Jesus Christus ist derselbe
5. Die Leiden Christi und seine Berufung zum Priestertum (5,1-10)
Der Apostel hat uns den Bereich gezeigt, in dem das Priestertum Christi ausgeübt wird – das Haus Gottes –, und die Umstände seines Volkes, die seinen priesterlichen Dienst erforderlich machen – die Wüstenreise. Nun beschreibt er uns die Leiden, durch die Christus im Blick auf seinen priesterlichen Dienst und die Berufung zu dem priesterlichen Amt gegangen ist.
Verse 1–4: Denn jeder aus Menschen genommene Hohepriester wird für Menschen bestellt in den Sachen mit Gott, damit er sowohl Gaben als auch Schlachtopfer für Sünden darbringe; der Nachsicht zu haben vermag mit den Unwissenden und Irrenden, da auch er selbst mit Schwachheit behaftet ist; und deswegen muss er, wie für das Volk, so auch für sich selbst opfern für die Sünden. Und niemand nimmt sich selbst die Ehre, sondern er wird von Gott berufen wie auch Aaron.
Um uns die Überragenheit des Priestertums Christi zu zeigen, bezieht sich der Apostel in diesen Versen auf das aaronitische Priestertum, um allgemeine Grundsätze des Priesterdienstes zu erläutern. Die ersten vier Verse dieses Kapitels beziehen sich nicht auf Christus und sein himmlisches Priestertum, sondern auf Aaron und das irdische Priestertum. Der Apostel nimmt Bezug auf die Person des irdischen Priesters, seine Tätigkeit, seine Erfahrungen und seine Berufung.
Was seine Person betrifft, so ist der Hohepriester „aus Menschen genommen“. Das ist in auffallendem Gegensatz zu dem Priestertum Christi. In der Tat ist Christus Mensch, doch Er ist viel mehr. Der Schreiber bezeugt immer wieder in diesem Brief, dass der Christus, unser Hoherpriester, kein Geringerer als der ewige Sohn ist.
Was seine Tätigkeit betrifft, so ist der irdische Priester für Menschen bestellt in den Sachen mit Gott, dass er sowohl Gaben als auch Schlachtopfer für Sünden darbringe; und damit er Nachsicht habe mit den Unwissenden und Irrenden. Hier wird der Priesterdienst Christi vorgeschattet. Als der Hohepriester handelt Er zugunsten von Menschen – der vielen Söhne, die Er zur Herrlichkeit bringt, um sie vor dem Versagen zu bewahren und sie in einem praktischen Wandel mit Gott zu erhalten. Christus hat sowohl Gaben als Schlachtopfer für Sünden dargebracht, um sein Volk in Beziehung mit Gott zu bringen, und nachdem Er das große Werk vollbracht hat, das ihre Sünden wegnimmt, übt Er nun seine priesterliche Tätigkeit in Fürbitte, Mitleid und Hilfe zugunsten seines unwissenden und irrenden Volkes aus.
Was die persönlichen Erfahrungen des irdischen Priesters betrifft, so lesen wir, dass „auch er selbst mit Schwachheit behaftet ist; deswegen muss er, wie für das Volk, so auch für sich selbst opfern für die Sünden“. Hier finden wir eine teilweise Ähnlichkeit und einen eindeutigen Gegensatz zu dem Priestertum Christi. Es stimmt, dass Christus sich in den Tagen seines Fleisches in Umständen der Schwachheit befand. Aber im Gegensatz zu Aaron war seine Schwachheit ohne Sünde, deshalb konnte nicht gesagt werden, dass Er für sich selbst für die Sünden opferte.
Was die Berufung des irdischen Priesters betrifft, so heißt es: „Und niemand nimmt sich selbst die Ehre, sondern er wird von Gott berufen wie auch Aaron.“ Hier ist wieder, wie wir uns sofort erinnern, eine Ähnlichkeit mit dem Priestertum Christi. Niemand kann wahrhaft den Platz eines Priesters einnehmen – in jeder Bedeutung des Wortes –, der nicht von Gott berufen ist. Die ernsten Folgen der Missachtung dieser Wahrheit sehen wir in dem Gericht, das Korah und seine Rotte traf, die nach dem Priestertum trachteten, ohne von Gott berufen zu sein. Judas spricht davon, dass es in der Christenheit viele geben würde, die sich in der gleichen Weise selbst zu Priestern ernennen würden, ohne von Gott berufen zu sein, und die in dem Widerspruch Korahs umkommen würden (4. Mo 16,3.7.10; Jud 11).
Hier haben wir dann den Charakter des irdischen Priestertums nach den Gedanken Gottes und nicht, wie es in der Geschichte des versagenden Israels veranschaulicht wird, die damit endete, dass zwei boshafte Männer gleichzeitig den Platz des Hohenpriesters innehatten und sich verschworen, ihren Messias zu kreuzigen.
Verse 5.6: So hat auch der Christus sich nicht selbst verherrlicht, um Hoherpriester zu werden, sondern der, der zu ihm gesagt hat: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.“ Wie er auch an einer anderen Stelle sagt: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks.“
Mit Vers 5 beginnt der Schreiber, von Christus als dem Hohenpriester zu sprechen. Er stellt uns die Erhabenheit seiner Person vor, als zum Priester berufen, die Erfahrungen, die Er machte, um die Stellung als Priester einzunehmen, und die Berufung durch Gott auf diesen Platz des Dienstes.
Die Herrlichkeit seiner Person. Christus, der berufen ist, unser großer Hoherpriester zu sein, ist wirklich aus Menschen genommen, um sein Priestertum zugunsten von Menschen auszuüben. Trotzdem wird Er in seiner Menschheit als der Sohn angesprochen: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.“ Es ist diese herrliche Person, die wahrer Gott und wahrer Mensch ist und in der Gottheit und Menschheit ihren vollkommenen Ausdruck finden –, die zum Priester berufen ist nach dem Wort: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks.“ Über den Charakter dieser Ordnung des Priestertums wird der Apostel noch mehr zu sagen haben. Hier wird Psalm 110,4 zitiert, um außer der Erhabenheit des Priesters vor allem die Würde des Priestertums zu zeigen.
Verse 7.8: Der in den Tagen seines Fleisches, da er sowohl Bitten als Flehen dem, der ihn aus dem Tod zu erretten vermochte, mit starkem Schreien und Tränen dargebracht hat, (und wegen seiner Frömmigkeit erhört worden ist), obwohl er Sohn war, an dem, was er litt, den Gehorsam lernte.
In den folgenden Versen lernen wir die Erfahrungen kennen, die Christus gemacht hat, um seinen Priesterdienst ausüben zu können. Wie nötig es auch war, dass Er die herrliche Person war, die Er ist – der Sohn –, um das Hohepriestertum im Himmel auszuüben – es war mehr nötig. Wenn Er seinem Volk auf dessen Wüstenreise helfen und es unterstützen sollte, musste Er selbst an den Leiden und Schwierigkeiten dieses Weges teilnehmen. Sogleich erinnert der Apostel dann an die „Tage seines Fleisches“, als Er an unseren Schwachheiten teilnahm, den Weg ging, den wir gehen, denselben Versuchungen begegnete, denen wir ausgesetzt sind, und mit gleichen Schwachheiten umgeben war. Der Schreiber weist besonders hin auf die Leiden des Herrn am Ende seines Weges, als der Feind – wie jemand es ausgedrückt hat – „der zu Beginn versucht hatte, Jesus zu verführen, indem er Ihm die Dinge anbot, die angenehm für den Menschen sind (Lk 4), sich Ihm nun mit schrecklichen Dingen entgegenstellte“ (J. N. D.). In Gethsemane versuchte der Feind, den Herrn von dem Weg des Gehorsams abzubringen, indem er Ihm mit schrecklicher Angst vor dem Tod zusetzte. Angesichts dieses Angriffs handelte der Herr als der vollkommene Mensch. Er übte nicht seine göttliche Macht aus, indem Er den Teufel fortsandte oder sich selbst vor dem Tod rettete; sondern als der vollkommen abhängige Mensch fand Er seine Zuflucht im Gebet und begegnete so der Prüfung und überwand den Teufel. Dennoch brachte gerade seine Vollkommenheit als Mensch Ihn dazu, den Schrecken alles dessen, was Ihm bevorstand, zu empfinden und seine Empfindungen in starkem Schreien und Tränen auszudrücken. Er begegnete der Erprobung in vollkommener Abhängigkeit von Gott und mit Vertrauen auf Gott, der Ihn aus dem Tod zu erretten vermochte.
In dieser schrecklichen Erprobung wurde Er wegen seiner Frömmigkeit erhört, indem Er Gott durch Abhängigkeit und Vertrauen in alle Umstände einbezog. Er wurde erhört, insofern als Er in körperlicher Schwachheit gestärkt und im Geist befähigt wurde, gehorsam den Kelch aus der Hand des Vaters anzunehmen. So überwand Er die Macht Satans, und, obwohl Er Sohn war, lernte Er an dem, was Er litt, den Gehorsam. Wir müssen Gehorsam lernen, weil wir einen bösen Willen haben; Er, weil Er Gott über alles war, der von Ewigkeit her immer nur befohlen hatte. Wir lernen häufig Gehorsam durch die Leiden, die wir uns durch unseren Ungehorsam selbst zuziehen. Er lernte Gehorsam durch die Leiden, die sein Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes mit sich brachte. Er lernte durch Erfahrung, was es kostete zu gehorchen. Kein Leiden, wie schwer es auch sein mochte, konnte Ihn von dem Weg des vollkommenen Gehorsams abziehen. Jemand hat gesagt: „Er unterwarf sich allem, gehorchte in allem und verließ sich in allem auf Gott“ (J. N. D.).
Die Leiden, auf die der Apostel hinweist, waren „in den Tagen seines Fleisches“, nicht am Tag seines Todes. Am Kreuz litt Er unter dem Zorn Gottes, und dort musste Er allein sein. Niemand kann seine sühnenden Leiden teilen oder in sie eindringen. Im Garten litt Er von der Macht des Feindes, und da sind andere mit Ihm verbunden. Wir können in geringem Maß diese Leiden teilen, wenn wir vom Teufel versucht werden; und dabei haben wir alles Mitleid und alle Unterstützung dessen, der vor uns gelitten hat.
Verse 9.10: Und, vollendet worden, ist er allen, die ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils geworden, von Gott begrüßt als Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks.
Außerdem wurde Er nicht nur im Garten erhört, sondern, nachdem Er gelitten hatte, ist Er auch in der Auferstehung erhört und in Herrlichkeit vollendet worden. Er nimmt seinen Platz als der verherrlichte Mensch ein nach seinen eigenen Worten: „Siehe, ich treibe Dämonen aus und vollbringe Heilungen heute und morgen, und am dritten Tag werde ich vollendet“ (Lk 13,32). Nichts konnte zu der Vollkommenheit seiner Person etwas hinzufügen, doch nachdem Er die Leiden in den Tagen seines Fleisches erduldet und das Werk am Kreuz vollbracht hatte und nachdem Er nun auferweckt und verherrlicht ist, ist Er vollkommen geeignet, seinen Priesterdienst zugunsten der vielen Söhne auf ihrem Weg zur Herrlichkeit auszuüben. Vollkommen gemacht, ist Er von Gott als Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks begrüßt worden. In seiner Fleischwerdung wurde Er berufen, Priester nach der Ordnung Melchisedeks zu werden (V. 5); nach seiner Auferstehung und Vollendung in Herrlichkeit wird Er begrüßt als solcher, der die Berufung angenommen hat.