Gedanken über das Buch Jona
Kapitel 1
Ninive war „eine außerordentlich große Stadt von drei Tagereisen“ (Kap. 3, 3), eine Weltstadt, in der allein 120 000 Menschen lebten, die nicht zu unterscheiden wußten zwischen ihrer Rechten und Linken. Die Bosheit jener Stadt war vor Gott heraufgestiegen. Ninive ist das Bild der Welt in ihrem Stolz und ihrer Herrlichkeit, die sich um Gott und Seine Rechte nicht kümmert, im Bösen sich selbst lebt, ein Feind Gottes und Seines Volkes ist. Darum ist sie dem Gericht Gottes verfallen.
Jona stand mit Jehova in Verbindung und erhielt den Auftrag, Ninive das Gericht anzukündigen. Er kannte Gott in Seinem Erbarmen, denn er sagt in Kapitel 4: „Ich wußte, daß du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langsam zum Zorn und groß an Güte, und der sich des Übels gereuen läßt“ (V. 2).
Es war eine besondere Ehre, der Bote Gottes zu sein, und wenn Jonas Herz von Gottes Gnade erfüllt gewesen wäre, hätte er mit Freuden die Botschaft nach Ninive gebracht, um die Bewohner mit einem solchen Gott bekannt zu machen. Gott hätte das Gericht an dieser Stadt sogleich vollziehen können, Er hatte das Recht dazu, und Ninive hatte keinen Anspruch auf Aufschub. Doch Er sendet Seinen Boten und wartet auf Umkehr, um Gnade erweisen zu können.
„Aber Jona machte sich auf, um von dem Angesicht Jehovas hinweg nach Tarsis zu fliehen.“ Dieses „aber“ offenbarte, daß es im Herzen Jonas anders war, und redet zu uns allen. Nur im Sonnenschein der Liebe Gottes und in der Gemeinschaft mit Ihm lernen wir Sein Herz kennen, um dann „Nachahmer Gottes“ zu werden. Paulus bringt solches zum Ausdruck, wenn er schreibt: „Denn, Brüder, ihr seid Nachahmer der Versammlungen Gottes geworden, die in Judäa sind in Christo Jesu, weil auch ihr dasselbe von den eigenen Landsleuten erlitten habt, wie auch jene von den Juden, die sowohl den Herrn Jesus als auch die Propheten getötet und uns durch Verfolgung weggetrieben haben, und Gott nicht gefallen und allen Menschen entgegen sind, indem sie uns wehren, zu den Nationen zu reden, auf daß sie errettet werden, damit sie ihre Sünden allezeit vollmachen“ (1. Thes 2, 14-16).
„Jona machte sich auf“, doch es war kein Weg des Gehorsams, den er ging. Wenn der Knecht Gottes nicht gehorsam ist, wird er unbrauchbar, auf eigenem Wege kann Gott ihm nur entgegen sein. Das ist ein Verlust für ihn selbst und auch für die, denen seine Aufgabe gilt.
Als Elias einst fortging in die Wüste, war er ein entmutigter Prophet, der verzagt war wegen der Drohungen einer gottlosen Isebel. Nicht so bei Jona. Er hatte keinerlei Anfeindungen erfahren; er war nicht willig, den Auftrag auszuführen, war also ein untreuer Knecht. Offenbar ging es gegen seine eigene Ehre, Gericht anzukündigen und es nachher nicht ausgeführt zu sehen, wenn Gott Sein Erbarmen offenbarte. Der eigene Stolz ging ihm über die Kundgebung der Gnade.
Wachen wir über die Regungen unserer selbstsüchtigen Herzen! Der bloße Besitz der Wahrheit, ein Wissen allein, bläht auf. Es ist ein Unterschied, ob ich die Wahrheit ergriffen habe, oder von ihr ergriffen bin. In dem einen Fall stehe ich in Gefahr, im Eigendünkel mich zu erheben und die anderen dabei zu vergessen oder geringschätzend zu betrachten, in dem anderen Fall wird es mich drängen, auch andere mit den Gedanken und Ratschlüssen Gottes bekannt zu machen.
„Von dem Angesicht Jehovas hinweg“ ist stets ein ernster Weg mit bösen Folgen. Solange Elias sagen konnte: „So wahr Jehova lebt, der Gott Israels, vor dessen Angesicht ich stehe“, war er kraftvoll, um der Mund Jehovas zu sein. Gott redete mit ihm, und „das Wort Jehovas“ war bindend und wegweisend für ihn. Zu allen Zeiten ist geistliche Energie und Mut zum Zeugnis nur da, wenn dieser Platz eingenommen wird.
„Und er ging“ (V. 3). Haben wir erst Gott den Rücken gekehrt, um den eigenen Weg zu gehen, hält der Feind in seiner List alles bereit, um uns in sein Netz zu führen. Das Schiff in Japho zeigt uns, daß die gegebenen Umstände nicht die Weisung von oben sind. Wie leicht sind auch wir oft bereit, das Fährgeld zu zahlen, und ahnen nicht, daß wir uns in die Hand des Teufels begeben haben.
„Wohin sollte ich gehen vor deinem Geiste, und wohin fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich auf zum Himmel, du bist da; und bettete ich mir in dem Scheol, siehe, du bist da. Nähme ich Flügel der Morgenröte, ließe ich mich nieder am äußersten Ende des Meeres, auch daselbst würde deine Hand mich leiten, und deine Rechte mich fassen“ (Psalm 139, 7-10). Jona hätte das wissen müssen; aber wir wissen manches und versagen doch oft. Jona war in den unteren Schiffsraum hinabgestiegen und hatte sich hingelegt. Er „war in tiefen Schlaf gesunken“. Noch war alles ruhig. Ja, Gott hat Seine Zeit.
„Da warf Jehova einen heftigen Wind auf das Meer, und es entstand ein großer Sturm auf dem Meere, so daß das Schiff zu zerbrechen drohte“ (V. 4). Der untreue Jona war die Ursache des Sturmes. Er, der zum Segen sein sollte, brachte sich und andere mit in Not. Das war das traurige Ergebnis der Untreue. „Die Seeleute fürchteten sich und schrieen, ein jeder zu seinem Gott.“
„Jona aber war in den unteren Schiffsraum hinabgestiegen und hatte sich hingelegt und war in tiefen Schlaf gesunken“ (V. 5). Ihn kümmerte die Not seiner Umgebung nicht. Er ist gefühllos trotz der Zeichen der Gegenwart und Macht Gottes. Dies mag uns allen zur ernsten Warnung dienen. Wenn wir die Kraftquelle verlassen und den Weg der Untreue gehen, haben wir die Augen verschlossen und sind gefühllos für die Not um uns her. Da mögen Tausende verzweifelt mit dem Schicksal kämpfen und in eigener Kraft ihre Lage zu verbessern suchen, weil sie Gott nicht kennen, und wir regen uns nicht.
Beim Schlafen hört auch das Beten auf. In solch traurigem Zustand geraten wir dann in Selbstbetrug. Bei Jona war es so, er sagte zu den Seeleuten: „Ich fürchte Jehova, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat“ (V. 9).
Suchen wir nunmehr das prophetische Bild zu verstehen. In Jona haben wir das Bild des untreuen Israel. Gott hatte sich dieses Volk zum Zeugnis an alle Völker erwählt. „Ihr seid meine Zeugen, spricht Jehova, und mein Knecht, den ich erwählt habe: damit ihr erkennet und mir glaubet und einsehet, daß ich derselbe bin. Vor mir ward kein Gott gebildet, und nach mir wird keiner sein. Ich, ich bin Jehova, und außer mir ist kein Heiland“ (Jes 43, 10. 11).
Jona bedeutet Taube. Dieses begnadete Volk hätte ein Friedensbote sein sollen, um den wahren und lebendigen Gott allen Menschen kundzutun. Wie hat es seiner Aufgabe entsprochen? Wir sehen es in Jona. Die Erwählung unter allen Völkern nahm es gern hin, doch keineswegs hatte es die Bereitwilligkeit zum Zeugnis. Es wandte sich von Jehova, ja, Jehova wandte sich von ihm ab. Jeremia sagt: „Durchstreifet die Gassen Jerusalems, und sehet doch und erkundet und suchet auf ihren Plätzen, ob ihr jemand findet, ob einer da ist, der Recht übt, der Treue sucht: so will ich ihr vergeben. Und wenn sie sprechen: So wahr Jehova lebt! so schwören sie darum doch falsch. Jehova, sind deine Augen nicht auf die Treue gerichtet? Du hast sie geschlagen, aber es hat sie nicht geschmerzt; du hast sie vernichtet, sie haben sich geweigert, Zucht anzunehmen; sie haben ihre Angesichter härter gemacht als einen Fels, sie haben sich geweigert, umzukehren“ (Jer 5, 1-3).
Für Israel hatte der Weg „von dem Angesicht Jehovas hinweg“ sehr ernste Folgen. Nicht nur, daß es die ihm aufgetragene Sendung nicht erfüllte, es sank auch in sittlicher Beziehung so tief, daß es den Nationen in nichts nachstand, ja oft noch verderbter handelte als diese. (Hes 8; 9; 16, 44-49.) Heute ist es verstummt und gleicht dem schlafenden Jona im unteren Schiffsraum. Es hat sich zufrieden gegeben mit den Umständen und segelt mit den Nationen auf dem Weltmeer, ohne Verbindung mit Gott.
Jonas Verhalten zeigt uns noch mehr. Hätte Israel erkannt, daß seine Erwählung und Verbindung mit Gott nur ein Geschenk der Liebe und Gnade war, wie es in 5. Mose 7, 6-8 zum Ausdruck kommt, so hätte es sich gefreut, wenn sich Gott in Seinem Erbarmen auch der ganzen Welt, die unter dem Gericht stand, zuwandte, um an alle die Gnadenbotschaft zu richten. Aber zufrieden mit seiner eigenen Erwählung und stolz auf seinen Vorzug anderen Völkern gegenüber, konnte es nicht ertragen, daß die Gnade auch den Nationen gebracht wurde. Es machte das Maß der Bosheit voll, indem es wehrte, „zu den Nationen zu reden, auf daß sie errettet werden“ (1. Thes 2, 16). Dadurch ist der Zorn völlig über sie gekommen.
Der Sturm kam über Jona, und mit ihm werden die heidnischen Seeleute betroffen. So wird sich Gott einst mit dem untreuen Israel beschäftigen. Das Strafgericht wird über dieses Volk kommen, und alle übrigen Nationen werden in das Gericht verwickelt werden. In der Blindheit seines Unglaubens wird es zunächst keine Erkenntnis darüber haben, daß die Ursache der Gerichte bei ihm liegt. Doch wie Jona bekannte: „Ich weiß, daß dieser große Sturm um meinetwillen über euch gekommen ist“, so wird auch schließlich, wenn das Meer immer stürmischer geworden ist, Israel seine Schuld erkennen. Ähnlich war es bei Josephs Brüdern: die Erkenntnis der Schuld wurde durch tiefe Übungen hervorgebracht und bewirkte schließlich das Bekenntnis: „Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden.“
Die heidnischen Seeleute brachte der Sturm dahin, Jehova anzurufen, und zum Schluß lesen wir von ihnen: „Und die Männer fürchteten sich vor Jehova mit großer Furcht, und sie schlachteten Schlachtopfer und taten Gelübde dem Jehova“ (V. 16). Bei der Erscheinung des Herrn auf dieser Erde wird es ähnlich sein: „Denn mein Rechtsspruch ist, die Nationen zu versammeln, die Königreiche zusammenzubringen, um meinen Grimm über sie auszugießen, die ganze Glut meines Zornes; denn durch das Feuer meines Eifers wird die ganze Erde verzehrt werden. Denn alsbald werde ich die Lippen der Völker in reine Lippen umwandeln, damit sie alle den Namen Jehovas anrufen und ihm einmütig dienen“ (Zeph 3,8.9). Der erste Auftrag Jonas führte durch seine Untreue zu völligem Versagen und endete damit, daß Jona ins Meer geworfen und gleichsam dem Scheol (Kap. 2, 3) überliefert wurde. Es ist das Bild von dem, was Israel gerechterweise verdient hat.