Die letzten Dinge
Das Sendschreiben an Laodizäa
Laodizea bedeutet „die Volksgerechte“, die Religion, die allen gerecht wird, nur nicht dem Herrn selbst. Wir haben bei Philadelphia erwähnt, dass aus der Sardeskirche zwei auseinandergehende Entwicklungen hervorgegangen sind: die eine, Philadelphia, die sich enger um den Herrn Jesus scharenden Gläubigen, die andere, die ungläubige Reform in der bloß formellen Namenchristenheit, woraus das heutige Laodizea entstanden ist, die christliche Form, die Christus beiseiteschiebt, aber die Welt zu verbessern und zu verchristlichen meint.
Zugleich mit den politischen Freiheitsbestrebungen setzte auch die kirchliche freisinnige Reformbewegung zur Lockerung, ja Untergrabung der christlichen Lehre, ein. Mit Hilfe der Bibelkritik, der Entwicklungslehre usw., die bis zur völligen Leugnung der Wahrheit des göttlichen Wortes und der Gottessohnschaft des Herrn Jesus Christus führte, hat sie ungeheuren Schaden angerichtet. Diese Lehren sind die direkten Erzeuger und Wegbereiter des kirchlichen Abfalls geworden. Doch hat die direkte Leugnung der Heiligen Schrift gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihre Wirkung verloren, indem sie nichts mehr als „Steine“ bot, und zudem hat der Herr dieser Leugnung entgegengewirkt, indem Er, wie Er vorausgesagt hat (Lk 19,40), „die Steine schreien ließ“. Er bestätigte durch die archäologischen Ausgrabungen die Wahrheit der Bibel bis in die Anfänge der Menschheit zurück. Ferner hat Gott durch besonders mächtige Zeugen für weitreichende Erweckung des Glaubens selbst in den Kreisen der Intellektuellen und der Hochschulen gesorgt.
So hat man sich jetzt von der platten Leugnung der Bibel wieder abgewendet, soweit man nicht einfach aus der Kirche austritt. Man lässt Christus und das Christentum wieder gelten, oft zwar nur als unser Ideal und Vorbild, dann wieder als Heiland und Gottes Sohn, nicht aber als den Gegenstand des Herzens. Die christliche Lehre ist vielfach schattiert und nicht mehr die klare biblische Wahrheit. Man hat daraus eine allgemeine religiöse Lehre gemacht, die die so wichtigen Kernwahrheiten wie die Buße, das Verlorensein des Menschen von Natur und damit die Notwendigkeit der Sühnung durch das Kreuz, mehr oder weniger verschleiert. Man findet sich mit der bloßen „Form der Gottseligkeit“ ab und leugnet die wahre Kraft, d. h. die wahre Grundlage des Heils. Diese Lehre, Modernismus genannt, verlegt in den Menschen einen göttlichen Funken, der lediglich geweckt und entwickelt werden muss.
Nun kommt aber in neuerer Zeit noch etwas Wichtiges hinzu. Alle christlichen Kreise haben endlich den großen Schaden und die Schmach, hervorgerufen durch die starke Zerrissenheit und Uneinigkeit der Kirche, eingesehen. Namentlich ist die Erkenntnis durchgedrungen, dass dies für die Verkündigung des Evangeliums unter Heiden und Juden ein großes Hindernis ist. Darum hat schon seit geraumer Zeit, ausgehend von den Kirchen in den Missionsländern, eine Bewegung zum Zusammenschluss eingesetzt. Sofern die Kinder Gottes sich im Interesse der Einheit des Zeugnisses Jesu zusammenschließen würden, indem sie unter Buße und Bekenntnis vor dem Herrn zurückgehen würden bis zu dem Punkt, wo dieser Weg angefangen hat, wäre dies sehr erfreulich, denn auch dem Herrn ist diese Zersplitterung ein großer Schmerz. Jetzt aber ergreift diese Zusammenschlussbewegung die ganzen Kirchen, die aus Gläubigen und Ungläubigen bestehen. Diese Bewegung umfasst nun fast den gesamten Weltprotestantismus, auch die modernistischen und sogar die freidenkenden Kreise, aber auch manche Irrtumskreise, wie z. B. die in England und Amerika zahlreichen Unitarier (Ein-Gott-Lehre), sowie die östlichen Kirchen und streckt auch Fühler aus zur Römischen Kirche und sogar zu den Juden. Sie hat bereits zu einem Weltkirchenbund mit einem 90köpfigen Weltkirchenrat und besonderer Verfassung geführt, dem heute 148 „Kirchen“ der ganzen Welt angehören. Rom und die russische Kirche halten sich allerdings fern, erstere, weil sie unabänderlich die Rückkehr der andern in ihren Schoß verlangt.
Bei einer so stark in Bezug auf Bekenntnis und Form auseinandergehenden Vereinigung, in der Gläubige und Ungläubige nebeneinander zu finden sind, ist ganz von selbst die Folge,
- dass man sich hauptsächlich mit den Problemen dieses Erdenlebens beschäftigt, und nur wenig mit den geistlichen, himmlischen Dingen. Man steckt sich zum Ziel, eine gewisse Geltung in der Welt zu erlangen.
- dass sich eine dogmatische Angleichung vollzieht, indem man sich entgegenkommt und gewisse Lehrpunkte aufgibt und dass vor allem die entschiedeneren Kreise die Wahrheit aufgeben müssen.
- dass damit Hand in Hand geht, dass die Getreuen, die nichts von der göttlichen Wahrheit aufgeben wollen, als Eigenbrötler von der großen Masse Feindschaft erfahren.
Wenn man aufmerksam in das Kirchenleben und dessen Schrifttum hineinsieht, muss man mit Erschrecken wahrnehmen, wie weit selbst die gläubigen Kreise von der göttlichen Wahrheit abgeglitten sind. Dies ist Laodizea in voller Form, äußerlich in Glanz und Blüte, innerlich ohne Halt und ohne Kraft.
„Und dem Engel der Versammlung in Laodizea schreibe: Dieses sagt der Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes“ (3,14).
Hier stellt sich der Herr als der vor, dem das maßgebende Schlusswort zukommt, der, wenn auch die Kirche als sein Zeugnis sich gewandelt hat und untreu geworden ist, derselbe Unwandelbare ist und bleibt, für den es nur die eine, von Ihm offenbarte Wahrheit gibt, nämlich die von dem Schöpfergott, dem von Anfang an bis ans Ende allein die Autorität des Urteils zukommt. Wenn auch die Menschen glauben, dass die Wahrheit gemäß der menschlichen Entwicklung sich fortwährend verändere, stellt der Herr fest, dass es nur eine Wahrheit gibt, nämlich diejenige, die Er selbst offenbart hat, die jederzeit vollständig und unwandelbar ist und auf der Er in jeder Lage beharrt.
„Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest!“ (3,15).
Was der Herr bei Laodizea findet, kann Ihm nur ein Gräuel sein, mehr als alles, was Er bisher gesehen hat, denn dieses Bekenntnis ist ein Gemisch, zwar betontes Christentum, aber kein echtes, das zwar viel von Gott und Christus und vielen biblischen Wahrheiten redet, aber eben gerade die Hauptsache, die einzig wahre Grundlage des Heils, Verlorenheit und Tod des alten Menschen am Kreuz und Neugeburt als neuer Mensch in Christus Jesus, verschleiert und verschweigt. Wohl ist die Kirche nicht direkt ungläubig, denn diese Richtung zieht sich meist ganz von der Kirche zurück, sondern sie hat vielmehr einen betonten christlichen Anstrich, umgeht aber das, was die Kraft des Christentums ist, das Kreuz. Sie ist lau, sie geht den sogenannten „goldenen Mittelweg“ – in Wahrheit ein Selbstbetrug!
„So, weil du lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Mund“ (3,16).
Dieses laue Gebilde, das sich so christlich darstellt, Christi Namen als Aushängeschild trägt und sich doch von Ihm abkehrt, ist kraftloses Salz, für den Herrn ein Gräuel. Er wird es, wenn seine Stunde kommt, ausspeien, d. h. verleugnen (Mt 25,11.12) und mit Verachtung wegwerfen. Dies wird geschehen, wenn Er kommen wird, um die Seinen zu sich ins Vaterhaus zu nehmen; bis dahin trägt Er Laodizea noch mit Geduld, um ihr womöglich noch zum Durchbruch zum wahren Leben zu verhelfen. Dann aber bleiben die Laodizeer als kraftloses Salz, als törichte Jungfrauen liegen, um vom Bösen zertreten zu werden. Dieses Urteil ist weit schwerer als das über Ephesus, wo der Herr droht, ihren Leuchter aus seiner Stelle zu rücken; es ist ein völliges und endgültiges Beiseitewerfen.
„Weil du sagst: Ich bin reich und bin reich geworden und bedarf nichts – und du weißt nicht, dass du der Elende und Jämmerliche und arm und blind und nackt bist –“ (3,17).
Das Kennzeichen der heutigen Namenchristenheit, Laodizeas, ist, dass sie sich rühmt, reich zu sein in den Gütern der Religion, das Ziel der Veredlung und Entwicklung des göttlichen Funkens im Menschen erreicht zu haben und eine maßgebende Macht in dieser Welt geworden zu sein. Darum meint sie, nichts weiter zu bedürfen, vor allem nicht die von ihr verabscheute sogenannte Bluttheorie, nämlich das Heil im Kreuzestod des Christus, noch die Buße. Man rühmt sich wohl des Glaubens an Christus und vieler biblischer Wahrheiten, die man aber geflissentlich praktisch leugnet.
Dennoch steht diese Laodizeakirche vor Gott völlig „arm und blind und nackt“ da. Mit täuschendem, vergänglichem Flitterzeug überkleidet, verschmäht sie das Blut, das allein Sünden abwaschen kann, sowie den wahren Reichtum und die Kleider der Gerechtigkeit, die nur der Herr selbst zu geben vermag. Darum wird Laodizea auch „jämmerlich“ genannt; sein Zustand ist elender als der, der in Bezug auf Gott Unwissenden. Völlig blind über seinen wahren Zustand ist Laodizea in furchtbarer Selbsttäuschung gefangen. Es besitzt trotz allem Anschein doch nichts von dem, was vor Gott gilt, und wird nackt vor Ihm erscheinen müssen, d. h. ohne von Sünden gewaschen zu sein. O, welche furchtbare Täuschung!
„Rate ich dir, Gold von mir zu kaufen, geläutert im Feuer, damit du reich wirst; und weiße Kleider, damit du bekleidet wirst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar wird; und Augensalbe, um deine Augen zu salben, damit du sehen kannst“ (3,18).
Darum, weil Laodizea gar nichts besitzt, das vor dem heiligen Gott Gültigkeit und Wert hat, worauf es doch ankommt, lädt der Herr es ein, drei wichtige Dinge zu kaufen, die von Ihm, dem Gekreuzigten und Auferstandenen allein zu erhalten sind. Er hat sie durch seinen Sühnungstod für uns Menschen erworben und erhältlich gemacht und bietet sie uns in Gnaden an.
- Gold, geläutert im Feuer. Gold ist bekanntlich in der Heiligen Schrift das Symbol der göttlichen Gerechtigkeit. Der alte Mensch ist in Christus am Kreuz richterlich hinweggetan, und in der Auferstehung mit Ihm sind wir jetzt neue, aus Gott geborene Menschen. Das Feuer ist das Symbol des Gerichts, das das Böse verzehrt, für den Gläubigen aber auch zugleich das Bild der Läuterung vom Bösen. Darum ist gerade die verpönte sogenannte Bluttheorie vom Kreuz der einzige Schlüssel zu den wahren, ewigen Reichtümern, zur Gerechtigkeit Gottes, mit der auch alle verheißenen himmlischen Reichtümer verbunden sind. Ohne das Kreuz ist alles dieses durchaus unerreichbar.
- Weiße Kleider, um wahrhaft bekleidet zu werden. Um vor dem heiligen Gott erscheinen zu können, müssen wir reine, weiße Kleider tragen. Das sind nach Offenbarung 19,8 die Gerechtigkeiten der Heiligen, Kleider, die von Gott geschenkt werden und vom Heiligen Geist gewirkt sind, womit man nach 2. Korinther 5,3 überkleidet werden wird, aber nur der, dessen Sünden durch das am Kreuz geflossene Blut abgewaschen sind. Alle, die das Heil in Christus nicht angenommen haben, werden vor dem Feuerauge Gottes als dem unerbittlichen Richter stehen müssen und der Verdammnis anheimfallen.
- Augensalbe. Sie dient zur Heilung der geistlichen Blindheit. Auch diese muss vom Herrn Jesus erbeten werden, denn sie kann nur vom Heiligen Geist mitgeteilt und angewandt werden. Welche große Blindheit, welcher verhängnisvolle Irrtum, mit selbstgemachtem Kleid, d.h. eigener Gerechtigkeit vor dem allwissenden, heiligen Gott erscheinen zu wollen! Ach, wie viel Selbsttäuschung herrscht unter den sogenannten Christen in Bezug auf ihre Seligkeit, ihre Annahme bei Gott und ihren wahren Zustand, indem sie, anstatt auf die Anweisungen Gottes zu hören, sich ihre eigenen Wünsche einreden. Wie schrecklich wird ihr Erwachen vor dem Thron des Richters sein!
„Ich überführe und züchtige, so viele ich liebe. Sei nun eifrig und tu Buße!“ (3,19).
Der Herr fährt fort, sich mit Laodizea, d. h. mit den einzelnen Seelen darin, solange noch Gnadenzeit währt, zu beschäftigen. Seine Liebe ist unermüdlich tätig, die Menschen zu sich zu ziehen, und nicht nur sie zu erretten, sondern sie seiner Herrlichkeit gemäß zu reinigen und vollkommen zu machen. Dazu gehört aber auch, dass sie von ihrem fehlerhaften Zustand überführt werden. Dies bedingt meist einen Weg der Züchtigung und der Verurteilung des eigenen Ichs. Darum ermahnt der Herr Laodizea, sich ernstlich zu prüfen und aufrichtig zu suchen, die Wahrheit über seinen verlorenen Zustand zu erfassen. Nur dann kann es das wahre Heil ergreifen.
„Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe an; wenn jemand meine Stimme hört und die Tür öffnet, zu dem werde ich hineingehen und das Abendbrot mit ihm essen, und er mit mir“ (3,20).
Weil die Laodizea-Religion zwar vom Herrn Jesus Christus spricht, aber nicht zu Ihm hinführt, kann Er seinen Platz nicht mehr in der Mitte Laodizeas einnehmen; Er steht draußen, außerhalb der Gemeinde. Da Laodizea diejenigen, die sich zu Ihm halten und die Er liebt, verwirft, fühlt Er sich mit ihnen verworfen. Aber Er klopft nun von außen her an, dass man Ihn einlassen möge, freilich geht es nicht mehr um die ganze Kirche, die ja kein Ohr mehr für Ihn hat, sondern Er appelliert an einzelne Herzen, Ihm aufzutun, damit auch sie noch seiner Gemeinschaft und Segnungen teilhaftig werden möchten, solange die Zeit der Gnade währt. Damit bestätigt der Herr auch hier, was Petrus in seinem zweiten Brief schreibt, dass Er langmütig mit dem Gericht wartet, weil Er nicht will, dass jemand verloren geht.
„Wer überwindet, dem werde ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden und mich mit meinem Vater gesetzt habe auf seinen Thron“ (3,21).
Es ist wichtig, sich darüber klar zu sein, dass man, um die verheißenen Segnungen des Herrn genießen zu können, Hindernisse überwinden muss, die uns das irdische Leben inmitten einer bösen Welt unfehlbar bereitet. Hier sind es Lauheit, Trägheit und Gleichgültigkeit in Bezug auf geistliche Güter, die wir zu überwinden haben. Der Herr zeigt aber auch die Belohnung, das Anrecht des Siegers; denn auch Christus ist nach vollbrachtem Werk am Kreuz auferstanden und zur Rechten Gottes auf dessen Thron erhöht worden. Es kann also nur der seinen Platz im Himmel erreichen, der seine Natur überwindet und sich zur wahren, völligen Neugeburt durchringt. Diese Verheißung ist jedoch lange nicht das, was Philadelphia verheißen wird. Es ist nicht dieses intime Gemeinschaftsverhältnis, das sie in die engste Nähe des Herrn, in seinen herrlichen Tempel bringt und ihnen jene drei herrlichen Namen gibt, die der Ausdruck seiner innigsten Liebe für sie sind. Was den Überwindern in Laodizea verheißen wird, ist, dem Charakter dieses Sendschreibens gemäß, mehr nur das äußere Verhältnis zu Ihm, das des Mitherrschens, aber nicht so sehr das innere Verhältnis zu Ihm.
„Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt!“ (3,22).
Mit diesen Worten schließt auch dieses Sendschreiben und damit die gesamte Eröffnung über die innere Geschichte der christlichen Kirche, denn mit der Entrückung der Seinen und dem Ausspeien der christuslosen Christenheit ist die ganze Ära der Gnade abgeschlossen, um wiederum dem Zeugnis Israels Platz zu machen. Die wahre Kirche aber wird von nun an im Himmel gesehen, im Bild der 24 Ältesten, als Könige, Priester und Sänger und als Teilhaber an der Erfüllung der noch offenstehenden göttlichen Ratschlüsse, die das irdische Bundesvolk Israel betreffen, das der Herr nun sammeln, läutern und dann in die Segnungen des 1000-jährigen Reiches einführen wird.