Einführender Vortrag zum Galaterbrief
Kapitel 5
Als Nächstes wendet Paulus sich unmittelbaren Ermahnungen zu, deren herausragende Hauptpunkte nur einige wenige Worte erfordern. Der Christ steht in der Freiheit und nicht im Gesetz. Gleichzeitig besteht der Apostel in nachdrücklichster Weise darauf, dass unsere Freiheit in Christus der Heiligkeit dienen soll. Er zeigt, dass der Geist Gottes, der in dem Gläubigen wohnt, der Wirksamkeit des Fleisches keine Erlaubnis gibt. Mit anderen Worten: Falls der Gläubige durch die Gnade einfach nur Sündenvergebung empfangen hätte ohne Leben in Christus oder den Heiligen Geist, der in Ihm wohnt, könnte er möglicherweise vorbringen, dass es ihm unmöglich sei, nicht zu sündigen. Er ist zu einem Platz der Segnung gebracht worden, der außerhalb von ihm liegt und ihm von einem anderen erworben worden ist, nämlich dem Heiland. Das liefert in sich selbst der Seele tatsächlich Beweggründe, aber keine Kraft, während es für die Seele, welche durch das Evangelium zu Gott gebracht und in die Freiheit eingeführt worden ist, in welche Christus uns vor Gott frei macht, nicht mehr um das Fleisch geht, sondern um den Heiligen Geist, der ihr gegeben worden ist. Und wer wagt es zu sagen, dass der innewohnende Geist Gottes demjenigen keine Kraft zu geben vermag, der sich der Gerechtigkeit Gottes in Christus unterwirft? Daher handelt es sich hier keineswegs um die Frage, ob wir eine innere Kraft besitzen, sondern ob der Heilige Geist nicht in uns wohnt als „Geist ... der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Tim 1,7).
Zweifellos versichert uns dies Gottes Wort an seine Kinder; und hierin steht Galater 5 in einem Gegensatz zu Römer 7. In jenem Kapitel des Römerbriefs haben wir einen wirklich bekehrten Menschen vor uns, der indessen keine Freiheit besitzt und folglich kraftlos ist. Er sieht das Rechte, fühlt das Gute, begehrt das Heilige – und kann es nicht verwirklichen. Der Grund liegt darin: Er ist noch nicht dazu gebracht worden, durch den Glauben anzuerkennen, dass er genausowenig Kraft besitzt wie Gerechtigkeit und dass Christus alles und in allem ist. Er versucht von neuem, sich zu bewähren, und findet sich immer noch in Banden und Elend vor. Er ist mit sich selbst beschäftigt. Er empfindet, was er eigentlich zu tun hat; doch er tut es nicht. Dadurch wird er zunehmend elender. Ein Bewusstsein von der Pflicht gibt keine Kraft. Nur wenn das Herz sich in allem ausliefert, erhält es Kraft und wird durch Christus in Freiheit gesetzt. Ich bin vollständig befreit; und das Maß meiner Befreiung ist Christus, und zwar ein aus dem Tod auferweckter Christus. Das ist Christentum; und wenn die Seele dankbar diese gesegnete Freiheit von Gott annimmt, wird der Heilige Geist gegeben und wirkt Er in dem Gläubigen als Geist des Friedens und der Kraft. Wenn dann das Fleisch gegen den Geist gelüstet, widersteht der Geist demselben, damit der Gläubige nicht das tut, was er will.
Daraus entnimmt Paulus eine wichtige Begründung gegen die Einführung des Gesetzes als Regel für das Leben des Gläubigen. Wir benötigen es nicht, weil der Heilige Geist, der auf diese Weise in uns wirkt, uns zur Liebe kräftigt. Beachten wir: Die Freiheit kommt zuerst, danach erst Kraft und Liebe. Und wie wahr ist dieses alles! Mache ein Kind völlig glücklich, und du wirst bald sehen, dass ihm seine Pflicht vergleichsweise leicht und zur Freude wird! Aber wenn wir uns elend fühlen, empfinden wir dann nicht jede Verpflichtung, selbst wo sie leicht wie eine Feder ist, wie eine Eisenkette so schwer? Es ist folglich kein Wunder, dass jemand, der auf diese Weise gefesselt und gebunden ist, sich unter dem Gesetz widerspenstig fühlt. Der Weg Gottes mit Seelen ist hingegen ganz anders. Er macht uns zuerst ganz und gar glücklich im Bewusstsein seiner Gnade und der Freiheit, die Christus erworben hat; und danach wird der Heilige Geist eine in uns wohnende Quelle der Kraft, obwohl seine Kraft sich in uns natürlich nur entfaltet, insoweit wir Christus vor unseren Augen halten. So werden wir also, wenn wir im Geist wandeln, die Lüste des Fleisches nicht vollbringen. Das ist das Geheimnis der wahren Kraft. Daraus folgt: „Wenn ihr aber durch den Geist geleitet werdet, so seid ihr nicht unter Gesetz“ (V. 18). Und mehr als das: Wenn wir die Früchte des Geistes hervorbringen, kann der Apostel freudig sagen: „Wider solche gibt es kein Gesetz“ (V. 23). Mögen andere, so viel sie wollen, vom Gesetz reden – kein Gesetz kann die wahren Früchte des Heiligen Geistes oder jene, in welchen sie gefunden werden, tadeln.