Der Brief an die Hebräer
Kapitel 10
In diesem Kapitel legt Paulus den von ihm behandelten Gegenstand – die Allgenugsamkeit und den Wert des einmaligen Opfers Jesus Christus – im Hinblick auf den gegenwärtigen Zustand der Gläubigen dar. Er hat uns das Werk des Christus dargestellt und hat von Seiner Wiederkunft und Herrlichkeit gesprochen. Aber was geschieht in dieser Zwischenzeit? Es ist die Zeit des Christentums, in der das Opfer des Christus angewendet wird. Der Christ befindet sich zwischen dem Kreuz und der Wiederkunft des Christus in Herrlichkeit. Er ruht voll Vertrauen unter dem Kreuz; dort allein findet er den festen, sittlichen Grund, um vor Gott stehen zu können und die Herrlichkeit zu erwarten, die offenbart werden soll.
„Denn da das Gesetz einen Schatten der zukünftigen Güter, nicht der Dinge Ebenbild selbst hat, so kann es nimmer mit denselben Schlachtopfern, welche sie ununterbrochen darbringen, die Hinzunahenden vollkommen machen. Denn würde sonst nicht ihre Darbringung aufgehört haben, weil die den Gottesdienst Übenden, einmal gereinigt, kein Gewissen mehr von Sünden gehabt hätten?“ (Vers 1–2).
Das Gesetz mit seinen vielen Schlachtopfern brachte die Anbeter nicht zur Vollkommenheit; denn wären sie zur Vollkommenheit gekommen, so hätten nicht immer wieder neue Schlachtopfer gebracht werden müssen. Die Wiederholung der Opfer beweist, dass die, welche hinzunahten, d. h. die Anbeter, nicht vollkommen waren. Weit entfernt davon, vollkommen zu machen, waren die Schlachtopfer im Gegenteil eine Erinnerung an die Sünde. Das jährlich wiederholte Schlachtopfer zeigte dem Volk, dass die Sünde noch da war; es veranschaulichte klar und deutlich, dass sie vor dem Angesicht Gottes noch bestand. Christus jedoch hat nur ein Schlachtopfer für die Sünde dargebracht. Dieses Opfer hat Gott angenommen. Es wird nicht wiederholt. Durch dieses Opfer sind die Sünden hinweggetan und die Anbeter haben in Gottes Gegenwart ein reines Gewissen.
Das Gesetz war wohl ein Schatten, aber keineswegs ein Ebenbild der zukünftigen Güter. Unter dem Gesetz gab es Schlachtopfer, die wiederholt wurden – jetzt haben wir ein einziges Schlachtopfer, das allgenugsam ist. Unter dem Gesetz gab es einen Hohenpriester, der sterblich war und sein Amt auf einen anderen übertrug, einen Hohenpriester, der einmal im Jahr in das Allerheiligste hineinging, es aber jedesmal wieder verlassen musste, während Gott durch den Vorhang vor dem Auge des Anbeters verborgen blieb, weil das Werk nicht vollbracht war – jetzt ist der Vorhang zerrissen und der Hohepriester sitzt für immer zur Rechten Gottes. Jede Handlung unter dem Gesetz ließ erkennen, dass die Versöhnung nicht vollkommen war; jetzt aber beweist der Zustand des Hohenpriesters und der Anbeter, dass das Werk vollbracht und die Anbeter vor Gott für immer vollkommen gemacht sind. Die Wiederholung der Schlachtopfer zeigte klar, dass unter dem Gesetz die Sünde noch vorhanden war, und die Tatsache, dass das Opfer des Christus nur einmal dargebracht wurde, offenbart deutlich seine ewige Gültigkeit.
Nun, nachdem die Sünde gesühnt und das Gewissen gereinigt ist, nahen sich die Anbeter, ermächtigt durch das Opfer, mit Freimütigkeit. Die Bedeutung des jüdischen Gottesdienstes lag darin, dass die Sünden nicht hinweggetan waren; die Bedeutung des christlichen Gottesdienstes dagegen liegt darin, dass die Sünden weggenommen sind. Darum haben die Anbeter jetzt kein von Sünden beschwertes Gewissen mehr. Beachten wir wohl, dass hier keine Rede ist von unserer Stellung als Kinder Gottes und von unserm Wandel als solchen. Wenn wir als Kinder gesündigt haben, bedürfen wir der Vergebung unseres Vaters und können, solange wie sie nicht bekommen haben, unmöglich in Seiner Gegenwart glücklich sein. Hier ist die Rede von unserer Stellung als Sünder, und als solche haben wir durch das Opfer des Christus vollkommene Vergebung aller unserer Sünden empfangen, so dass wir mit reinem und freiem Gewissen, gereinigt durch das Blut des Christus, in Gottes heilige Gegenwart, ins innerste Heiligtum treten können. Wäre eine einzige Sünde ungesühnt geblieben, dann könnten wir in Gottes Gegenwart nicht bestehen, denn Seine Augen sind zu rein, als dass Er das Böse anschauen könnte.
Unter dem Gesetz wurde fortwährend an die Sünden erinnert, denn das Blut der Stiere und Böcke war nicht imstande, sie wegzunehmen (Verse 3–4). Und doch war es der Wille Gottes, die Sünden wegzunehmen. In Seinem ewigen Ratschluss hatte Er dies beschlossen und in Seiner Verheißung schon unmittelbar nach dem Sündenfall angekündigt. Damit dieser Ratschluss und diese Verheißung in Erfüllung gehen konnten, musste ein Opfer geschlachtet werden, dessen Blut von allen Sünden zu reinigen vermochte und das alle heiligen Forderungen Gottes erfüllen konnte. Zu diesem Opfer hat Gottes eigener Sohn sich freiwillig hingegeben.
„Darum, als er in die Welt kommt, spricht er: Schlachtopfer und Speisopfer hast du nicht gewollt, einen Leib aber hast du mir bereitet; an Brandopfern und Opfern für die Sünde hast du kein Wohlgefallen gefunden. Da sprach ich: Siehe, ich komme, (in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben), um deinen Willen, o Gott, zu tun.“ Indem Er vorher sagt: „Schlachtopfer und Speisopfer und Brandopfer und Opfer für die Sünde hast du nicht gewollt, noch Wohlgefallen daran gefunden“ (die nach dem Gesetz dargebracht werden), sprach er dann: „Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun“ (Verse 5–9).
Durch diese herrlichen und feierlichen Worte sind wir gewürdigt zu vernehmen, was zwischen Vater und Sohn vorgegangen ist, als der Sohn es auf sich nahm, den Willen des Vaters zu vollbringen. Wir hören, was Er damals gesagt hat und welches die ewigen Ratschlüsse Gottes waren, die Er auszuführen kam. Bevor Er Mensch wurde, an dem Ort, wo die ewigen Ratschlüsse und Gedanken unter den Personen der Gottheit allein verhandelt wurden, bot sich das Wort an, so wie es sich in der Zeit uns offenbart hat, das Werk zu vollbringen, das in diesen Ratschlüssen beschlossen war. Und in dem prophetischen Wort, das uns mitgeteilt wird, ist es, als ob der Vorhang ein wenig gehoben würde, hinter dem das große Geheimnis der göttlichen Gedanken verborgen ist. Unaussprechlich herrliches Vorrecht, das uns Gottes Gnade schenkt!
Schon als der Heilige Geist diese Worte des Sohnes Gottes durch die Feder des Propheten niederschreiben ließ, erklärte Er damit alle Opfer des Alten Bundes als verwerflich vor Gott. Jede Art von Opfer wird hier aufgezählt – Schlachtopfer, Speisopfer, Brandopfer und Sündopfer. Und diese alle hat Gott nicht gewollt, sie haben Ihm auch nicht gefallen. Keines von allen und auch nicht alle zusammen konnten ein einziges Gewissen reinigen oder eine einzige Sünde sühnen. Darum sagt der Sohn, als Er in die Welt kommt: „Schlachtopfer und Speisopfer hast Du nicht gewollt, einen Leib aber hast Du Mir bereitet.“ Im hebräischen Text von
Dies tat Er freiwillig. Er selber ist es, der sagt: „Einen Leib aber hast Du Mir bereitet. Siehe, Ich komme, um Deinen Willen, o Gott, zu tun.“ Er gibt sich selber hin, um den Willen Gottes zu vollbringen. Aus freier Liebe, für die Herrlichkeit des Vaters, ganz freiwillig bringt Er sich selbst dar als jemand, der imstande war und das Recht hatte, solches zu tun. Es war der Wille Gottes; in der Rolle des Buches, in Gottes ewigen Ratschlüssen war das schon bestimmt; aber Er gibt sich freiwillig hin, um diesen Willen zu vollbringen. Gehorsam dem Ratschluss, der für Ihn gefasst war, opfert Er sich vollkommen freiwillig, um ihn zu vollführen; und indem Er sich hingibt, unterwirft Er sich vollkommen und nimmt es auf sich, alles zu tun, was Gott verlangt. Bemerkenswerte Offenbarung der Wahrheit, die Jesus einmal ausgesprochen hat: „Ich und der Vater sind eins.“ Eins in Gedanken und Willen, weil sie eins im Wesen sind; denn niemand anders als eine göttliche Person war imstande und hatte das Recht, den Platz zu verlassen, den Er einnahm. In der Tat, selbst in Seiner Erniedrigung war unser Heiland notwendigerweise Gott, denn Gott allein konnte das Werk unternehmen, das Er sich vorgesetzt hatte; aber zugleich war Er Gott stets und völlig gehorsam und von Ihm abhängig. In Seinem Dasein auf Erden wurde offenbar, was in den ewigen Wohnungen beschlossen ist.
Beachten wir auch, dass unser Herr zu Gott sagt. „Du hast Mir einen Leib bereitet.“ Obwohl von einer Jungfrau geboren, war Er gezeugt von der Kraft des Allerhöchsten in der Überschattung durch den Heiligen Geist. Er hatte einen wahrhaft menschlichen Leib, aber einen Leib ohne Sünde und darum unsterblich, obschon Er ihn angenommen hat, um sterben zu können – einen Leib, von Gott für Ihn bereitet.
Die Folgen der Erniedrigung und Selbstaufopferung von Gottes Sohn werden nun von Paulus aufgeführt. Es sind deren drei. 1. Unsere Heiligung durch den Willen Gottes; 2. unsere Heiligung und Vollkommenmachung durch das Opfer des Leibes Jesus Christus, ein für allemal geschehen; und 3. das Zeugnis des Heiligen Geistes in uns, der dies bestätigt.
1. Unsere Heiligung ist nach dem Willen Gottes. „Durch welchen Willen wir geheiligt sind“ (Vers 10). Gottes Wille, und nicht der unsrige, ist der Grund und die Ursache unserer Heiligung. Wer das verstanden hat, steht auf einem unerschütterlichen Boden. Durch den Willen Dessen, der nach Seiner ewigen Weisheit Seinem Sohn einen Leib bereitet hat, damit dieser sich für uns aufopfern könnte, sind wir für Gott abgesondert (geheiligt) und deshalb errettet worden. Und was sich nun auch ändern mag, Gottes Wille verändert sich nicht. Was in Seinem ewigen Ratschluss festgelegt ist, hat Er in der Zeit ausgeführt, und nichts ist imstande, daran etwas zu ändern. Welch eine feste und unverrückbare Grundlage für unsern Glauben!
Beachten wir, dass in unserm Brief nicht die Mitteilung des Lebens behandelt wird, noch die praktische Heiligung, gewirkt durch den Heiligen Geist. Wohl wird im zwölften Kapitel in den Ermahnungen über die praktische Heiligung gesprochen, aber nicht im lehrhaften Teil des Briefes. Die Heiligung, von der hier gesprochen wird, ist die Absonderung eines Menschen für Gott, damit er durch Gottes Willen Ihm angehöre; diese Absonderung wird bewirkt durch das Opfer von Jesus Christus und Seine Verherrlichung zur Rechten Gottes.
2. Unsere Heiligung und Vollkommenmachung ist durch das Opfer des Leibes Jesus Christus einmal für immer geschehen. „Durch welchen Willen wir geheiligt sind durch das ein für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi“ (Vers 10). Gottes Wille ist der Grund, und das Opfer von Jesus Christus das Mittel zu unserer Heiligung. Auf die Erde gekommen, um den Willen Gottes zu vollbringen, hat unser Herr sich durch den ewigen Geist unbefleckt Gott geopfert; und durch dieses Opfer sind wir für Gott abgesondert und Gott geweiht worden. Dieses Opfer hat eine ewige Kraft; es ist ein für allemal geschehen; es wird nicht wiederholt; und deshalb ist unsere Heiligung von ewiger Art und braucht nicht wiederholt zu werden. Durch die allgenugsame Kraft dieses Opfers sind wir für immer Gott geweiht, so dass unsere Heiligung, unsere Absonderung für Gott die Festigkeit des Willens Gottes hat. Sie ist die Folge der Gnade, die in der Hingabe des Christus sichtbar geworden ist. Die Heiligung ist vollkommen, gleich wie dies Werk vollkommen ist, durch das sie möglich wurde, und sie hat daher auch die Dauer und die Kraft der Allgenugsamkeit des herrlichen Werkes des Christus.
Dass das Opfer Jesu Christi ein für allemal geschehen ist, erkennen wir daran, dass Er zur Rechten Gottes sitzt. Der Priester in der alten Haushaltung stand, weil seine Sünden fortwährend weggetan werden mussten; er musste täglich den Dienst verrichten und oft dieselben Schlachtopfer darbringen, weil das Blut von Stieren und Böcken die Sünden nicht wegnehmen konnte. Christus, „aber nachdem Er ein Schlachtopfer für Sünden dargebracht hat sich auf immerdar gesetzt zur Rechten Gottes“ (Vers 12). Das Werk ist vollbracht; das Blut der Versöhnung ist vergossen; ein allgenugsames Opfer ist dargebracht; als unser großer Hoherpriester ist Christus mit Seinem eigenen Blut durch die Himmel ins Heiligtum hineingegangen und hat sich dort, kraft Seines empfangenen Rechts, zur Rechten Gottes gesetzt, „fortan wartend, bis Seine Feinde gelegt sind zum Schemel Seiner Füße“.
Denn Christus, der für immer unser Hoherpriester ist, wird sich zwar erheben und in Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels erscheinen, doch nicht, um sich mit unsern Sünden zu befassen, sondern um den Sieg über alle Seine Feinde davonzutragen. Der Thron Gottes, zu dessen Rechten Er sich gesetzt hat, ist für uns der Thron der Gnade, aber für alle Feinde Gottes der Thron des Gerichts.
Aus welchem Grund hat sich Christus auf immerdar zur Rechten Gottes gesetzt? Der Heilige Geist erklärt es uns, wenn Er sagt: „Denn mit einem Opfer hat Er auf immerdar vollkommen gemacht die geheiligt werden“ (Vers 14). Welche Gnade! Wir sind für immer vollkommen gemacht. Wir sind vollkommen gemacht durch Sein Werk, nach der Gerechtigkeit, derzufolge Er sich zur Rechten Gottes gesetzt hat und nun persönlich dort ist. Gott hat Ihn angenommen. Sein Blut hat die Sünde zunichte gemacht. Durch Sein Werk ist eine vollkommene und ewige Versöhnung zustandegekommen; und alle, die geheiligt werden, sind durch Sein Opfer für immer vollkommen gemacht.
Das sind merkwürdige Worte. Es steht nicht: Die geheiligt wurden, sondern: die geheiligt werden. Alle, die geheiligt werden, gleichgültig wann, während der verflossenen Jahrhunderte oder jetzt, sind durch ein Opfer auf immer vollkommen gemacht.1 Alle, die glauben, haben teil an derselben Versöhnung, werden mit demselben Werk in Verbindung gebracht und sind durch ein und dasselbe Opfer vollkommen gemacht vor Gottes heiligem Angesicht.
3. Das Zeugnis des Heiligen Geistes, der unsere Heiligung und unser Vollkommengemachtsein bestätigt. „Das bezeugt aber auch der Heilige Geist; denn nachdem Er gesagt hat: Dies ist der Bund, den Ich ihnen errichten werde nach jenen Tagen, spricht der Herr: Indem Ich Meine Gesetze in ihre Herzen gebe, werde Ich sie auch auf ihre Sinne schreiben“; und: „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde Ich nie mehr gedenken“ (Verse 15–17).
Um die Absicht des Schreibers gut zu verstehen, müssen wir an den Zeremoniendienst in Israel denken. Wenn der Hohepriester am großen Versöhnungstag das Blut hinter den Vorhang trug, um es auf und vor den Sühnedeckel, auf welchem Gott thronte, zu sprengen, dann konnte das Volk nicht eher wissen, dass das Opfer von Gott angenommen war, als bis der Hohepriester aus dem Heiligtum heraustrat und sich dem Volk zeigte. Christus, unser Hoherpriester, ist ins himmlische Heiligtum eingegangen und sitzt dort zur Rechten Gottes. Wie sollen wir wissen, dass das Opfer von Gott im Himmel angenommen ist? Das israelitische Volk wird es erst wissen, wenn Jesus den Himmel verlassen und sich Seinem Volk zeigen wird. Darum haben die gläubigen Juden in der großen Drangsalszeit unter dem Antichrist wohl eine gewisse Hoffnung, aber nicht die Sicherheit der Vergebung ihrer Sünden. Aber wie sollen wir es wissen? Nun, durch den Heiligen Geist. Nachdem Jesus in den Himmel eingegangen und von Gott verherrlicht worden ist, hat Er den Heiligen Geist aus dem Himmel auf die Erde gesandt und den Gläubigen geschenkt. Dieser Geist bezeugt uns, dass Gott das Blut der Sühnung angenommen hat; dieser Geist redet zu uns von dem verherrlichten Christus, der als unser Hoherpriester zur Rechten Gottes gesetzt ist, und gibt uns von Gottes wegen die Zusicherung, dass Er unserer Sünden und Gesetzlosigkeiten nimmermehr gedenkt, da sie durch das Blut Jesu, das von Ihm als allgenugsam angenommen worden ist, hinweggetan sind. Darum mussten die Apostel des Herrn in Jerusalem warten, bis der Heilige Geist gekommen war, weil sie erst dann von der Vergebung der Sünden Zeugnis ablegen konnten. Und im Johannesevangelium, wo der Herr sagt: „Ströme lebendigen Wassers werden aus seinem Leib fließen“, wird gesagt „Dies aber sagte Er von dem Geist, welchen die an Ihn Glaubenden empfangen sollten, denn noch war der Geist nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war.“
Der wunderbare und herrliche Zustand, in dem die Gläubigen sich befinden, hat deshalb seinen Ursprung im Willen Gottes, der sowohl die Gnade als auch den Ratschluss Gottes in sich vereinigt; er hat seinen Grund und seine Festigkeit in dem vollbrachten Werk des Christus, dessen Vollkommenheit bewiesen ist durch das Sitzen Jesu zur Rechten Gottes; und er wird bestätigt durch das Zeugnis des Heiligen Geistes, der in uns Wohnung genommen hat und uns die Zusicherung gibt, dass das Opfer von Gott angenommen und das Blut, das von allen Sünden reinigt, vor Seinem Thron ist.
„Wo aber eine Vergebung derselben ist, da ist nicht mehr ein Opfer für die Sünde“ (Vers 18), so schließt Paulus seine Beweisführung. Wenn durch das eine Opfer des Christus eine vollkommene Vergebung zustandegekommen ist, dann ist kein Opfer mehr nötig, um diese Vergebung zu empfangen. Wohl kann an dieses Opfer dauernd erinnert werden, aber die Darbringung eines neuen Opfers gehört zu den Unmöglichkeiten. Wir befinden uns auf einem ganz neuen Terrain. Durch das Opfer des Christus ist die Sünde zunichte gemacht und wir, die wir glauben, sind geheiligt. Für uns, Teilhaber der himmlischen Berufung, ist die Reinigung von unsern Sünden völlig und für immer getan, die vollkommene Vergebung unserer Missetaten erworben und uns ist eine ewige Erlösung geschenkt, so dass wir, in den Augen Gottes ohne Sünde, dort wohnen können, wo Christus sitzt zur Rechten Gottes.
Auf die herrlichen Wahrheiten, die in diesem Brief dargelegt sind, gründen sich die Ermahnungen, die jetzt folgen. Es sind deren vier. Die erste ist, dass wir Gebrauch machen sollen von unserm herrlichen Vorrecht, als Priester in das himmlische Heiligtum einzugehen.
„Da wir nun, Brüder, Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu, auf dem neuen und lebendigen Wege, welchen Er uns eingeweiht hat durch den Vorhang hin, das ist Sein Fleisch, und einen großen Priester über das Haus Gottes, so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen, in voller Gewissheit des Glaubens, die Herzen besprengt und also gereinigt vom bösen Gewissen, und den Leib gewaschen mit reinem Wasser“ (Verse 19–22).
Die Ermahnung ist: Lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen, in voller Gewissheit des Glaubens. Als Grund für die Möglichkeit eines solchen Zuganges zu Gottes Heiligtum wird noch einmal in kurzen, aber bemerkenswerten und herrlichen Worten die Ursache der Freimütigkeit, die wir haben, angegeben. Solange die erste Hütte noch stand, war der Weg zum Heiligtum nicht geöffnet; niemand konnte in Gottes Gegenwart erscheinen; aber durch das Blut des Christus ist ein neuer und lebendiger Weg geschaffen, der uns in das himmlische Heiligtum vor den Thron Gottes bringt. Dieser neue und lebendige Weg ist eingeweiht durch den Vorhang hin, das ist Sein Fleisch. Als Jesus starb, zerriß der Vorhang des Tempels von oben bis unten. Der Himmel war geöffnet, der Thron Gottes zugänglich für den Gläubigen; mit einem gereinigten Gewissen konnte er in Gottes Gegenwart hineingehen.
Aber nicht nur das. Jesus ist in den Himmel gefahren und als unser Hoherpriester zur Rechten Gottes gesetzt. Wir können nicht nur in das himmlische Heiligtum hineingehen durch das Blut Jesu; sondern, wenn wir dort ankommen, finden wir „einen großen Priester über das Haus Gottes, der auf Grund des Werkes, das Er vollbracht hat, dort immerdar lebt, um sich für uns ins Mittel zu legen und uns vor Gott zu vertreten, so dass unsere Opfer, seien sie auch unvollkommen und befleckt, dennoch „Gott wohlannehmlich durch Jesus Christus“ sind (siehe
Wir dürfen deshalb in das himmlische Heiligtum hineingehen. Doch wir dürfen nicht bloß, sondern wir können hineingehen. Wir haben nicht nur die Freiheit, sondern auch die Freimütigkeit, hineinzugehen. Der Himmel ist nicht nur für uns geöffnet, so dass wir frei hineingehen können, sondern wir sind auch für das Heiligtum tauglich gemacht. Wir sind Gottes Priester geworden. Die Söhne Aarons wurden bei ihrer Weihung als Priester mit dem Wasser des kupfernen Waschbeckens ganz gewaschen, mit dem priesterlichen Gewand bekleidet und mit Blut besprengt. So sind auch unsere Herzen besprengt mit dem Blut Jesu und also gereinigt vom bösen Gewissen; während wir durch den Geist Gottes durch das Wort ganz gereinigt sind. Und die Waschung mit Wasser wird ebenso wenig wiederholt wie die Besprengung mit dem Blut des Christus. „Wer gebadet ist, hat nicht nötig, sich zu waschen, ausgenommen die Füße, sondern er ist ganz rein“, hat der Herr zu Petrus gesagt; so dass wir in einen Zustand gebracht sind, der uns tüchtig macht, ins himmlische Heiligtum hineinzugehen – jetzt noch im Glauben, aber bei der Wiederkunft des Christus, wenn jede Spur der Sünde aus unserm Leib verschwunden sein wird, in Wirklichkeit.
Diese Freimütigkeit haben alle Gläubigen, denn sie haben alle teil am Werk des Christus, sie sind alle gewaschen mit Wasser und besprengt mit Blut. Ob sie nun alle von diesem herrlichen Vorrecht Gebrauch machen, ist eine andere Frage. „Lasst uns hinzutreten“, sagt Paulus; lasst uns als Priester in das himmlische Heiligtum treten, um dort unsere Opfer darzubringen. Aber lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen, in voller Gewissheit des Glaubens. Unser Herz muss wahr, aufrichtig sein vor Gott, und wir müssen in des Herrn Wegen wandeln und ruhen im Opfer des Christus, durch das jede Kluft zwischen uns und Gott weggenommen ist und wir tauglich gemacht sind für Gottes heilige Gegenwart. Ein Gläubiger jedoch, der die Erlösung durch Christus nicht verstanden hat, fühlt sich nicht fähig, ins himmlische Heiligtum hineinzugehen; und ein Gläubiger, der nicht aufrichtig vor Gott wandelt, wird kein Bedürfnis fühlen, Gott anzubeten, zu loben und zu preisen. Aber haben wir ein aufrichtiges Herz und stehen wir in der vollen Gewissheit des Glaubens, lasst uns dann auch von unserm herrlichen und heiligen Vorrecht fortwährend Gebrauch machen.
Die zweite Ermahnung ist: „Lasst uns das Bekenntnis der Hoffnung unbeweglich festhalten, denn treu ist Er, der die Verheißung gegeben hat“ (Vers 23). Wird die Erfüllung der Verheißung auch noch so lang hinausgeschoben, so ist der Herr doch treu; Er vergisst Seine Verheißungen nicht; zu Seiner Zeit wird Er sie in Erfüllung gehen lassen. Darum müssen wir das Bekenntnis der Hoffnung unbeweglich festhalten, wonach wir an der himmlischen Berufung teil haben und dorthin kommen werden, wohin Jesus als unser Vorläufer eingegangen ist.
Und das müssen wir nicht nur jeder für sich selber tun, sondern, als zu einer Familie gehörend, miteinander. Wir wandern zusammen nach dem himmlischen Vaterland, darum sollen wir uns auch zusammenschließen und einander erbauen und stärken. Daher die folgenden Ermahnungen. „Lasst uns aufeinander achthaben zur Anreizung zur Liebe und zu guten Werken“ (Vers 24). Wenn einer der Heiligen in Gefahr sein sollte, abzuweichen, so lasst uns ihn warnen, mit Liebe umgeben, stützen und stärken, damit die Liebe nicht erkalte und die guten Werke nicht aufhören. „Und lasst uns ... unser Zusammenkommen nicht versäumen, wie es bei etlichen Sitte ist, sondern einander ermuntern“, dieser Zusammenkunft treu beizuwohnen, „und das um so mehr, je mehr ihr den Tag“ des Christus, den Tag Seiner Herrlichkeit, „herannahen seht“ (Vers 25).
Unser Zusammenkommen, das ist die Versammlung der Kinder Gottes. Es gibt nur eine Familie Gottes, und darum auch nur eine Zusammenkunft. Dieser beizuwohnen ist unser heiliges Vorrecht und unsere teure Berufung. Dort werden wir gestärkt durch den gegenseitigen Glauben und die gegenseitige Gemeinschaft; dort verherrlichen wir gemeinsam unsern Gott und Vater und beugen uns vor dem Lamm, das geschlachtet ist; und dort freuen wir uns zusammen der herrlichen Zukunft, die unser wartet.
Diese Ermahnungen waren für die gläubigen Hebräer, an die Paulus schrieb, höchst notwendig. Einige von ihnen hatten bereits die Gewohnheit, das Zusammenkommen zu unterlassen und standen so in Gefahr, das Bekenntnis der Hoffnung preiszugeben und zum Judentum zurückzukehren. Darum folgen jetzt die ernsten Worte: „Denn wenn wir mit Willen sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, so bleibt kein Schlachtopfer für Sünden mehr übrig, sondern ein gewisses furchtvolles Erwarten des Gerichts und der Eifer eines Feuers, das die Widersacher verschlingen wird“ (Verse 26–27).
Die Absicht des Paulus ist deutlich. Wie im sechsten Kapitel redet er hier über die schrecklichen Folgen des Weggehens vom christlichen Glauben und des Zurückkehrens zum Judentum. Das versteht er hier unter „mit Willen sündigen“. Wer die Erkenntnis der Wahrheit empfangen und das Judentum verlassen hat, um Christus als seinen Erlöser und Hohenpriester anzunehmen, sündigt mit Willen, wenn er den christlichen Glauben verwirft und zum jüdischen Gottesdienst zurückkehrt; und weil er dann das einzige Opfer, das vor Gott gilt, verwirft, bleibt kein Schlachtopfer mehr für seine Sünden übrig; und es bleibt nichts anderes zu erwarten als das Gericht und die Glut des Feuers, das die Feinde des Christus verzehren wird.
Das ist nicht anders möglich; denn wenn „jemand, der das Gesetz Moses' verworfen hat, ohne Barmherzigkeit stirbt auf die Aussage von zwei oder drei Zeugen, wie viel ärgerer Strafe, meint ihr, wird der wert geachtet werden, der den Sohn Gottes mit Füßen getreten und das Blut des Bundes, durch welches er geheiligt worden ist, für gemein geachtet und den Geist der Gnade geschmäht hat?“ (Verse 28–29). Den Sohn Gottes mit Füßen treten ist schlimmer als das Gesetz Moses' verwerfen; denn das letztere ist Ungehorsam, aber das erstere ist Verachtung der Gnade Gottes und dessen, was Gott in Christus Jesus getan hat, um uns von den Folgen dieses Ungehorsams zu erlösen. Wer zum Judentum zurückkehrte und den christlichen Glauben verleugnete, trat den Sohn Gottes mit Füssen, achtete das Blut des Bundes, durch das er geheiligt worden war, als er den Platz der für Gott Abgesonderten eingenommen hatte, für gemein und schmähte den Geist der Gnade, der ihm die Augen für die Wahrheit geöffnet und ihm Christus als seinen Herrn und Erlöser gezeigt hatte.
Paulus hatte jedoch eine bessere Meinung von den Hebräern, an die er schrieb; denn sie hatten durch ihren Glauben und ihre Hingabe bewiesen, dass sie wahre Christen waren. Nachdem sie durch das Evangelium erleuchtet worden waren, hatten sie viel Kampf und Leiden erduldet. Sie waren auf allerlei Weise verfolgt worden, so dass sie durch Schmähungen und Drangsal vor der Welt zur Schau gestellt worden waren; und sie hatten Gemeinschaft bewahrt mit anderen, die so behandelt wurden. Sie hatten denen, die um des Herrn Namens willen gefangen waren, Teilnahme bewiesen; ja, sie hatten den Raub ihrer Güter mit Freuden aufgenommen, weil ihr Blick auf die herrliche Zukunft gerichtet war, die unser wartet. Von dem vergänglichen Gut dieser Welt schauten sie weg auf ihre bessere und bleibende Habe in den Himmeln (Verse 32 -34).
Doch sie mussten ausharren; denn nur der, welcher ausharrt bis ans Ende, wird selig werden. Die Verheißung Gottes kann nur der davontragen, der ausharrt und den Willen Gottes tut. Darum ruft Paulus ihnen zu: „Werft nun eure Zuversicht nicht weg, die eine große Belohnung hat“ (Vers 35). 2 Lasst euch deshalb nicht entmutigen; bleibt dem Glauben treu; haltet euch fest an Gottes Verheißung; bedenkt, dass der Gerechte aus Glauben leben wird, und dass Gott an einem jeden, der sich zurückzieht, der den Glauben preisgibt, kein Wohlgefallen hat (Vers 38). „Wir aber“, so schließt Paulus – ihr und ich – „sind nicht von denen, die sich zurückziehen zum Verderben, sondern von denen, die da glauben zur Errettung der Seele“ (Vers 39).
Fußnoten