Das Buch des Propheten Jona
3. Die Nationen
Der Zustand der Nationen wird durch Ninive vorgestellt, das wie das Bild des moralischen Zustandes der Heiden in den Augen Gottes ist. „Mach dich auf, geh nach Ninive, der großen Stadt, und predige gegen sie; denn ihre Bosheit ist vor mir heraufgestiegen“, sagt der Herr zu Jona (1,2).
Sie waren in den Augen des heiligen Gottes durch Bosheit, also die vollständige Abwesenheit des Guten, gekennzeichnet. Seine Geduld hatte diese Bosheit lange Zeit ertragen, und diese hatte die Gelegenheit ergriffen, sich bis an ihre äußersten Grenzen zu entwickeln. Auch blieb Ninive nur noch das Gericht, wenn es nicht von Gottes Seite irgendeine Quelle oder ein Mittel der Rettung gegeben hätte. Aber wer konnte dieses ankündigen? Der Prophet Jona, der hier ein Bild des Volkes Israel ist, stand unter demselben Gericht. Er hatte sich Gott gegenüber ungehorsam und rebellisch gezeigt, und konnte von Gottes Seite nur Verurteilung erwarten.
Ein anderer Prophet, Jesaja, der ein Bild des treuen Überrestes aus Israel ist, befand sich später in der Gegenwart Gottes und suchte nicht, von dort zu fliehen (Jes 6). Bevor er ausgesandt wurde, erkannte er seine Unreinheit und wurde durch die glühende Kohle gereinigt, die das Opfer verzehrt hatte. Der Herr sprach zu ihm: „Wen soll ich senden, und wer wird für uns gehen?“ Und der Prophet antwortete: „Hier bin ich, sende mich.“ Gott sendet ihn zu Israel, um das Gericht anzukündigen, das es treffen wird, und die Gnade, die einen schwachen Überrest verschonen würde. Jona, weit davon entfernt, sich vor Gott zu befinden, flieht seine Gegenwart, um nicht zu den Nationen gesandt zu werden. Dabei waren es nämlich gerade jene, die Gott verschonen wollte, und Jona war sich dessen wohl bewusst.
Die Matrosen sind das Abbild aller Nationen, die sich auf einem Schiff befinden, das sie immer weiter von Gott entfernt. Sie schreien ein jeder zu „seinem Gott“ (1,5), aber in dem Sturm, der sie zu verschlingen droht, lernen sie, was die stummen Götzen wert sind, die ihnen nicht antworten. „Vielleicht“, so denken sie, wird der Gott Jonas ihrer gedenken, und sie würden nicht umkommen (1,6). Aber was ist der wirkliche Grund ihres Elends? Aus Unkenntnis über ihren eigenen Zustand führen sie dieses Unglück auf jemand anderen zurück, vielleicht auf jemand unter ihnen: „Kommt und lasst uns Lose werfen, damit wir erfahren, um wessentwillen dieses Unglück uns trifft“ (1,7). Da sie Gott nicht kennen, wenden sie sich an eine ihnen unbekannte Macht, das Los, um Antwort zu erhalten. Man sieht hier die Unkenntnis des natürlichen menschlichen Herzens, ohne sich selbst und ohne Gott zu kennen. Das sind die zwei großen Themen, in denen sich die vollständige Offenbarung Gottes zusammenfassen lässt, und die dem Ungläubigen unbekannt sind.
Die Matrosen gleichen somit blinden Menschen, aber Gott antwortet ihnen in seiner Gnade, indem Er sich auf das Niveau ihres Verständnisses herablässt. Das Los spricht gleichsam die Sprache Gottes und fällt auf Jona. Jona bezeugt nun den wahren Charakter Gottes trotz des Gerichtes, das ihn erwartet, und trotz seiner Flucht vor dem Angesicht Gottes, die er ihnen zuvor mitgeteilt hatte (1,10), indem er ihnen etwas von dem mitteilt, was sie sogar in ihrem verfinsterten Verstand verstehen konnten: „Ich bin ein Hebräer; und ich fürchte den Herrn, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat“ (1,9). Das Zeugnis Israels, an einen einigen Schöpfergott zu glauben, erinnert die Nationen daran, was Gott ihnen durch seine Werke offenbart hat, damit sie ohne Entschuldigung seien (Rö 1,20). Die Predigt des Paulus an die Athener (Apg 17) trägt keinen anderen Charakter.
Die drei Fragen der Heiden
Diese armen, unwissenden Heiden stellen drei Fragen:
1. „Tu uns doch kund, um wessentwillen uns dieses Unglück trifft!“ (1,8) Auf diese Frage hatte Gott mittlerweile durch das Los geantwortet. Er hatte jedoch gleichsam Israel benutzt, also den Gegenstand seines Gerichtes, um den Nationen Licht zu bringen, wie es auch geschrieben steht: „Das Heil ist aus den Juden“ (Joh 4,22).
2. „Was hast du da getan!“ (1,10). Jona hatte schon zuvor eine Antwort auf diese Frage gegeben, sodass sich die Seeleute hier nicht irren konnten: Jona floh „vom Angesicht des Herrn weg“ (1,10). So können sie ihn tadeln und sagen: „Du sagst, dass du Gott fürchtest, aber du fürchtest dich nicht, Ihm ungehorsam zu sein?“ Wie häufig haben sich die Juden - zu ihrer Schande - unter der Rute der Nationen befunden, so wie heutzutage die Christen unter der der Welt!
3. „Was sollen wir mit dir tun?“ (1,11) Das Vertrauen in das Wort des Herrn ist in ihren Herzen geboren, und anstatt sich von Israel, dem untreuen Diener, abzuwenden, haben sie verstanden, dass der Abgesandte dieses Volkes allein in der Lage ist, ihnen den Willen Gottes kundzutun. Jona auf der anderen Seite erkennt an, dass seine Untreue der Grund dieses Handelns Gottes auch mit den Nationen ist. Er sagt: „Ich weiß, dass dieser große Sturm um meinetwillen über euch gekommen ist“ (1,12). „Nehmt mich und werft mich ins Meer.“ Auf diese Weise ist die Verwerfung Israels die Versöhnung der Welt (Rö 11,15).
Die Seeleute scheuen sich, den Auftrag des Propheten auszuführen und schöpfen, bevor sie dem Wort gehorchen, alle erdenklichen Mittel aus, um anders ans Ziel zu gelangen. Aber sie können keinen Erfolg haben, „weil das Meer immer stürmischer gegen sie wurde“ (1,13). Damit sie gerettet werden konnten, bedurfte es eines Opfers, sonst würden sie durch das Gericht verschlungen werden. Wir werden später sehen, wer dieses Opfer in Wirklichkeit ist, doch hier erfahren wir, dass es Jona ist, ein Bild des verworfenen Israels.
Die Verwerfung Israels ermöglicht den Segen für die Nationen
Nachdem das Gericht ausgeführt worden ist, kann das Schiff der Nationen seinen Kurs fortsetzen. Die Verwerfung Israels hat die Türen des Segens für die Nationen geöffnet. Diese Szene ist ein Bild von der heutigen Zeit. Sie ist ein Bild für die Rettung einzelner Menschen, die Teil der götzendienerischen Völker waren, die „jeder zu seinem Gott schrien“. So lesen wir in Offenbarung 5,9: „Du hast für Gott erkauft, durch dein Blut, aus jedem Stamm und jeder Sprache und jedem Volk und jeder Nation.“
Angesichts der großen Gefahren rufen sie zu Gott (1,14). Genau an diesem Punkt beginnen unsere Beziehungen zu Gott. Jedoch stoßen ihre natürlichen Herzen die Offenbarung zurück, dass sie ein Opfer nötig haben, für dessen Tod sie verantwortlich sind und welches das Gericht für immer vorüberziehen lässt. Sie bevorzugen, hart zu rudern, um das Schiff ans Land zurückzuführen (1,13). Auch können sie nicht daran vorbeigehen, dass sie „unschuldiges Blut“ auf sich bringen, indem sie den Diener des Herrn in die Fluten stürzen (1,14). Sie sind somit schuldig, aber Gott belehrt sie, dass dieses Opfer - trotz ihres Anteils daran - für sie das einzige Mittel des Heils ist.
Sofort nach Ausführung des Befehls Gottes sehen wir einen moralischen Wandel, der sich in dieser Schiffsbesatzung vollzogen hat: „Und die Männer fürchteten sich vor dem Herrn mit großer Furcht, und sie schlachteten dem Herrn Schlachtopfer und taten Gelübde“ (1,16).
Ihr erster Schritt auf dem Weg der Weisheit ist es, sich mit großer Furcht vor dem Herrn zu fürchten. Dazu nehmen sie vor Ihm die Stellung von Anbetern ein, indem sie Ihm Opfer bringen. Und sie „taten Gelübde dem Herrn“. Ein Gelübde ist eine freiwillige Widmung an Gott, um Ihm ohne jeden Vorbehalt zu dienen (5. Mo 23,22; 3. Mo 7,16). Wir finden somit hier eine Anzahl von geretteten Menschen, die zu Gott gebracht und Zeugen seiner Gnade werden. Sie sind nun Ihm geweihte Anbeter und Diener. In diesem Schiff der Nationen befinden sich seither Gerettete, während Jona als ein Bild von Israel in die Tiefen des Völkermeeres hineingestürzt wurde.
Der Glaubensgehorsam der Nationen
Wir lernen also in diesem ersten Kapitel des Buches, wie der Glaubensgehorsam heute das Teil der Nationen geworden ist. Das dritte Kapitel führt unsere Gedanken in eine noch zukünftige Zeit. Das Gericht wird Ninive, „der großen Stadt“, angekündigt. Sie ist als Hauptstadt der Repräsentant aller Völker. Uns wird gesagt, dass „die Leute von Ninive Gott glaubten; und sie riefen ein Fasten aus und kleideten sich in Sacktuch, von ihrem Größten bis zu ihrem Kleinsten“ (3,5). Bedenken wir, dass es sich hierbei um ein nationales Fasten handelt. Man kann nicht sagen, dass dies nicht wirklich geschah, denn es ist gegründet auf den Glauben an das Wort Gottes. Allerdings wissen wir, dass dieser Glaube bei den Bewohnern Ninives „nur für eine Zeit“ (Mt 13,21) wirksam war. Wenn es auch nur eine äußerliche Buße ist, die auf die Furcht vor dem Gericht gegründet ist, so führt sie doch dazu, dass das Gericht für eine Zeit ausbleibt.
Zwei Jahrhunderte später wird das hier angekündigte Gericht der Stadt Ninive buchstäblich ausgeführt und die Stadt vollständig zerstört. Das gleiche wird zur Zeit der Aufrichtung des Königreiches Christi geschehen. Angesichts der Gerichte werden sich die Nationen unterwerfen und Ihn als Gott Israels anerkennen (Ps 18,46). Wenn jedoch Satan nach diesen herrlichen 1.000 Jahren der Herrschaft Christi wieder freigelassen wird (Off 20,7) und aufs Neue die Menschen verführen kann, werden diese Menschen das endgültige Gericht erleben.
Diese Buße der Menschen von Ninive lenkt unsere Gedanken zu den ernsten Tagen, in denen wir leben. Die Hand Gottes liegt schwer auf den Völkern. Man hat fast den Eindruck, seine Stimme zu hören: „Noch vierzig Tage, dann wird Ninive umgekehrt!“ Sollten die Nationen nicht Buße tun und ein Fasten ausrufen? Herrscher und Könige, Große und Kleine, sollten sie nicht heftig zu Gott rufen und ein jeder von seinem bösen Weg und dem Unrecht umkehren, das in seinen Händen ist (3,8)? „Wer weiß? Gott könnte sich wenden und es sich gereuen lassen und umkehren von der Glut seines Zorns, dass wir nicht umkommen“ (3,9). Gott kann es sich gereuen lassen und die Richtung seiner Regierungswege mit den Menschen ändern, wenn, ja wenn diese ihre eigenen Wege ändern und umkehren, Buße tun. Mögen diese Worte doch so, wie einst diejenigen von Jona, ein Echo in den Herzen der Menschen finden!