Der Galaterbrief
Frei oder geknechtet – Glaube oder Gesetz
Verse 1–5: Nachdem der Apostel den Unterschied zwischen dem Gesetz und der Verheißung sowie die Beziehung zwischen diesen beiden Dingen gezeigt hat, stellt er jetzt die Stellung der Gläubigen im Christentum dem Zustand der gottesfürchtigen, gläubigen Juden unter Gesetz gegenüber. Während der Periode des Gesetzes gab es in der Tat wahre Kinder Gottes, wie wir aus Johannes 11,52 wissen. Aber sie waren zerstreut und kannten Gott nicht bewusst als ihren Vater. So wussten sie auch nichts von ihrer Beziehung zu Ihm als Söhne.
Um diesen Zustand zu illustrieren, vergleicht Paulus die Juden mit einem Kind, das der Erbe eines großen Erbteils ist. Während es aber noch Kind ist, steht es unter der Aufsicht von Vormündern und Verwaltern und muss gehorchen. In dieser Hinsicht gleicht es einem Diener, der sich in Sklaverei befindet, auch wenn es selbst Herr von allem ist.
Das gleiche trifft auf die Gläubigen unter Gesetz zu, die in einem Geist der Knechtschaft unter den Prinzipien gehalten wurden, die die Welt kennzeichneten. Jeder natürliche Mensch kann ein Gesetz verstehen, das uns das sagt, was wir zu tun haben und was wir nicht tun dürfen. Unser Segen hängt dann davon ob, ob wir dem Gesetz gehorsam sind. Das genau ist das Prinzip, mit Hilfe dessen die Welt ihre Dinge zu regulieren sucht. Aber es ist eine Knechtschaft, eine Fessel für den Gläubigen. Denn während es uns verpflichtet, gehorsam zu sein, um Segen zu erlangen, gibt es uns überhaupt keine Kraft, um die Anforderungen des Gesetzes zu erfüllen. Zudem gibt es uns keine Kenntnis des Herzens des Vaters, nicht einmal Zugang zum Vater, der Quelle allen Segens.
In der „Fülle der Zeit“ änderte sich alles
In „der Fülle der Zeit“ hat sich alles geändert! Kam diese Fülle der Zeit nicht, als der Mensch die Bosheit seines Herzens vollkommen offenbart und vollkommen darin versagt hatte, seine Verantwortung zu erfüllen? Als es bewiesen war, dass „alle gesündigt haben und die Herrlichkeit Gottes nicht erreichen“ und dass – was den Menschen betrifft – alles rettungslos verloren war, da handelte Gott. Er tat es in reiner souveräner Gnade, indem Er seinen Sohn sandte, von einer Frau stammend und unter Gesetz kommend.
Die ganze Wahrheit über die Person Christi wird uns in diesem kurzen Vers gezeigt. Er ist eine göttliche Person – der Sohn. Er ist wahrer Mensch – „geboren von einer Frau“. Er übernahm die Verantwortung, hier auf der Erde vor Gott zu leben – „geboren unter Gesetz“.
Der Christ ist mit Christus dem Gesetz gestorben
Hier haben wir also jemanden, der den Vater kannte und zugleich den Vater offenbaren konnte. Denn Er ist der Sohn. Auch war hier einer, der den Menschen von der Knechtschaft des Gesetzes loskaufen konnte. Denn nachdem Er unter dem Gesetz Mensch geworden war, hielt Er vollkommen dieses Gesetz, das der Mensch gebrochen hatte. So hatte das Gesetz keine Ansprüche gegen Ihn. Daher ist Er geeignet, das große Werk der Erlösung zu vollbringen, indem Er den Platz anderer einnahm, die unter dem Fluch des gebrochenen Gesetzes standen.
Das hat Er getan – gesegnet sei sein Name! – am Kreuz, und zwar mit dem Ergebnis, dass Gläubige von der Verdammung durch das Gesetz erlöst worden sind. Nicht länger kann das Gesetz zu dem Gläubigen sagen: „Du hast begehrt, und du musst sterben“. Denn der Gläubige kann auf das Kreuz zeigen und sagen: „Es ist wahr, ich habe das Gesetz gebrochen und bin unter seinen Fluch gekommen. Aber Christus ist gestorben, und ich bin mit Ihm gekreuzigt. Ich bin daher dem Gesetz gestorben und von seinem Fluch losgekauft.“
Den Ansprüchen des Gesetzes wurde somit Genüge getan. Damit ist der Weg frei für den Gläubigen, unter den Segen eines Sohnes zu kommen, wie das Wort hier sagt, „damit wir die Sohnschaft empfingen“. Damit sind wir nicht nur Kinder, sondern sind auf einen Platz von Freiheit und Gunst gekommen, der einem Erben entspricht und gehört.
Weil wir Söhne sind, ist uns der Geist Gottes geschenkt worden
Verse 6.7: Da uns das Teil eines Sohnes gegeben worden ist, besitzen wir auch den Geist. Wir bekommen den Geist nicht, um aus uns Söhne zu machen. Sondern weil wir Söhne sind, ist uns der Geist gegeben worden, um uns den bewussten Genuss dieser Beziehung zu schenken. So können wir ausrufen: „Abba Vater!“
Wenn wir nun Söhne sind, sind wir auch Erben Gottes. Das herrliche Erbteil liegt vor uns. Aber schon jetzt können wir die Beziehung genießen, in die wir mit dem Vater gebracht worden sind.
In diesen Anfangsversen des neuen Abschnittes lässt Paulus folgende Dinge an unserem Auge vorbeigehen:
Segnungen des Christen – nicht des Menschen unter Gesetz
1. Die Menschwerdung, durch die Christus in eine Beziehung zu allen Menschen kam – als „geboren von einer Frau“. Zugleich kam Er in Verbindung mit allen Juden, als „geboren unter Gesetz“.
2. Die Erlösung, durch die Gläubige aufgrund des Werkes Christi losgekauft sind vom Fluch eines gebrochenen Gesetzes.
3. Das Kommen des Heiligen Geistes, das uns in den Segen unserer Stellung als Söhne einführt.
Die Herrlichkeit Christi wird betont
Es ist gut, sich daran zu erinnern, wie die Herrlichkeit der Person Christi als der Sohn verteidigt wird. Immer wieder ist die Person Christi in den Jahrhunderten angegriffen worden. Seine ewige Sohnschaft wurde geleugnet, indem gesagt wurde, dass Er nur durch seine Geburt Sohn wurde. Mit der Absicht, diesen Irrtum aufrechtzuerhalten, wird behauptet, dass sich die Worte „sandte Gott“ in diesem Abschnitt nur auf die göttliche Sendung Christi beziehen, nachdem Er in diese Welt geboren wurde.
Es ist daher gut zu bemerken, dass in diesem Abschnitt für die Sendung des Heiligen Geistes exakt derselbe Ausdruck benutzt worden ist. Niemand würde wagen zu behaupten, dass wenn wir davon lesen, dass „Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt hat“, sich dies nicht auf das Senden des Heiligen Geistes vom Himmel bezieht, sondern sich nur auf Ihn beziehen könne, nachdem Er auf die Erde gekommen ist. Ist es nicht ganz deutlich für jeden, der sich dem Wort unterordnen möchte, dass der Heilige Geist, der aus dem Himmel „gesandt“ wurde, der Geist war, bevor Er gekommen ist? Und beweist diese Schriftstelle nicht in gleicher Weise, dass der Sohn aus dem Himmel „gesandt“ wurde und Sohn war, bevor Er Mensch wurde?
Kann man von der Freiheit zur Knechtschaft zurückkehren?
Verse 8–11: Der Apostel hat also die Freiheit der Gläubigen in dieser christlichen Zeit im Gegensatz zur Sklaverei der Kinder Gottes unter Gesetz beschrieben. Nun spricht er diese Gläubigen in Galatien auf ihre Torheit an, von einem solchen, christlichen Segen zurück zur Sklaverei des Gesetzes zurückzukehren. Es gab eine Zeit, als sie Gott nicht kannten und denen dienten, von denen ihnen schon die Natur zeigte, dass sie „nicht Gottes sind“. Durch Gnade waren sie in die Freiheit gebracht worden, Gott als ihren Vater zu kennen. Ja noch mehr, sie waren von Gott als Söhne erkannt worden.
Wie groß ist dann die Torheit, sich wieder in die Knechtschaft zu begeben, indem man sich zurückwendet zu den schwachen und armseligen Elementen der Welt. Sie beachteten Tage und Monate, Zeiten und Jahre. Als ob Segen durch das Halten äußerer Rituale sichergestellt werden könnte, die vom natürlichen Menschen, sei er Jude oder Heide, ausgeführt werden können!
Geduld bedeutet nicht, selbst umzukehren
Es ist wahr, dass der Apostel in dem Brief an die Römer die Gläubigen aus den Nationen ermahnt, Geduld mit den Gläubigen aus den Juden zu haben, da diese sich noch immer an das Beachten spezieller Tage und an das Ablehnen bestimmter Fleischsorten klammern mochten. Aber hier zeigt Paulus, dass die Umkehr eines Nichtjuden zu dem System, das bestimmte Tage und Feste beachtete, nicht nur eine Rückkehr zum Judentum, sondern sogar zum heidnischen Götzendienst beinhaltete.
Wenn der Apostel die Galater nur in dem Licht dessen beurteilte, was sie taten, mochte er wirklich Zweifel haben, ob sie tatsächlich wahre Christen waren. Um Tage und Zeiten zu beachten, muss man nämlich nicht bekehrt sein.
Es handelt sich um eine sehr ernste Überlegung für die Christenheit, die in so großem Ausmaß in den Irrtum der Galater zurückgefallen ist. Man ist wieder zurückgekehrt zu äußerlichen Feierlichkeiten und Formen. Und man beobachtet von Menschen gemachte, heilige Tage. Das Ergebnis ist von dem Apostel bereits vorhergesehen worden: Die Christenheit ist nicht nur größtenteils in jüdische Traditionen zurückgefallen. Schlimmer noch, man ist zu heidnischem Götzendienst gekommen, indem man Heilige verehrt und Bilder anbetet.
Paulus erfleht das Herz der Galater
Verse 12–18: Nachdem der Apostel die Galater auf ihre Torheit angesprochen hat, fleht er sie nun in Liebe gewissermaßen an. Er bittet sie inständig, so zu leben wie er es tat, wenn er auch durch Geburt ein Jude unter dem Gesetz war. Aber jetzt war er wie die Gläubigen aus den Nationen, frei vom Gesetz. Sie hatten wohl leider den falschen Lehrern ihr Ohr geliehen und so ihre Gedanken über den Apostel geändert. So machten sie ihm jetzt Vorwürfe, dass er das Gesetz als Mittel des Segens aufgegeben hatte. Aber solche Vorwürfe und Beleidigungen wertete Paulus nicht als Verletzung seines Rufs als Christ.
Er erinnert sie dann an ihre Liebe ihm gegenüber, als er im Anfang zu ihnen kam, um unter ihnen das Evangelium zu verkündigen. In jenen Tagen nahmen sie ihn als ein Engel Gottes auf, wie Christus Jesus. Und das, obwohl er unter ihnen in Schwachheit wirkte, ohne „Vortrefflichkeit der Rede oder Weisheit“ (1. Korinther 2,1), was nur für den natürlichen Menschen Anziehungskraft besitzt. Und sie hatten ihn damals nicht wegen seiner körperlichen Schwachheit verachtet. Tatsächlich war ihre Liebe ihm gegenüber von einer solchen Art, dass sie ihm, wenn möglich, ihre eigenen Augen gegeben hätten, um seine körperliche Krankheit auszugleichen.
Wie kann man Glückseligkeit aufgeben?
Wo aber war diese Glückseligkeit früherer Tage ihrer ersten Liebe geblieben? Er hatte ihnen die Wahrheit damals verkündigt. Und jetzt schrieb er ihnen die Wahrheit in diesem Brief. Sahen sie ihn deshalb jetzt als einen Feind an, weil er ihnen die Wahrheit vorstellte?
Leider lag die Ursache für ihr Handeln darin, dass es in ihrer Mitte solche gab, die diese Gläubigen in Galatien gegen den Apostel aufbringen wollten, um sich selbst zu erhöhen. Dieser Eifer solcher war nicht für die Wahrheit oder für die Gläubigen, sondern für sie selbst. Solcherart ist das Fleisch! Unter dem Deckmantel des Eifers für das Volk Gottes können wir auf Kosten der Gnade Gottes andere herabsetzen, um uns selbst zu erhöhen. Wenn der Eifer, den die Galater dem Apostel gegenüber während seines damaligen Dienstes gezeigt hatten, echt war, wäre es zweifellos richtig, ihn auch in seiner Abwesenheit aufrechtzuerhalten.
Paulus Liebe änderte sich nicht durch die Veränderung bei den Galatern
Verse 19.20: Wenn sich die Einstellung der Galater jedoch gegenüber dem Apostel wirklich geändert hatte, hatte sich seine Zuneigung ihnen gegenüber in keiner Weise verändert. Als er am Anfang unter ihnen in großer Übung – wie in Geburtswehen – Christus gepredigt hatte, so hatte er jetzt erneut Geburtswehen, damit sie zur ersten Liebe wiederhergestellt würden. Das Ziel des Apostels war es, dass Christus erneut seinen richtigen Platz in ihren Herzen einnehmen konnte. Zu diesem Zweck verlangte er danach, in ihrer Mitte gegenwärtig zu sein, um in einem anderen Ton mit ihnen sprechen zu können. Im Moment des Schreibens dieses Briefes war er ihretwegen in Verlegenheit, so dass er sich verpflichtet fühlt, zu ihnen mit großer Eindeutigkeit zu sprechen.
Verse 21–26: Der Apostel Paulus wendet sich jetzt direkt dem Gesetz zu. Er zeigt, wie unvernünftig es ist, sich zurück zu diesem Gesetz zu wenden. Wenn sie das Evangelium nicht mehr hören wollten und auch dem Apostel nicht mehr zuhören wollten, dann sollten sie wenigstens dem Gesetz selbst zuhören, denn zu diesem wollten sie ja zurückkehren. Sofort ruft der Apostel wieder die Zeiten Abrahams ins Gedächtnis. Er benutzt einige Fakten seiner Geschichte als eine Allegorie (Sinnbild, Vergleich), um die Galater über den Unterschied zwischen der Knechtschaft eines Gläubigen unter Gesetz und der Freiheit eines Gläubigen unter Gnade zu belehren.
Abraham hatte zwei Söhne von verschiedenen Frauen. Eine der beiden Frauen war Magd, die andere eine freie Frau. Der Sohn der Magd „war nach dem Fleisch geboren“ und somit vollständig in Übereinstimmung mit dem Willen des Menschen. Der andere Sohn dagegen wurde von der freien Frau geboren durch das souveräne Einschreiten Gottes.
Zwei gegensätzliche Systeme
Diese beiden Frauen stellen uns zwei Bündnisse dar:
- Der erste ist ein Bund des Gesetzes, der den Segen davon abhängig macht, dass der Mensch seinen Teil des Bundes erfüllt.
- Der zweite ist ein Bund der Verheißung, bei dem der Segen des Menschen vollständig von der souveränen Gnade Gottes abhing.
Darüber hinaus stellen uns die beiden Söhne zwei unterschiedliche Stellungen als Ergebnis dieser Bündnisse dar.
- Der erste Sohn zeigt den Zustand der Knechtschaft.
- Der zweite Sohn zeigt den Zustand der Freiheit.
Schließlich werden die beiden Bündnisse und die Stellungen, die aus ihnen hervorkommen, mit Orten verbunden:
- Der erste Bund und der erste Sohn sind mit dem Berg Sinai verbunden, auf dem das Gesetz gegeben wurde.
- Der zweite Bund und der zweite Sohn sind mit dem Jerusalem, das droben ist, verbunden. Von hier fließt die souveräne Gnade Gottes zu der ganzen Welt hervor.
Irdisches oder himmlisches Jerusalem?
Vers 27: Das irdische Jerusalem und seine Kinder, die sich des Gesetzes rühmten, waren durch das Gesetz in Knechtschaft gefallen. Weil sie das Gesetz gebrochen hatten, waren sie einsam, verwüstet und kinderlos geworden. Der Prophet Jesaja wird jedoch zitiert, um zu zeigen, dass es während dieser Zeit der Einsamkeit mehr Kinder geben wird als in der Zeit, als die Stadt als Gottes irdisches Zentrum anerkannt war.
Geht es dabei nicht darum, dass genau die Stadt, die die Schuld des Menschen aufs Äußerste bewiesen hat, zugleich zum Ausgangsort wird, von dem das Evangelium der Gnade Gottes in die ganze Welt hinausging? Der Herr sagte den Aposteln: „Und in seinem Namen sollten Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden allen Nationen, angefangen von Jerusalem“ (Lukas 24,47).
Wir sind Kinder der Verheißung – nicht Kinder der Sklavin
Verse 28–31: Paulus wendet sich wieder der Versinnbildlichung der Geburt Isaaks und Ismaels zu. Er sagt, dass die Gläubigen der jetzigen Zeit Isaak gleichen. Sie sind Kinder der Verheißung. Aber so, wie es auch in den Tagen war, als Isaak entwöhnt wurde und Ismael spottete, so verfolgen auch jetzt diejenigen, die in Übereinstimmung mit dem Fleisch und unter der Knechtschaft des Gesetzes geboren werden, diejenigen, die nach dem Geist und in der Freiheit der Gnade geboren werden.
Das Fleisch und der Geist sind einander entgegengesetzt. Das war so im Haus Abrahams, und es ist auch so in der Welt. Selbst im Herzen des Gläubigen ist es wahr. Es waren immer die religiösen Juden, die Paulus verfolgten. Der Bund des Gesetzes und der Zustand der Knechtschaft, die durch die Magd und ihren Sohn repräsentiert werden, müssen hinaus gestoßen werden. Denn wir sind keine Kinder der Magd, sondern der Freien.