Die letzte Botschaft – oder – das Wort des HERRN durch Maleachi

2. Der Zustand der Führer

Die letzte Botschaft – oder – das Wort des HERRN durch Maleachi

Wir haben schon gesehen, dass die letzte Botschaft Gottes vor dem Kommen des Herrn an den nach Kanaan zurückgekehrten Überrest dessen moralischen und geistlichen Zustand betraf. Wir haben ebenfalls die allgemeinen Vorwürfe besehen, die gegen die Masse des Überrestes vorgebracht wurden und den niedrigen Zustand offenbarten. Aber über diese grundsätzlichen Anklagen gegenüber dem ganzen Volk hinaus enthält diese letzte Botschaft einige besondere Vorwürfe gegenüber den Priestern bzw. den Führern des Volkes überhaupt. Diese Dinge werden im zweiten Kapitel des Propheten Maleachi behandelt.

Bevor wir diese Tadel kurz anschauen, tun wir gut daran zu beachten, in welch ernster Art und Weise das zweite Kapitel eingeleitet wird. „Wenn ihr nicht hört und wenn ihr es nicht zu Herzen nehmt, meinem Namen Ehre zu geben, spricht der HERR der Heerscharen, so werde ich den Fluch unter euch senden und eure Segnungen verfluchen“ (2,1).

Zuhören und zu Herzen nehmen

Das mindeste, was das Volk hätte tun können, als Gott zu ihm über seinen moralischen und geistlichen Zustand sprach, war zuzuhören und zu Herzen zu nehmen, was Gott zu sagen hatte. Menschen, die den Worten Gottes nicht zuhören wollen, sind in der Tat ein hoffnungsloser Fall – seien sie Gläubige oder Sünder. Es abzulehnen zuzuhören, bringt die züchtigende Hand des Herrn für sein Volk mit sich. Sein Erntesegen wurde zerstört und verdorben.

Aber müssen wir nicht auch fragen, wie es um das Volk Gottes heute steht? Müssen wir nicht bekennen, dass die geistliche Verfassung des Volkes Gottes sehr niedrig ist? Und dass das schlimmste und verhängnisvollste Zeichen des Verfalls ist, dass es nur wenig Hinweise darauf gibt, dass das Volk Gottes „hört“ und „zu Herzen nimmt“, obwohl die Hand des Herrn in Züchtigung auf ihm liegt?

Ein niedriger Zustand in der Christenheit – und auch „unter uns“

Haben wir selbst den Propheten unser Ohr geliehen? Lehrern, die unseren Verstand belehren, folgen wir vielleicht gerne. Aber die Propheten, die sich an unser Gewissen wenden, vernachlässigen oder verwerfen wir. Die bekennende Christenheit mag „sich selbst Lehrer aufhäufen, indem es ihnen in den Ohren kitzelt“ (2. Tim 4,3). Aber sie werden die Propheten steinigen (vgl. 2. Chr 24,21), die sie vor ihren Sünden warnen. Und wenn die Propheten kein Gehör finden, gibt es auch kein „kein zu Herzen nehmen“ der Botschaft der Propheten.

Wo wir hinschauen, werden wir mit dem niedrigen Zustand des Volkes Gottes konfrontiert. Die Spaltungen, die Streitigkeiten, die Bitterkeit unter seinem Volk – alles ist heute offenbar. Und doch, wie wenig werden diese Dinge zu Herzen genommen, wie wenig Trauer finden wir vor dem Herrn! Wie wenig bekennen wir einander! Wie wenig nehmen wir die Betrübnis und unsere Beschämung zu Herzen, die Unehre für den Herrn! Es hat den Anschein, dass wir wesentlich mehr darauf bedacht sind, Recht zu bekommen, als dass wir einfach unser Versagen zugeben.

Versagen bringt die züchtigende Hand des Herrn auf sein Volk

Müssen wir nicht anerkennen, dass als Folge dieses Verhaltens die Hand des Herrn in Zucht auf seinem Volk liegt? So gibt es zwar viele Predigten, aber wenig Segen unter Sündern. Es gibt viel Belehrung und Dienst, aber wenig Wachstum unter den Gläubigen. Der Segen wird weitestgehend zurückgehalten.

Wenn wir diese ernsten Warnungen der einführenden Verse in Erinnerung halten, mögen wir doch diese letzte Botschaft an die Führer in Israel „hören“ und „zu Herzen nehmen“! Wir sollten darin eine Stimme vernehmen, die zu uns selbst spricht, und zwar mit einem unzweideutigen Klang.

Zunächst stellt der Prophet das schöne Bild vor, wie Gott die Priesterschaft am Anfang eingeführt hat. Wir werden nur dann eine wirkliche Bewertung unseres Zustandes am Ende einer Zeitepoche vornehmen können, wenn wir ihn mit dem Zustand zu Beginn vergleichen. Nur so erfahren wir das Ausmaß unseres Abweichens von dem, was nach den Gedanken Gottes ist.

Die ursprünglichen Gedanken Gottes über die Priesterschaft

Zu Beginn waren die Priester gekennzeichnet durch:

  1. Leben (2,5)
  2. Frieden (2,5)
  3. Furcht des HERRN (2,5)
  4. das Gesetz der Wahrheit im Mund (2,6)
  5. Unrecht fand sich nicht auf seinen Lippen (2,6)
  6. ein Lebenswandel in Frieden und Geradheit (2,6)
  7. Segen für andere, indem man „viele von ihrer Ungerechtigkeit zurückbrachte“ und sie in der Erkenntnis belehrte (2,6.7)

Das waren die Gedanken Gottes für jemanden, der „ein Bote des HERRN der Heerscharen“ in der dunklen Welt sein sollte.

Im Licht dieses schönen Bildes fährt der Prophet fort, den damals aktuellen Zustand derer zu entfalten, die bekannten, „Boten des HERRN“ zu sein. Fünf verschiedene Anklagen muss er gegen sie vorbringen.

1) Die Beziehung zum HERRN war verkehrt

Die Beziehung der Priester zu dem HERRN stimmte nicht: „Ihr aber seid abgewichen vom Weg“, sagt der Prophet (2,8). Am Anfang „fürchtete er mich“ und „wandelte mit mir“, konnte der HERR sagen. Aber nun waren sie von dem Weg des Lebens und des Friedens abgewichen. Das ernste Ergebnis war, dass die Priester nicht mehr „viele von ihrer Ungerechtigkeit zurückbrachten“, sondern „viele straucheln gemacht hatten im Gesetz“. Sich selbst hatten sie zudem verächtlich gemacht beim ganzen Volk (2,8.9).

2) Die Beziehung untereinander war verkehrt

Ihre Beziehung untereinander stimmte nicht: „Warum handeln wir treulos einer gegen den anderen?“, muss der Prophet fragen. Können wir darauf keine Antwort geben? Weil ihre Beziehung zu ihrem HERRN nicht stimmte. Wie jemand gesagt hat: „Satan trennt zunächst den Menschen von Gott, und dann spaltet er uns untereinander.“ Der Prophet möchte dieses Übel korrigieren, indem er die Priester daran erinnert, dass sie einen Vater und einen Gott haben (2,10).

Auch in unseren Tagen ist es so: Nur wenn wir das Volk Gottes als eins verstehen – als Kinder einer Familie, von der Gott der Vater ist; und als Glieder des einen Leibes, von dem Christus das Haupt ist – werden wir fähig sein, treu miteinander umzugehen. Aber leider folgte dem Abweichen vom Herrn Streit, Zwist, Bitterkeit und Untreue untereinander.

3) Die Beziehung zur Welt war verkehrt

Ihre Beziehung zur Welt stimmte nicht: „Juda hat treulos gehandelt … und ist mit der Tochter eines fremden Gottes vermählt“ (2,11). Nun werden die Anklagen in ihrer Art allgemeiner. Es geht nicht mehr allein um die Priester, die angesprochen werden, sondern Juda insgesamt wird nun in diesen gemeinsamen Vorwurf in Bezug auf die Weltlichkeit eingeschlossen. Diese Weltförmigkeit zeigt sich durch die weltlichen Beziehungen intimsten Charakters. Obwohl alle von diesem Vorwurf betroffen waren, wird er doch direkt mit dem Versagen der Priester verbunden.

Die Anordnung dieser Anklagen ist sehr ernst und lehrreich: Zunächst stimmte die Beziehung der Führer mit ihrem Herrn nicht mehr – sie wichen vom Weg ab. Dann handelten sie untereinander untreu. Schließlich muss der Prophet feststellen: Während die Hirten miteinander rangelten, schweiften die Schafe vom Weg ab. Die Streitigkeiten unter den Führern führten das Volk Gottes dazu, in die Welt abzudriften und unheilige Verbindungen einzugehen.

4) Die Beziehung innerhalb der Familien war verkehrt

Ihre Familienbeziehungen stimmten nicht: Die Priester und Männer werden angeklagt, dass sie treulos mit ihren Ehefrauen umgegangen sind (2,14). Wenn unsere Beziehung zu Gott nicht mehr stimmt, werden wir in jeder anderen Beziehung ebenfalls versagen. Wenn wir unheilige Verbindungen mit der Welt eingehen, wird es nicht lagen dauern, bis wir auch den unheiligen Wegen der Welt in den intimsten Beziehungen des Lebens folgen werden.

Um dem entgegenzuwirken, erinnert der Prophet das Volk an die Einheit und Unauflösbarkeit der ehelichen Beziehung. Denn unter seinem Volk suchte Gott „einen Samen Gottes“. Wie wichtig ist dieser Grundsatz! Wenn die Kinder heilig sein sollen, sollen ihre Eltern heilig leben.

5) Die Ausübung von Selbstdisziplin und Zucht war nicht Gott gemäß

Ihre Zuchthandlungen und die Selbstdisziplin stimmten nicht: Sie handelten treulos gegen ihre Ehefrauen, indem sie diese mit belanglosen Vorwürfen entließen. Der Prophet muss ihnen daher vorhalten: „Denn ich hasse Entlassung, spricht der HERR, der Gott Israels“ (2,16). Der Überrest handelte jedoch vollkommen anders, denn wir lesen: „Und er bedeckt mit Gewalttat sein Gewand“. Unter dem Deckmantel, die göttliche Ordnung aufrecht zu halten, handelten sie mit größter Gewalttat.

Während sich dieser Abschnitt direkt mit Männern beschäftigt, die ihre Frauen zu Unrecht wegstoßen, kann man diesen Grundsatz weitergehender anwenden. Dieses Prinzip kann sehr gut in Verbindung mit dem „hinaus tun“ (1. Korinther 5,13) eines Bösen aus der Mitte des Volkes Gottes betrachtet werden. Es ist eine ernste Warnung, einen Bruder gewaltsam loswerden zu wollen, ohne einen angemessenen und schriftgemäßen Grund für eine solche Vorgehensweise zu haben.

Unter dem Überrest hatten Männer ihre Frauen weggeschickt, nicht weil diese gesündigt hätten, sondern weil die Männer ihre egoistischen Interessen und Begierden stillen wollten. Gab es nicht leider auch unter dem himmlischen Volk Gottes manch augenfälliges Beispiel davon, dass bekannte, gottesfürchtige Personen nicht wegen einer Sünde hinaus getan wurden, sondern einfach, weil die Forderungen einer Partei ihren Ausschluss verlangten? 1

Treulos – Untreu

Wenn man diese ernsten Anklagen liest, wird man innerlich durch das wiederholte Vorkommen des Wortes „treulos“ getroffen. Es kommt in den Versen 10, 11, 14, 15 und 16 vor. In jedem dieser Vorkommen könnte man auch „untreu“ übersetzen. Nachdem die Priester vom Weg abgewichen waren, waren sie in jedem Bereich untreu geworden. Sie waren einander untreu geworden, untreu den eigenen Brüdern; sie waren in ihren Beziehungen zu der Welt untreu geworden; sie waren im Bereich des eigenen Hauses untreu geworden; und schließlich waren sie in der Ausübung der Zucht untreu geworden.

Welch ein trauriges Bild stellt uns diese letzte Botschaft von dem Überrest des Volkes Gottes vor. Äußerlich befand er sich in der richtigen Stellung. Und äußerlich führten sie den Dienst des HERRN weiter aus.

Mit Einsicht in die Gedanken Gottes sehen wir unseren eigenen Zustand darin

Wenn wir überhaupt Einsicht in den Dingen Gottes haben, ist es so leicht, unter dem Volk Gottes heute das Gegenstück dieses Überrestes zu erkennen. Ist es nicht wahr, dass es unter denen, welchen viel Licht gegeben worden ist, ein gravierendes Abweichen „vom Weg“ gab? Und das auch auf Seiten vieler Führer?

Abweichen von Gott hatte Meinungsverschiedenheiten unter den Führern des Volkes zur Folge – Untreue einer dem anderen gegenüber. Eifersucht, Neid, Streit, übles Nachreden haben viel zu oft die Führer in ihrer Gesinnung einander gegenüber geprägt. Dies wiederum war dann der Anlass für viele, sich in die Welt zu begeben, unheilige Verbindungen mit der Welt einzugehen. Und das hatte zur Folge, dass unheilige, weltliche Gewohnheiten in das Familienleben des Volkes Gottes hineinkamen. Wenn wir in unseren Familien, in unseren Häusern versagt haben, ist dann unsere Unfähigkeit im Haus Gottes in der rechten Weise zu handeln und zu regieren überhaupt verwunderlich? „Wenn aber jemand dem eigenen Haus nicht vorzustehen weiß, wie wird er für die Versammlung Gottes Sorge tragen?“ (1. Tim 3,5).

Gibt es in diesen Anklagen nicht ausreichend Anlass, uns auf unsere Knie zur Demütigung, zum Bekenntnis und ins Flehen zu bringen? Mögen wir die Stimme Gottes hören, die zu unseren Gewissen spricht! Und mögen wir diese letzte Botschaft zu Herzen nehmen!

Fußnoten

  • 1 Hamilton Smith spielt hier möglicherweise auf den Ausschluss von Edward Cronin in Kennington (London) an. Dieser hatte an einem Ort (Ryde) mit Geschwistern das Brot gebrochen, die formal nicht mit den übrigen Zusammenkommen in England Tischgemeinschaft des Brotbrechens hatten – auch nicht mit Kennington, dem Heimatzusammenkommen von Cronin. Da in Ryde das Zusammenkommen „in Gemeinschaft“ war, das bekanntermaßen durch Weltförmigkeit und Laschheit gekennzeichnet war, bracht Bruder Cronin – zumindest in einer unweisen Vorgehensweise – das Brot mit Geschwistern, die bewusst getrennt von diesem „anerkannten“ Zusammenkommen zusammenkamen. Durch großen Druck von Geschwistern unter anderem des Zusammenkommens in der Park Street (London, wo auch J. N. Darby das Brot brach), wurde Bruder Cronin schließlich in Kennington ausgeschlossen – übrigens gegen den Widerstand von anderen Brüdern wie W. Kelly (Blackheath, London). Durch weitere Verwicklungen führten diese Vorgänge zu einer englandweiten Trennung, durch die auch Brüder wie J. N. Darby und W. Kelly getrennt wurden. Ausschlüsse parteiischer und unnötiger Art sowie damit verbundene Trennungen hat es danach im Verlauf der weiteren Kirchengeschichte immer wieder gegeben. Insofern könnte sich Hamilton Smith auch auf eine spätere Handlung ähnlichen Musters beziehen.
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