Der erste Brief an Timotheus
Kapitel 4
Dieses Kapitel beginnt mit einer Weissagung. Die Gemeinde des lebendigen Gottes ist der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit. Sie soll in dieser Welt die Wahrheit aufrechterhalten und darstellen. Doch es werden in den letzten Tagen etliche vom Glauben abfallen und sich betrügerischen Geistern und Lehren von Dämonen hingeben. Das wird durch den Geist Gottes ausdrücklich vorhergesagt. Und damit die Gemeinde vor diesen verführerischen Geistern auf der Hut wäre, schreibt der Apostel darüber an Timotheus und zeigt ihm, worin der Irrtum dieser Abtrünnigen besteht (Verse 1–5).
Diese waren von dem Glauben abgefallen, dessen Hauptinhalt Paulus im letzten Vers des vorherigen Kapitels angegeben hat, da sie die Rechte Gottes, ihres Schöpfers und Erhalters, verachten und aufzuheben suchen. Der christliche Glaube lehrt, dass der ewige Gott, der die Welt geschaffen hat, sich in Christus offenbart hat. Christus ist Gott, offenbart im Fleisch. Wer nun Christus bekennt, aber die Rechte Gottes verachtet, der lässt sich durch den Teufel verführen und stellt sich in Wirklichkeit gegen Gott und demzufolge gegen Christus.
Gott hat bei der Schöpfung die Ehe eingesetzt. Er hat gesagt: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“. Diese Menschen nun „verbieten zu heiraten“ und stellen sich deshalb gegen die Einrichtung Gottes und berauben Ihn dadurch Seiner Rechte.
Gott hat nach der Sintflut die Tiere des Feldes dem Menschen als Speise gegeben. Diese Leute „gebieten, sich von Speisen zu enthalten, welche Gott geschaffen hat zur Annehmung mit Danksagung“, und stellen sich deshalb auch hierin gegen Gottes Anordnungen. Wer sich aber Gottes Verordnungen und Einrichtungen widersetzt, stellt sich bewusst gegen Ihn.
Das ist zwar keineswegs die Absicht dieser Menschen. Im Gegenteil, sie bilden sich sogar ein, das Christentum zu heben und die Gottseligkeit durch ihre Verbote zu erhöhen; sie behaupten, einen höheren Grad von Heiligkeit zu erreichen und zu besitzen und meinen, dadurch in engere Gemeinschaft mit Gott zu kommen; doch sie täuschen sich gewaltig. Wie fromm sie auch scheinen, wie heilig sie sich auch einschätzen, sie sind im Aufruhr gegen Gott, verachten Seine Gebote und ignorieren Seine Macht. Der Teufel, dessen Ziel es stets ist, uns von Gott abzubringen, hat sie verführt und zu diesen verkehrten Lehren gebracht. Das wäre ihm nicht gelungen, wenn sie in Gemeinschaft mit Gott gelebt hätten, denn wer mit Gott wandelt, wird von Ihm bewahrt – sowohl vor der Sünde als auch vor dem Irrtum. Aber sie hatten schon vorher „ihre Gewissen wie mit einem Brenneisen gehärtet“, und konnten darum leicht eine Beute Satans werden.
Es ist klar, dass durch diese Worte des Apostels alle Mönchsorden und Klostergelübde, wie auch der ledige Stand der Priester verurteilt werden. Doch vom gleichen Urteil werden auch alle andern Versuche, durch die Enthaltung von Speisen und das Unverheiratetsein sich ein höheres Maß von Heiligkeit zu erwerben, vernichtend getroffen. Dadurch wird die wesentliche, praktische Heiligkeit, die eine Folge der Gemeinschaft mit Gott und des Haltens Seiner Gebote ist, preisgegeben, um einer vorgeschützten Heiligkeit Platz zu machen, die das, was Gott von Anfang an verordnet hat, leugnet.
Über das Verbot des Heiratens spricht der Apostel nicht lange, weil dieses klar und deutlich gegen Gottes Gebote verstößt, wohl aber spricht er über das sich Enthalten von Speisen, da dies noch eher eine Berechtigung zu haben scheint und einem Zweifel unterworfen sein könnte. Wenn man auch bereitwillig zugäbe, dass alle Speisen für die Gläubigen und für die, welche die Wahrheit kennen, von Gott geschaffen sind, damit sie mit Danksagung genossen werden, so könnte man doch einwenden, dass nach dem Fall des Menschen darin eine große Veränderung eingetreten ist, weil durch die Sünde alle Dinge auf der Erde unter den Fluch gekommen sind. Darum fügt Paulus hinzu: „Denn jedes Geschöpf Gottes ist gut und nichts verwerflich, wenn es mit Danksagung genommen wird: Denn es wird geheiligt durch Gottes Wort und durch Gebet“ (Verse 4, 5). Durch das Wort, das Gott offenbart, und durch das Gebet, das uns mit Gott in Beziehung bringt, nehmen wir alle Dinge als Gottes gute Gaben an und genießen sie mit Danksagung für die Güte des großen Schöpfers. Welch schöne und erhabene Darstellung! Lasst uns deshalb die Ermahnung des Apostels Paulus in
Das Nutzlose einer solchen gesetzlichen Enthaltung, wie sie durch diese Menschen vertreten wurde, wird in den folgenden Versen vom Apostel dargelegt. Auf Gottseligkeit kommt es an. Was diese Menschen wollen, ist aber keine Gottseligkeit; es sind „ungöttliche und altweibische Fabeln“ es ist eine bloß „leibliche Übung, die zu wenig nütze ist, die Gottseligkeit aber ist zu allen Dingen nütze, indem sie die Verheißung des Lebens hat, des jetzigen und des zukünftigen“ (Vers 8). Die Gottseligkeit, das Seligsein in Gott, das Leben in der Gemeinschaft mit Gott, ist zu allem nütze, da dies alle Dinge ins wahre Licht stellt und uns befähigt, nach Gottes Willen und Gedanken zu handeln und zu denken und uns einen reichlichen Eingang verschafft in das ewige Königreich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus.
Für die Verbreitung dieser göttlichen Lehre, die gewiss und aller Annahme wert ist, arbeitete Paulus und wurde geschmäht, weil er, indem er von allen menschlichen Systemen und aller fleischlichen Scheinfrömmigkeit Abstand nahm, „auf den lebendigen Gott hoffte, der ein Erhalter aller Menschen ist, besonders der Gläubigen“ (Verse 9, 10).
Diese letzten Worte kennzeichnen aufs Neue den Charakter dieser Briefe. Gott ist ein Heiland-Gott, der will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. So lasen wir im zweiten Kapitel. Und hier sagt Paulus, dass er auf den lebendigen Gott hoffe, der sich wohl auf besondere Weise mit den Gläubigen beschäftigt, da diese in sehr enger Beziehung zu Ihm stehen. Zugleich ist Er ein „Erhalter aller Menschen“. Er lässt Seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und sendet allen ihre Speise zu Seiner Zeit. Gottes Liebe als Heiland und Gottes Güte als Schöpfer erstrecken sich zu allen.
Diese Dinge nun sollte Timotheus auf den Leuchter stellen und lehren. Doch dabei war es nötig, dass er in erster Linie Acht gab auf sich selber. Es bestand nämlich die große Gefahr, dass sein Wort keinen Eingang finden würde. Timotheus war noch jung; er konnte deshalb durch sein Alter keine Macht ausüben und keine Ehrfurcht beanspruchen; man konnte leicht wegen seines geringen Alters verächtlich über ihn die Achsel zucken. Darum sagt Paulus: „Niemand verachte deine Jugend, sondern sei ein Vorbild der Gläubigen im Wort, im Wandel, in Liebe, im Glauben, in Keuschheit“ (Verse 11. 12). Wenn Timotheus sich durch einen keuschen und gottseligen Wandel als ein Vorbild der Gläubigen erzeigte, dann würde er dadurch verhindern, dass ihn jemand wegen seiner Jugend verachtete; man würde vergessen, dass er noch ein junger Mensch war und sich gern von ihm unterweisen und ermahnen lassen. Auch in
„Halte an mit dem Vorlesen, mit dem Ermahnen, mit dem Lehren, bis ich komme“ (Vers 13). Da es damals noch keine gedruckten Bücher gab und die Heilige Schrift sich nur in den Händen von wenigen befand, war das Vorlesen eine wichtige Sache. „Vernachlässige nicht die Gnadengabe in dir, welche dir gegeben worden ist durch Weissagung mit Hände-Auflegen der Ältestenschaft“ (Vers 14). Dem Timotheus war eine Gnadengabe geschenkt worden. Gott hatte ihn durch die Propheten dazu bestimmt; und dies war begleitet von einer Anerkennung seitens der Menschen; denn sämtliche Ältesten hatten ihm bei dieser Gelegenheit die Hände aufgelegt. Paulus erinnert den Timotheus daran, damit er sich dadurch gestärkt fühlen sollte, um den Platz in der Versammlung einzunehmen, der ihm während der Abwesenheit des Apostels angewiesen war. Von Gott eigens zu diesem Werk berufen, hatte er zugleich das beifällige Zeugnis aller bekommen, die in der Versammlung im Ansehen waren. So gestärkt und ermutigt, konnte er sich dem Dienst des Herrn widmen, damit seine Gnadengabe allen zugute käme. Dabei sollte er vor allem auf zwei Dinge Acht geben: auf sich selber und auf die Lehre. „Habe acht auf dich selbst und auf die Lehre; beharre in diesen Dingen, denn wenn du dieses tust, so wirst du sowohl dich selbst erretten als auch die, welche dich hören“ (Vers 16). Diese zwei Dinge gehören zusammen; sie sind eng miteinander verbunden; das eine ohne das andere wird Verwirrung, aber keine Stärkung und Förderung des Glaubens zur Folge haben. Wer bloß auf sich selber Acht gibt, ohne auf die Lehre Acht zu geben, und sich also ausschließlich auf persönliche Heiligkeit verlegt, der wird ganz leicht zu verkehrten Ansichten kommen und dadurch zum Schaden für die Gemeinde sein. Unter dem schönen Gewand von persönlicher Heiligkeit und eines gottseligen Wandels werden dann leicht allerlei fremde Lehren eingeführt, und so wird die Wahrheit untergraben. Und wer nur auf die Lehre Acht gibt, ohne auf sich selber Acht zu geben, verliert nach und nach die Gemeinschaft mit Gott und wird schließlich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Wo beide Dinge vereinigt sind, wo sowohl ein gottseliger Wandel geführt wie auch auf die Sauberkeit in der Lehre geachtet wird, da wird man das Mittel sein „sowohl zur Errettung von sich selber als auch von denen, die uns hören“.