Bemerkungen über den Brief an die Kolosser
Kolosser 2,13-19
Wie sehr auch der Geist Gottes in diesem Brief die lebendig machende Kraft Christi hervorheben mag, so geht es Ihm doch hier nie um die letzten oder höchsten Folgen des Werkes Christi. Lebendig gemacht oder auferweckt mit Ihm, oder vielmehr: zusammen mit Ihm auferweckt, ist das äußerste, was wir finden. Da macht Er halt. So auch in Kapitel 3. Heißt es dort: „Sucht, was droben ist“, und nicht: Wir sind dort. Im Gegenteil, die Gläubigen werden als solche gesehen, die auf der Erde sind, während sie suchen, was droben ist. So geht dieser Brief an keiner Stelle so weit wie der Epheserbrief. Er sagt nie, dass wir in Christus Jesus in die himmlischen Örter mit versetzt worden seien. Wie wir gesehen haben, wurde der Strom der Mitteilungen der Gnade gehemmt, weil ein Hindernis vorlag. Der Heilige Geist kann den Gläubigen da nicht frei die Dinge Christi zeigen, wo Er ihnen ihre eigenen Dinge zeigen muss. Er wendet sich gleichsam von diesem erhabenen Gegenstand ab, um sich der praktischen Seite der Wahrheit zuzuwenden und diese auf die Seelen anzuwenden, was Gewiss kein Zeichen dafür ist, dass die Betreffenden dem vollen Licht erschlossen sind; denn ein Grund, durch den der Fluss der Gnade und Wahrheit aufgehalten wird, sollte eben nicht vorhanden sein.
Im Epheserbrief hingegen wird das Werk Christi in der ganzen Fülle seiner Ergebnisse behandelt. Da kommt der gesunde Zustand der Gläubigen zur Entfaltung, und entsprechend hoch sind dann die Ermahnungen, die folgen.
Von der Art und Weise, in der der Apostel, nachdem er einen allgemeinen Grundsatz aufgestellt hat, sich an die Kolosser wendet, kündet der Satz:
„Und euch, als ihr tot wart in den Vergehungen und in der Vorhaut eures Fleisches, hat er mit lebendig gemacht mit ihm, indem er uns alle Vergehungen vergeben hat.“ (Vers 13)
Dann sehen wir ihn in Vers 14 einen Nebengedanken äußern, der zeigt, wie bestimmt und vollständig das Werk Gottes sie von den Dingen des Fleisches und des Gesetzes entfernen wollte:
„Als er ausgetilgt die uns entgegenstehende Handschrift in Satzungen, die wider uns war“ usw. (Vers 14)
Und dann muss er sie darauf hinweisen, dass sie trotzdem wieder ein Bedürfnis nach Satzungen hatten! Wie könnt ihr wieder nach Satzungen rufen!? sagt er gleichsam. Die einzige Wirkung dieser Handschrift ist doch die, dass sie gegen euch sein muss. Der Apostel bedient sich sehr starker Worte, und er tut es in doppelter Form: „entgegenstehend“ und „wider uns“. Gewiss, diese gläubigen Kolosser waren im gesetzlichen Wesen nicht so weit gegangen, dass sie die Christen unter die zehn Gebote als unter eine Lebensregel gestellt hätten. Brachten sie selbst Satzungen herein, so war dies doch nicht so verderblich, weil diese wenigstens ihren Wert von der Wahrheit herleiteten, die Christus betrifft, und die in ihnen gleichsam eingebettet lag und vorgeschattet war. Dagegen dient nichts so sehr dazu, den Geist der Selbstgerechtigkeit in Menschen zu wecken, die zu Selbstvertrauen neigen, oder Misstrauen und Verzweiflung in mehr furchtsamen Seelen, als das Bestreben, aus dem Gesetz eine Lebensregel zu machen, denn dadurch wird für beide Klassen der Weg der Gnade ins Gegenteil verkehrt. Immerhin handelt es sich um sehr ernste Dinge, und der Apostel besteht darauf, dass das Hereinlassen des Grundsatzes der Satzungen gegenwärtig nichts anderes bedeute, als auf die grundlegende Wahrheit des Todes und der Auferstehung, mit anderen Worten, des Christentums zu verzichten, denn die Satzungen haben zur Voraussetzung, dass die Menschen in der Welt am Leben sind, nicht aber, dass sie in Christus gestorben und auferweckt sind. Die Irregeleiteten mögen wohl meinen, dass sie nichts dergleichen tun; aber der Feind, der sie irreleitet, tut es. Es ist ein Zurückkehren zu Anordnungen vorbereitender Art, zum Fleisch und zur Welt, und es ist in Wirklichkeit ein Aufgeben der herrlichen Vorrechte, die in Christus das Teil der Gläubigen sind.
Der Apostel sagt hier nicht wie im Galaterbrief, dass man das ganze Gesetz zu halten schuldig sei, wenn man sich nur irgendwie ihm unterstelle; sondern er zeigt, dass es eine Verleugnung Christi, so wie wir Ihn kennen, ist, wenn wir uns erlauben, zum Gesetz in irgend einer Form zurück zu kehren, zu Satzungen, oder was es sein mag. Es ist gerade so töricht, als wenn man etwa Erwachsenen vorschlagen wollte, zur Erziehung durch die Rute oder zum Wert der Fibel oder der Belohnung durch Spielzeug zurück zu kehren.
Zweifellos könnte von Menschen mit philosophischer Einstellung aus dem Ritus der Beschneidung eine viel geistlichere Sache gemacht werden, als ein anderer Mensch aus dem Gesetz zu machen weiß, wenn er es zur Lebensregel nimmt. Denn jene könnten sagen (wie es tatsächlich geschehen ist,) dass sie auf die Beschneidung nur dringen, weil sie das Sinnbild von dem sei, was wir in Christus haben: ein altes und göttliches, wenn auch natürlich äußeres Zeichen geistlicher Gnade. Aber der Schritt war verhängnisvoll; denn wenn die Kolosser dieses Zeichen zuließen, so war es ein Zurückkehren zu Schatten, nachdem der Körper, die Wirklichkeit, gekommen war, dazu ein Eintauschen der Gnade für den Grundsatz des Gesetzes. Gewiss hatten die Väter die Beschneidung lange vor Moses gehabt — damals eine Einrichtung, die besonders mit der Verheißung in Verbindung stand. Doch obgleich vorhanden, ehe das Volk Israel dem Gesetz am Sinai verantwortlich geworden war, war sie hernach doch so mit dem Gesetz verwoben, dass die beiden nicht voneinander zu trennen sind. Nimmt man jetzt die Beschneidung an, so wird, wenn man sich auch nicht selbst unter das ganze System des Gesetzes stellt, das Gesetz es tun und einen, dem Grundsatz nach, von Christus trennen als dem erhöhten himmlischen Haupt, das die Erlösung vollbracht hat. Wenn es eine Satzung gab, die mehr als eine andere Sinnbild für Verheißung und Gnade sein könnte, so war es sicherlich die Beschneidung. Aber trotzdem nahm der Apostel die Sache so ernst, dass er den Galatern schreibt, sie wären, wenn sie diese eine Sache zuließen, schuldig, das ganze Gesetz zu halten. Bei den Kolossern geht er noch weiter, indem er ihnen zeigt, wie die Beschneidung dem Werke Christi entgegen steht und dieses, sowie die Stellung der Gemeinschaft mit Ihm beiseite setzt, in die wir durch Sein Werk vor Gott gebracht sind. Deshalb gibt er hier zu verstehen, welche Art Beschneidung wir als Christen schon haben. Sie ist göttlich, nicht menschlich ausgeführt: „In welchem ihr auch beschnitten worden seid mit einer nicht mit Händen geschehenen Beschneidung, in dem Ausziehen des Leibes des Fleisches“ usw. „Mit ihm begraben in der Taufe, in welcher ihr auch mitauferweckt worden seid“ usw. (V.11.12).
Im Galaterbrief steht das Gesetz mit der Rechtfertigung in Verbindung , im Kolosserbrief mit Christus, auferstanden aus den Toten und im Himmel. Christus ist auf jeden Fall dort, und obwohl wir hier nicht als solche gesehen werden, die dort in Ihm sind, so entscheidet doch Seine Erhöhung zur Rechten Gottes über unsere Stellung als mit Ihm gestorben und auferstanden; nicht nur als gerechtfertigt durch Sein Blut, sondern als mit Ihm gestorben und auferweckt. Wer sich nun Satzungen unterwirft, der leugnet die überaus reichen Segnungen insgesamt, denn was hat Christus heute mit dem Gesetz zu tun? Und wir sind mit Christus verbunden, wie Er ist, nicht wie Er unter dem Gesetz war.
Im Hebräerbrief haben wir etwas anderes. Dort handelt es sich nicht um unseren Tod und unsere Auferstehung mit Christus, sondern dort sehen wir Christus als jetzt in der Gegenwart Gottes für uns in Herrlichkeit erscheinend, was auf die Vollkommenheit Seines Werkes für uns gegründet ist, auf das eine Opfer, das für immer die Sünde hinweg getan hat. Er ist dort zur Rechten Gottes, weil Er durch Sich selbst die Reinigung unserer Sünden bewirkt hat. Das Gesetz als ein Paragraphenbuch oder System für uns ist unverträglich mit dem Platz, den Christus in der Herrlichkeit einnimmt, denn dieser Platz ist die strahlende Darstellung unseres Triumphes durch die Gnade Gottes; und das ist die Weise, wie Christen auf Christus blicken. Natürlich finden wir im Hebräerbrief nicht unsere Verbindung mit dem gestorbenen oder auferweckten Christus.
Noch weniger ist der Brief die Entfaltung unserer Vereinigung mit Ihm droben, ebenso wenig wie der Rechtfertigung, wie im Römer und Galaterbrief. Aber der Wert Seines Werkes, gemessen an dem Platz, den Er im Himmel einnimmt, strahlt dort in ganz besonderem Glanz hervor. Jede Anerkennung von Satzungen erweist sich jetzt als ein Widerspruch gegen Sein Werk und gegen die Herrlichkeit, die Er im Himmel hat, abgesehen von der mit ihr verbundenen Gefahr, die zum Abfall führt.
Vom 13. Vers an gibt sich dann der Apostel viele Mühe, den Gläubigen in Kolossä ihre Stellung ohne und mit Christus vor Augen zu führen: „Und euch, als ihr tot wart in den Vergehungen ..., hat er mitlebendig gemacht mit ihm, indem er uns alle Vergehungen vergeben hat.“ Eben das Leben, das wir empfangen haben, ist das Zeichen, dass unsere Vergehungen weggetan sind. Wenn Gott uns mit dem Leben Christi lebendig gemacht hat, so hat Er uns auch alle Vergehungen vergeben. Unmöglich könnte das Leben, das in Christus, dem Gestorbenen und Auferstandenen, ist, etwas gegen dieses Vergeben haben. Einst war alles gegen den, der jetzt gläubig ist, aber der Besitz des Lebens in einem auferstandenen Heiland beweist, dass dem, der glaubt, alles gerechterweise vergeben ist. Es ist eine bemerkenswerte Art, den Fall zu erledigen, und es dürfte kaum gelingen, einen genau gleich gelagerten in einem anderen Teil der Schrift zu finden, der diesem an die Seite gestellt werden könnte.
Warum überhaupt Verordnungen und Satzungen? Wie wir nur zu gut wissen, nimmt man im allgemeinen gern seine Zuflucht zu solchen Mitteln, um bei unzulänglichem Verlauf der Zusammenkünfte den geistlichen Hunger zu reizen usw. Sie sind im Christentum nicht mit einer offenen, verächtlichen Leugnung Christi verbunden — sonst könnte ja überhaupt keine Rede mehr sein von Christentum —, wohl aber bilden sie eine neben Christus dem Glauben (!) oder dem Gefühl dargebotene Ergänzung, sind gewisse Hilfsmittel. Und gerade von diesen spricht der Apostel so bestimmt als von ungläubigen, üblen Dingen.
In dem Satz:
„Als er ausgetilgt die uns entgegenstehende Handschrift in Satzungen“, (Vers 14)
ist bemerkenswert, dass es nicht heißt: euch entgegenstehend, sondern: uns entgegen stehend. Wenn der Apostel auf die Wirkung des Gesetzes zu sprechen kommt, sagt er nicht „euch“, sondern „uns“; so auch, wenn er fortfährt: „die wider uns war, und hat sie auch aus der Mitte weggenommen, indem er sie an das Kreuz nagelte.“ Tatsächlich waren ja die gläubigen Kolosser als Heiden überhaupt nie unter dem Gesetz gewesen. Deshalb kann er hier nicht „euch“ sagen. Spricht er aber unmittelbar vorher von Sünden, so sagt er „ihr“.
„Ihr“ wart tot in den Vergehungen. Der Unterschied ist auffallend. Wenn der Apostel in Vers 13 „euch“ sagt, so deswegen, weil das dort Gesagte jetzt von jedem Sünder wahr ist, ob Jude oder Heide; dagegen heißt es in Vers 14 „uns“, weil, genau genommen, außer Juden keine Menschen unter dem Gesetz waren.
Die Anspielung auf die Handschrift oder den Schuldbrief an dieser Stelle ist auch sehr merkwürdig, denn die Nationen hatten niemals etwas unterschrieben, während die Juden bekräftigt hatten: „Alles, was Jehova gesagt hat, wollen wir tun“, worauf die Besprengung mit dem Blut vorgenommen wurde als Siegel auf den gesetzlichen Bund, den sie auf Todesstrafe hin unterschrieben hatten.
Alles dies also war, wie der Apostel sich ausdrückt, ihnen entgegen und wider sie. Es brachte, wie wir wissen, nichts als Verurteilung, Finsternis und Tod. Was hat nun Christus im Blick darauf getan? Er hat es ausgelöscht, hat es aus der Mitte weggenommen. Und jetzt sollte jemand, den Kolossern gleich, wünschen, dass das Ausgelöschte wiederkehre? Gewiss nicht. Hat doch Christus die Handschrift an Sein Kreuz genagelt — ein Ausdruck völligen Triumphes.
„Als er die Fürstentümer und die Gewalten ausgezogen hatte, stellte er sie öffentlich zur Schau, indem er durch dasselbe über sie einen Triumph hielt.“ (Vers 15)
Es ist sehr interessant zu beobachten, wie die Macht des Bösen sichtbar wird, je nach der Stellung, die jemand innehat. Wenn die Ekklesia (Versammlung) in Erscheinung tritt, so wird nicht so sehr die Macht Satans auf der Erde gesehen,— das war die Weise, wie hauptsächlich die Juden sie fühlten —, sondern es folgt eine besondere Offenbarung darüber, dass Satan der Fürst der Gewalt der Luft ist, und dass die geistlichen Mächte der Bosheit sich in den himmlischen Örtern befinden. (Eph 2 und 6.) Dies letztere steht übrigens durchaus nicht im Gegensatz zu dem, was wir im Alten Testament haben. Nur tritt es jetzt deutlicher hervor, indem diese Mächte heute dem Christen gegenüber als Gegner auftreten. In Offenbarung 12 sehen wir dann, wie der Drache (Satan) und seine Engel aus dem Himmel hinausgeworfen werden. In ihrem Verlangen, der Versammlung (Ekklesia) Hindernisse zu bereiten und Gott in den Seinigen zu verunehren, damit sie gleichsam ein Recht auf sie hätten, war es ihnen ein Bedürfnis, die himmlischen Örter in Besitz zu halten. Es war ihnen unerträglich, dass solche, die sich auf Erden schlecht genug aufgeführt hatten, schließlich bei dem Sohn Gottes in himmlischen Örtern wohnen sollten. Ach! wie viele Glieder von eben der Familie, die Gott in Seiner Gnade so sehr auszeichnet, verraten, durch Liebe zur Unaufrichtigkeit sowie durch Hass gegen Gottes Gnade und Wahrheit, dass sie aus ihrem Vater, dem Teufel, sind.
Hier nun in Vers 15 haben wir die Wirkung des Werkes Christi über diese Mächte: am Kreuz führte Er sie im Triumphzuge umher. Der Triumph an dieser Stelle ist nicht von so erhabener Art wie in Epheser 4, wo wir lesen, dass Christus die Gefangenschaft gefangen geführt habe, das will sagen: die Mächte, welche Gläubige in Gefangenschaft führten, sind selber besiegt worden. Der Grund ist offensichtlich: dieses in Gefangenschaft Führen geschah, als Er hinaufstieg in die Höhe. Hier im Kolosserbrief hören wir von dem, was am Kreuz geschah, von der Kraft des Kreuzes. Dort (im Epheserbrief) ist es die öffentliche Kundmachung des Sieges, indem Er in die Höhe stieg. Die große Schlacht war gewonnen. Christus hatte für die Miterben die Mächte der Bosheit für immer besiegt, und dieses Hinaufsteigen in die Höhe und Gefangenführen der Gefangenschaft ist das Zeugnis, dass diese Mächte gegen den Christen machtlos sind. Die Sprache ist immer dem Standpunkt angepasst, den der Heilige Geist einnimmt — ob Er die Erde oder den Himmel, Israel oder die Versammlung (Ekklesia) im Auge hat. Mehr als das: sie hängt davon ab, wie und wo Er jetzt die Heiligen erblickt. Wenn sie als in der Wüste befindlich betrachtet werden, so sind Stil und Bild verschieden. Von Satan ist in diesem Fall als von einem brüllenden Löwen die Rede, was auf die Wüste passt. Daher wird in dieser Weise nicht im Epheserbrief, sondern im 1. Petrusbrief gesprochen.
Der Apostel geht dann zur praktischen Anwendung des Gesagten über.
„So richte euch nun niemand über Speise oder Trank, oder in Ansehung eines Festes oder Neumondes oder von Sabbaten, die ein Schatten der zukünftigen Dinge sind, der Körper aber ist Christi“ (V. 16. 17).
Ein Christ, der von dem Sieg Christi für uns weiß, sollte sicherlich nicht dem Gedanken Raum geben, zu solchen Anfangsformen zurück zu kehren, als ob auf diese Weise etwas Gutes zu leisten wäre. Ihm ist zu sagen: Halte deine Stellung fest, die du gegenwärtig in Christus hast! Handle in Übereinstimmung mit ihr! Was Speise und Trank angeht, oder Satzungen bezüglich des Jahres, des Monats oder der Woche (der Apostel legt besonderen Wert darauf, nicht nur von Festen oder Neumonden, sondern auch von Sabbaten zu reden), so bedenke, dass diese Dinge lediglich Schatten sind von dem Körper oder von dem leibhaftigen Wesen dessen, was sich tatsächlich und allein in Christus findet! So deuten diese Zeiten und Zeiteinteilungen tatsächlich in der Hauptsache auf das hin, was Gott Seinem Volk zu seiner Zeit geben wird. Zum Beispiel war der Neumond ein bedeutsames Bild von Israel, das erneuert wird, nachdem es dahingeschwunden ist, und der Sabbath war das Vorbild der Ruhe Gottes, deren es sich noch einmal erfreuen, und an der es noch einmal teilhaben wird. Aber ob nun Friedens- oder Trankopfer oder Feste im allgemeinen — alle miteinander sind sie nichts weiter als die Schatten kommender Dinge. Der Körper aber ist Christi, und Ihn haben wir. Der Jude hatte den Schatten, und die zukünftigen Dinge wird er durch die Gnade Gottes zu seiner Zeit unter dem Neuen Bunde besitzen. Uns aber ist jetzt das Wesen (im Gegensatz zum Schatten) Christi gegeben. Der Apostel redet hier von jüdischen Tagen, mit denen der Christ nichts zu tun hat, ebenso wenig wie zum Beispiel des Herrn Tag irgendetwas mit dem Judentum zu tun hat.
„Der Körper aber ist Christi“, nicht „Christus“. „Körper“ steht im Gegensatz zu „Schatten“. Im Schatten gibt es kein Wesen, keine Substanz. Aber wir haben den Körper, der des Christus ist. In diesem Ausdruck liegt der Doppelgedanke, dass, während das Wesen das Wesen Seiner selbst ist, Er zugleich der Geist von allem ist. ,Der Herr aber ist der Geist.“
Während der 16. Vers es hauptsächlich mit einem judaistischen Charakter des bei den Kolossern schlummernden Übels zu tun hat, geht der 18. Vers weiter. Da finden wir nämlich eine Art neugierigen Eindringens in die unsichtbare Welt. Religiöser Gebrauch oder Missbrauch des Sichtbaren war der Fallstrick für die Juden; hier nun finden wir ein Sicheinlassen mit der Philosophie, besonders mit der Philosophie der Orientalen. Was da geschah, schien sehr demütig, wie das gewöhnlich bei falschen Systemen der Fall ist. Anbetung von Engeln schien recht und ganz in Ordnung, besonders weil dabei keine Ausdrücke gebraucht wurden, die der göttlichen Anbetung eigentümlich sind. Mochte aber alles geschehen, wie es wollte, der Apostel wendet sich mit starken Worten dagegen:
„Lasst niemand euch um den Kampfpreis bringen, der seinen eigenen Willen tut in Demut und Anbetung der Engel, indem er auf Dinge eingeht, die er nicht gesehen hat, eitler Weise aufgeblasen von dem Sinne seines Fleisches.“ (Vers 18)
Die Orientalen waren es gewohnt, sich in überschwänglichen, phantastischen Mutmaßungen über die Engel zu ergehen. Dass es solche Wesen gibt, ist natürlich wahr, und gegen ihre Anerkennung ist nichts einzuwenden. Aber sehr von übel ist, in die Geheimnisse, die mit diesen Wesen in Verbindung stehen, eindringen zu wollen. Die Engel haben mit uns zu tun, nicht wir mit ihnen. Für uns besteht der Umgang mit Gott. Es scheint freilich vernünftig, zu folgern: Wenn Engel mit uns zu tun haben, so auch wir mit ihnen. Warum sollten wir, wenn ihre Tätigkeit sie unmittelbar mit Gott zusammenbringt, sie nicht für uns in Anspruch nehmen bei Gott? Ich wiederhole: Das war an und für sich gar kein unnatürlicher Gedanke. Was machte ihn denn nun zu einem so schlimmen Irrtum? Der Umstand, dass Christus dadurch an die Seite gedrückt wird, Er welcher das Haupt von allem ist und so über den Engeln steht. Christus allein ist es, der unser Verhältnis zu Gott bestimmt, und für alles, was wir von Gott benötigen, haben wir Christus, den großen Hohenpriester. Engel an diesen Platz setzen, ist also eine zwiefache Verunehrung Christi. Einen Menschen, der sich in dieser Weise in Spekulationen verlor, nennt der Apostel „grundlos aufgeblasen von dem Sinn seines Fleisches“. Die Sache selbst mochte einleuchtend scheinen, aber Gedanken dieser Art zu frönen, schädigte nicht nur den Genuss der Seele an Christus, sondern tat auch Seiner Natur und Seiner Herrlichkeit Abbruch. „Und nicht festhaltend das Haupt, aus welchem der ganze Leib, durch die Gelenke und Bande Darreichung empfangend und zusammengefügt, das Wachstum Gottes wächst“ (V. 19). Es waren falsche Lehrer, die also die Gläubigen ihrer Segnung beraubten. Es ist die Gewohnheit und der instinktartige Trieb solcher Menschen, sich bei den Kindern Gottes einzuschmeicheln, deren arglose Einfalt sie der Gefahr aussetzt, von ihnen mitgezogen zu werden. Bei den Kolossern war die Engelanbetung die Methode, in der das Übel zutage trat und seinen falschen Charakter bewies. Der Heilige Geist ist hernieder gekommen, um Christus zu verherrlichen, nicht Engel. Wer über die Schrift hinaus Engeln nachging, hielt ganz gewiss das Haupt nicht fest.
Die Bezugnahme auf den Dienst hier im Kolosserbrief ist sehr verschieden von dem, was der Apostel den Ephesern schreibt. Im Epheserbrief geht er detailliert auf den Dienst ein, indem er die geistlichen Gaben in ihren hauptsächlichsten Formen, von der höchsten bis zur niedrigsten, aufzählt, durch die der Leib seine Selbstauferbauung in Liebe bewirkt. (Mochten Seelen auch ganz einfältig zusammenkommen, so konnte es doch zur Auferbauung dienen.) Hier im Kolosserbrief dagegen wird alles zusammengefasst. Wir finden keinerlei Ausführlichkeit wie im Brief an die Epheser.
Wenn Gott Seelen an einen Platz geführt hat, wo man daran festhält und danach handelt, dass Christus das Haupt ist (und wo, möchte ich hinzufügen, die Gegenwart des Heiligen Geistes anerkannt wird), so können solche Seelen keinen Segen von Leuten erwarten, die jene Wahrheit nicht kennen oder wenigstens nicht danach handeln. Diese Wahrheiten sind grundlegend für die Versammlung (Ekklesia), für den Dienst usw. Wir müssen uns an den Willen Gottes halten. Und Gott hat Seinen eigenen Willen in Bezug auf alles dies, sowie Seine eigene Weisheit und Seinen eigenen Weg. Das ist's, was in unseren Augen wertvoll sein sollte. Gelenke und Bande werden hier genannt; es sind die mannigfaltigen Mittel, die Christus für die geistliche Segnung und den geistlichen Gewinn Seines Volkes benutzt. Ihre Darreichung verleiht dem Leib die Fähigkeit, besser zu arbeiten. Sie sammelt die Gläubigen um Christus als Mittelpunkt und zu Seiner Verherrlichung. Es ist gut, den Segen auch anderen zu vermitteln, damit sie daran teilhaben. Aber für die Gläubigen ist das Zuverlässigste die Kraft, die um Christus selbst sammelt; nicht nur das Aussenden von Dienern, sondern das Sammeln um Christus, als den Herrn, denn es bedarf geistlicher Kraft zum Zusammenhalt. Das bedeutet „das Wachstum Gottes“ wachsen. Auf diese Weise gibt es dann Vermehrung, Stärkung und Tröstung. Die zur Wirkung kommende Kraft dient dann nicht nur zu Bekehrungen, sondern sie wirkt nach innen zu wirklichem Segen, und, beachten wir es wohl! zum Selbstgericht.