Betrachtung über den Propheten Hosea
Kapitel 1-2,2
Die Ratschlüsse Gottes bezüglich Israels
1. Die Hochzeit Hoseas, Symbol der Geschichte Israels
Die Prophezeiung Hoseas in Verbindung mit den Königen von Juda und Israel: Kap. 1,1
Obwohl Hosea Prophet in Israel war, steht seine Botschaft eher in Verbindung mit den Königen von Juda (Jotham, Ahas und Hiskia). Er schweigt in Bezug auf die meisten Nachkommen Jehus in Israel (Joahas, Joas und Sekarja) und nennt nur Jerobeam II.
Gott ist gerecht, sowohl zur Vergeltung als auch zum Gericht:
- Einerseits hatte Jehu das Gericht Gottes über das Haus Ahas gut ausgeführt und Gott hatte ihm verheißen, seine Söhne bis zur vierten Generation auf den Thron Israels zu setzen (2. Kön 10,30).
- Andererseits musste die Untreue und Gewalttätigkeit Jehus an seinen Nachkommen gerichtet werden, die selbst auch untreu waren. Deshalb kam Sekarja, der vierte Nachkomme Jehus, auf grausame Weise um (2. Kön 15,8–12).
Im Grunde genommen war das Gericht über Jehu auch das Gericht über Israel, welches durch die Verschleppung nach Assyrien zur Ausführung kommen würde.
Jisreel: Kap. 1,2–5
Gott befiehlt dem Propheten, sich mit einer Frau zu verbinden (wahrscheinlich handelt es sich um eine geweihte Prostituierte 1), die ein böses Leben führte und deren moralischer Wandel den des Volkes Israel widerspiegelte. Indem es Gott aufgab, war Israel tatsächlich zu einer Hure geworden: in geistlicher Hinsicht war Israel, mit dem Gott sich vermählt hatte (Jer 31,32), seinem Bund ihm gegenüber untreu geworden. Dennoch bestand die rechtmäßige Verbindung zwischen Gott und seinem irdischen Volk weiterhin, was die Sünde Israels umso schlimmer machte.
Ist diese Untreue Israels gegenüber Gott nicht das Bild der Untreue der Versammlung des Herrn auf der Erde? So wie Israel unter Gesetz versagt hatte, hat die Versammlung unter Gnade versagt. Die Schrift gebraucht denselben furchtbaren Ausdruck „Hure“ und „Mutter der Huren“ (Off 17,1.5), um den Zustand der bekennenden Christenheit, der falschen Braut, nach der Entrückung der wahren Braut Christi in den Himmel (welche in sehr naher Zukunft stattfinden wird) zu charakterisieren.
Der göttlichen Anordnung gehorsam, nimmt Hosea nun Gomer, die Tochter Diblaims 2, zur Frau. Das erste Kind aus dieser Verbindung trägt den Namen „Jisreel“. Dies war offenkundig ein Appell an das Gewissen des Volkes, denn „Jisreel“ bedeutet „Gott sät bzw. streut aus“ oder „Gott zerstreut“. Ferner gab es neben der Stadt Jisreel in Juda, aus welcher Davids Frau Achinoam stammte (1. Sam 25,43), auch die Stadt Jisreel in Issaschar (Jos 19,18), wo auch Ahab und seine Frau Isebel sich aufhielten (1. Kön 18,45). Dort empfing Isebel ihr schreckliches, von Gott angeordnetes und durch Jehu zur Ausführung gebrachtes Gericht (1. Kön 21,23; 2. Kön 9,30–37).
Anlässlich der Ausführung dieses Gerichtes hatte Jehu als böser und skrupelloser Mensch 42 Brüder Ahasjas, des Königs von Juda, umgebracht (2. Kön 10,12–14). Nun verlangt Gott durch den Propheten Hosea Rache. Mit der Auslöschung des Hauses Jehu endete praktisch das Reich der zehn Stämme Israels: Auf genau diese Weise wurde der „Bogen Israels“ (d.h. seine Macht) im Tal Jisreel gebrochen (Kap. 1,5). Jedoch wird dieses Tal der Ort der Wiederaufrichtung und des Segens des Volkes sein (Kap. 2,2.24.25).
Lo-Ruchama und Lo-Ammi: Kap. 1,6–9
Gomer gebiert nun eine Tochter, deren Name „Lo-Ruchama“ die Bedeutung trägt: „sie 3 hat kein Erbarmen empfangen“. Das hebräische Wort „Ruchama“ ist ein sehr starker Ausdruck und bedeutet „Zärtlichkeit“ oder „Liebe“. Die Gerichtszeit der Nation Israel hatte begonnen. Dennoch würde Gott sich wegen seines Dieners David immer noch über das Haus Juda erbarmen. Die Niederlage Sanheribs vor Jerusalem, als der Engel des HERRN 185000 Männer seiner Armee schlug (2. Kön 19,35), war die furchtbare Erfüllung dieser Prophezeiung (Kap.1,7).
Schließlich erwächst aus der unreinen Verbindung des Propheten ein zweiter Sohn mit Namen „Lo-Ammi“, was soviel bedeutet wie „Nicht-mein-Volk“. Hier umfasst das göttliche Urteil die Verwerfung der gesamten Nation Israels, also Israels und Judas. Das Volk kann sich nun nicht mehr auf die Gegenwart Gottes in ihrer Mitte berufen („und ich will nicht euer sein“, d.h.: ich will nicht euer Gott sein). Dieses Urteil würde sich viel später bei der Verschleppung nach Babylon erfüllen, als die Herrlichkeit des HERRN nur zögerlich und, als ob es mit Bedauern geschähe, den Tempel, dann die heilige Stadt und das Land verließ (Hes 10,18; 11,23).
Die zukünftige Sammlung des Volkes: Kap. 2,1.2
Aber wenn Gott seinen Zorn entbrennen lässt und gerechtes Gericht ausübt, „befremdend ist sein Werk! [...] außergewöhnlich ist seine Arbeit!“ (Jes 28,21), so ist er auch gnädig. „Denn ein Augenblick wird verbracht in seinem Zorn, ein Leben in seiner Gunst“ (Ps 30,6). Nie hatte ein Prophet Israel das Gericht vorausgesagt, ohne eine Segensverheißung folgen zu lassen. So kündigt der Prophet von hier an nun auch die zukünftige Sammlung des Volkes an: Der Gott des Gerichts ist ebenso der Gott der Verheißungen, welche „unbereubar“ sind (Rö 11,29).
Die erste zugesagte Segnung betrifft die zahlenmäßige Größe des Volkes Israel in der Zukunft: „wie der Sand des Meeres, der nicht gemessen und nicht gezählt werden kann.“ Dies ist eine Anspielung auf die bedingungslosen Verheißungen, die Gott Abraham nach der Opferung Isaaks gab (1. Mo 22,17). Im Gegensatz zu anderen Verheißungen, die als Bedingung Gehorsam gegenüber dem Gesetz forderten (5. Mo 28,1), basiert die Verheißung der künftigen Vermehrung des Volkes einzig und allein auf dem Opfer Christi, welches uns in Isaak vorgestellt wird (Gal 3,16).
Es wird eine weitere, noch beachtenswertere Verheißung hinzugefügt: „an dem Ort, wo zu ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk!, wird zu ihnen gesagt werden: Kinder des lebendigen Gottes“ (Kap. 2,1). Diese Verheißung betrifft Israel direkt, jedoch wendet der Apostel Paulus sie in seinem Brief an die Römer auf das zukünftige Teilhaben der Nationen am göttlichen Segen an (Rö 9,26). Christus ist der „Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16), sowohl um seine Versammlung zu bauen, als auch um das Gewissen einer verantwortlichen, untreu gewordenen Kirche aufzuwecken (Off 2,18). Der lebendige Gott nennt auch Israel seinen Sohn: „Israel ist mein Sohn, mein Erstgeborener“ (2. Mo 4,22).
Aber die „Gefäße der Begnadigung, zuvor bereitet zur Herrlichkeit“ (Rö 9,23) entstammen nicht ausschließlich dem jüdischen Volk; sie kommen ebenso aus den Nationen. Dies ist die Ankündigung von Gottes Wegen in Bezug auf die Welt, welche bis dahin unbekannt waren. Tatsächlich hatte Gott bislang nur zu seinem Volk Israel eine Beziehung gehabt – unter Ausschluss aller anderen Nationen der Erde (Amos 3,2). Es ist schön zu sehen, wie das Geheimnis der Versammlung, gebildet durch Gläubige aus den Juden und aus den Nationen, die als „Söhne“ und „Kinder“ Gott als ihren Vater haben, bereits vor seiner vollständigen Offenbarung hier durch den Propheten verschleiert angedeutet wird. Das Ende des zweiten Kapitels nimmt dieses Thema aus dem Blickwinkel der Beziehungen des HERRN mit seinem irdischen Volk wieder auf.
Nachdem er den zukünftigen Segen der Nationen angekündigt hat, kommt der Prophet nun wieder auf Israel zurück und legt das Augenmerk auf das zukünftige Sammeln des ganzen Volkes. Vereint unter dem Banner ihres alleinigen Hauptes Christus werden Juda und Ephraim einmal gemeinsam „aus dem Land heraufziehen“. Einst hatte der Mensch Mühsal gesät und geerntet (Hiob 4,8). Jisreel war der Ort des Gerichts und der Bestrafung. Nun sät Gott in dem Land für sich selbst (Kap. 2,25), und die Ernte ist eine andere. Was aus dem fruchtbaren Land erwächst, ist eine Ernte des Segens für das Volk; das Volk selbst ist eine Ernte für Gott, eine Quelle der Ehre und Freude für ihn (Zeph 3,17). So wird Jisreel seiner eigentlichen Bedeutung („Gott sät“) gerecht, und „groß ist sein Tag“ (Kap. 2,2).
Das erste Kapitel sowie der Beginn des zweiten Kapitels liefern also einen Überblick über die Vergangenheit und über die Zukunft Israels und Judas. Indem es Gott aufgibt, fällt das Volk unter das Gericht Gottes und alle seine Beziehungen mit ihm sind unterbrochen. Dies ist für die göttliche Barmherzigkeit die Gelegenheit, die Segnungen auf die Nationen auszudehnen und schließlich Israel wieder aufzurichten und es unter dem Banner des auferstandenen Christus wieder zu vereinigen.
Fußnoten
- 1 Einige vermuten, dass sie dies erst nach ihrer Vereinigung mit dem Propheten geworden ist. Somit würde sie symbolisch das Verhalten Israels Gott gegenüber darstellen.
- 2 Der Name Diblaim bedeutet „doppelter Kuchen“ oder „doppelte Umarmung“. Dies ist möglicherweise eine Anspielung auf die zwei gegensätzlichen Einflüsse, denen Israel ausgesetzt war: Dem Einfluss des Fleisches und dem der göttlichen Heiligkeit. Die Schrift sagt klar, dass Gott keine geteilten Herzen möchte.
- 3 „Sie“ bezeichnet das Königreich Israel, also die zehn Stämme, im Gegensatz zu Juda. Später wird es „Ephraim“ genannt.