Das Buch des Propheten Jona
4. Israel
Wir haben bereits gesehen, dass Jona trotz seines Glaubens und seines Charakters als Prophet den Geist des Volkes in sich vereint, zu dem er gehört. Es ist ein Geist des Ungehorsams, der Unabhängigkeit vom Herrn, des geistlichen Hochmuts und der Selbstgerechtigkeit. Darauf wies Gott ständig durch seine Propheten hin. Es handelt sich dabei nicht um den praktischen Götzendienst, der so oft angeprangert wird. Diesen hatte das Volk schon lange verlassen, ehe es durch die Verwerfung Christi unter die Nationen zerstreut wurde. Von dieser Zeit aber spricht - im Bild - das Buch Jona. Wir wohnen hier dem Augenblick bei, an dem die Geschichte Israels beendet wird. Das Volk verharrt in den Wegen der Unabhängigkeit und des Eigenwillens, ohne wirklich Buße in Bezug auf die „nichtigen Götzen“ (2,9) getan zu haben, die es so lange Zeit charakterisiert hatten. Das Haus war leer, gekehrt und geschmückt (Mt 12,44).
Der Zustand des Volkes, das der Dämon des Götzendienstes nicht mehr heimsuchte, ist in ganz besonderer Weise in der Zeit der letzten Propheten und des Kommens des Herrn kennzeichnend: Das ist eine ungläubige und verdrehte Generation, übertünchte Gräber, die von außen zwar schön scheinen, inwendig aber voll von Totengebeinen und aller Unreinigkeit sind (Mt 23,27). Es ist eine heuchlerische Rasse, stolz auf die Selbstgerechtigkeit, hochmütig und sich rühmend, Abraham als Vater zu besitzen, das Licht und das Zeugnis Gottes meidend, Feinde der Wahrheit und Gegner der Gnade. Genau das ist es, was sie mit einem Anschein an Gottesfurcht zu überdecken suchten, der strikten Treue zu den Formen des Gesetzes, die lediglich äußere Formen darstellten und zu denen sie noch etliche Traditionen hinzufügten, die das Gebot Gottes aufhoben (Mk 7,9).
Die Führer versuchten mit allen Mitteln, ihre Würde, ihren Ruf und ihren Einfluss auf das Volk zu erhalten. Was sie jedoch am meisten hassten, war die Gnade, die ihnen die Wahrheit über ihren eigenen Zustand offenlegte. Wenn sie verurteilt würden, dann gäbe es nämlich keinen Unterschied zwischen ihnen und den anderen Menschen, und die Gnade würde die Tür des Heils für jeden armen Sünder aus den Nationen öffnen.
Auch wenn Jona ein Mann Gottes war, so stellt er uns doch mehr als nur einen dieser Charakterzüge des Volkes Israel dar. Es kam dann auch ein Augenblick, von dem ab durch die Verwerfung des Retters und des Heiligen Geistes die endgültige Verurteilung der Juden ausgesprochen wurde: „Ich werde euch verpflanzen über Babylon hinaus“ (Apg 7,43). Israel wurde ins Völkermeer geworfen und wird dort bis zum Tag seiner nationalen Auferstehung (Hes 37) verwahrt werden.
Das Volk wird also wiedergeboren werden, aber wenn wir damit in Kapitel 3 zum zweiten Teil seiner Geschichte kommen, hat sich dann sein Herz geändert? Überhaupt nicht! Äußerlich wird es unter dem Antichristen die alten Formen des Gottesdienstes wieder aufnehmen (Dan 9,27), innerlich ist sein moralischer Zustand die ganze Zeit durch den Zorn gegen Gott charakterisiert. Es ist erzürnt bis zum Tod (4,9). Dieses Buch schweigt über das Ende der Geschichte Jonas und damit Israels. Es wirkt fast so, als ob dieses aufrührerische Volk im Nichts verschwände. Lasst uns dieses ernste und feierliche Schweigen für uns selbst überdenken!
Die Verwerfung Israels wird uns - in Verbindung mit der Prophetie Jonas - durch den Herrn Jesus in einer bemerkenswerten Weise angekündigt. In Matthäus 12 spricht der Herr Jesus von Jona als einem Zeichen seines Todes und seiner Auferstehung. Darauf werden wir später noch eingehen. In Kapitel 16 kommt Er jedoch - wie ich nicht zweifle - mit einer gänzlich anderen Absicht auf Jona zurück.
Die Pharisäer und die Sadduzäer verlangen von Ihm erneut ein Zeichen. Daraufhin spricht Er zu ihnen von Zeichen des Himmels, dem guten Wetter und dem Sturm (Bilder der Gnade und des Gerichts), die sie gut zu unterscheiden wussten, während sie die „Zeichen der Zeiten“ nicht verstanden. Das Gericht stand vor der Tür, aber davon erkannten sie nichts. Ihnen würde jedoch „kein Zeichen gegeben werden als nur das Zeichen Jonas“. Israel würde endgültig ins Meer geworfen werden, verlassen sein, um Platz für die Wege der Gnade Gottes zu den Nationen zu machen. So hören wir den Evangelisten sagen: „Und er verließ sie und ging hinweg.“
Aber das wahre Israel wird auferstehen und, wie wir schon gesehen haben, als der Zeuge des Herrn ausgesandt werden, um die großen Völkerschaften zur Buße aufzurufen.