Lasst uns die Mauer Jerusalems aufbauen!
Die Vorbereitung des Weges
Im ersten Kapitel haben wir die verborgenen Übungen gesehen, wodurch das Gefäss für das bevorstehende besondere Werk zubereitet wurde. Jetzt werden wir die gute Hand Gottes sehen, die den Weg vor seinem Diener zubereitet.
Bevor Nehemia eine Antwort auf sein Gebet erhielt, musste er vier Monate warten. Gottes Volk hat nicht nur zu beten, sondern sollte nüchtern oder wachsam sein zum Gebet. Gott hört und Gott antwortet, aber es wird zu seiner Zeit und nach seiner Weise sein. Und Gottes Antworten kommen oft in einer Art und zu einem Augenblick, wie und wann wir sie am wenigsten erwarten.
Nehemia ging seinen täglichen Pflichten als Mundschenk des Königs nach, als es eine Gelegenheit gab, sein Herz seinem königlichen Gebieter zu öffnen. Er ergreift sie und erzählt dem König, dass die Traurigkeit seines Angesichts die Sorgen seines Herzens widerspiegle, denn er sagt: „Die Stadt, die Begräbnisstätte meiner Väter, liegt wüst, und ihre Tore sind vom Feuer verzehrt.“ Der König, sichtbar interessiert, antwortet sofort: „Um was bittest du denn?“
Das lässt einen schönen Zug im Charakter Nehemias hervortreten – seine gewohnheitsmässige Abhängigkeit von Gott. Nachdem Nehemia vier Monate lang vor Gott geübt war, wusste er bestimmt, was er wünschte. Doch sagt er uns, dass er „zu dem Gott des Himmels betete“, bevor er seinen Wunsch ausdrückte. Dann antwortet er dem irdischen König und bittet, nach Jerusalem gesandt zu werden, um die Mauer zu bauen. In der Antwort des Königs wird ihm seine Bitte gewährt. Der König bewilligt ihm eine Zeit und gibt ihm Briefe mit an die Landpfleger und den Hüter des königlichen Forstes, um das Werk zu fördern. Sogleich erkennt Nehemia, dass die sofortige Einwilligung des Königs eine Folge der guten Hand Gottes war. Bevor Nehemia seine Bitte vorbrachte, hatte er sich zu Gott gewandt. Jetzt, nachdem sie ihm gewährt ist, anerkennt er die gute Hand Gottes. Wir mögen daran denken, uns in unseren Schwierigkeiten zu Gott zu wenden, aber vergessen oft, für seine Gütigkeit zu danken, wenn ihnen begegnet worden ist. Es ist gut, am Anfang einer Schwierigkeit einen Geist des Gebets zu haben, und wenn sie vorüber ist, einen Geist des Lobens (V. 1–8).
Es folgen die Einzelheiten der Reise Nehemias nach Jerusalem. Er wird begleitet von Heerobersten der königlichen Armee und Reitern. Es wird uns ausdrücklich gesagt, dass der König die Heerobersten und Reiter gesandt hat, nicht dass Nehemia darum gebeten hätte. Nehemia reiste als Mundschenk des Königs, und vermutlich dachte der König mehr an seine eigene Hoheit als an die Sicherheit Nehemias. Trotzdem kann Gott die Hoheit eines Königs und die Forderungen des Königtums benützen, um für das Wohlergehen seiner Knechte vorzusorgen. Dass die Umstände einen solchen Schutz verlangten, ist offensichtlich, denn es wird auf einmal von den Feinden des Volkes Gottes berichtet, „die es gar sehr verdross, dass ein Mensch gekommen war, um das Wohl des Volkes Gottes zu suchen“ (V. 9.10).
Es ist bemerkenswert, dass, wenn Zeitperioden (Haushaltungen) ihrem Ende entgegen gehen, es immer weniger ein öffentliches Eingreifen vonseiten Gottes gibt. Als die 600'000 Israeliten mit ihren Familien von Ägypten nach Kanaan zogen, begleitete sie die Wolke bei Tag und die Feuersäule des Nachts; und jede Etappe dieser erstaunlichen Reise war gekennzeichnet durch wunderbares Eingreifen Gottes. Ganz anders ist es in den Tagen Serubbabels, Esras und Nehemias. Auch sie unternehmen ihre verschiedenen Reisen durch die Wüste vom Land der Gefangenschaft zum Land Jehovas, aber keine sichtbare, überschattende Wolke schützt sie bei Tag, noch erleuchtet eine Feuersäule des Nachts ihren Weg. Sie müssen zufrieden sein, die normalen Reisemittel, die jene Zeit und jenes Land zur Verfügung stellten, benützen zu können. Ausserdem werden die äusseren Zustände mit der Zeit immer schwächer. Serubbabel führt eine ansehnliche Menge von 47000 zurück; bei Esra sind es nur noch 1800, und jetzt muss Nehemia bereit sein, allein zu reisen. Wenn in seinen Tagen jemand der Gefangenschaft entrann, so war es als einsamer Einzelner. Und doch, wenn es kein äusserliches, direktes Eingreifen Gottes mehr gibt, wenn die Zustände schwach sind, wird dies zu einer grösseren Gelegenheit, den Glauben zu üben. Daher sehen wir, wie der Glaube heller leuchtet, wenn die Tage dunkler werden.
Nachdem Nehemia in Jerusalem angekommen ist, wartet er drei Tage. Er hat ein grosses und ernstes Werk vor sich, er will nichts überstürzen, noch übermässige Eile an den Tag legen. Er steht im Begriff, von dem Elend des Volkes Gottes und dem zerstörten Zustand Jerusalems zu zeugen. Er will das Volk Gottes zu Taten aufrütteln und sie in ihrer Arbeit anleiten. Aber er muss zuerst für sich selbst von der Verwüstung überzeugt sein, damit er im Geist des vollkommenen Dieners zeugen kann, der in einer späteren Zeit sagen konnte: „Wir reden was wir wissen, und bezeugen was wir gesehen haben.“
So kam es, dass Nehemia des Nachts aufstand und wenige Männer mit ihm. Und ohne andere darüber zu benachrichtigen, was Gott ihm ins Herz gegeben hatte zu tun, geht er seinen Weg durchs Taltor hinaus. Von verschiedenen Punkten aus besichtigt er „die Mauern von Jerusalem, welche niedergerissen, und ihre Tore, die vom Feuer verzehrt waren“. Er will sich selbst vertraut machen mit dem Ausmass der Zerstörung. Er verfolgt seinen Mitternachtsritt bis es kein Durchkommen mehr gibt. Wenn das natürliche Herz mit einer solchen Verwüstung konfrontiert wird, mag es wohl den Schluss ziehen, dass der Fall hoffnungslos ist, ausserhalb des Bereichs menschlicher Möglichkeiten, den Schaden zu beheben. Für Menschen als solche war es tatsächlich hoffnungslos. Aber Gott hatte es ins Herz Nehemias gegeben, dieses Werk zu unternehmen, und Gott kann einen Menschen befähigen, das auszuführen, was Er ihm ins Herz gibt zu tun. Das Geheimnis der Kraft Nehemias war die Gewissheit, dass Gott ihm den Auftrag zu diesem Werk gegeben hatte. Es war nicht nötig, mit jemandem zu beraten über einen Auftrag, den Gott ihm zur Ausführung gegeben hatte. Menschliche Ratschläge konnten Gott nichts hinzufügen; sie hätten Nehemia eher schwächen und entmutigen können. Die Menschen würden ihm wohl gesagt haben, es sei klüger, die Sache in Ruhe zu lassen. Indem er auf die Verwüstung sehe, mache er nur sich selbst unglücklich und durch den Versuch, die Mauer wieder aufzubauen, würde er Unruhe unter dem Volk Gottes stiften und Feindschaft wider sie heraufbeschwören. Deshalb unternahm Nehemia seinen Ritt im Geheimen, bei Nacht, um sich vertraut zu machen mit der Verwüstung Jerusalems. Weder die Vorsteher noch das Volk wussten, wohin er ging und was er tat (V. 11 – 16).
Nach seiner Besichtigung war die Zeit gekommen, um vor den Ältesten zu reden. Er zeugte von dem Unglück des Volkes und von der Verwüstung Jerusalems mit seinen niedergerissenen Mauern und seinen verbrannten Toren. Er ermunterte sie, sich aufzumachen und die Mauer zu bauen, um nicht länger zum Hohne zu sein (Vers 17).
Ausserdem erzählt ihnen Nehemia, dass die Hand Gottes gütig über ihm gewesen sei. In seinen Regierungswegen benützte die züchtigende Hand Gottes Nebukadnezar, um die Mauer niederzureissen und die Tore zu verbrennen. Aber die Hand Gottes in Güte war über Nehemia, um sie wieder aufzubauen und die Tore wieder aufzurichten. Nachdem die Vorsteher von der Hand Gottes gehört haben, sagen sie: „Wir wollen uns aufmachen und bauen!“ „Und sie stärkten ihre Hände zum Guten.“ Nichts wird unsere Hände mehr für ein gutes Werk stärken, als die Erkenntnis, dass die Hand Gottes es ist, die das Werk anführt. Gott hatte es in das Herz eines Mannes gegeben, das Werk zu tun, und jetzt stärkt Er ihre Hände um es auszuführen (V. 18).
Aber leider gibt es andere, die bereit sind, dem Bauen der Mauer zu widerstehen. Sie begegnen Nehemia und seinen Gefährten mit Spott und Verachtung. Der Führer dieser Gegnerschaft ist nicht ein Heide, sondern ein Samariter (4, 1.2), dessen Religion eine böse Mischung von Götzendienst und Anbetung Jehovas ist. In den Augen der Welt würde er, entsprechend seinem Bekenntnis, zweifellos als ein wahrer Anbeter Jehovas betrachtet werden. Nehemia aber täuscht sich nicht, denn er sagt: Ihr habt weder Teil noch Recht, noch Gedächtnis in Jerusalem“ (V. 19).
So wie damals, kommt auch heute der grösste Widerstand gegen die Aufrechterhaltung der Absonderung zwischen der Welt und dem Volk Gottes von den bekennenden Christen, die in Verbindung mit den Feinden des Volkes Gottes stehen.
Nehemia jedoch lässt sich durch das Verlachen nicht von der Durchführung des Werkes Gottes abbringen, noch abschrecken durch die Verachtung der Menschen. Er erkennt, dass, wenn die Menschen der Welt dem Werk widerstehen, der Gott des Himmels es gelingen lassen wird (V. 20).
Ist es in unseren Tagen nicht ebenso, trotz des Verfalls und der Verwüstung unter dem Volk Gottes und trotz aller Widerstände? Können wir nicht sagen, dass diejenigen, die zur Aufrechterhaltung der Heiligkeit Gottes die Mauer aufzubauen und die Tore aufzurichten suchen, den Gott des Himmels auf ihrer Seite haben, der es ihnen gelingen lässt?