Betrachtung über den Propheten Hosea

Kapitel 12

2.  Androhungen und Verheißungen

Das elfte Kapitel schilderte zusammenfassend die Geschichte des Volkes von seinem Auszug aus Ägypten an bis hin zu seiner Wiederherstellung im tausendjährigen Reich Christi auf der Erde. Der Geist entwickelt nun (Kap. 12) eine andere Seite der Beziehungen Gottes mit Israel.

•   Sich an Wind weiden: Kap. 12,1–3

Zu der Zeit, als Hosea prophezeite, bestand noch ein großer Unterschied zwischen dem moralischen Zustand Ephraims und dem von Juda. Ephraim war nicht aufrichtig gegenüber Gott und übte Lüge, Betrug und Falschheit aus. Es hatte Wind gesät (Kap. 8,7) und weidete sich nun an ihm (Kap. 12,2), d.h. es suchte sein Vergnügen in nichtigen Dingen (Jes 58,13), indem es Gott vergaß und sich mit den götzendienerischen Nationen verband.

Juda dagegen hatte den wahren Gott dank des Einflusses einiger treuer Könige wie Abija, Asa, Josaphat und Hiskia (2. Chr 13,10; 15,15; 19,3) noch nicht aufgegeben. Doch Gott kannte den Fortgang der Geschichte Judas und hatte bereits einen Rechtsstreit mit ihnen (Kap. 12,3). Juda wird hier mit Jakob verglichen, obwohl die anderen zehn Stämme ebenso seine Nachkommen waren. Tatsächlich weist das Verhalten Judas die Züge des Verhaltens seines Vaters auf. Auch wird die Geschichte Jakobs als Symbol des Handelns Gottes gegenüber dem Volk Juda verwendet.

•   Jakob kämpft mit Gott (Kap. 12,4–7)

Die wenigen vom Propheten erwähnten Begebenheiten aus dem Leben Jakobs sind für uns von großer Bedeutung. Bereits die Geburt Jakobs (1. Mo 25,26) rechtfertigt seinen Namen (Überlister) und schattet sein zukünftiges Leben vor, das eine Reihe von Konflikten beinhalten würde.

Gegen Ende des Kampfes mit dem Engel zu Pniel (1. Mo 32,24–32) ändert der Engel den Namen „Jakob“ um in „Israel“ (Sieger oder Kämpfer Gottes). Hosea legt hier offen, wo das Geheimnis des Sieges Jakobs liegt: Sein Glaube, die Buße und das Gebet („er weinte und flehte“) sowie seine Schwachheit (die verrenkte Hüfte), die ein beständiges Zeichen seines Unvermögens ist, sind die Geheimnisse seiner Kraft (2. Kor 12,9.10).

Bei der ersten Begegnung mit dem HERRN war die Sonne über Bethel untergegangen, als Jakob vor seinem Bruder Esau floh, nachdem er ihn betrogen hatte (1. Mo 28,11).

Jedoch geht bei Pniel zunächst die Morgenröte und schließlich die Sonne über Israel („Kämpfer Gottes“) auf – nach dem Kampf, der seine Seele rettete, da er Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte. Seine Gemeinschaft mit Gott würde nur in Bethel wiedergefunden werden, nachdem Jakob und sein Haus sich von Götzen gereinigt hätten. Gott offenbart ihm hier seinen eigenen Namen, was er nie zuvor getan hatte, spricht mit ihm (1. Mo 35,11.14) und bestätigt die Änderung seines Namens Jakob in Israel.

Gott nennt sich hier „HERR (Jehova)“. Der Gott der Patriarchen, der Allmächtige, hatte sich Mose zuerst unter seinem Namen des Bundes und mit seinem Gedenknamen (Kap. 12,6) geoffenbart (2. Mo 3,15; 6,2–4). Damit Juda die Freude an dieser Bundesbeziehung mit Gott wieder genießen könnte, müsste es eine echte Bekehrung erfahren, wie Jakob zunächst in Pniel und später in Bethel.

Mit diesem Appell des Geistes Gottes endet die kurze Zusammenfassung des Lebens des Patriarchen (Kap. 12,7). Juda würde in Demütigung und Buße zu Gott umkehren; die Beziehungen der Gemeinschaft mit ihm würden wiederhergestellt sein (Güte), das Volk würde das Unterscheidungsvermögen zwischen Gut und Böse haben (Recht) und auf Gott vertrauen (beständiges Hoffen). Die moralische Tragweite für uns Christen ist ebenso klar wie bedeutsam.

•   Die Waage des Betrugs (Kap. 12,8.9)

Der Prophet kommt nun auf Ephraim zurück, was sich thematisch bis zum Ende der Prophetie erstreckt. Er nennt ihn „Händler“ oder „Kanaan“ 1. Alles in ihm ist nur Betrug und Verderben, wobei permanent die Gebote des Gesetzes verletzt werden (3. Mo 19,36). Dies geht weiter als die bloße Unkenntnis seines eigenen Zustands, wie es zuvor der Fall gewesen war (Kap. 7,9). Das willentlich verhärtete Gewissen weigert sich, seine Sünde einzugestehen, indem es vorhält, seine Ungerechtigkeit könnte nicht nachgewiesen werden (Kap. 12,9).

•   Überströmende Gnade (Kap. 12,10.11)

Bevor der Faden der gerechten Anklagepunkte wieder aufgenommen wird, bezeugt Gott seine unveränderliche Gnade, die von der Untreue Ephraims nicht erschüttert werden konnte. Seit dem Auszug aus Ägypten hatte der HERR nicht aufgehört, sein Gott zu sein und würde ihm zukünftig die Ruhe des Laubhüttenfestes gewähren (V.10). Gott hatte durch Propheten, Gesichte und Gleichnisse zu seinem Volk geredet.

•   Gilead ist Frevel (Kap. 12,12–15)

Der Geist nimmt das Beispiel Jakobs wieder auf, um es nun mehr auf Ephraim als auf Juda anzuwenden. Nachdem er Esau betrogen hatte, floh Jakob nach Syrien und lernte dort das schwere Joch der Sklaverei kennen, um Rahel zu erwerben – die Frau, die er liebte. Bei alledem wurde sein Glaube an Gott nicht erschüttert. Gott hatte ihn aus der Hand Labans befreit und ihn reich gesegnet. Durch einen Propheten (Mose), der sie die Wüste durchqueren ließ, wurde später auch Israel von seiner Sklaverei aus Ägypten befreit.

Die gleiche Gnade Gottes zeigte sich in Bezug auf Ephraim im weiteren Verlauf seiner Geschichte. Was war die Antwort des Volkes darauf? Das Aufrichten von Götzen (die zu Steinhaufen werden würden), die Demonstration seines Frevels in den Ebenen Gileads und seine Untreue gegenüber Gilgal 2. Daher endet diese traurige Szene mit dem Beschluss des Gerichts. Dennoch nennt sich der HERR hier immer noch der Herr Ephraims, weil er sein Volk trotz des Gerichtes, mit dem er es schlagen wird, nicht verleugnen kann.

Fußnoten

  • 1 Zu jener Zeit waren die Kanaanäer bzw. Phönizier die größten Händler (Jes 23,11; Hes 17,4). Ihre Versessenheit auf Gewinn und ihre Falschheit waren sprichwörtlich. Ephraim wird mit ihnen verglichen.
  • 2 Gilgal hatte als geheimer Ort der Siege Israels seinen Charakter verloren; dort entfalteten sich die traurigen Werke des Fleisches (Kap. 4,15; 9,15; 12,12; Amos 4,4; 5,5)
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