Betrachtung über das Evangelium nach Lukas
Lukas 17,1-19
Die Gedanken, mit denen der Herr dieses Kapitel beginnt, scheinen Bezug zu nehmen auf die Szenen, die wir in den Kapiteln 14–16 betrachtet haben. Alles, was an Seinem Auge und Ohr vorübergezogen war, lenkte Seine Gedanken auf Ärgernisse, über die Er nun zu Seinen Auserwählten spricht. Er begegnete Hindernissen bei der Errichtung und Entfaltung des Reiches da, wo alles dafür hätte vorbereitet sein sollen, und das bewog Ihn, das „Wehe!“ über die Schuldigen auszurufen.
Ärgernisse waren solche Grundsätze, die mit der Natur Seines Reiches unvereinbar waren und seine Aufrichtung verhinderten, Hindernisse und Widerstände, die sich dem Glauben und der Heiligkeit entgegenstellten. Vielleicht um Seine Jünger vor Fallstricken zu bewahren, gibt der Herr ihnen zwei Ermahnungen, die zur Aufrechterhaltung zweier wesentlicher Eigenschaften Seines Reiches erforderlich waren: Reinheit und Gnade. Handelt es sich um Übertretung, so verlangt Er Zurückweisung, weil dies Sein Haus in reiner und heiliger Ordnung erhält. Ist aber Buße vorhanden, fordert Er Vergebung, weil Liebe und Gnade Sein Haus kennzeichnen.
Aber diese Forderungen des Herrn an Seine Jünger gehen weit über ihre Fähigkeiten hinaus und lassen sie fühlen, dass sie für sich die Kraft eines Anderen nötig haben. In diesem Bewusstsein sagen sie: „Mehre uns den Glauben!“ Der Glaube wirft uns auf die Hilfe Dessen, der größer ist als wir selbst, und empfängt seine Kraft aus göttlicher Quelle, um unserer Armut zu begegnen.
Im Anschluss an unsere früheren Betrachtungen über den Glauben möchten wir hinzufügen, dass der Glaube, gesehen als das, was den Sünder rechtfertigt, einfach die Annahme des Zeugnisses des Evangeliums ist. Unsere Rechtfertigung ist „aus Glauben, damit es nach Gnade sei“. Das bedeutet, dass Werke ausgeschlossen sind; darüber belehrt uns das vierte Kapitel des Briefes an die Römer. Die Schrift redet aber auch von dem Glauben als dem Grundsatz, der das Leben des Gläubigen beherrscht, was uns in Hebräer 11 vorgestellt wird. In diesem Charakter ist der Glaube eine wachsende Kraft in der Seele, mag er nun schwach oder stark, groß oder klein sein. Darum lesen wir hier: „Mehre uns den Glauben!“ und: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn“, oder anderswo: „O, ihr Kleingläubigen!“ und: „Euer Glaube wächst überaus.“
Der Glaube ist die Kraft des Zeugnisses, das wir geglaubt haben, „eine Verwirklichung (festes Vertrauen) dessen, was man hofft, eine Überzeugung (Sicherheit) von Dingen, die man nicht sieht“. Wir können sagen, er ist die Kraft des göttlichen Lebens in der Seele. Er ist in uns die treibende Kraft des Reiches Gottes. Die Schrift bezeichnet ihn als das Mittel, Gott zu ergreifen, Ihm zu dienen und mit Ihm zu wandeln. Ist daher der Glaube stark, werden sowohl die Seelen selbst als auch die Handlungen und Wirkungen frisch und lebendig sein. Aber wir sollten doch, wenn dies auch so ist, in wahrer Demut bekennen, dass unser Glaube schwach ist; denn geistliches Verständnis wird stets anerkennen, wie wenig wir für Gott leben.
Wir brauchen nicht darauf hinzuweisen, dass die Schrift angefüllt ist mit Beispielen dieses großen Grundsatzes des Glaubens. Sie betrachtet ihn in seiner Quelle, in seinen Handlungen, seinen Eigenschaften, seinem Wert für Gott. Und der Herr schildert ihn hier, in Beantwortung der Bitte Seiner Jünger nach Vermehrung des Glaubens, in seinen zwei hauptsächlichen Eigenschaften: in seiner Unumschränktheit bei der Überwindung aller Hindernisse und in seiner Selbstverleugnung. Der Glaube ist es, der einem Maulbeer-Feigenbaum befehlen kann, ins Meer versetzt zu werden. Er sagt aber auch: Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. Das sind seine notwendigen Merkmale: Er nimmt alle Segnungen von Gott, gibt aber Ihm alle Ehre (Röm 4).
Die Verse 11–19 bilden einen besonderen Abschnitt unseres Evangeliums. Der Herr blickt hier, indem Er durch Samaria und Galiläa geht, wieder nach Jerusalem und nimmt in dieser Szene, so einfach sie in ihrem Inhalt ist, vor unseren Augen einen Platz ein, der unsere Herzen mit Freude und Dank erfüllt, den Platz des Altars, den von Gott verordneten Platz des Opfers und der Anbetung. Das ist für uns ein Gegenstand größten Interesses, weshalb wir ihn eingehender betrachten wollen.
Alle Erkenntnis von Gott muss aus Seiner Offenbarung hervorkommen, denn der Mensch erkennt Gott nicht durch eigene Weisheit (l. Kor 1,21). Wahre Anbetung kommt aus derselben Quelle. Daher müssen die Erkenntnis Gottes und die Anbetung jener Offenbarung entsprechen, die Gott zu der betreffenden Zeit von Sich gegeben hat. Zur Erläuterung dieser Wahrheit möchten wir einige Beispiele von Anbetern aus alter Zeit anführen.
Abel war ein Anbeter. Er betete im Glauben an oder gemäß der Verheißung des Samens der Frau, der der Schlange den Kopf zermalmen sollte, und im Hinblick auf die Röcke von Fell, mit denen Gott seine Eltern bekleidet hatte und die auf Blutvergießen hindeuten.
Noah zeigte wie Abel Züge eines Anbeters, er betete ebenfalls im Glauben an den Samen der Frau an und empfing das neue Erbteil nur durch die Kraft des Blutes (l. Mo 8,20). Auch er war daher ein Anbeter.
Abraham war ein Anbeter, er betete Gott an, wie Er sich ihm geoffenbart hatte (l. Mo 12,7).
Isaak, auf dem gleichen Pfad wie Abraham, betete den Gott an, der ihm erschienen war. Er dünkte sich nicht weise, sondern richtete, wie Abraham, seinen Altar dem Gott auf, der sich ihm geoffenbart hatte (l. Mo 26,24.25).
Auch von Jakob wird gesagt, dass er anbetete. Gott erschien ihm in seiner Not und Erniedrigung, in dem Elend, in das seine eigene Sünde ihn gebracht hatte, und offenbarte sich ihm als Der, in welchem „die Barmherzigkeit sich rühmte gegen das Gericht“. In dieser Seiner Offenbarung nimmt er Gott sofort an, und dieser Gott von Bethel war bis zu seinem Ende sein Gott (l. Mo 28 u. 35). Das war eine größere Offenbarung Gottes, und die Anbetung entsprach ihr.
Auch das Volk Israel war ein Anbeter, denn Gott selbst hatte Sich diesem Volk geoffenbart und Sein Gedächtnis in seiner Mitte aufgerichtet. Sie wussten, was sie anbeteten (Joh 4,22). Aber inmitten dieses Volkes gab es noch Anbeter, die sich nicht nach der aufgerichteten göttlichen Ordnung richteten, weil die Abkehr von ihr einer neuen göttlichen Offenbarung entsprach, wie z. B. Gideon, Manoah und David, die alle Anbeter waren, obwohl sie auf Felsen und Tennen opferten, also nicht an dem vorgeschriebenen Ort. Gott hatte durch eine neue und besondere Offenbarung diese neuen Altäre geheiligt (Ri 6 und 13; 1. Chr 22).
So war auch der geheilte Aussätzige in unserem Kapitel diesem Grundsatz nach ein Anbeter, obgleich er wie Gideon, Manoah und David von der üblichen Ordnung abwich, gerade weil er Gott in einer neuen Offenbarung von Sich kennengelernt hatte. Die Heilung, die er an seinem Leib verspürte, öffnete ihm das Ohr für die Stimme des Glaubens, weil nur Gott einen Aussätzigen heilen konnte (vgl. 2. Kön 5,7).
Die Versammlung Gottes in unserer Haushaltung besteht aus wahren Anbetern, weil sie durch eine weitergehende Offenbarung Gemeinschaft mit dem Vater und mit Seinem Sohn Jesus Christus haben. Wie in den anderen angeführten Beispielen, ist dies Anbetung „in Wahrheit“, weil sie gemäß der empfangenen Offenbarung erfolgt. Aber sie geschieht auch „im Geist“, weil jetzt der Heilige Geist ihr als die Kraft der Anbetung gegeben ist, der die Gläubigen befähigt, Gott ihren Vater und Jesus Christus Herr zu nennen (l. Kor 8,6). Um anbeten zu können, ist uns sowohl die Kraft als auch die Offenbarung im Wort mitgeteilt worden.
Die Anbetung ist in der Tat für uns alle ein gesegneter Gegenstand und einer eingehenden Betrachtung wert. Den Anlass dazu gibt uns der Glaube des aussätzigen Samariters, der auf dem Weg zum Priester in Jerusalem umkehrte und sein Opfer zu Jesu Füßen niederlegte, indem er Ihn als den geweihten Altar Gottes gebrauchte. Er hatte Heilung gefunden und den Gott Israels angenommen, der ihm in Gnade begegnet war. Das war für ihn eine Offenbarung; er glaubte ihr und wurde von ihr in Seine heilige Gegenwart geführt.
Was ihm geschah, ist die alleinige Grundlage der Anbetung für Geschöpfe, wie wir es waren, in welchem Zeitalter und in welcher Haushaltung es auch sein mag. Er war geheilt worden, und er wusste, dass er geheilt war. Auf welchem anderen Boden könnten wir anbeten? Wir mögen zu Gott rufen aufgrund eines überführten Gewissens, aber das ist nicht Anbetung. Auch das Ziehen des Vaters, das im Heiligtum enden mag, ist nicht Anbetung. Nur das Blut Christi, das das Gewissen von toten Werken reinigt, befähigt die Seele, dem lebendigen Gott zu dienen oder Ihn anzubeten (Heb 9,14). Es ist auch in alle Ewigkeit die Grundlage der Anbetung der Heiligen im Himmel (Off 5,9).
„Wir sind berufen“, hat einmal jemand gesagt, „Gott unser ganzes Leben als ein Dankopfer für die Gnade Seiner Erlösung durch das teure Blut Christi zu weihen. Es sollte ein beständiges Priestertum sein, ein geistlicher Gottesdienst, der den Zuneigungen eines Glaubens entspringt, der durch die Liebe wirkt.“ Die Erbarmungen Gottes sind es, wie der Heilige Geist selbst uns belehrt, die uns die Türen des Tempels öffnen und uns eintreten lassen, um unseren Priesterdienst vor Gott auszuüben (Röm 12,1). Und diese Gnade wurde uns allein zuteil durch unseren verwundeten und gestorbenen Erlöser. An der Anbetung in dieser Weise müssen wir persönlich teilhaben, wie der Psalmist sagt, nachdem er die ganze Schöpfung zum Lob Gottes aufgefordert hatte: „Preise den Herrn, meine Seele!“