Eintracht oder Zwietracht
Eine Herausforderung für das Volk Gottes

Richter 19: Sünde führt häufig zu vermehrter Sünde

Eintracht oder Zwietracht

Das Volk ohne König und Autorität (19,1)

„Und es geschah in jenen Tagen, als kein König in Israel war, dass sich ein levitischer Mann an der äußersten Seite des Gebirges Ephraim aufhielt; und er nahm sich eine Frau, eine Nebenfrau, aus Bethlehem-Juda“ (19,1).

Diese drei Kapitel werden von einer Aussage eingerahmt, die lautet: „Und es geschah in jenen Tagen, als kein König in Israel war...“ Bereits in 5. Mose 17,14 hatte Gott Mose deutlich gemacht, dass das Volk, wenn es im Land Kanaan sein würde, einen König begehren würde. Zur Zeit der Richter war es jedoch noch nicht so weit. Nun mag man dies als gutes Zeichen ansehen, vor allem, wenn man bedenkt, in welcher Weise Samuel später auf das Begehren des Volkes in 1. Samuel 8 reagieren würde. Dieser Eindruck stimmt allerdings nur auf den ersten Blick optimistisch. Denn anstatt sich in allem durch Gott führen und richten zu lassen, tat das Volk das, was ihm selbst gefiel.

Nicht der Herr war in der Praxis des Volkes Israel der König, sondern das eigene Herz. Aus diesem Grund finden wir am Ende dieser Geschichte und des gesamten Buches auch die Ergänzung: „Jeder tat, was recht war in seinen Augen“ (Ri 21,25). Diese Aussage rahmt die letzten fünf Kapitel des Richterbuches ein (17,6; 21,25), die chronologisch am Anfang dieses Bibelbuches stehen. Somit stellt dieser Vers eine Überschrift über die gesamte Richterzeit dar.

Es handelt sich zudem um ein Kennzeichen des ganzen Volkes. Es galt einerseits für jeden einzelnen der Israeliten, indem man sich nicht nach dem Gesetz des Herrn richtete, sondern den eigenen fleischlichen und götzendienerischen Ideen folgte, wie man vor allem auch in den beiden vorangehenden Kapiteln sehen kann. Andererseits galt dieser Ausspruch auch für das Volk als Ganzes, denn es versagte mehrfach darin, Gott zu befragen. Stattdessen tat es, was es selbst für richtig hielt.

Nun mag man fragen, warum der Schlusssatz des gesamten Buches, dass jeder tat, was er wollte, nicht auch in Verbindung mit dem ersten Vers des Kapitels zitiert wird. Die Antwort mag darin bestehen, dass genau die jetzt folgenden drei Kapitel die ausführliche Beschreibung dessen sind, was in diesem traurigen Satz zusammengefasst wird: Ein jeder tut, was recht ist in seinen Augen.

Auch wir Christen stehen heute in Gefahr, diesen Maximen der Selbstverwirklichung und -orientierung sowie der alleinigen Selbstbestimmung zu folgen. Nur das persönliche und gemeinsame Gebet, das Lesen und Befolgen des Wortes Gottes und das ständige Fragen nach der Leitung des Heiligen Geistes, sowohl im persönlichen als auch im gemeinsamen Leben, können uns vor solchem Versagen und Niedergang bewahren.

Laxheit kann Gott nicht gutheißen

Die Geschichte des Leviten und seiner Nebenfrau zeigt uns, wie lax man in Israel mit den Geboten des Herrn umging. Jeder tat eben, was recht in seinen eigenen Augen war. Würde man das nicht irgendwie in Übereinstimmung mit den Gedanken des Herrn bringen können? Wenn auch die bevorzugte Klasse der Leviten, die eigentlich ein Vorbild sein sollte, auf eine solche Art und Weise mit den Anweisungen des Herrn umging, dann mochte das „einfache“ Volk sich an diesem Beispiel orientieren. Mehr als einmal lesen wir, dass die Leviten dem Herrn gehörten (z.B. 4. Mo 3,12). Gott hatte sie anstelle des Erstgeborenen in Israel genommen und ausgewählt (4. Mo 3,41), so dass sie Vorbilder für den Rest des Volkes hätten sein sollen. Stattdessen sehen wir jedoch ihr Versagen in geistlichen (Ri 17 u. 18) und moralischen Fragen (Ri 19–21).

Wie leicht orientiert man sich auch heute an den „Laxheiten“ derjenigen, die als Vorbilder versagen, anstatt sich allein nach dem Wort Gottes zu richten!

Es ist erstaunlich, dass ein Levit, der besondere Aufgaben für den Herrn erfüllen durfte und dessen Vorväter durch wahre Absonderung ausgezeichnet waren (2. Mo 32), sich eine Nebenfrau nimmt, offenbar neben seiner „eigentlichen“ Frau, die ihm anscheinend nicht ausreichte. Vielweiberei war von Anfang an zum Schaden (Mt 19,4.5), und es gibt kein Beispiel in der Schrift, das diesen Zustand nicht mit Nöten verbindet. Hier wird diese falsche Beziehung zum Anlass – nicht zur Ursache – für einen Bürgerkrieg in Israel.

Jeder Gläubige ist in der geistlichen Übertragung des Levitendienstes Diener des Herrn. Satan kann alles, was bei uns nicht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Wortes Gottes ist, zum Anlass nehmen, Zwiespalt unter die Geschwister zu bringen, oder zumindest uns von der alleinigen Nachfolge des Herrn abzubringen. Dazu gehören ebenfalls nicht geordnete Familienverhältnisse, vor allem auch nicht gelöste und nicht bereinigte Schwierigkeiten in der Ehe von Gläubigen. Ausdrücklich heißt es übrigens für einen Ältesten in Titus 1,6: „Der Mann einer Frau“.

In Hebräer 13,4 heißt es zudem: „Die Ehe sei geehrt in allem.“ Daraus erkennen wir deutlich, dass ein Zusammenleben außerhalb des Bandes der Ehe von Gott abgelehnt wird. In alttestamentlichen Zeiten hat Er das bei seinen Knechten zum Teil ertragen, auch wenn Er es an keiner Stelle guthieß. Im Neuen Testament verurteilt Gott die Vielehe jedoch als Ehebruch.

Darüber hinaus fragt man sich bei dieser Begebenheit, warum sich der Levit „an der äußersten Seite des Gebirges Ephraim aufhielt“. Hatte er dort vielleicht gar nicht seinen eigentlichen Wohnsitz? Wir lesen nichts davon, dass er dort regelrecht „wohnte“. Möglicherweise ist das eine Erklärung dafür, dass wir nie von seiner eigentlichen Frau lesen.

Gott hasst Hurerei (19,2)

„Und seine Nebenfrau hurte neben ihm; und sie ging von ihm weg in das Haus ihres Vaters nach Bethlehem-Juda und war dort eine Zeit lang, vier Monate“ (19,2).

Die Nebenfrau beging Ehebruch und Unzucht. Das stand in unmittelbarem Widerspruch zum Gesetz Gottes (z.B. 5. Mo 22,22). Daher konnte auf einer solchen Handlung kein Segen ruhen, nein, sie verlangte die Todesstrafe. In diesem Fall war es sogar so, dass diese Frau später genau durch die Sünde umkam, die sie hier selbst begangen hat, indem andere mit ihr Hurerei trieben und sie misshandelten. Sie musste letztlich somit die Früchte ihrer eigenen Sünde auf eine schreckliche Art und Weise kosten.

Es ist in der Gnadenzeit selten so, dass Gott uns eine derart sichtbare und scharfe Antwort auf unser Fehlverhalten gibt. Dennoch sollten wir uns immer bewusst sein, dass Gott uns Gläubige sieht und in seinem regierenden Handeln, selbst wenn es indirekter Natur ist, richtet und läutert. Natürlich hat Gott dem Glaubenden auch eine nach der Bekehrung begangene Sünde grundsätzlich (de jure) bereits vergeben – wiewohl das niemals die Freiheit zum sündigen eröffnet. Wenn der Gläubige dann seine Sünde bekennt, wird sie auch in Bezug auf diese Erde tatsächlich (de facto) vergeben und der Genuss der Gemeinschaft ist wiederhergestellt (1. Joh 1,9; 2,1.2).

Teilweise muss aber auch der Gläubige an den Folgen der Sünde länger tragen; denken wir beispielsweise an eine nicht im Herrn geschlossene Ehe, etc. Vergebung bedeutet eben nicht, dass alle Konsequenzen einer Sünde beseitigt sind. Auch für den Gläubigen gilt nach wie vor, dass der Mensch erntet, was er gesät hat (Gal 6,7).

Mit Erstaunen stellt man fest, dass diese Frau nun zu ihrem Vater zurückkehrt. Hatte sie Angst vor ihrem Mann? War sie von ihm enttäuscht? Offenbar war sie durch ihr eigenes Fehlverhalten oder auch durch ihre Enttäuschung über den Leviten nicht mehr bereit, zu ihm zurückzukehren. Um so mehr fällt auf, dass wir in dieser Begebenheit nichts davon lesen, dass sie von ihrem Mann zur Rede gestellt wird bzw. dass er sie dem Gericht des Herrn übergibt. Auch von einem Bekenntnis ist nichts zu lesen.

Die Frau bleibt 4 Monate in dem Haus ihres Vaters. Das ist vielleicht ein Hinweis darauf, dass Gott ihr in seiner unumschränkten Gnade die Möglichkeit zur Buße über ihr Tun geben wollte, bevor sie tatsächlich vom Gericht ereilt würde. Gott lässt sich nie ungestraft spotten! Ohne Buße wird Er sein Gericht zu seiner Zeit ausführen, wenn der Mensch darin versagt, im Selbstgericht Buße zu tun.

Der Herr sucht Herz und Gewissen (19,3)

„Und ihr Mann machte sich auf und ging ihr nach, um zu ihrem Herzen zu reden, um sie zurückzubringen; und sein Knabe war bei ihm und ein Paar Esel. Und sie führte ihn in das Haus ihres Vaters; und als der Vater der jungen Frau ihn sah, kam er ihm freudig entgegen“ (19,3).

Wir wissen nicht, warum der Levit so sehr an dieser Frau hängt, die ihn hintergangen hat. Relativ schnell läuft er hinter ihr her, um sie erneut in sein Haus zu bringen. Von seiner „eigentlichen“ Frau lesen wir jedenfalls überhaupt nichts. Offenbar war er stärker durch seine Gefühle als durch das Beobachten des Gesetzes bestimmt. Unser Herr wünscht, dass wir uns in allem, auch in unseren Gefühlen, durch sein Wort leiten lassen.

Der Levit redete zum Herzen seiner Nebenfrau. Besser wäre gewesen, zu ihrem Gewissen zu reden, um sie zur Umkehr und Buße über ihre Sünden zu bringen. Während das Herz im Allgemeinen stärker von den Gefühlen und Zuneigungen zu sprechen scheint (Spr 3,5; 4,23; 23,26), ist das Gewissen der Sitz der Erkenntnis des Guten und Bösen (1. Mo 3,5.7; Apg 24,16). Wir dürfen aus diesem Unterschied zwischen dem Herzen und dem Gewissen für uns lernen.

Wie leicht wollen wir das vergessen machen, was zuerst bereinigt werden müsste – in unserem eigenen Herzen oder in dem von Personen, die der Herr uns in unseren Familien anvertraut oder in der Versammlung Gottes zur Seite gestellt hat. Nicht wirklich bereinigte Sünden in diesen Privatsphären führen sehr leicht zu negativen Folgen auch unter Geschwistern. Bedauerlicherweise gibt es davon manche Beispiele.

Gemeinschaft mit Sünde oder Sündern verunreinigt

Zugleich stellt sich bei dieser Geschichte die Frage, ob sich der Levit nicht dadurch, dass er in dem Haus dieser Frau einkehrt, die sich durch Unzucht befleckt hatte, ebenfalls verunreinigte. Wie leicht übersehen wir, dass Kontakt mit dem Bösen verunreinigt, vor allem dann, wenn wir es uns, wie dieser Mann, dabei auch noch bequem machen. Diese Bequemlichkeit kann sehr schnell, wie wir aus der Geschichte Davids lernen, zu einem Fallstrick werden. Sie wird häufig dadurch ausgelöst, dass wir uns zu einer falschen Zeit am falschen Platz aufhalten.

So auch dieser Levit. Er gehört eigentlich zu denen, die neben den Priestern, die auch Leviten waren, in der unmittelbaren Nähe Gottes dienten. Dennoch lesen wir an dieser Stelle, eigentlich in der ganzen Geschichte des Leviten, kein Wort davon, dass er Gott befragt hätte, welchen Weg er gehen soll. Auch daraus lernen wir, dass wir nicht nur zu Gott kommen dürfen, sondern dass Er es von uns erwartet und erwarten kann, dass wir vor jedem Schritt nach seinem Willen fragen.

Man kann sich gut vorstellen, dass der Vater der Nebenfrau froh war, dass ihr Mann wieder kam, um sie zurückzuholen. So wurde die Ehre seiner Tochter wiederhergestellt, und auch er als Vater, der vielleicht durch die Hurerei seiner Tochter in einen schlechten Ruf geriet, konnte aufatmen.

So ist es häufig in dieser Welt. Solange die Gläubigen bestimmten Interessen der Weltmenschen nützlich sind, nimmt man sie gern ins Haus auf. In gewisser Hinsicht kann man sich eben mit Gläubigen schmücken. Das heißt jedoch nicht, dass nicht bei der nächstbesten Gelegenheit die Feindschaft der Welt wieder deutlich wird. Ein Gläubiger lebt nur dann sicher, wenn er sich von der Welt trennt – allerdings muss er dann Ablehnung und Verachtung in Kauf nehmen.

Salz der Erde

Diese Verse erinnern uns an Matthäus 5,13: „Ihr seid das Salz der Erde; wenn aber das Salz kraftlos geworden ist, womit soll es gesalzen werden? Es taugt zu nichts mehr, als hinausgeworfen und von den Menschen zertreten zu werden.“ Dieser Levit glich dem kraftlosen Salz. Er war ohne Kraft, das Böse innerlich und äußerlich zu verurteilen. Vielmehr machte er sich – mindestens äußerlich – eins mit denjenigen, die Sünde auf sich geladen hatten. Dadurch war er in dieser Hinsicht zu nichts anderem tauglich, als „hinausgeworfen zu werden“. Um so auffallender ist es, dass gerade dieser Mann in Kapitel 20 der Zeuge wird, auf den sich das ganze Volk verlässt und der damit den Bürgerkrieg in Israel zumindest mittelbar auslöst.

Wir lernen aus diesem Punkt, dass wir nur dadurch, dass wir uns als für den Herrn Abgesonderte verhalten, wahrhaftig Salz der Erde sein können. Nicht die Mentalität von „Schwamm drüber!“ sondern das Bewusstsein, dass Gott heilig und gerecht ist, lässt uns wahre Zeugen sein. Zudem warnt uns der Geist Gottes davor, aufgrund menschlicher Neigungen Männer zu vertrauenswürdigen Zeugen zu machen, die in ihrer Lebenspraxis durch Weltförmigkeit und Unheiligkeit auffallen, anstatt auch an dieser Stelle biblische Maßstäbe anzuwenden.

Eine andere Seite ist, dass in dem Verhalten des Vaters dieser Nebenfrau jedes Anzeichen eines gebeugten Geistes fehlt. Hätte er nicht allen Grund gehabt, sich für seine Tochter zu schämen? Das jedoch scheint ihm gar nicht in den Sinn zu kommen. Vielmehr überspielt er alle solche Empfindungen.

Wie leicht stehen auch wir als Eltern in der Gefahr, unsere Kinder zu decken bzw. jeden Anlass zu suchen, die eigenen Nöte zu überspielen – anstatt uns zu demütigen und zu beugen, da es doch wieder „einigermaßen gut“ gegangen ist, jedenfalls besser, als wir gedacht hätten.

Man wird beim Lesen des Endes des dritten Verses unwillkürlich an das Gleichnis des sogenannten verlorenen Sohnes (Lk 15) erinnert. Aber welch ein Unterschied zwischen diesen beiden Vätern. Derjenige in Lukas 15 steht in seiner ganzen moralischen Würde vor uns, in der er auf seinen Sohn zugeht, nachdem in dessen Gesicht bereits Zeichen der Buße zu lesen sind. Jener in Richter 19 dagegen scheint nur von fleischlichen Beweggründen beseelt zu sein, um sich und seine Familie ins rechte Licht zu rücken.

Wahre Freude ist nüchtern (19,4–8)

„Und sein Schwiegervater, der Vater der jungen Frau, hielt ihn zurück, und er blieb drei Tage bei ihm; und sie aßen und tranken und übernachteten dort. Und es geschah am vierten Tag, da machten sie sich frühmorgens auf, und er erhob sich, um fortzugehen. Da sprach der Vater der jungen Frau zu seinem Schwiegersohn: Stärke dein Herz mit einem Bissen Brot, und danach mögt ihr ziehen. Und sie setzten sich und aßen und tranken beide miteinander. Und der Vater der jungen Frau sprach zu dem Mann: Lass es dir doch gefallen und bleib über Nacht und lass dein Herz fröhlich sein! Und als der Mann sich erhob, um fortzugehen, da drang sein Schwiegervater in ihn, und er übernachtete wieder dort. Und am fünften Tag machte er sich frühmorgens auf, um fortzugehen; da sprach der Vater der jungen Frau: Stärke doch dein Herz und bleibt, bis der Tag sich neigt! Und so aßen sie beide miteinander“ (19,4–8).

Es hat den Anschein, als ob im Haus des „Schwiegervaters“ des Leviten eine regelrechte Schwelgerei stattfand. Das mag oberflächlich betrachtet eine Art von Freude sein. In Wirklichkeit handelt es sich bei einem Gelage aber um eine ausgelassene, überschäumende Art von Fröhlichkeit und Lustigkeit, die aus dem Fleisch und nicht aus dem Geist kommt (Gal 5,19). Auch andere Gelage der Schrift, denken wir nur an Belsazar (Dan 5), Herodes (Mt 14) oder Ahasveros (Est 1), hatten üble Folgen. Hier in Richter 19 werden diese noch nicht unmittelbar sichtbar, aber sie würden kommen.

Als Gläubige dürfen wir uns freuen, auch mit unseren Mitgeschwistern; wenn wir nicht, wer denn dann? Doch gilt für den Christen, dass er immer Herr seiner Sinne und besonnen (Tit 2) bleiben muss.

Das Wort Gelage findet man – und damit den Gedanken aus Richter 19 – in Galater 5 wieder. Dort wird „Gelage und dergleichen“ in Verbindung mit „Hurerei, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaft“ etc. aufgeführt. Dadurch erhält man einen gewissen Eindruck, welches Urteil Gott über diese Dinge hat.

Wir sahen schon, dass der Levit einen äußerst schwachen Willen hat, denn sein Schwiegervater hat keine Mühe, ihn mehrmals von seinen Plänen der Abreise abzubringen. Gott hat kein Gefallen an dem Eigenwillen des Menschen. Dennoch sollte ein Christ grundsätzlich „mannhaft“ sein, und nicht willenlos (Spr 7). Das dürfen wir auch den Worten des Apostels Paulus entnehmen, der in 1. Korinther 16,13 den Korinthern zuruft: „Wacht, steht fest im Glauben; seid mannhaft, seid stark!

Zugleich sticht der Vergleich dieses Mannes mit dem Knecht Abrahams ins Auge. Dieser wollte nicht bleiben, nachdem Rebekka zur Hochzeit mit Isaak eingewilligt hatte, sondern umgehend aufbrechen, um seinem Herrn die Braut zuzuführen und entsprechend den Aufträgen Abrahams zu handeln. Dieser Levit dagegen hatte offenbar keine Aufgaben und konnte sich so bereitwillig längere Zeit „arbeitslos“ im Haus seines „Schwiegervaters“ aufhalten.

Gläubige dürfen durch Dienst gekennzeichnet sein

Wenn Gott Gläubigen eine Überzeugung schenkt, dann erwartet Er, dass sie dieser entsprechend handeln. In dieser Hinsicht ist der Unterschied zwischen dem Leviten und seinen Vorfahren, die sich angesichts der Verehrung des goldenen Kalbes sofort auf die Seite Moses stellten, sehr auffallend (2. Mo 32,26). Jene hatten damals eine entschiedene Haltung eingenommen, als es um die Ehre des Herrn ging. Sie zögerten nicht, sondern wählten entschieden die Seite des Herrn – und wurden so fähig, hervorragende Dienste für Gott und das Volk auszuführen.

Ihre eigentliche Aufgabe war es zu dienen. Dieser Levit jedoch fällt dadurch auf, dass er sich bedienen lässt. Wer als Diener eine solche Haltung einnimmt, kann sicher sein, dass Verfall und Sünde vor der Tür lagern. Das sehen wir in extremem Ausmaß bei Gehasi, dem Diener Elisas, aber auch zuweilen bei treuen Dienern wie David und Gideon.

Man hat fast den Eindruck, als wäre der Schwiegervater darauf bedacht, den Leviten länger in seinem Haus zu behalten, damit allen sichtbar würde, dass sich seine Tochter wieder auf guten Wegen befindet.

Ein in den Wegen des Herrn geübter Gläubiger sollte diese egoistischen und weltlichen Interessen erkennen, die hier der Schwiegervater offenbart, und daraus seine Konsequenzen ziehen. Ein weltlicher Gläubiger jedoch ist so im Garn Satans verfangen, dass er nicht mehr merkt, wie dieser mit ihm spielt. Schlimm ist auch, dass ein solcher Gläubiger häufig in dem Moment, in dem er bei einem anderen Böses entdeckt, um so schärfer reagiert und jenen verurteilt (vgl. 1. Mo 38,24; Ri 20,8...). Möglicherweise erkennt er unbewusst die eigenen Fehler und versucht, diese durch eine scheinbar entschiedene, geistliche Reaktion zu überspielen.

Der Mensch – der Gläubige – ist verantwortlich

Fünf Tage verbrachte der Levit somit im Haus seines Schwiegervaters. Das wird uns ausdrücklich mitgeteilt. Ich glaube, der Geist Gottes will uns hier auch eine moralische Belehrung geben. Die Zahl „fünf“ hat mit der menschlichen Verantwortung zu tun. Der Mensch hat Hände und Füße, die jeweils fünf Finger bzw. Zehen haben. In Markus 6,40 lässt der Herr Jesus die Volksmenge auch in Gruppen von je 50 (und 100) Personen lagern.

So, wie wir mit unseren Händen vor unserem Schöpfer Gott verantwortlich sind, das zu tun, was seinem Willen entspricht, sind wir mit unseren Füßen verantwortlich, die Wege zu beschreiten, die Er will. Genauso offenbarte der Herr Jesus seine Schöpfermacht, indem Er die Brote und Fische vervielfältigte und die Menschen unter Verantwortung stellte, Ihn als Schöpfer und Herrn anzuerkennen. In ähnlicher Weise prüfte Gott auch diesen Leviten in seiner Verantwortung vor dem Schöpfer-Gott, der ihm eigentlich nur eine Frau gegeben hatte, und in Bezug auf sein Verhalten zu seiner falschen Verbindung mit dieser Frau. Aber der Levit versagte – wie auch wir so oft – und hat damit die Folgen dieses Versagens auf sich und sogar auf das ganze Volk geladen.

Es ist auch erstaunlich, dass es in diesen Versen um den Schwiegervater und seinen Schwiegersohn, nicht aber um den Leviten und seine Frau geht. Soll uns, bevor das große Übel in Gibea passiert, ein Gemälde von diesem Leviten gemalt werden, um uns seine Gesinnung deutlich vor die Herzen zu stellen? Natürlich sollten wir die Sünde der Nebenfrau erkennen, aber sie steht letztlich nicht im Mittelpunkt dieser Geschehnisse.

Der Herr sucht Hingabe, nicht Trägheit (19,9.10)

„Und der Mann erhob sich, um fortzugehen, er und seine Nebenfrau und sein Knabe. Aber sein Schwiegervater, der Vater der jungen Frau, sprach zu ihm: Siehe doch, der Tag nimmt ab, es will Abend werden; übernachte hier und lass dein Herz fröhlich sein, und ihr macht euch morgen früh auf euren Weg, und du ziehst zu deinem Zelt. Aber der Mann wollte nicht übernachten, und er erhob sich und zog fort; und er kam bis vor Jebus, das ist Jerusalem, und mit ihm das Paar gesattelter Esel, und seine Nebenfrau mit ihm“ (19,9.10).

Die fehlende Aktivität, die sich schon in den Versen 4–8 abzeichnet, setzt sich auch am tatsächlichen Abschiedstag fort. Im Gegensatz zu Abraham, der sich frühmorgens aufmachte (vgl. 1. Mo 22,3), oder zu Mose, der verschiedene Plagen am frühen Morgen einleitete (vgl. 2. Mo 7–11), lässt es der Levit auch am Abreisetag äußerst gemächlich angehen. Letztlich wird das sogar zu einem Anlass für das bevorstehende Übel, da er nun nicht innerhalb eines Tages sein eigenes Haus erreichen kann. Wir lernen daraus, dass Gott Gemütlichkeit (in Bezug auf erforderliche Aktivität), Faulheit und Trägheit nicht segnet. Denken wir an David (2. Sam 11)!

Gerade der frühe Morgen, sei es, dass wir ihn auf die Jugendzeit eines Menschenlebens oder auf den tatsächlichen Morgen eines Tages beziehen, sollte der Beginn unserer geistlichen Aktivität sein. „Ein wenig Schlaf, ein wenig Schlummer, ein wenig Händefalten, um auszuruhen – und deine Armut kommt herangeschritten, und deine Not wie ein gewappneter Mann“ (Spr 24,33.34). Auch für uns ist es wichtig, den richtigen Augenblick für unsere Aktivitäten, unser „Aufbrechen“ zu erkennen. So mancher Fehler hätte vielleicht vermieden werden können, wenn wir die Zeit des Herrn erkannt und dann auch gehandelt hätten.

Moralische Nacht in Israel

Häufig finden wir in der Schrift, dass äußere Bedingungen eine unmissverständliche Symbolik in sich tragen. Ein Beispiel dafür ist die Nacht, in die Judas ging, als er das Abendessen verließ, das er mit dem Herrn Jesus und den Jüngern eingenommen hatte, um endgültig ein Feind Jesu zu werden. Auch in seinem Herzen wurde es da endgültig Nacht, und sein Ziel, sein ewiger Bestimmungsort, wurde dadurch die ewige Nacht in ewiger Gottesferne.

Hier bei dem Leviten lesen wir davon, dass er aufbricht, als „der Tag sinkt“ und damit die ersten Schatten fielen. Es wurde also bereits Abend – und dieser Abend spricht symbolisch von dem Abend, der für ihn selbst zuallererst, aber auch buchstäblich für seine Nebenfrau und für die ganze Nation Israel anbrach.

Inneres und Äußeres müssen gleichgewichtig sein (19,11–14)

„Sie waren bei Jebus, und der Tag war sehr gesunken, da sprach der Knabe zu seinem Herrn: Komm doch und lass uns in diese Stadt der Jebusiter einkehren und darin übernachten. Aber sein Herr sprach zu ihm: Wir wollen nicht in eine Stadt der Fremden einkehren, die nicht von den Kindern Israel sind, sondern wollen nach Gibea hinübergehen. Und er sprach zu seinem Knaben: Komm, dass wir uns einem der Orte nähern und in Gibea oder in Rama übernachten. So zogen sie vorüber und gingen weiter, und die Sonne ging ihnen unter nahe bei Gibea, das Benjamin gehört“ (19,11–14).

Der Levit wollte seine Reise für die Übernachtung nicht in einer kanaanitischen Stadt wie z.B. Jebus, dem damals noch zukünftigen Jerusalem, unterbrechen. Dies wirkt auf den ersten Blick sehr fromm. Es ist allerdings zu bedenken, dass diese Form äußerer Absonderung in keinem Verhältnis zu seinem sonstigen Verhalten und moralischen Zustand steht. Seine nationale Zugehörigkeit und möglicherweise ein damit einhergehender Stolz schienen ihm wichtiger als der moralische Zustand seiner Familie und das Wohl des Volkes Gottes zu sein.

Es ist gut und richtig, nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich auf der Seite des Herrn zu stehen. Die innere Seite ist aber in den Augen Gottes das Wesentliche. Die Folge unserer inneren Überzeugungen zeigt sich dann im Äußeren. Insofern geht sie der äußeren Seite voraus, sonst handelte es sich um Heuchelei. Es bleibt bestehen: Der Herr wünscht unser Herz und unser Äußeres.

Versagen von Anfang an

Zugleich zeigen uns diese Verse natürlich auch, dass der Stamm Benjamin versäumt hatte, die Stadt Jebus einzunehmen. Erst unter David wird sie für das Volk Israel überwunden und zu Zion, der Stadt Davids.

Wie leicht versäumen auch wir es, mit Energie die himmlischen und geistlichen Segnungen praktisch in Besitz zu nehmen, die der Herr uns geschenkt hat. Leider sind wir so leicht damit zufrieden, hier Christen zu sein, welche die Zusammenkünfte besuchen und äußerlich keinen Anstoß geben. Jerusalem gibt uns an dieser Stelle die Belehrung, dass wir persönlich Energie, Zeit und Fleiß aufzuwenden haben, wenn wir den Gedanken des Herrn entsprechen und das in Anspruch nehmen wollen, was Er uns zugedacht hat.

Eine gewisse Tragik liegt in diesem Zusammenhang auf Benjamin, Jebus (oder Jerusalem) und der hier geschilderten Geschichte. Gerade dieser Stamm, der auf so einmalige Weise versagte, sollte den ersten König über Israel stellen.

Aber zur Geschichte in Richter 19 passt, dass die Stadt, die Gott sich für den Tempel, die Bundeslade und den König erwählt hat, von diesem ersten König nicht gesucht wurde, auch wenn sie gerade in dem Gebiet lag, das von ihm regiert und besetzt werden sollte. Der Mensch hat, was seine Verantwortung betrifft, schon immer von Anfang an versagt.

Geistliche Energie ist für die Inbesitznahme geistlicher Segnungen nötig

Man kann auch kaum verstehen, dass niemand unter dem Volk Gottes oder in dem Stamm Benjamin aufstand, um einmal darauf hinzuweisen, dass man immer noch mitten unter nicht-jüdischen Heiden wohnte. Das schien überhaupt niemanden zu interessieren, obwohl Gott das Volk angewiesen und angespornt hatte, das ganze Land in Besitz zu nehmen. Die Prioritäten des Volkes lagen einfach auf anderen Gebieten, die aber für das Herz Gottes bei weitem nicht diese Bedeutung besaßen.

Auch bei uns kann es leicht sein, dass „heidnische“ Dinge den Platz in unseren Herzen einnehmen, den eigentlich das Wort Gottes, die himmlischen Segnungen und vor allem die Person unseres Retters und Herrn einnehmen sollte.

Wie leicht verlieren wir uns in Karriereplänen, die uns in der Welt groß machen, nicht aber die Person unseres Herrn in unserem Leben, oder in Hobbys, die unsere ganze „Freizeit“ auffressen, die uns in Wirklichkeit nur von dem Herrn geliehen worden ist, um für Ihn tätig zu sein. Wir sollen nicht unnüchtern werden! Tatsache ist jedoch: Alles, was wir besitzen oder können, ist ein Geschenk des Herrn, was uns aber – wie die Pfunde in Lukas 19 – nur anvertraut bzw. geliehen worden ist, um es für Ihn zu benutzen.

Natürlich hat jeder seine normalen Pflichten zu erledigen. Viele haben auch eine Familie. Tatsächlich wäre es auch nicht nur unnüchtern, sondern sogar unbiblisch zu meinen, dass diese vernachlässigt werden muss, um dem Herrn zu dienen. Am besten dienen wir Ihm, wenn wir alles, unsere Arbeit und auch unsere Tätigkeiten in der Familie für den Herrn ausführen, denn jeder Dienst ist nach Kolosser 3,17 ein Dienst für den Herrn. Dann werden wir schon das rechte Maß finden, wo wir im engeren Sinn in seinem Weinberg mitarbeiten sollten. Einerseits möchte Er uns ein ausgewogenes Urteil über diese Dinge schenken, andererseits sucht Er unser ganzes Herz, das bereit ist, auch Zeit für Ihn einzusetzen.

In Gibea-Benjamin geht nunmehr tatsächlich die Sonne unter. Wie schon gesagt, spielen solche Naturereignisse in der Schrift häufig eine symbolische Rolle. Gibea steht hier für das Volk Israel, das in diesem Moment zwar noch nicht für immer, aber doch für eine ganze Zeit in moralischer Finsternis leben würde. Prophetisch ist das auch ein Bild dessen, was heute für dieses Volk Israel noch Realität ist: Finsternis und Zerstreuung, bis der König kommen wird, der Herr Jesus, der Messias Israels.

Gott redet – hört der Mensch? (19,15)

„Und sie wandten sich dahin, damit sie hineinkämen, um in Gibea zu übernachten. Und er kam hinein und setzte sich hin auf den Platz der Stadt; und niemand war da, der sie zum Übernachten ins Haus aufgenommen hätte“ (19,15).

Es fällt auf, dass die sonst so sprichwörtliche Gastfreundschaft in Israel diesmal ausblieb. Ob das nicht dem Leviten hätte zu denken geben sollen?

Gibt es uns zu denken, wenn das, was der Herr uns in seinem Wort von Seiten der Mitgläubigen eigentlich zugedacht hat, nicht geschieht? Es ist ebenso leicht wie gefährlich, dann zuallererst oder sogar allein die Schuld bei anderen zu suchen – die in dieser Geschichte ja tatsächlich existierte – ohne zu verstehen, dass der Herr uns selbst eine Lektion erteilen möchte.

Als Levit stand diesem Mann jede erdenkliche Unterstützung zu (5. Mo 12,19).

Wie versorgen wir die Diener des Herrn, die in einer Zeit auf die Fürsorge des Herrn und der Seinen angewiesen sind, in der immer weniger Christen bereit sind, auf der Seite des verworfenen Herrn zu stehen und die ganze im Wort Gottes offenbarte Wahrheit zu praktizieren und anzuwenden? Es ist leicht einzusehen, dass es in einer solchen Zeit dementsprechend weniger Gläubige gibt, die Unterstützung leisten. Um so schöner, wenn es solche gibt, welche die Bedürfnisse sehen und ihnen entsprechen.

Wir sehen an diesen Versen auch, wie die Gastfreundschaft, die Gesinnung der Gemeinschaft in Israel gelitten hat. Man ist geneigt anzunehmen, dass diesem Mann in Jebus, der Stadt der Welt, dergleichen nicht widerfahren wäre.

Auch wir sind nicht dagegen gefeit, einer solchen Unterkühlung anheim zu fallen. Wenn das Herz sich von dem Herrn entfernt, werden auch die Gefühle, die Er hervorrufen würde, ausbleiben. Wenn wir jedoch den Herrn Jesus vor uns stellen, werden wir auch mit Freuden Gastfreundschaft üben – sogar Fremden gegenüber –, wie wir es von einem Gajus (3. Joh) lernen können.

Der Herr segnet jeden Dienst für Ihn (19,16–21)

„Und siehe, ein alter Mann kam von seiner Arbeit, vom Feld, am Abend; und der Mann war vom Gebirge Ephraim, und er hielt sich in Gibea auf; die Leute des Ortes aber waren Benjaminiter. Und er erhob seine Augen und sah den Wanderer auf dem Platz der Stadt, und der alte Mann sprach: Wohin gehst du? Und woher kommst du? Und er sprach zu ihm: Wir reisen von Bethlehem-Juda zur äußersten Seite des Gebirges Ephraim; von dort bin ich her, und ich bin nach Bethlehem-Juda gegangen, und ich wandle mit dem Haus des Herrn; und niemand ist da, der mich in sein Haus aufnimmt. Und wir haben sowohl Stroh als auch Futter für unsere Esel, und auch Brot und Wein habe ich für mich und für deine Magd und für den Knaben, der bei deinen Knechten ist; es mangelt an nichts. Da sprach der alte Mann: Friede dir! Ich will für dich sorgen; doch auf dem Platz übernachte nicht. Und er führte ihn in sein Haus und gab den Eseln Futter. Und sie wuschen ihre Füße und aßen und tranken“ (19,16–21).

Zu guter Letzt war es jemand, der selbst eigentlich ein Fremdling in diesem Dorf war, der sich um den Mann kümmerte und ihm den jüdischen Gruß des Herrn, „Friede“, den wir später auch in den Briefen des Neuen Testamentes wiederfinden, entbot.

Bei dem Helfenden handelte es sich um einen alten Mann. Wenn es um die Energie der Gastfreundschaft handelt, sollte man meinen, dass sie von jungen Leuten leichter geleistet werden könnte. Tatsächlich aber war hier ein alter Mann bereit, der gewiss von der Arbeit ermüdet war, die Fremden aufzunehmen. Gott schätzte diese Tat. Sie spricht aber ernst in Bezug auf das, was von jungen Menschen hätte geleistet werden können.

Fußwaschung

Am Ende des 21. Verses ist dann die Rede davon, dass sich sowohl der alte Mann aus dem Gebirge Ephraim als auch der Levit mit den Seinigen „ihre Füße wuschen“. Diese Sitte aus dem Orient ist zunächst nicht weiter auffallend. Abraham (1. Mo 18,4), Lot (1. Mo 19,2) und auch Abigail (1. Sam 25,41) kannten diese Sitte der Höflichkeit. Dies zeigt, dass es sich zuerst um eine Handlung der Demut, der Höflichkeit sowie der Sauberkeit und Erfrischung handelte. Besonders der Gedanke der Erfrischung steht bei der Fußwaschung im Vordergrund – aber nicht nur, wie wir in Johannes 13 lernen.

Freundschaft der Welt ist Feindschaft gegen Gott (19,22)

„Sie ließen ihr Herz guter Dinge sein, siehe, da umringten die Männer der Stadt, Männer, die Söhne Belials waren, das Haus, schlugen an die Tür und sprachen zu dem alten Mann, dem Herrn des Hauses, und sagten: Führe den Mann, der in dein Haus gekommen ist, heraus, damit wir ihn erkennen“ (19,22).

Auch hier hat man nun wieder den Eindruck, dass ein eher üppiges Mahl eingenommen wurde, so dass sie „ihr Herz guter Dinge“ sein ließen.

Wenn wir als Gläubige ein Leben ohne unseren Herrn führen und uns behaglich in dieser Welt niederlassen, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass wir auch von den moralischen Gräueln, die uns umgeben und diese Welt charakterisieren, beeinflusst werden.

Natürlich stellt sich hier die Frage, wie dieser alte Mann vom Gebirge Ephraim, der in Gibea wohnte, sich in einer solch gottlosen Stadt niederlassen konnte, obgleich ihm wohl als einzigem eine gewisse Gottesfurcht zugeschrieben werden kann. Das erinnert uns an die Begebenheit in 1. Mose 19,4.5, in der zwei Engel Lot in Sodom besuchten und das gleiche erlebten. Auch Lot führte ein Leben in dieser Welt, als ob er von dieser Welt wäre – er sonderte sich nicht von ihr gottgemäß ab wie Abraham. Das Schlimme ist nun hier, dass die schrecklichen moralischen Zustände der heidnischen Welt auch unter dem Volk Gottes, Israel, um sich gegriffen haben.

Die Beziehung zum Neuen Testament liegt auf der Hand. Dort werden die Charakterzüge der heidnischen Welt in Römer 1,28–32 und die Charakterzüge einer gefallenen und christuslosen Christenheit als zum Teil noch schlimmer in 2. Timotheus 3,1–5 aufgeführt. Wenn das Volk Gottes fällt, tritt ein moralischer Zustand zutage, der leider häufig noch tiefer ist als der, den wir in der gottlosen Welt antreffen. Auch wir gehören zu der Christenheit; möge der Herr uns vor solchem Fallen bewahren!

Im Übrigen finden wir diesen alten Mann in der späteren Geschichte mit keinem Wort mehr erwähnt. Ist er mit den Männern aus Gibea umgekommen? – Wir dürfen überzeugt sein, dass Gott die Treue dieses Mannes, die er in dieser Begebenheit hinsichtlich der Gastfreundschaft unter Beweis stellte, belohnen wird.

Wir brauchen uns jedoch nicht zu wundern, wenn auch wir als Gläubige unter zeitliches Gericht fallen, wenn wir uns mit der Welt äußerlich oder innerlich einsmachen. Manches Mal, wenn der Herr Jesus ein plötzliches Warnsignal gibt, z.B. durch Katastrophen an bestimmten weltlichen Orten – denken wir an Diskotheken, Kinos, Theater, etc. – fragt man sich: Ob wohl unter denjenigen, die dadurch gestorben sind, auch Gläubige waren? Der Herr schenke uns, dass wir nicht so sehr aus Angst oder gar aus falscher Gesetzlichkeit als vielmehr aus Liebe zu Ihm alles das ablegen (Kol 3,5–11), was nicht in Übereinstimmung mit Ihm ist, um zusammen mit denen, die seinen Namen aus reinem Herzen anrufen (2. Tim 2,22), Ihm zur Verfügung zu stehen.

Biblische Absonderung ist die beste Predigt

Wir können gut verstehen, dass der alte Mann seine Gäste nicht auf dem Platz im Freien übernachten lassen wollte. Hier wäre die Gefahr zu groß gewesen, dass sie sofort bedrängt worden wären. Aber er hatte angesichts dieses Bösen keine Konsequenz für sein eigenes Leben gezogen und verwirklichte keine Heiligung für Gott. Wie hätte er sonst an diesem Ort bleiben können, von dem er doch sicher wusste, dass manche Männer in Ungehorsam dem Gesetz Gottes gegenüber homosexuell lebten.

Die Freundschaft dieser Welt ist Feindschaft wider Gott (Jak 4,4). Es ist schlimmer, die Bosheit der Welt zu erkennen und dennoch nicht mit ihr zu brechen, als in dieser Bosheit zu leben, ohne sich dessen bewusst zu sein. Denn die Verantwortung vor Gott wächst, je größer die Erkenntnis eines Menschen ist.

Abraham bewies, dass er durch seine Absonderung mehr für Sodom und die dort wohnenden Gläubigen tun konnte als Lot. Auch heute sind die Aktivitäten einer sogenannten „Freundschafts-Evangelisation“ 1 nicht in Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes, da sie die – wenn auch vorübergehende – Freundschaft mit dieser Welt voraussetzen. 2 Eine in Demut, Liebe und Gottesfurcht durchgeführte persönliche Evangelisation, in der wir allein schon durch unseren Lebenswandel predigen, ist dagegen unserem Herrn wohlgefällig und wird Frucht für Ihn hervorbringen.

Das galt auch für Mose, der lieber die Schmach des Christus tragen wollte, als in der Welt Ägyptens groß zu werden. Gerade durch diese Treue und Absonderung von der Welt war er ein nützliches Werkzeug in der Hand Gottes, um zur Errettung des Volkes beizutragen.

Das menschliche Herz (auch des Gläubigen) ist zu allem fähig (19,23.24)

„Und der Mann, der Herr des Hauses, ging zu ihnen hinaus und sprach zu ihnen: Nicht doch, meine Brüder, tut doch nichts Böses; nachdem dieser Mann in mein Haus gekommen ist begeht nicht diese Schandtat! Siehe, meine Tochter, die Jungfrau, und seine Nebenfrau, lasst mich sie doch herausführen; und entehrt sie und macht mit ihnen, was gut ist in euren Augen, aber an diesem Mann begeht nicht diese Schandtat!“ (19,23.24).

Die hier beschriebene Begebenheit ist dermaßen widerlich, dass man nicht über sie sprechen wollte, stünde sie nicht in dem Wort Gottes. Wir lernen, wozu das menschliche Herz in der Lage ist.

Auch wir, die wir an den Herrn Jesus glauben, besitzen das „gleiche“ Fleisch und sind fähig, solche Dinge zu tun, wenn wir uns nicht von unserem Sachwalter und Hohenpriester im Himmel, Jesus Christus, bewahren lassen.

Man sieht an dieser Begebenheit auch, dass Satan es geschafft hat, viele Menschen und besonders Männer in die Gewalt ihrer Sexualität zu bringen. Es gibt auch in der Bibel zu diesem Thema außerordentlich viele Beispiele von Gläubigen, die unter dieses Urteil fallen – natürlich nicht für ihr ganzes Leben, aber doch zeitweise. Denken wir nur an die Geschichte Davids mit Bathseba, oder an seinen Sohn Salomo, an Simson, Gideon, etc.

Es wäre unnüchtern, dieses Problem nicht auch in der heutigen Zeit zu sehen, die durch eine große Reizüberflutung in allen Medien geprägt ist. Schenke uns der Herr, dass jeder von uns – und hier sind besonders die Männer angesprochen – wachsam in Bezug auf sein eigenes Fleisch und die eigenen Augen ist.

Vermeintlich „kleine“ Sünden („Bauernopfer“) wiegen „große“ Sünden niemals auf (19,25)

„Aber die Männer wollten nicht auf ihn hören. Da ergriff der Mann seine Nebenfrau und führte sie zu ihnen hinaus auf die Straße; und sie erkannten sie und misshandelten sie die ganze Nacht bis zum Morgen; und sie ließen sie gehen, als die Morgenröte aufging“ (19,25).

Zugleich werfen diese Verse ein Licht auf die beiden beteiligten Männer. Es ist nicht zu verstehen, dass der alte Mann seine Tochter für Misshandlungen und Vergewaltigungen anbot – man kann eine Wahrheit wie die der Gastfreundschaft auch einseitig und zu stark betonen, doch sie hat ihre Grenzen! Gott kann nicht gutheißen, wenn wir Böses tun, um Schlimmeres zu verhindern.

Andererseits scheint der Levit lediglich körperliche (und damit die niedrigste Form der) Liebe für seine Nebenfrau empfunden zu haben. Anders können wir nicht erklären, dass er sie so leicht opferte. Er selbst war dafür verantwortlich, dass er in diese Situation gekommen war, und wälzte die Folgen auf seine Frau ab. Von einem Gebet zu Gott lesen wir in diesem Zusammenhang und in dem ganzen Kapitel, wie gesagt, überhaupt nichts.

Auch wir gleichen oft diesem Leviten, indem wir mit eigenen Überlegungen aus Situationen herauskommen wollen, in die wir durch eigene Fehler hineingeraten sind. Wie leicht lassen wir andere leiden und im Stich, um nur selber verschont zu bleiben.

Diesem Leviten ging es nur um sein eigenes Leben. Er erkannte offenbar „messerscharf“, dass dieses in Gefahr war. Um sich selbst zu retten, war er bereit, auf alles mögliche zu verzichten, sogar auf das Beste, was ihm zu dieser Zeit „zur Verfügung stand“, was er besaß: seine Nebenfrau.

Es fällt uns auch die Missachtung des Leviten für seine Frau auf, die für ihn anscheinend nur ein Gebrauchsgegenstand war. Wie schrecklich, wenn sich Männer auf eine solche Weise mit Frauen abgeben und an ihnen versündigen. Dem Mann ist seine Frau als Hilfe seinesgleichen gegeben, dass er sie pflege und ihr Ehre gebe. Wer dem entgegen handelt, widersteht zugleich Gott, der dem Mann eine Frau nicht gegeben hat, um mit ihr nach eigenem Gutdünken zu handeln, sondern um sie zu lieben und als Geschenk des Herrn zu bewahren.

Aus diesen Versen lernen wir auch, dass man eine „große“ Sünde nicht durch eine vermeintlich „kleinere“ aufwiegen oder verhindern kann. War es recht, dass der alte Mann auch noch seine Tochter anbot? Natürlich wollte der alte Mann zu Recht die Freveltat seiner Stadtgenossen verhindern – aber wie konnte er das eine Übel mit dem der nicht weniger schlimmen Hurerei auslöschen? Er und der Levit hätten viel mehr zu dem Herrn um einen Ausweg flehen sollen. Sie hätten sicher sein können, dass Er einen solchen gefunden hätte – denken wir nur an Lot und seine Geschichte.

Wir können die ganze Haltung des Leviten in dieser Begebenheit nur dadurch erklären, dass seine Beziehung zu Gott schon vorher zunehmend oberflächlich geworden war. Das war nur möglich, weil er zuvor schon Schritte des Ungehorsams und der Leichtfertigkeit unternommen hatte. So erlaubte Gott diesen Fortschritt im Bösen, um die Wurzel von Unmoral und falscher Gesinnung in Israel ans Licht zu bringen. Wenn es im Kleinen angefangen hat, dann wird man nach weiterem Fortschritt gar nicht mehr empfinden, dass etwas nicht mehr stimmt.

In diesem Zusammenhang ist auch das Verbot von Bedeutung, seine Tochter der Hurerei hinzugeben (vgl. 3. Mo 19,29). Natürlich ist das Ziel dieses Gebotes ein anderes. Und doch fällt das, was der alte Mann und was der Levit hier getan haben, in den Bereich dieses Gesetzes. Letztlich haben sie in unmittelbarem Widerspruch zu Gottes Geboten gehandelt, als sie die beiden Frauen der Hurerei dieser Männer preisgeben wollten.

Moralischer Verfall ist beinahe unaufhaltsam (19,26.27)

„Und die Frau kam beim Anbruch des Morgens und fiel nieder am Eingang des Hauses des Mannes, wo ihr Herr war, und lag dort, bis es hell wurde. Und als ihr Herr am Morgen aufstand und die Türen des Hauses öffnete und hinaustrat, um seines Weges zu ziehen: Siehe, da lag die Frau, seine Nebenfrau, am Eingang des Hauses, und ihre Hände auf der Schwelle“ (19,26.27).

Wenn das Volk Gottes so sehr von den moralischen Grundsätzen des Wortes Gottes abgekommen ist, versucht es praktisch immer, sich auf eine eigene Weise zu helfen. Das jedoch führt zu weiterem Unheil.

Der alte Mann bietet den Männern der Stadt nicht nur seine Tochter und die Nebenfrau des Leviten an, sondern fügt auch hinzu: „Entehrt sie und tut mit ihnen, was gut ist in euren Augen.“ Wie tief muss ein solcher Mann moralisch gefallen sein, dass er seinen Nachbarn anbietet, mit seiner Tochter zu tun, was sie wollen. Hatte er keine Verantwortung für seine Familie, die der Herr ihm anvertraut hatte? War er dafür, dass jeder tun kann, was er will, egal, worum es sich handelt?

Es ist andererseits nahezu unmenschlich, dass dieser Levit in der Nacht schlafen konnte, wo er wissen musste, dass seine Frau schrecklich litt. Wie sehr kann ein Mensch, auch ein Gläubiger, sein Gewissen wie mit einem Brenneisen gehärtet haben (1. Tim 4,2), so dass er wie ein Jona (Jona 1,5) trotz schlimmster Stürme, für die er verantwortlich ist, in der Lage ist, in aller Ruhe zu schlafen. In welch einem Kontrast steht beispielsweise ein Mann wie Mose zu diesem Leviten hier. Als das Volk Unzucht trieb, z.B. in 4. Mose 25, handelte er in einem heiligen Zorn, im Auftrag Gottes. Oder auch Pinehas, der in der Begebenheit in Richter 20 wieder auftritt, mit welch einer Entschlossenheit und Treue sowie heiliger Entrüstung steht er für die Rechte des Herrn ein, um seiner Heiligkeit Genüge zu tun (4. Mo 25,7.8).

Auch heute sucht der Herr solche, die auf seiner Seite stehen, um seine Heiligkeit unter dem Volk Gottes aufrechtzuerhalten und zugleich für das Volk einzutreten, damit es nicht aufgerieben wird.

Gefühllos und brutal (19,28)

„Und er sprach zu ihr: Steh auf und lass uns gehen! Aber niemand antwortete. Da nahm er sie auf den Esel, und der Mann machte sich auf und zog an seinen Ort“ (19,28).

Nicht so jedoch dieser Levit. Fast wie ein Tier forderte er seine Frau am Morgen auf, nachdem er „ausgeschlafen“ hat, sich zu erheben. Erst danach bemerkte er, dass sie durch die Misshandlungen umgekommen war. Sie kam, wie schon an früherer Stelle gesagt, sozusagen an den Folgen ihrer eigenen Sünden der Unzucht um. Jedenfalls lesen wir an keiner Stelle davon, dass sie über ihre Hurerei Buße getan hätte. Allerdings traf auch hier den Leviten die Hauptverantwortung, weil er es schuldhaft unterlassen hatte, sie auf diese Sünden hinzuweisen und zu dem Herrn zurückzuführen. Davon lesen wir nichts. Aber wie hätte er es tun können, wo er selbst so gottlos war!

Hierdurch wird die Aufmerksamkeit noch einmal auf uns Ehemänner und Familienväter gerichtet. Wir sind für das verantwortlich, was in unseren Häusern vor sich geht, und haben in dieser Hinsicht einmal vor dem Richterstuhl des Christus Rechenschaft abzulegen, sei es im Guten oder im Bösen, denn nach 2. Korinther 5,10 werden die Gläubigen dort offenbar werden. Der Levit hat in diesem Punkt versagt, wie wir dem Urteil Gottes über ihn entnehmen können.

Sicherlich hätte der Levit gedemütigt sein müssen bis in den Staub – als er seine Nebenfrau vor ihm auf dem Boden sah. Stattdessen jedoch forderte er sie roh auf, sich zu erheben. Er realisierte in diesem Moment noch nicht, dass sie tot war. Aber selbst wenn sie nicht tot gewesen wäre, wäre er einer herzlosen Härte schuldig gewesen.

Der Levit zerstückelt seine Nebenfrau (19,29)

„Und als er in sein Haus gekommen war, nahm er das Messer und ergriff seine Nebenfrau und zerstückelte sie, nach ihren Gebeinen, in zwölf Stücke; und er sandte sie in alle Grenzen Israels“ (19,29).

Neben aller berechtigten Empörung über die schreckliche Tat der Männer in Gibea erscheint es doch nicht weniger scheußlich, dass der Levit nunmehr seine Frau in zwölf Teile zerstückte und an alle Stämme in Israel sandte. Diese überzogene Tat, die natürlich in keiner Weise das Übel Gibeas geringer macht, ist wie eine Einleitung zu der überzogenen Reaktion, die dann von dem ganzen Volk Israel in dem 20. Kapitel gezeigt wurde. Zudem verunreinigte der Levit mit dieser Sendung alle Stämme Israels (vgl. 4. Mo 19,11–13)! Allein daraus wird deutlich, dass Gott mit diesem Vorgehen nicht einverstanden war.

Auch hier muss man sich wieder fragen, aus welchen Motiven heraus der Levit handelte. War es wirklich ein Einstehen für die Ehre Gottes, oder war es verletzter Stolz? Hätte er nicht, anstatt diesen Aufschrei in Israel zu inszenieren, seine eigene Schuld erkennen und Buße darüber tun sollen? Offenbar aus gekränkter Eitelkeit entschied er sich, diese schreckliche Sache auf eine mindestens genauso schreckliche Art und Weise in Israel – und darüber hinaus – bekannt zu machen.

Auch die Abscheu gegenüber tatsächlich Bösem bedeutet keineswegs immer, dass sie aus lauteren Beweggründen hervorkommt. Wie leicht ist es die eigene Ehre, die uns zu solchen sichtbaren, spektakulären Taten bringt!

Der Levit konnte sich mit dieser Handlung auf kein Gebot berufen. Man sollte annehmen, dass gerade er als Levit zunächst Gott befragt hätte. Davon jedoch finden wir erneut nichts. Sein eigener Impuls war es, der ihn leitete. Zu anderer Gelegenheit und in ganz anderem Zusammenhang sehen wir, dass ein Entzweischneiden durchaus auch einmal nach den Gedanken Gottes sein konnte (vgl. Mt 24,51). Als Samuel zu Saul kam, nachdem dieser bereits kurz nach seiner Salbung zum König versagt hatte, musste er in heiligem Zorn vor Gott den König der Amalekiter, Agag, zerstückeln (1. Sam 15,33) 3. Hier war tatsächlich jemand, der für die Ehre Gottes stritt.

Normalerweise aber ist ein solches Zerstückeln absolut im Widerspruch zu den Gedanken Gottes, der will, dass ein Toter begraben wird 4. Das finden wir unter anderem dadurch belegt, dass Er selber Mose begrub. Dieser Levit hatte jedoch offenbar überhaupt keine Ehrfurcht vor dem geschaffenen Werk Gottes, dem Körper, wenn auch die Person tatsächlich schon gestorben war.

Der Herr Jesus als Gestorbener

Es ist bedenkenswert, dass der Geist Gottes bei unserem gestorbenen Herrn nicht einfach von dem Körper, dem Leib spricht, sondern von dem „Leib Jesu“ (Lk 23,52; Joh 20,12), ja dem „Leib des Herrn Jesus“ (Lk 24,3). Auch Maria Magdalene spricht nicht einfach von einem „Körper“, der aus dem Grab verschwunden ist, sondern von „meinem Herrn“ (Joh 20,13).

Besonders beeindruckend ist der Vers Johannes 19,42. An dieser Stelle heißt es: „Dorthin nun, wegen des Rüsttags der Juden, weil die Gruft nahe war, legten sie Jesus.“ Es ist also gar keine Rede von dem „Leib“, sondern dieser wird vollständig mit der Person identifiziert. Auch bei dem gestorbenen Heiland handelte es sich um „Jesus“, um seine heilige und herrliche Person.

Die Augen des Schöpfers und der Menschen sehen einen Gläubigen

Dieser Levit jedoch gab erst „den Körper“ seiner Nebenfrau diesen gierigen Männern hin, und dann zerschnitt er selbst auch noch den jetzt in der Tat leblosen Körper seiner Frau und entehrte ihn dadurch ein zweites Mal.

Das, was wir daraus für uns lernen können, ist, dass auch ein schon gestorbener menschlicher Körper auf ein Werk Gottes zurückzuführen und daher mit Anstand und Ehrfurcht zu behandeln ist. Das gilt im Übrigen für alle Menschen, auch für solche, die in der Gosse sitzen und vor denen man an und für sich kaum Respekt haben würde. Aber auch sie sind Geschöpfe Gottes und besitzen – wenn auch kaum noch sichtbar – etwas von dieser Würde.

Darüber hinaus stellt sich eine weitere Frage: War es überhaupt richtig, diese Sache in ganz Israel – und wir können wohl davon ausgehen, dass dies über ihre Grenzen hinaus bekannt wurde – zu verbreiten? Wäre es nicht richtiger gewesen, eine solch schreckliche Sache, die ja nicht nur zur Unehre von Gibea, sondern auch des Herrn beitrug, örtlich begrenzter zu behandeln, ohne dass es zu einem nationalen „Skandal“ hätte werden müssen? Natürlich stellt sich zugleich die Frage, ob es zu der damaligen Zeit in Israel eine Autorität, einen Richter oder Ältesten gab, der diese Sache hätte in die Hand nehmen können. Wo war eigentlich der Hohepriester Pinehas?

In diesem Zusammenhang möchte ich auf Matthäus 18,15–17 verweisen: „Wenn aber dein Bruder gegen dich sündigt, geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein. Wenn er auf dich hört, hast du deinen Bruder gewonnen. Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit durch den Mund von zwei oder drei Zeugen jede Sache bestätigt werde. Wenn er aber nicht auf sie hört, sage es der Versammlung.“ Unser Ziel sollte also immer sein, eine solche Sache im Verborgenen zu halten – die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden (1. Pet 4,8), indem sie zum Sündenbekenntnis führt und auf das Werk des Herrn Jesus hinweist, so dass die Sünde dann „bedeckt“ wird. Das heißt eben nicht, dass wir über Sünde hinwegsehen dürften: Sie ist Gott gemäß zu bereinigen. Und wenn eine Sünde schon bekannt geworden ist, kann man auf sie nicht mehr allein im Verborgenen reagieren. Wenn sie lokal begrenzt ist, sollte man sie nicht verbreiten. Wenn sie jedoch „nur“ im Verborgenen geschehen ist, will Gott, dass sofern jemand einsichtig ist, Sünde im Verborgenen bereinigt wird. Der Bruder aus Matthäus 18 sollte die Sache zwischen sich und dem anderen „allein“ in Ordnung bringen. Nur wenn dies nicht möglich sein sollte, war ein anderer hinzuzuziehen.

Das gilt auch heute. Es ist nicht nach den Gedanken des Herrn, alles so schnell wie möglich öffentlich bekannt zu machen. Sünde sollte vielmehr – so schnell es geht und so wenigen wie möglich bekannt – bereinigt werden. Das geht leider nicht immer (1. Kor 5), sollte jedoch immer das Ziel sein, wann immer es so möglich ist. Wer anders handelt, muss sich fragen, welche Motivation ihn dazu bringt. Den Herrn hat man damit nicht auf seiner Seite!

An dieser Stelle sei kurz auf einen Zuschauer aller dieser Begebenheiten hingewiesen: den Diener des Leviten (vgl. Vers 19). Von ihm finden wir überhaupt keine Aussage in diesen Erzählungen wieder. Dennoch macht uns seine Gegenwart deutlich, dass nicht nur der Herr alles, was wir tun, sieht, sondern dass es auch um uns her viele Menschen gibt, die durchaus einzuschätzen wissen, was wir tun und wie wir es tun. Dieser Knecht ist wahrscheinlich einer der objektivsten Beobachter und Zeugen der üblen Taten gewesen. Niemand jedoch kommt später auf die Idee, ihn zu befragen.

Zuchtausübung setzt Demütigung und Identifikation voraus (19,30)

„Und es geschah, jeder, der es sah, sprach: So etwas ist nicht geschehen oder gesehen worden von dem Tag an, als die Kinder Israel aus dem Land Ägypten heraufgezogen sind, bis auf diesen Tag. Denkt darüber nach, beratet und redet!“ (19,30).

Der 30. Vers zeigt, dass das ganze Volk Israel – zu Recht – von der Tat Gibeas geschockt war. Das Volk erkannte, dass man diese Dinge nicht auf sich beruhen lassen konnte. Hier musste für die Ehre Gottes gehandelt werden. Was jedoch nicht zu sehen ist – und was das Erste hätte sein sollen – ist eine persönliche und dann auch gemeinsame Demütigung über das geschehene Verbrechen. Dieser Gedanke wird im Verlauf des 20. Kapitels verschiedentlich wieder auftauchen. In der Tat war ein Bedenken gefordert, sicherlich auch ein Beraten und Reden. Wo aber blieb erneut das Gebet, das an erster Stelle stehen sollte?

Zugleich zeigt uns dieser Vers, wie wenig das Volk sich selbst kannte. Wenn man die Kapitel 17 und 18 hinzu liest und den Götzendienst betrachtet, der durch den Enkelsohn Moses in das Volk öffentlich eingeführt wurde, mag man wahrhaftig sagen: „So etwas ist nicht geschehen oder gesehen worden von dem Tag an, als die Kinder Israel aus dem Land Ägypten heraufgezogen sind, bis auf diesen Tag. Denkt darüber nach, beratet und redet!“ Das gerade aber geschah nicht.

Die Rechte und Ehre des Herrn

Wie leicht ist es, für die Rechte des Herrn einzutreten, wenn es um den zwischenmenschlichen Bereich geht. Wie schwer aber tut man sich, den Rechten des Herrn zu entsprechen und sie einzufordern, wenn es allein um Ihn und seine Rechte geht. Was aber ist das Höhere, das Wichtigere? Natürlich darf das eine nicht auf Kosten des anderen geschehen. Zuerst aber kommt die Ehre Gottes, die Er keinem anderen gibt (Jes 42,8).

Wir lernen hieraus auch, dass unsere Wachsamkeit bei moralischem Übel leichter geweckt wird als bei lehrmäßig Bösem. Gerade an diesem Punkt kann uns Satan jedoch auf seine spitzfindige und undurchsichtige Art angreifen – und schlägt uns auch so manches Mal dabei. Der Herr ist daher so bemüht, durch sein Wort, seinen Geist und seine Diener in unseren Herzen eine größere Empfindsamkeit in Bezug auf wichtige lehrmäßige Fragen zu wecken, damit wir sie aus der Sicht Gottes zu beurteilen lernen.

Wir sehen auch im Neuen Testament, dass Gott zuallererst seine eigene Ehre und damit die Ehre des Herrn Jesus einfordert, ohne darauf zu verzichten, auch den praktischen moralischen Zustand der Gläubigen zu beurteilen. Es gibt wohl keine schärferen Worte der Zucht als diejenigen im zweiten Johannesbrief in Bezug auf falsche Gedanken über die herrliche Person unseres Retters und Herrn, Jesus Christus, des Sohnes des Vaters! Wie leicht sind wir nämlich in Gefahr, gerade hier Abstriche zu machen und nicht sensibel genug darauf zu sehen, dass der Herr Jesus nicht angetastet wird.

In ähnlich scharfen Worten tadelt der Geist Gottes auch lehrmäßig Falsches, wie wir es im Galater- und Kolosserbrief lesen können. Auch hier geht es unmittelbar um die Person des Herrn und um die von Gott gegebene Gnade, also das, was Er selbst geschenkt hat. Wenn wir im Vergleich dazu die moralischen Verfehlungen im Korintherbrief anschauen, so fordert auch hier der Geist Gottes mit äußerst ernsten Worten, einen solchen als Bösen zu bezeichnen (1. Kor 5). Doch merkt man einen Unterschied in der Behandlung und in dem Ton, mit dem Paulus auf diese Dinge zu sprechen kommt.

Gott wacht mit Entschiedenheit sowohl über seine Ehre, wie auch über unseren praktischen moralischen Zustand, aber seine Ehre kommt immer zuerst. Dies ist insofern von großer Wichtigkeit, als die moralische Verfehlung eines anderen häufig unsere eigenen Rechte berührt. Gerade dadurch wird unsere Entrüstung angestachelt, weil wir selbst negativ betroffen sind. Wenn es jedoch direkt um die Ehre des Herrn geht, stehen wir eher unbeteiligt daneben, ohne zu bedenken, dass seine Ehre vor der unseren kommt.

Der Herr züchtigt – die Geistlichen zuerst

Der Herr möchte uns dahin führen, seine Rechte an die erste Stelle zu setzen. Es geht um die richtige Wahl von Prioritäten. Wenn das Volk versäumt hatte, beim Götzendienst in Dan die Ehre Gottes im Auge zu haben (Kap. 17 u. 18) – wenn wir einmal voraussetzen, dass dieser auch den anderen Stämmen bekannt wurde – während es bei den moralischen Verfehlungen in Gibea sofort mit Gericht bei der Hand war, so musste der Herr dem Volk auf einem Weg der Zucht zeigen, dass diese Schwerpunkte falsch gesetzt waren. Wenn die Ehre Gottes angegriffen wird – wie hier durch Götzendienst – ist das noch schlimmer, als wenn Menschen in moralische Verfehlungen fallen. Beides ist Sünde und ein Gräuel in den Augen Gottes. Aber wir sehen, dass der Ton des Apostels Paulus bei der Frage der Ehre Gottes durch das Zerstören der Gnade weitaus schärfer ist als der Ton, den er in dem Brief an die Korinther wählt, wo es mehr um moralisches Fehlverhalten geht.

Auch mit uns beschäftigt sich der Herr auf liebende Weise, die jedoch, wenn wir wie das Volk schwerfällig im Lernen sind, schmerzhaft sein kann. Doch ist es ein Zeichen dafür, dass wir Söhne sind, um die Er sich kümmert und die Ihm solch eine Züchtigung wert sind (vgl. Heb 12).

Woher nahm das Volk im Buch der Richter nun eigentlich das Recht, über Benjamin und Gibea zu Gericht zu sitzen, wenn es nicht zuvor die eigenen Herzen geprüft und gerichtet hatte, die Götzendienst im Land zugelassen haben?

Gott lässt nicht zu, dass wir das eine lassen, weil wir auch das andere nicht tun. Er will aber zuerst unsere Herzen in Bezug auf seine eigene Person in die richtige Stellung bringen, bevor Er uns wegen des Übels unter Gläubigen Urteile fällen lässt. Wenn das nicht geschieht, ist es leicht möglich, dass wie in diesem Fall die Niederlage derjenigen, die – wenn auch zu Recht – richten, größer ist als die Niederlage derer, die das Übel begangen haben.

Wer müsste nicht zugeben, dass das unsere Erfahrung widerspiegelt? Es ist eben leichter, das auf den ersten Blick für alle erkennbare Übel bei anderen zu richten. Dann aber muss Gott uns in seinem regierenden Handeln richten – und das ist oft außerordentlich schmerzhaft. Wie das aussieht, zeigen die beiden folgenden Kapitel.

Wir lernen auch aus 1. Korinther 5, dass es nötig ist, Leid zu tragen (Vers 2), bevor man in der Lage ist, den Bösen hinauszutun (Vers 13). Leid zu tragen bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man sich demütigt darüber, dass eine solche Sünde inmitten des Volkes Gottes vorkommen konnte. Dass der Zustand nicht so ist, dass jemand, der Bruder genannt wird (Vers 11), vor einer solchen Sünde ausreichend gewarnt und bewahrt werden konnte. Leid tragen bedeutet besonders, dass man sich bewusst wird, in welchem Maß die Ehre des Herrn in der Versammlung durch eine solche Tat in den Schmutz gezogen wird. Man muss sich bewusst machen, dass man selbst kein bisschen besser ist und in dieselbe Sünde fallen würde, wenn der Herr nicht bewahrend eingreift. Wenn man in dieser Weise gedemütigt ist, dann ist man in der Verfassung, in geistlicher Weise und auf der Grundlage des Wortes Gottes das zu tun, wozu uns der Herr in diesem Fall auffordert: den alten Sauerteig auszufegen und den Bösen aus der Mitte der Gläubigen hinauszutun.

Israel hat gesündigt

Richter 19 erinnert uns auf bestürzende Weise an die Sünde von Achan in Josua 7. Das Volk hatte nicht gemerkt, dass nicht nur Achan gesündigt hatte, sondern „Israel hat gesündigt“ (Jos 7,11). Auch in Richter 17–19 war es so. Diese Sünde zeigte einfach den Zustand des Volkes selbst.

Aber wer lässt sich auch von uns heute gern einen solch deutlichen Spiegel vorhalten? Dazu fehlt uns häufig das notwendige Selbstgericht und die dazu gehörende Fähigkeit, selbstkritisch zu urteilen. So war auch diese Sünde in Gibea letztlich ein Zeichen und ein Spiegel des Zustandes des gesamten Volkes Israel – eine Sünde, die dem ganzen Volk in gewisser Weise angelastet wird, weil es selbst nicht besser war.

Viel später lesen wir im Propheten Hosea: „Seit den Tagen von Gibea hast du gesündigt, Israel. Dort sind sie stehen geblieben [d.h. wahrscheinlich: Sie sind bei der Sünde Gibeas geblieben]“ (Hos 10,9). Natürlich schmälert das in keiner Weise die große Schuld von Gibea. Aber auch hier wird die Sünde Israels herausgestellt, die sozusagen ihren besonderen Ausdruck in der Sünde Gibeas fand. Zunächst hätte sich daher das ganze Volk über den eigenen Zustand demütigen sollen. Dann hätte es nicht als ein Richter auftreten dürfen, der die Sache nur von außen und oben betrachtet. Das gibt es nur bei Richtern dieser Welt, nicht aber, wenn es darum geht, böse Dinge unter dem Volk Gottes zu richten. Gibea und damit Benjamin waren ja Teil des Volkes. Daher hätte man sich zunächst einmal mit der Sünde identifizieren sollen, um sie zu bekennen, so wie es Männer wie Esra und Daniel getan haben.

Zucht setzt neben heiligem Zorn Demütigung voraus

So muss der Apostel Paulus an die Korinther schreiben: „Ihr seid aufgebläht und habt nicht vielmehr Leid getragen“ (1. Kor 5,2). Wie oft müsste Er das auch bei uns sagen?

Der Herr möge uns vor einer Empörung bewahren, die blind ist in Bezug auf unseren eigenen Zustand. Bei einer solchen Situation wie mit Gibea ist heiliger Zorn absolut angebracht – aber in Verbindung mit dem Bekenntnis, dass man nicht besser ist und dass der eigene Zustand einen solchen Gräuel unter dem Volk Gottes zulassen konnte. Erst dann ist es „heiliger“ Zorn.

Wenn das Volk behauptete, dass seit dem Auszug aus Ägypten Derartiges nicht passiert sei, mutet diese Aussage sehr kühn an. Offenbar ist das Volk äußerst vergesslich geworden. Gab es nicht genügend Beispiele, bei denen das Volk seinen Gott so sehr gereizt hatte, dass Er das ganze Volk zu Recht vertilgen wollte, so dass „nur“ die Mittlerschaft Moses ihre Rettung war? Wie stand es mit dem Verderben, von dem wir in den Kapiteln 17 und 18 dieses Buches lesen? War dieser Götzendienst nicht ein in Gottes Augen viel schlimmeres Übel, das jedoch von dem Volk gar nicht als solches richtig wahrgenommen wurde?

Wie leicht geht es auch uns so, dass wir die wahren Maßstäbe und Verhältnisse Gottes nicht mehr richtig wahrnehmen. Er möge uns davor bewahren, das Übel der anderen als das Schlimmste und als Böses dem Grundsatz nach zu bezeichnen, das Böse jedoch, das bei uns vorkommt, als nicht so schlimm und eher als praktisches Versagen zu empfinden.

Zugleich mag man darauf hinweisen, dass das Zerstücken einer Person des Volkes Gottes in der Tat eine bislang einmalige Sache war. Darüber jedoch finden wir an keiner Stelle dieser Geschichte einen Hauch von Empörung. Zwar war dieses Versenden der zerstückelten Leiche Anlass für das Entsetzen des Volkes; es entsetzte sich aber nicht über die Tatsache, dass ein Mensch zerstückelt wurde, sondern über das schreckliche Tun der Gibeoniter, das auf diese Weise angeprangert werden sollte. Beides war verkehrt – aber nur das eine wird in seiner Scheußlichkeit erkannt. So verdreht können die Maßstäbe von uns Menschen leider werden.

An dieser Stelle möchte ich die übrigen Erwähnungen Gibeas in der Schrift anführen. Man muss wohl davon ausgehen, dass es sich jeweils um das gleiche Gibea handelt. In Josua 18,28 finden wir diese Stadt, wie sie von Josua zu dem Erbteil der Benjaminiter gemacht wird. Aus 1. Samuel 10,26 dürfen wir wohl schließen, dass es sich um den Heimatort Sauls handelte. Ganz besonders Kapitel 11,4 macht dies deutlich. Damit aber ist die Stadt, die nunmehr zunächst nach der großen Sünde in Richter 19 Gnade gesehen hat, indem aus ihr der erste König über Israel hervorging, mit dem „Schicksal” Sauls aufs Engste verbunden. Das erkennt man beim Lesen von Kapitel 13,15 und 15,34. Als Saul als König verworfen wurde und sich die Stadt weiterhin mit ihm eins machte, war es letztlich auch diese Stadt, die diese Verwerfung negativer Art, nämlich von dem Angesicht des Herrn, mit ihm teilen musste. So wird es auch uns gehen, wenn wir die falsche Seite wählen! Nur die Verwerfung des Herrn selbst zu teilen ist für den Gläubigen erstrebenswert. Wenn wir jedoch die Seite von Personen wählen, die nicht die Zustimmung des Herrn Jesus haben, wird es uns wie Saul und seiner Stadt gehen: Im übertragenen Sinn bedeutet das Untergang.

In 2. Samuel 21,6 finden wir Gibea in Verbindung mit David, allerdings gehört diese Begebenheit auch nicht zu den Teilen, in denen er ein Vorbild des Herrn Jesus ist. Zwar hatte er zu Beginn dieser Geschichte, die ein Gericht Gottes aufgrund böser Taten Sauls beschreibt, Gott gefragt. Anstatt aber auch in Bezug auf die zu leistende „Sühne” den Herrn zu befragen, durften die Gibeoniter diese bestimmen. Das führte dazu, dass Rizpa, die Mutter von zwei Söhnen Sauls, die hingerichtet wurden, in ergreifender Weise David sein falsches Tun vor Augen führt. So wird Gibea hier für den großen König David zum Anlass eines Fehlers.

In 2. Samuel 23,29 finden wir dann, dass Gottes Gnade so groß ist, dass auch aus einer solchen Stadt Helden für David, ja für den Herrn, hervorkommen können. Ittai, der Sohn Ribais, ist einer von denjenigen, die David schon in seiner Zeit der Verwerfung zur Seite standen, und der es offenbar auch während seiner Regierungszeit weiterhin tat.

Schließlich finden wir noch in den Propheten des Alten Testamentes, dass Gibea eine vorbildliche Bedeutung für die Verwerfung des ganzen Volkes Israels hat. In Jesaja 10,29 wird dies besonders deutlich. So stellt die Flucht des Gibea Sauls die Flucht des ganzen Volkes dar, wie wir sie heute erleben und wie sie in besonderer Weise am Ende der Tage Israels stattfinden wird. Wie schon gesehen, finden wir auch in dem Propheten Hosea derartige Ankündigungen. Beispielsweise sehen wir auch in Hosea 9,9, dass das Verderbnis Gibeas letztlich das Übel charakterisiert, das in ganz Israel vorgekommen ist und zu der Verwerfung des Volkes von den Augen des Herrn weg geführt hat. „Er wird sich an ihre Ungerechtigkeit erinnern, er wird ihre Sünden heimsuchen.”

Fußnoten

  • 1 Es geht bei dieser „Kritik“ nicht um das sehr zu unterstützende Anliegen mancher, durch persönliche Evangelisation und Kontakte Menschen für den Herrn Jesus zu gewinnen. Denn diese persönliche Art, die „Gute Botschaft“ weiterzugeben, finden wir nicht nur bei dem Herrn Jesus, sondern auch den Aposteln und Dienern in dem Neuen Testament (Paulus, Philippus, etc.) wieder. Es hat sogar den Anschein, als ob man heute fast nur noch auf einem solchen Weg wirklich Menschen ansprechen und gewinnen kann. Das Problem der „Freundschafts-Evangelisation“ bzw. dieses Wortes ist jedoch, dass manche meinen, über Freundschaften mit Welt-Menschen – und das ist etwas, was die Bibel, wie gesagt, Feindschaft gegen Gott nennt – andere erretten zu wollen. Vielleicht handelt es sich dabei mehr um eine gewisse Modeerscheinung. Die entsprechenden Gefahren bleiben aber bestehen.
  • 2 Damit ist nicht gesagt, dass durch diese Art nicht auch Menschen zu dem Herrn Jesus geführt worden wären. Jeder wird dafür genug Beispiele nennen können. Bei Paulus finden wir im Übrigen in diesem Zusammenhang die schöne Haltung, die er in Philipper 1,15-18 zum Ausdruck bringt: „Einige zwar predigen den Christus auch aus Neid und Streit, einige aber auch aus guten Willen ... Was denn? Wird doch auf alle Weise, sei es aus Vorwand oder in Wahrheit, Christus verkündigt, und darüber freue ich mich, ja, ich werde mich auch freuen.“ Man darf jedoch auch nicht dem Trugschluss erliegen, dass eine äußerlich gesegnete Arbeit dadurch auch die Zustimmung des Herrn Jesus in sich birgt. Das können wir allein schon daran erkennen, dass manche Könige des Alten Testaments „gesegnete Zeiten“ erlebten, denken wir nur an Jerobeam II, oder denken wir – in extrem negativer Hinsicht – an die Wunder, die von Judas vollbracht wurden. Die Zustimmung des Herrn wird ein Diener erhalten, wenn er in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes und aus dem Antrieb echter Liebe tätig wird.
  • 3 Es ist interessant, dass Saul von diesem Geschehen aus nach Gibea geht.
  • 4 An dieser unterschiedlichen Handlungsweise lernen wir auch, dass für jede Aktion in unserem persönlichen und gemeinsamen Leben immer wieder neu der Wille des Herrn erfragt werden muss.
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