befreiung des himmlischen Volkes Gottes. Die Seuchen des Todes erinnerten Israel an die vier bösen Gerichte 2 des HERRN. Der Apostel Paulus redet in der oben angeführten Schriftstelle vom Stachel des Todes und vergleicht die Seuche so mit einem Skorpion, dessen schädliche Macht sich im Schwanz befindet (Off 9,10). Sein tödlicher Stich sowie das Gift ist – geistlich übertragen – die Sünde, die ihre Kraft im Gesetz findet. So ist der Mensch von einer tödlichen Wunde befallen und der Ausblick auf den Tod bewirkt eine ständige Qual in ihm. Welch schreckliche Situation für jeden Menschen!
Das Werk der Gnade für und an uns hat alles verändert. Es hat uns die endgültige Befreiung aus der Knechtschaft des Todes, der Sünde, des Fleisches, des Gesetzes und der Welt gebracht. Die Auferstehung Christi versichert uns diese vollkommene Befreiung und zugleich auch, dass unsere sterblichen Leiber bei der ersten Auferstehung verwandelt werden. Im ewigen Zustand wird es keinen Tod mehr geben (Off 21,4); er wird für immer abgeschafft sein.
Die Prophezeiung Hoseas wird sich im Blick auf diese wunderbare Aussicht buchstäblich erfüllen. Das letzte Kapitel kündigt die Buße und die zukünftige Wiederherstellung Israels an.
Fußnoten