Bemerkungen über den Brief an die Kolosser

Kolosser 2,4-12

Bemerkungen über den Brief an die Kolosser

Für einige Gemüter mag eine Schwierigkeit in der kräftigen Sprache liegen, in welcher der Apostel von dem Glauben und der Ordnung der Kolosser spricht, und demgegenüber in den feierlichen Warnungen, die man in diesem Brief in großer Fülle vorfindet. Es möchte auf den ersten Blick schwer fallen, die Festigkeit des Glaubens der Kolosser an Christus mit der ihnen gegebenen Warnung in Übereinstimmung zu bringen:

„Wenn ihr anders in dem Glauben gegründet und fest bleibet.“

Aber die Worte des Apostels beweisen in Wirklichkeit nur, dass keine noch so beglückende Ordnung oder Festigkeit für eine Seele bürgt, die verkehrten Gedanken Raum gibt und verderbten Grundsätzen huldigt, welche die Herrlichkeit Christi verdecken, sie herabmindern oder gering schätzen. Der scheinbare innere Widerspruch dient also dazu, die Gefahr offenbarer und größer hervortreten zu lassen. Die Tatsache, dass Ordnung und Festigkeit im Glauben an Christus die Kolosser gekennzeichnet hatten, war an und für sich noch kein wirksames Bollwerk gegen das Übel, das sie bedrohte.

Der Apostel fühlte und ließ sie es wissen, dass trotz dieses erfreulichen Zustandes ihre Seelen Schaden leiden und dem Verderben zugeführt werden würden, wenn sie den verlockenden Worten anderer nachgaben. Keine Seele darf sich auf Grund empfangener Segnungen, welcher Art diese auch sein mögen, erlauben, mit dem zu liebäugeln, was die Person oder die Herrlichkeit Christi antastet.

Die Kolosser waren außerordentlich begünstigte Leute, und der Apostel hatte mit Freuden ihre Ordnung und die Festigkeit ihres Glaubens an Christus wahrgenommen. Dennoch ermahnt er sie in dem Verse, der der Anerkennung ihrer Festigkeit usw. unmittelbar voransteht, zur Vorsicht:

„Dass niemand euch verführe durch überredende Worte (V. 4).

Und nachdrücklich schärft er ihnen ein, so, wie sie den Christus Jesus, den Herrn, empfangen hatten, in Ihm zu wandeln (V. 6), d. h. so fortzufahren, wie sie angefangen hatten. Sie sollten sich in acht nehmen vor grüblerischer Wissenschaft, mochte diese auch mit noch so glaubwürdigen Worten angeboten werden. Aus diesem Grund war er, wenn auch dem Leibe nach abwesend, im Geist bei ihnen, sah ihre Ordnung und freute sich über sie usw. Und aus demselben Grund musste er sie vor dem warnen, was die Herrlichkeit des Heilandes in ihrem Zeugnis mit einem Makel behaften würde. Die zarteste Frucht ist am empfindlichsten. Sie würden Christus praktisch verlieren. Was sie hatten, stellt er nicht im geringsten in Frage. Im Gegenteil, er erinnert sie an die empfangene Segnung und ermahnt sie, dass sie in Christus wandeln möchten,

„gewurzelt und auferbaut in ihm und befestigt in dem Glauben, so wie ihr gelehrt worden seid“ (V.7),

nicht niedergedrückt aus Furcht vor Gefahren, sondern

„überströmend in demselben mit Danksagung“.

Die Belehrung ist scharf umrissen, in der Absicht, die verführerische Sprache falscher Menschen bloßzustellen, die die Kolosser von Christus wegstehlen würde, wenn sie ihren Zweck erreichte.

Wenn wir in Christus zur Ruhe gekommen sind vor Gott, so können wir in Seine Gegenwart treten und auf die erquickendste Weise die Offenbarung Seiner selbst in Christus anschauen. Es ist sehr wichtig, Christus nicht nur in Seinem Versöhnungswerk zu betrachten, sondern auch als Den, der den Vater offenbart. „Niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat ihn kundgemacht“ (Joh. 1, 18). Zweifellos ist es das Bestreben des Heiligen Geistes, Christus zu verherrlichen, aber nie auf Kosten des Vaters, so wenig wie der Vater da Ehre entgegennehmen kann, wo der Sohn entehrt wird.

Für Christen ist es wichtig, treu zu sein in dem, was sie glauben und bekennen, oder besser, in dem, was Gott ihnen zum Glauben und Bekennen geoffenbart hat. Was immer uns von der Gnade und Wahrheit, die durch Christus geworden ist, abzieht, verkehrt die Gnade und die Wahrheit und macht aus Christus etwas anderes, als was Er ist.

Die Kolosser waren bis dahin glücklich und wirklich standhaft in ihrem Glauben an Christus gewesen. Nun aber hatten sie Lehren in ihrer Mitte zugelassen, die sie, wenn sie nicht ausgerottet wurden, unfehlbar von Christus wegführen mussten. Darin lag die Gefahr für sie. Es ist erstaunlich, wie Christen darauf aus sind und wie es ihnen leicht fällt, etwas Neues anzunehmen. Der Apostel hat hier philosophische Gedankengänge im Auge, die, wie es scheint, in Kolossä aufgetaucht waren, ebenso wie jüdische „Elemente“, wenn beides nicht sogar miteinander verbunden wurde. So war es nicht genug für sie, dass sie Christus hatten; sie mussten auch wandeln in Ihm, gewurzelt und auferbaut in Ihm, mussten in ihrem Glauben sicher sein und sich nicht von diesen neuen Träumereien, ob sie nun verstandesgemäßer oder religiöser Art waren, gefangen nehmen lassen.

Schon frühzeitig ist also der Irrtum aufgetreten, die Philosophie mit dein Christentum zu dem Zweck zu vereinigen, um das, was göttliche Offenbarung ist, ernsten, nachdenklichen Gemütern schmackhafter zu machen. Es war ja schön und gut gewesen, urteilten diese Leute, Christus zunächst in aller Einfachheit zu predigen. Aber jetzt, da es sich nicht länger nur um ein paar armselige Galiläer handelte, warum sollte man sich da nicht an die Großen und Weisen der Erde wenden, da doch manche des Heidentums überdrüssig waren oder sich durch das kalte Judentum abgestoßen fühlten? Und wenn dem so war, warum ihnen dann nicht soweit wie möglich auf ihrem eigenen Boden entgegen kommen? Warum nicht das eine und andere von dem gesunden Menschenverstand des Aristoteles 1, oder noch besser von den hohen Idealen Platos 2, oder noch lieber von den so erhabenen und edlen Gefühlen dem Christentum aufpfropfen, wie Philo 3 sie in seinen biblischen Abhandlungen darbietet?

Die Philosophie 4 ist ein einziges großes Unglück für die Christenheit, sowohl jetzt als auch in jenen frühen Tagen. Der gesamte Plan von Gottes Wahrheit und Wegen wird durch die Lehre der Philosophie ausgelöscht, beziehungsweise findet keinen Raum in ihr. Die Philosophen übersehen die Schöpfung und den Sündenfall. Sie machen aus dem Gewissen, das der Mensch durch den Fall erworben hat, etwas Göttliches. Sie wissen nichts von Sünde und von Gottes Gericht über sie.

Ebenso wenig kennen sie die Gnade Gottes und deren Frucht, die Sühnung. Die Rationalisten möchten die göttliche Wahrheit am liebsten zu einer reinen Schlussfolgerung seitens der Menschen herabwürdigen. Aber die Wahrheit ist niemals eine Schlussfolgerung. Ziehe ich eine Folgerung, so betrete ich den Boden der Wissenschaft. So ist die Logik eine natürliche Wissenschaft, die Wurzel sozusagen aller anderen Wissenschaften, die ihr (der Logik) die Tatsachen gleichsam zur Prüfung unterbreiten. Aber was hat das mit der Unterwerfung unter die Wahrheit Gottes zu tun? Göttliche Offenbarung verkündet Dinge, wie sie im Menschen sind, auch stellt sie uns die Dinge vor, wie Gott sie sieht. Sie zeigt uns nicht bloß, dass ein Ding so oder so sein muss. Das gehört zum Gebiet menschlicher Erörterung. Die Wahrheit offenbart uns, dass ein Ding ist. Eine einfältige Seele mag in Verlegenheit kommen, zu verstehen, was sein muss, aber keiner, der das Zeugnis Gottes hört, kann an diesem Zeugnis vorübergehen. Er muss annehmen oder ablehnen, wenn Gott erklärt, dass eine gegebene Sache oder Person ist. Daher die ungeheure Wichtigkeit des Glaubens.

Die Kolosser waren im Begriff, zwei Dingen, die ihnen zum Fallstrick werden mussten, Einlass zu gewähren: einem rationalisierenden Sinn und gewissen Kasteiungen, die die Abtötung des Leibes herbeiführen sollten. Das eine stand mit der Philosophie, das andere mit dem Judentum in Verbindung. Das waren die zwei großen Irrtümer, die sich damals einschlichen, und von deren wirklichem Charakter und Ursprung sie sich keine Rechenschaft gaben. Der Apostel warnt sie (V. 8), obwohl er ihnen noch eben gesagt hatte, dass er sich über ihren Glauben und ihre Ordnung freue. Wie betrüblich, dass sie gerade in diesen Dingen abglitten. Aber das ist nicht alles. Was er ihnen sagt, ist soviel wie:

Nehmt euch in acht in Bezug auf das, was ihr tut, indem ihr für schöne Versprechungen, die euch etliche machen, das fahren lasst, was solche Früchte, wie die bei euch vorhandenen, hervorgebracht hat. Sie reden euch vor, diese neuen Gedanken und Wege könnten neben Christus ihren Platz haben. Aber lasst mich euch sagen, dass ihr euch mit etwas befreundet, dass ihr etwas aufnehmt, was früher oder später die Wahrheit, die ihr jetzt bekennt, zunichte machen wird. Die Wirkung wird unfehlbar sein, dass die einen, welche nicht wirklich aus Gott geboren sind, diese innerlichen Träumereien und äußerlichen Formen an Stelle des Christentums annehmen, während die wahren Gläubigen ernstlichen Schaden leiden, ihren Genuss an Christus verlieren und ihr Zeugnis für Ihn aufgeben. Der eine Irrtum passt grüblerisch veranlagten Menschen, und der andere ist etwas für die, deren Sinn mehr aufs Praktische gerichtet ist. Kein Wunder darum, dass der Apostel die Kolosser ermahnt, „gewurzelt und auferbaut zu sein in Christus und befestigt in dem Glauben, so wie ihr gelehrt worden seid, überströmend in demselben mit Danksagung“. Das letzte Wort verdient besonders erwogen zu werden. Ich vermute, dass ihre Danksagungen anfingen nachzulassen, denn das ist die unmittelbare Wirkung, wenn andere Dinge sich an die Stelle Christi drängen.

„Sehet zu, dass nicht jemand sei, der euch als Beute wegführe durch die Philosophie und durch eitlen Betrug, nach der Überlieferung der Menschen, nach den Elementen der Welt, und nicht nach Christus.“ (Vers 8)

Die Erde kann wohl Bewölkung, aber kein Licht hervorbringen. Ähnlich ist es mit dem Menschen: Er macht Versprechungen und unternimmt viel, aber in Wirklichkeit kann er nichts geben als die blendenden Verführungskünste des Herrn und Meisters, dem er dient. Vor solchen Dingen zu warnen, ist wahrlich nötig. Grübeleien über den Ursprung der Dinge, in denen die Orientalen, die Gnostiker 5  usw. schwelgten wie z. B. über den immerwährenden Bestand des Stoffes mochten manchen nicht unmittelbar gefährlich erscheinen. Die Menschen sind ja schnell bei der Hand, zu sagen: Meine Philosophie ist eine Sache, meine Religion eine andere und beides kann sehr wohl nebeneinander bestehen. Und wenn die Philosophie dann die Folgerung zieht, wie es bisher geschehen ist, nämlich dass die Welt aus etwas gemacht sein müsse, das immer bestanden hat, so könnte das dem Verstand recht annehmbar erscheinen. Für den Gläubigen klafft da aber eine große Lücke: Gott wird ausgeschaltet und Sein Wort zur Lüge gemacht. Der Stoff, die Materie wird für den Verstand zur Hauptsache, während Gott dem Menschen gleich gemacht wird, zu einem lediglich Werktätigen Geist, zum Fabrikanten usw. Wie großartig weist das Buch des galiläischen Fischers jene Träumer von Kolossä in die Schranken! „Alles ward durch dasselbe (oder Ihn), und ohne dasselbe (Ihn) ward auch nicht eines, das geworden ist.“

Wie geschickt tritt auch der Apostel diesem Irrtum schon im 1. Kapitel seines Briefes entgegen! „Dann durch ihn sind alle Dinge geschaffen worden, die in den Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten: alle Dinge sind durch ihn und für ihn geschaffen.“ Die Vorstellung von dem ewig vorhandenen Stoff bringt von vornherein etwas herein, das außerhalb Gottes liegt, etwas Unabhängiges, Feindseliges, und tatsächlich ist man, indem man einen Schritt weiterging, zu dieser weiteren Folgerung gekommen. Nach jener Philosophie gibt es zwei erste Grundursachen: die eine gut, die andere böse. Dieser Irrtum wurde weiter ausgesponnen und in die heidnische Philosophie verwoben, besonders im Osten. 

Tatsächlich ist dies bis auf den heutigen Tag der Fall. Es kann nicht anders sein, dass, wenn der Grundsatz von dem ewigen Bestand des Stoffs, der Materie, einmal angenommen ist, dies zu einem Abgrund von Irrtum und sittlichem Übel führen muss. Und je weiter gehende Schlüsse jemand von diesem irrigen Standpunkt aus zieht, desto schneller wird er diesen inneren oder äußeren Ausschweifungen (Irrtum und Unsittlichkeit) verfallen. Der Glaube verwirft daher solche Philosophie. Er bleibt allein bei dem Wort Gottes stehen. Dieses Wort nimmt er als unumschränkt und bindend an. Darum hatte der Apostel allen Grund, die Kolosser zu warnen vor der Philosophie und vor eitlem Betrug

„nach den Elementen der Menschen und nicht nach Christus.

Diese Dinge schmecken nach dem Menschen, wie er ist, so wie sie auch von ihm herkommen, und nicht nach Christus. Sie passen zur Welt, nicht zum Himmel, ebenso wenig wie sie zu denen passen, die, während sie noch auf Erden sind, dem Himmel angehören.

„Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.“ (Vers 9)

Könnte es einen wunderbareren Blick auf Christus geben als diese Wahrheit, die der einfachste Gläubige kennt oder kennen sollte, so wenig er auch fähig sein mag, sie zu erklären? Es gibt nichts, das dem gleichkäme. Hier allein haben wir die Wahrheit. Wir kennen jetzt Gott, und wie kennen wir Ihn! Nicht indem wir Vernunftschlüsse ziehen, als ob wir Ihn auf diese Weise suchen und finden könnten. Wir kennen Ihn in Christus, in jener lebendigen Person, die einst leibhaftig in dieser Welt lebte, in Ihm, der jetzt noch Seinen Leib hat, droben, über der Welt. Wir wissen von Gott, aus Seinem Wort, dass in der Person Christi „die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt“, nicht nur in Seinem Geist, sondern wirklich leibhaftig in Ihm, obwohl Er jetzt verherrlicht ist. Er hatte einen wirklichen, wahrhaftigen Leib von dem Tage der Menschwerdung an, aber also hatte Er die ganze Fülle der Gottheit in Sich wohnend.

Und das ist noch nicht alles. Der Apostel fügt hinzu:

„Ihr seid vollendet in ihm“ (Vers 10),

so dass ihr der Philosophie nicht bedürfet, selbst wenn sie etwas Gutes enthielte — wie viel weniger, da sie bestimmt schlecht ist. Was uns Not tut, ist, Christus besser zu genießen, Ihm in unserem Verhalten mehr zu entsprechen — nicht auf die Suche nach anderen Dingen zu gehen, die von Menschen sind, als ob jene dem Reichtum Christi etwas hinzufügen könnten! Sie verderben nur die Wahrheit. Der gefallene Mensch ist fern von Gott und steht unter der Macht des Teufels. Das macht diese menschlichen Begriffe so irrig und verderblich. Philosophische Grundsätze entspringen dem Tod und können nur Tod hervorbringen. Im gesamten Heidentum ist nichts tödlicher als dessen Philosophie. Der Unterschied ist nur, dass sie weniger täuscht als die Religion der Welt. Sie hört sich vernünftig an und bezaubert durch die Schönheit oder die Kühnheit der Gedanken und Vorstellungen der Sprache usw. Der Glaube zerstört durch die Wahrheit Gottes beides, Aberglauben und Unglauben, und zwar durch die Offenbarung Christi. Die Fülle der Gottheit wohnte nicht leibhaftig in dem Vater oder dem Heiligen Geist, sondern nur in Christus. Er war der einzige, von dem diese wunderbare Wirklichkeit behauptet werden konnte. Die ganze Fülle wohnte und wohnt noch in Ihm. „Der V a t e r, der in mir bleibt, sagte Er selbst, „er tut die Werke.“ Oder an anderer Stelle: „Wenn ich durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe usw. Hier haben wir nicht nur den Sohn, sondern in Ihm und durch Ihn die drei Personen der Gottheit in Gnaden tätig in dieser bösen Welt. Und der Glaube erfasst, was die Schrift vom Unsichtbaren und Ewigen sagt: er handelt in Bezug auf die Gegenwart nach den geoffenbarten Gedanken Gottes. Der ungläubige Mensch weist zurück, was über ihn hinausgeht, und zieht Folgerungen aus dem, was er kennt oder auch nicht kennt. Aber Gott wird sowohl ihn als seine Folgerungen zerstören. Ganz anders mit dem Gläubigen. Nicht nur wohnt die ganze Fülle der Gottheit in Christus, sondern wir sind (zwar nicht diese Fülle, aber) zur Fülle gebracht in Ihm. Auch ist von uns die Rede als von der Fülle Christi (Eph. 1); selbstverständlich aber heißen wir nie die Fülle der Gottheit.

Wir sind zwar

„vollendet in ihm, welcher das Haupt jedes Fürstentums und jeder Gewalt ist; in welchem ihr auch beschnitten worden seid mit einer nicht mit Händen geschehenen Beschneidung, in dem Ausziehen des Leibes [der Sünden] des Fleisches 6 , in der Beschneidung des Christus“ (Vers 11).

Hier haben wir ausdrücklich den Gegensatz zur Satzung der äußerlichen Beschneidung. Der richtige Text lautet: „in dem Ausziehen des Leibes des Fleisches“ oder des „Fleischesleibes“, nicht des Leibes „der Sünden des Fleisches. Die richtige Lesart ergibt den wahren Sinn: es handelt sich hier nicht um die Sünden, sondern vielmehr um die Sünde in unserer Natur. „Sünden“ würde schwerlich mit dem Zweck der Stelle oder des Satzes in Einklang stehen. Und wenn von der „Beschneidung des Christus“ die Rede ist, so bezieht sich das nicht auf die buchstäbliche Tatsache der Beschneidung, sondern auf den Tod Christi. Wenn wir an Christus glauben, so kommt uns der ganze Wert Seines Todes zugute. Das wird hier eine „nicht mit Händen geschehene Beschneidung genannt im Gegensatz zu der alten Verordnung. Die Bedeutung und der geistliche Sinn der Beschneidung ist die Tötung der menschlichen Natur, indem der Mensch, wie er ist, als etwas Totes behandelt wird. Der Tod Christi verschafft uns dieses Vorrecht. Wir sind in die Verbundenheit mit Seinem Tode gebracht und besitzen dessen ganzen Wert für uns, indem wir, wenn wir Christus im Glauben ergreifen, mit unserem ganzen ruinierten Zustand, mit dem Leibe des Fleisches, an Seinem Tode teilhaben. Seine Beschneidung setzt jede andere beiseite, da es keine andere gibt, die auf irgend eine Weise unseren üblen Zustand als Menschen im Fleische weggetan hätte.

„Mit ihm begraben in der Taufe, in welcher ihr auch mit auferweckt worden seid durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat. (Vers 12).

Hier haben wir nicht so sehr Christi persönliche Herrlichkeit als vielmehr Sein Werk. Das 1. Kapitel brachte uns hauptsächlich Seine persönliche Herrlichkeit; und selbst wenn es von Seinem Werke redete, handelte es sich um die Versöhnung aller Dinge und der Heiligen daneben (in der Zwischenzeit, ehe die Herrlichkeit geoffenbart wird). Kapitel 2 dagegen richtet nachdrücklich das Augenmerk der Gläubigen auf Sein Werk. Ich zweifle nicht daran, dass sich die Weisheit des Heiligen Geistes darin zeigt, dass Er uns zuerst Ihn und Sein Werk im allgemeinen und sodann den speziellen Wert und die Wirkung Seines Werkes für und an uns vorstellt. Im 1. Kapitel wird Seine Stellung als Haupt in doppelter Hinsicht entfaltet (Erstgeborener aller Schöpfung und Erstgeborener aus den Toten). Hier im 2. Kapitel wird auf die Tatsache, dass Er das Haupt jedes Fürstentums und jeder Gewalt ist, nur eben hingewiesen, während der Nachdruck darauf liegt, dass wir in Ihm vollendet sind.

Die Beschneidung wird deutlich mit dem Tod Christi in Verbindung gebracht; es handelt sich nicht, wie bemerkt, um die gesetzliche Handlung der Beschneidung, die an Ihm vollzogen wurde (Luk. 2, 21), noch um eine Frage, die Seine Person beträfe, sondern um die Anwendung Seines Werkes auf uns. Dies wird völlig durch die Feststellung bestätigt, dass wir mit Ihm begraben sind in der Taufe, „in welcher, wie es heißt, „ihr auch mit ihm auferweckt worden seid“ usw. Der Hauptpunkt ist, uns mit Christus zu verbinden. Durch Ihn allein wurde das Werk getan. Aber wenn wir an Ihn glauben, so werden wir auch unter die Wirkung Seines Werkes gebracht und erlangen durch die Gnade eine gemeinsame Stellung mit Ihm. Dieses große Werk wurde nicht allein kraft Seiner Person ausgeführt, sondern i n Ihm, wobei wir einen Platz in und mit Ihm haben. Die Einrichtung, die mit der Einsetzung des Christentums in Verbindung steht, stellt von vornherein diese unermessliche, besondere Segnung des Christen in den Vordergrund; in der Taufe haben wir bekannt, dass wir in dem Tode Christi der Stellung, in der wir von Natur lebten, gestorben sind; und jetzt sind wir auferweckt mit Ihm durch den Glauben an die Kraft Gottes, der Ihn aus den Toten auferweckt hat. Wir sind auf diese Weise in einen neuen Zustand versetzt (natürlich nicht unsere Leiber, wohl aber unsere Seelen). Wie der Apostel beides, Tod und Auferweckung mit Christus, auf das praktische Leben anzuwenden weiß, werden wir bald sehen.

Fußnoten

  • 1 384—322 v. Chr., griechischer Weltweiser, Lehrer Alexanders d. Gr., Schöpfer des abgeschlossensten und umfassendsten Systems der griechischen Wissenschaft.
  • 2 429—347 v. Chr., neben Aristoteles, der sein Schüler war, der größte Philosoph der Griechen. Seine Philosophie ist der großartigste Ausdruck dessen, was Idealismus ist.
  • 3 Jüdisch - hellenistischer Philosoph in Alexandrien, ungefähr 20 v. Chr. bis 50 n. Chr.. Seine Philosophie ist eine Verbindung von jüdischem Denken mit platonischer und stoischer Philosophie.
  • 4 Hier wie im folgenden die Philosophie, die auf Fragen übergeht, für die allein Gottes Wort zuständig ist. (Anm. des Übersetzers.)
  • 5 Anhänger eines religiösen Lehrsystems, das eine vollständige, die Erfahrung überschreitende Erkenntnis (1. Tim 6,20) der Natur sowie die Eigenschaften der Gottheit zu haben behauptete. (Anm. des Übersetzers.).
  • 6 Luther: „Durch Ablegung des sündlichen Leibes im Fleisch.“ Er und die Übersetzer in anderen Ländern hatten nur die Handschriften zur Verfügung, die diese in eckigen Klammern stehenden, im Kolosserbrief nicht hergehörigen Worte im Text haben. In Römer 6,6 dagegen steht zu Recht: „Auf dass der Leib der Sünde abgetan sei.“ Luther: „Auf dass der sündliche Leib aufhöre.“ (Anm. des Uebersetzers.)
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