Das Buch Ruth
Kapitel 1
Der traurige Zustand des Volkes Gottes
„Der HERR tut die Augen der Blinden auf, der HERR richtet die Niedergebeugten auf … der HERR bewahrt die Fremden, die Waise und die Witwe hält er aufrecht“ (Ps 146,8–9).
„Und es geschah in den Tagen, als die Richter richteten, da entstand eine Hungersnot im Land. Und ein Mann von Bethlehem-Juda zog hin, um sich in den Gebieten von Moab aufzuhalten, er und seine Frau und seine beiden Söhne“ (1,1).
Im ersten Vers des Buches Ruth lernen wir, dass es davon handelt, was in den Tagen geschah, „als die Richter richteten“. Im letzten Vers des vorhergehenden Buches lernen wir, dass die Tage der Richter von zwei Dingen gekennzeichnet waren (Ri 21,25):
- Erstens war in diesen Tagen kein König in Israel.
- Zweitens tat jeder, was recht war in seinen Augen.
Der Zustand eines Landes, das keinen König mehr hat, und damit eines Volkes, das kein leitendes Oberhaupt oder keine regierende Autorität mehr hat, ist in der Tat ernst. Wo das der Fall ist, wird die Folge sein, dass jeder tut, was recht ist in seinen Augen. Das Ende davon ist, dass gar nichts Rechtes mehr getan wird.
Der Verlust des Königtums beinhaltet das Aufkommen der Demokratie und führt letztlich zur Regierung des Eigenwillens, zur Ablehnung jeder Autorität und zur Nachsicht gegenüber jeder Art von Zügellosigkeit. In einen solchen Zustand war das Volk Gottes in den Tagen der Richter verfallen. In vielen Bereichen spiegelt dieser niedrige Zustand den Zustand in der Welt unserer Tage und unter dem bekennenden Volk Gottes unserer Tage wider. Dieselben Prinzipien sind am Werk und produzieren dieselben Ergebnisse. Der Eigenwille des Menschen, der keine Beherrschung duldet, lehnt zunehmend Autorität ab. Das Königtum verliert an Bedeutung gegenüber dem Willen des Volkes; jeder versucht, das zu tun, was recht ist in seinen Augen. Demokratie schwächt Autorität in jedem Bereich des Lebens. Das Volk will anstelle des Königs und seiner Repräsentanten regieren: Menschen wollen anstelle von Herrschern und Kinder anstelle von Eltern regieren. Im Ergebnis wird das ganze weltliche System demoralisiert und endet in Ruin und Chaos.
Die gleichen Prinzipien, die in dieser Welt Durcheinander anrichten, sind auch im Volk Gottes am Werk, mit den gleichen traurigen Ergebnissen. Darum sehen wir es auch zertrennt und zerstreut, und noch immer geht das Werk der Zerstörung weiter. Die Ausübung des Eigenwillens schließt die Autorität des Herrn und die Leitung des Hauptes aus. Wie die Welt, so tut auch die Masse der Christenheit, was recht ist in ihren Augen. Diese Prinzipien waren schon zur Zeit des Apostels Paulus am Werk, denn er musste die Gläubigen warnen, dass sie in Gefahr standen, nicht mehr an dem Haupt festzuhalten, und musste mit Sorge feststellen, dass alle das Ihre suchen, nicht das, was Jesu Christi ist (Phil 2,21).
In dem Augenblick, in dem wir aufhören, mit allen unseren Bedürfnissen zu Christus, dem erhöhten Haupt seines Leibes, der Versammlung, zu kommen; in dem Moment, in dem wir aufhören, unter der Führung des Herrn und der Leitung des Geistes zu handeln, werden wir anfangen, das zu tun, was recht ist in unseren Augen. Vielleicht tun wir in den Augen der Welt nichts moralisch gesehen Falsches, wir sind vielleicht sogar sehr aktiv und völlig aufrichtig. Aber wenn in unserer Aktivität die Ansprüche des Herrn und die Leitung des Hauptes ignoriert werden, ist es einfach unser Eigenwille, der uns das tun lässt, was in unseren Augen recht ist.
Das traurige Ergebnis des niedrigen Zustandes Israels zeigt uns der erste Vers dieses ersten Kapitels. Es entstand eine Hungersnot im Land. In dem Land, das der Ort des Überflusses hätte sein sollen, das von Milch und Honig fließt, gab es nicht genug, um den Bedarf des Volkes Gottes zu befriedigen.
Das gleiche Übel hat in der Christenheit ein ähnliches Ergebnis gebracht. Christen, die nicht mehr an dem Haupt festhielten und dem Herrn nicht mehr den Platz der Autorität einräumten, haben das getan, was sie in ihren Augen als das Beste ansahen, und so zahllose Sekten gebildet, in denen das Volk Gottes aus Mangel an geistlicher Nahrung verhungert. Das Haus Gottes, das ein Ort des Überflusses hätte sein sollen, ist in den Händen der Menschen zu einem Ort der Hungersnot geworden.
Elimelech – der Weg eines Abtrünnigen
„Und der Name des Mannes war Elimelech, und der Name seiner Frau Noomi, und die Namen seiner beiden Söhne Machlon und Kiljon, Ephratiter aus Bethlehem-Juda. Und sie kamen in die Gebiete von Moab und blieben dort“ (1,2).
Die Zeit der Hungersnot wird zu einer Zeit der Prüfung für den einzelnen Gläubigen. Die Hungersnot testet unseren Glauben. Elimelech befand sich im Land der Bestimmung für Israel. Die Stiftshütte war da, die Priester waren da, der Altar war da, aber in den Regierungswegen Gottes mit seinem Volk war auch die Hungersnot da und das war die Prüfung für Elimelech. Würde er Gott in der Hungersnot vertrauen und trotz der Hungersnot auf dem von Gott bestimmten Weg bleiben? Dieser Mann aus Bethlehem war der Prüfung nicht gewachsen. Er war bereit, in Zeiten des Überflusses in dem von Gott bestimmten Land und in Absonderung von den umliegenden Völkern zu wohnen, aber unter dem Druck der Hungersnot verlässt er das Land.
So waren auch in der Geschichte der Kirche viele damit zufrieden, mit dem Volk Gottes und dem Zeugnis des Herrn verbunden zu sein, solange alle Gläubigen ein Herz und eine Seele waren und solange „große Kraft“ und „große Gnade“ auf allen war (Apg 4,33). Aber als die bekennende Christenheit anfing, zu tun, was in ihren Augen recht war, als alle um das Ihre besorgt waren und Paulus im Gefängnis und das Evangelium in Bedrängnis war, da setzte wirkliche Hungersnot ein. Und mit der Hungersnot kam die Prüfungszeit, und in der Prüfung brach der Glaube von vielen zusammen, denn Paulus musste sagen, dass alle „das Ihre [suchen], nicht das, was Jesu Christi ist“ (Phil 2,21), und weiter, „dass alle, die in Asien sind, sich von mir abgewandt haben“ (2. Tim 1,15).
Auch wir können der Prüfung der Hungersnot in unserer Zeit nicht entfliehen. Gott hat in seiner Gnade erneut viele erleuchtet, was die Grundlagen des Zusammenkommens seines Volkes betrifft, und viele, die durch den Dienst des Wortes angezogen waren, haben den Weg der Absonderung glücklich akzeptiert. Aber wenn die Prüfung kommt, wenn die Zahl klein ist, wenn die äußere Schwachheit offensichtlich ist und es nur wenig Dienst gibt, dann finden sie den Platz zu eng für sich, die Schwachheit zu anstrengend, den Kampf zu hart. Unter dem Druck der Umstände verlassen sie den Ort und verirren sich an einen Platz ihrer eigenen Wahl, in der Hoffnung, dort den Prüfungen entkommen zu können und Ruhe vom Kampf zu finden.
So war es auch bei Elimelech. Es ist bezeichnend, dass sein Name „Mein Gott ist König“ bedeutet. Vielleicht waren seine Eltern fromme Leute, die erkannt hatten, dass kein König in Israel war und dass Gott ihrem Sohn König sein sollte. Aber wie oft entsprechen wir unseren Namen nicht. Als die Prüfung kam, versäumte es Elimelech, seinem König Gehorsam zu leisten. Wenn Gott König ist, kann Er in Tagen der Hungersnot genauso aufrechterhalten wie in Tagen des Überflusses. Aber Elimelechs Glaube reichte nicht an das Bekenntnis seines Namens heran und war deshalb dem Druck der Umstände nicht gewachsen. So geschieht es, dass er den Weg des Abtrünnigen wählt, und nicht nur das, auch andere werden durch seinen Mangel an Glauben abgezogen. Seine Frau und seine Söhne folgen ihm naturgemäß.
Nachdem er das Land des HERRN verlassen hat, zieht er an einen Ort seiner Wahl. Noch schlimmer: Nachdem er im Land Moab angekommen war, blieb er dort. Es ist leichter, an einem falschen Ort zu verharren, als an einem richtigen Ort zu bleiben. Der Ort, den er wählt, ist bezeichnend. Die Länder, die das verheißene Land umgeben, verkörpern zweifellos die Welt in verschiedenen Formen. Ägypten repräsentiert die Welt mit ihren Schätzen des Reichtums und Vergnügungen der Sünde und darüber hinaus die Fessel Satans, die das Streben nach Vergnügen immer mit sich bringen wird. Babylon stellt die Welt in ihrer religiösen Verdorbenheit vor. Auch Moab repräsentiert eine besondere Eigenschaft der Welt. Die geistliche Bedeutung zeigt uns der Prophet Jeremia, wenn er sagt: „Sorglos war Moab von seiner Jugend an, und still lag es auf seinen Hefen und wurde nicht ausgeleert von Fass zu Fass“ (Jer 48,11). Moab steht für ein Leben der Sorglosigkeit, in dem man nach Entspannung von aller Unruhe sucht und wo wenig Bewegung ist, wo das Leben ohne viel Veränderung so dahinplätschert. Um mit den Worten des Propheten zu sprechen: Es wird dort nicht von Fass zu Fass ausgeleert.
Ägypten mit seinen ganzen Vergnügungen und Babylon mit seiner verdorbenen Religion waren für Elimelech nicht anziehend. Aber Moab mit seiner Sorglosigkeit und Entspannung hatte eine starke Anziehungskraft als eine Möglichkeit, dem Kampf und den Prüfungen zu entkommen. Und angesichts der Hungersnot ist Moab auch heute noch der große Fallstrick für solche, die einst die Grundsätze Gottes für sein Volk anerkannt haben. Angesichts der Hungersnot finden manche den Kampf um das Aufrechterhalten des Weges der Absonderung zu schmerzlich und das ständige Vorwärtsgehen auf diesem Weg zu anstrengend. Sie sind versucht, den guten Kampf des Glaubens aufzugeben und sich ruhig in einem entspannenden Tal Moabs niederzulassen, um nicht länger von Fass zu Fass ausgeleert zu werden, sondern lieber bei ihren eigenen Angelegenheiten stehen zu bleiben. Doch, wie Elimelech, müssen wir oft durch schmerzliche Erfahrung die bitteren Ergebnisse von Abtrünnigkeit kennen lernen.
„Und Elimelech, der Mann Noomis, starb; und sie blieb mit ihren beiden Söhnen übrig. Und sie nahmen sich moabitische Frauen: Der Name der einen war Orpa, und der Name der anderen Ruth; und sie wohnten dort etwa zehn Jahre. Da starben auch die beiden, Machlon und Kiljon; und die Frau blieb von ihren beiden Söhnen und von ihrem Mann allein übrig“ (1,3–5).
Wir haben bereits gesehen, dass Elimelech mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen nicht nur nach Moab kam, sondern auch dort blieb. Für Elimelech gab es keine Genesung. Für ihn wurde das Land Moab zu einem Tal des Todesschattens. Er dachte, dem Tod durch Hungersnot im Land Juda entkommen zu können, und lief ihm im Land Moab direkt in die Arme. Genau der Schritt, den er tat, um den Tod zu vermeiden, brachte ihm den Tod. Ein falscher Schritt, den wir tun, um Schwierigkeiten zu vermeiden, bringt uns genau in die Schwierigkeiten, die wir zu vermeiden suchten. Außerdem ist das Suchen nach Ruhe in dieser Welt gleichbedeutend mit dem Suchen nach Ruhe in Dingen, die der Tod uns nehmen kann oder von denen wir durch den Tod weggenommen werden. Selbst über den schönsten Schauplätzen dieser Welt liegt der Schatten des Todes. Aber Christus ist auferstanden, der Tod hat keine Macht mehr über Ihn, und es ist weit besser, mit dem auferstandenen Christus in einer Hungersnot zu sein, als in Gesellschaft des Todes von den Überflüssen dieser Welt umgeben zu sein.
Elimelech stirbt. Die traurigen Folgen seines falschen Schrittes sind jedoch nicht auf ihn allein beschränkt. Noomi, seine Frau, und seine zwei Söhne waren ihm nach Moab gefolgt. Die zwei Söhne gehen Verbindungen mit den Frauen Moabs ein, entgegen dem Gesetz des HERRN. Zehn Jahre gehen vorüber und dann nimmt der Tod die beiden Söhne, und Noomi bleibt, des Mannes und der Söhne beraubt, als einsame und kinderlose Witwe in einem fremden Land zurück. Der HERR hat ihr in der Tat vieles weggenommen und sie in Einsamkeit gebracht, aber Er hat sie nicht verlassen. Die Hand, die diese verwundete und leidgeprüfte Frau schlug, wurde von einem Herzen bewegt, das sie liebte.
Noomi – der Weg der Wiederherstellung
„Und sie machte sich auf, sie und ihre Schwiegertöchter, und kehrte aus den Gebieten von Moab zurück; denn sie hatte im Gebiet von Moab gehört, dass der HERR sich seinem Volk zugewandt habe, um ihnen Brot zu geben. Und sie zog aus von dem Ort, wo sie gewesen war, und ihre beiden Schwiegertöchter mit ihr; und sie zogen des Weges, um in das Land Juda zurückzukehren. Da sprach Noomi zu ihren beiden Schwiegertöchtern: Geht, kehrt um, jede zum Haus ihrer Mutter. Der HERR erweise Güte an euch, so wie ihr sie an den Verstorbenen und an mir erwiesen habt. Der HERR gebe euch, dass ihr Ruhe findet, jede im Haus ihres Mannes! Und sie küsste sie. Und sie erhoben ihre Stimme und weinten; und sie sprachen zu ihr: Doch, wir wollen mit dir zu deinem Volk zurückkehren! Und Noomi sprach: Kehrt um, meine Töchter! Warum wollt ihr mit mir gehen? Habe ich noch Söhne in meinem Leib, dass sie euch zu Männern werden könnten? Kehrt um, meine Töchter, geht; denn ich bin zu alt, um einem Mann anzugehören. Wenn ich spräche: Ich habe Hoffnung; wenn ich selbst diese Nacht einem Mann angehören würde und sogar Söhne gebären sollte: Wollt ihr deshalb warten, bis sie groß würden? Wollt ihr euch deshalb verschließen, um keinem Mann anzugehören? Nicht doch, meine Töchter! Denn mir ergeht es viel bitterer als euch; denn die Hand des HERRN ist gegen mich ausgegangen“ (1,6–13).
Wenn wir in Elimelech den Weg des Abtrünnigen sehen, sehen wir in Noomi den Weg der Wiederherstellung. Zehn Jahre lang vom Land des HERRN entfernt, hatte sie Sorglosigkeit im Land Moab gesucht und nur Leiden gefunden. Aber schließlich hatte die Züchtigung des HERRN ihr Werk an ihr getan, denn wir lesen: „Und sie machte sich auf, sie und ihre Schwiegertöchter, und kehrte aus den Gebieten von Moab zurück.“ Was bewegte sie dazu, zurückzukehren? War es das Leid, das sie erduldet, oder waren es die Verluste, die sie erlitten hatte? O nein! Es war die gute Nachricht von der Gnade des Herrn, die sie zurückzog. Als sie davon gehört hatte, „dass der HERR sich seinem Volk zugewandt habe, um ihnen Brot zu geben“, da machte sie sich auf und kehrte zurück. Leiden werden uns nicht dazu bewegen, zum Herrn zurückzukehren, obwohl sie uns vielleicht lehren, wie bitter es ist, abzuirren, und unsere Herzen dadurch zubereiten, dass wir der guten Nachricht über den Herrn und seine Gnade gegenüber seinem Volk zuhören. Es war nicht das Elend und der Mangel, die bittere Knechtschaft, die Träber oder der Hunger in fernem Land, die den verlorenen Sohn heimwärts führten, sondern die Erinnerung an den Überfluss im Haus des Vaters und an die Gnade des Vaterherzens, die ihn sagen ließen: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen.“ Es war nicht das Elend des fernen Landes, das ihn zurück trieb, sondern die Gnade des Vaterherzens, die ihn zurück zog. So war es auch bei Noomi. Im Land Moab, wo ihr alles genommen worden war, hört sie vom Land Juda, wo der HERR seinem Volk gibt. Und mit dem HERRN vor Augen erhebt sie sich über all ihr Versagen und macht sich auf, um zurückzukehren.
Ihr erster Schritt auf dem Weg nach Hause war die vollständige Befreiung von den falschen Verbindungen in Moab. „Sie zog aus, von dem Ort, wo sie gewesen war.“ Und dieser sehr praktische Schritt hatte einen unmittelbaren Effekt auf andere. Ihre zwei Schwiegertöchter gingen mit ihr. Gegen eine falsche Haltung zu zeugen und doch in ihr zu verharren, wird keinen Effekt auf andere haben. Wenn der Platz falsch ist, muss der erste Schritt sein, sich davon zu trennen.
So geschah es im Fall Noomis. Sie zog aus und ihre beiden Schwiegertöchter mit ihr. Sie verließen die falschen Verbindungen mit dem richtigen Platz vor Augen, denn „sie zogen des Weges, um in das Land Juda zurückzukehren“.
Orpa – der Weg eines leeren Bekenners
„Da erhoben sie ihre Stimme und weinten wieder. Und Orpa küsste ihre Schwiegermutter; Ruth aber hing ihr an“ (1,14).
Trennung von einer falschen Position und Ausrichtung auf eine richtige beweisen nicht zwangsläufig die Aufrichtigkeit von allen, die so handeln. Von diesen drei Frauen ist Noomi eine abtrünnige Gläubige auf dem Weg der Wiederherstellung, Ruth eine Zeugin der souveränen Gnade Gottes, gekennzeichnet durch Glauben und hingebungsvolle Zuneigung, und Orpa eine gute, aber leere Bekennerin, die nie das verheißene Land erreichen wird.
Sowohl Ruth als auch Orpa machen ein Bekenntnis der Hingabe an Noomi. Beide bekennen, das Land ihrer Väter zu verlassen, und beide haben ihre Blicke auf das Land des HERRN gerichtet. Aber wie immer, wird das Bekenntnis einer Prüfung unterzogen. Noomi sagt: „Geht, kehrt um, eine jede zum Haus ihrer Mutter.“ Ihnen wird die Möglichkeit der Umkehr eingeräumt. Das wird ans Licht bringen, ob die Gedanken ihrer Herzen mit ihrem äußeren Bekenntnis übereinstimmen. Wenn sie an das Land dachten, von dem sie ausgegangen waren, hatten sie die Möglichkeit, umzukehren (Heb 11,15). Sofort offenbart sich das Herz Orpas. Es hängt an dem Land ihrer Geburt. Ruth trachtete nach einem „besseren“ Land, wie wir noch sehen werden. Auch Orpa hatte ein schönes Bekenntnis, aber eben nur ein Bekenntnis. Ihre Gefühle waren tief bewegt, denn sie erhob ihre Stimme und weinte; ihre Zuneigungen waren angerührt, denn sie küsste ihre Schwiegermutter. Ihre Worte waren schön, denn sie sagte: „Doch, wir wollen mit dir zu deinem Volke zurückkehren!“ Es ist allerdings bezeichnend, dass Ruth Noomis Gott erwähnt, während Orpa nur von Noomi und ihrem Volk spricht. So kam es, dass sie trotz ihrer Worte, Tränen und Küsse Noomi und ihrem Gott und dem Land des Segens den Rücken zukehrte und „zu ihrem Volk und zu ihren Göttern“ und in das Land des Todesschattens zurückkehrte.
Ruth – der Weg der Gnade Gottes
„Und sie sprach: Siehe, deine Schwägerin ist zu ihrem Volk und zu ihren Göttern zurückgekehrt; kehre um, deiner Schwägerin nach! Aber Ruth sprach: Dringe nicht in mich, dich zu verlassen, um hinter dir weg umzukehren; denn wohin du gehst will ich gehen, und wo du weilst, will ich weilen; dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott; wo du stirbst, will ich sterben, und dort will ich begraben werden. So soll mir der HERR tun und so hinzufügen, nur der Tod soll scheiden zwischen mir und dir! Und als sie sah, dass sie fest darauf bestand, mit ihr zu gehen, da ließ sie ab, ihr zuzureden“ (1,15–18).
Wie anders ist die Geschichte Ruths. Sie wird zur Zeugin der Gnade Gottes. Ruth hat auch ein gutes Bekenntnis; sie äußert schöne Worte; sie ist auch tief bewegt, denn sie erhebt wie Orpa ihre Stimme und weint. Aber bei Ruth war es mehr, denn bei ihr fanden sich die „mit der Erettung verbundenen Dinge“: Glaube, Liebe und Hoffnung (Heb 6,9–12).
Bei Orpa war es nur ein äußerlicher Ausdruck der Liebe. Sie konnte Noomi küssen und dann verlassen, genau wie Judas zu späterer Zeit den Herrn küssen und überliefern konnte. Von Ruth wird noch nicht einmal gesagt, dass sie Noomi küsste, aber wenn auch kein äußerlicher Ausdruck der Liebe da war, war doch echte Liebe vorhanden, denn wir lesen, dass Ruth ihr anhing. Echte Liebe kann nicht den Gegenstand der Liebe aufgeben, sie muss in der Gemeinschaft der geliebten Person sein und daher fügt Ruth hinzu: „Dringe nicht in mich, dich zu verlassen, hinter dir weg umzukehren.“
Darüber hinaus entspricht ihr Glaube ihren Zuneigungen. Mit der Energie ihres Glaubens überwindet sie die Anziehungskraft des Landes ihrer Geburt, des Hauses ihrer Mutter, ihres Volkes und ihrer Götter. Sie nimmt die Wanderschaft in Kauf, denn sie sagt: „Wohin du gehst, will ich gehen.“ Sie nimmt das Los einer Fremden an, denn sie sagt: „Wo du weilst, will ich weilen.“ Sie identifiziert sich mit dem Volk Gottes: „Dein Volk ist mein Volk.“ Über alles stellt sie ihr Vertrauen in den wahren Gott, denn sie sagt nicht nur: „Dein Volk ist mein Volk“, sondern fügt hinzu: „Dein Gott ist mein Gott.“ Selbst der Tod kann sie nicht zurückhalten, denn sie sagt: „Wo du stirbst, will ich sterben, und dort will ich begraben werden.“ Ob im Leben oder im Tod, sie identifiziert sich völlig mit Noomi, und beansprucht fortan Noomis Volk als ihr Volk und Noomis Gott als ihren Gott. Und alles das zu einem Zeitpunkt, an dem sie auf den ersten Blick nichts anderes mehr vor sich hatte, als eine alte, zerbrochene Frau, denn sie hängt sich, wie jemand gesagt hat, an Noomi „in der Stunde ihrer Witwenschaft, ihrer Fremdlingschaft und ihrer Armut“.
Für den vernünftig denkenden Menschen dieser Welt erscheint die Wahl Ruths äußerst töricht. Die Sorglosigkeit Moabs, den Komfort des Elternhauses und das Land der Geburt zu verlassen, um eine Reise durch die Wüste auf sich zu nehmen, von der sie nichts weiß, in ein Land, das sie nie gesehen hat, in Gesellschaft einer armen, leidgeprüften Witwe, scheint wirklich der Gipfel der Torheit zu sein. Dies ist jedoch erst der Anfang der Geschichte, das Ende ist noch nicht in Sicht. Es ist noch nicht offenbar geworden, was sie sein wird. Der Glaube mag seine ersten Schritte in Umständen der Armut und Schwachheit tun, aber am Ende wird der Glaube gerechtfertigt werden und eine große Belohnung haben, in Umständen der Macht und Herrlichkeit. Am Anfang der Geschichte identifiziert sich Ruth von ganzem Herzen mit einer alten und einsamen Witwe, und am Ende wird sie als die Braut des mächtigen und wohlhabenden Boas dargestellt, ja noch mehr, ihr Name wird von Generation zu Generation weitergereicht, eingemeißelt im Geschlechtsregister des Herrn.
Mose, ausgestattet mit allen natürlichen Vorzügen, nur eine Armeslänge entfernt von allen Herrlichkeiten dieser Welt, wurde zum strahlenden Beispiel desselben Glaubens. Er kehrte den Vergnügungen der Sünde und den Schätzen Ägyptens den Rücken zu, achtete die Schmach des Christus für größeren Reichtum als alle Schätze Ägyptens und verließ die Welt und alle ihre Herrlichkeiten (Heb 11,24), um sich in der Wüste in Gesellschaft eines armen, leidenden Volkes wiederzufinden. Was für eine völlige Dummheit in den Augen der Welt! Aber in seinen Tagen konnte der Glaube wirklich sagen: „Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden“ (1. Joh 3,2). Der Glaube musste 16 Jahrhunderte warten, bevor es begann, offenbar zu werden, was er sein würde. Da wird uns erlaubt, Mose in Herrlichkeit auf dem Berg der Verklärung erscheinen zu sehen, in Gemeinschaft mit dem Sohn des Menschen, in einer vorübergehenden Vision einer Herrlichkeit, die nie vorübergehen wird. Und wenn Mose schließlich in die kommenden Herrlichkeiten des Reiches in Gemeinschaft mit dem König der Könige eintreten wird, dann wird es ganz deutlich, dass die Herrlichkeiten dieser Welt, die er ablehnte, wirklich klein sind im Vergleich zu dem ewigen Gewicht von Herrlichkeit, das er gewann.
In unseren Tagen ist es nicht anders. Der Pfad des Glaubens mag aus Sicht dieser Welt der Gipfel der Torheit sein. Die Herrlichkeiten dieser Welt abzulehnen, sich mit dem armen und verachteten Volk Gottes zu identifizieren und zu Christus hinauszugehen, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend (Heb 13,13), mag für den menschlichen Verstand und aus natürlicher Sicht der blanke Wahnsinn sein. Aber immer noch antwortet der Glaube: „Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden“ (1. Joh 3,2). Der Glaube urteilt, dass „das schnell vorübergehende Leichte unserer Trübsal uns ein über jedes Maß hinausgehendes, ewiges Gewicht von Herrlichkeit bewirkt“ (2. Kor 4,17). Und der Glaube wird seinen großen Lohn bekommen. Denn wenn schließlich der Tag der Herrlichkeit anbricht und der Glaube in Schauen verwandelt wird, wenn der große Tag der Hochzeit des Lammes gekommen ist, dann werden seine armen und verachteten Heiligen mit Ihm und gleich Ihm erscheinen als die Braut, die Frau des Lammes.
Wenn die mit der Seligkeit verbundenen Dinge – Glaube, Liebe und Hoffnung – in Tätigkeit sind, wird die Folge Entschlossenheit des Herzens sein. So war es auch bei Ruth. Sie nahm keine Rücksicht auf das Land, das sie verließ, da war kein vergebliches Nachtrauern, sondern sie bestand fest darauf, zu gehen. Und so kam es, dass sie beide gingen, „bis sie nach Bethlehem kamen“. Auch für uns ist es gut, wenn wir, beseelt von Glauben, Liebe und Hoffnung, die Dinge vergessen, die dahinten liegen, und uns ausstrecken nach dem, was vorn ist, und, das Ziel anschauend, hinjagen zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus (Phil 3,14).
Der Empfang einer wiederhergestellten Seele
„Und so gingen beide, bis sie nach Bethlehem kamen. Und es geschah, als sie nach Bethlehem kamen, da geriet die ganze Stadt ihretwegen in Bewegung, und sie sprachen: Ist das nicht Noomi? Und sie sprach zu ihnen: Nennt mich nicht Noomi, nennt mich Mara; denn der Allmächtige hat es mir sehr bitter gemacht. Voll bin ich gegangen, und leer hat mich der HERR zurückkehren lassen. Warum nennt ihr mich Noomi, da der HERR gegen mich gezeugt und der Allmächtige mir Übles getan hat?
Und so kehrte Noomi zurück, und Ruth, die Moabiterin, ihre Schwiegertochter, mit ihr, die aus den Gebieten von Moab zurückkehrte; und sie kamen nach Bethlehem beim Beginn der Gerstenernte“ (1,19–22).
Dieser Teil der Geschichte Ruths endet wie selbstverständlich mit dem Empfang einer wiederhergestellten Seele. Wir haben die Bitterkeit des Weges eines Abtrünnigen gesehen und sind den Spuren des gnädigen und wiederherstellenden Weges des Herrn gefolgt. Jetzt müssen wir lernen, dass die wahre Antwort auf die Wiederherstellung durch den Herrn der Empfang seitens des Volkes Gottes ist. Die Augen fest auf das Land und das Volk Gottes gerichtet, eilten die wiederhergestellte Gläubige und die Neubekehrte weiter, bis „sie nach Bethlehem kamen“. Und als sie nach Bethlehem kamen, kam die ganze Stadt ihretwegen in Bewegung. Wir müssen zugeben, dass es in unserer Zeit wenig Kraft zur Wiederherstellung gibt. Kann es nicht sein, dass das so ist, weil wir so wenig Mitgefühl mit solchen haben, die gefallen sind? Gläubige fallen, das Böse wird verurteilt und mit denen, die das Böse verübt haben, wird richtig gehandelt, aber wir sind ihretwegen nur wenig bewegt, und wie selten finden daher Abtrünnige den Weg zurück zum Volk Gottes. Die Welt ist voller trauriger Herzen und gebrochener Herzen und verirrter Gläubiger, und sie werden so selten wiederhergestellt, und wir sind so selten ihretwegen bewegt!
Nichts wird das Werk der Wiederherstellung in einer Seele so vervollständigen wie das Mitgefühl der Gläubigen für diese Seele. So war es auch bei Noomi. Der liebevolle Empfang, mit dem sie empfangen wurde, öffnet ihr Herz und entlockt ihr ein schönes Bekenntnis, das die Echtheit ihrer Wiederherstellung bescheinigt.
- Sie erkennt an, dass der HERR sie, wie tief sie auch gefallen ist, doch nicht aufgegeben hat. Sie spricht von den Tagen ihrer Irrwege und anerkennt, dass der „Allmächtige … mit mir gehandelt“ hat (V. 20, Darby Translation). Wir mögen aufhören, uns mit Ihm zu beschäftigen, aber Er liebt uns zu sehr, als dass Er aufhören könnte, mit uns zu handeln. Und das ist gut so, denn der Schreiber des Hebräerbriefes sagt: „Was ihr erduldet, ist zur Züchtigung: Gott handelt mit euch als mit Söhnen … Wenn ihr aber ohne Züchtigung seid, deren alle teilhaftig geworden sind, so seid ihr denn Bastarde und nicht Söhne“ (Heb 12,7.8).
- Noomi bekennt, dass das Handeln, mit dem der HERR mit uns in unserer Abtrünnigkeit handelt, sehr bitter ist, und so muss sie hinzufügen, dass der HERR „sehr bitter“ mit ihr gehandelt hat. Auch uns erinnert der Apostel, dass alle Züchtigung für die Gegenwart nicht ein Gegenstand der Freude, sondern der Traurigkeit zu sein scheint (Heb 12,11).
- Noomi nimmt in sehr schöner Weise alle Schuld an ihren Irrwegen auf sich. Sie sagt: „Ich bin gegangen.“ Am Anfang der Geschichte lesen wir, dass ein Mann auszog, um sich in den Gebieten Moabs aufzuhalten, aber sie sagt kein Wort gegen ihren Mann. Sie beschuldigt nicht andere und entschuldigt nicht sich selbst.
- Noomi nimmt alle Schuld an ihrer Abtrünnigkeit auf sich, aber sie schreibt zu Recht dem Herrn allein ihre Wiederherstellung zu. Sie sagt: „Der HERR hat mich zurückkehren lassen.“ Ich sorgte für mein Weggehen, aber der HERR sorgte für meine Rückkehr. Im gleichen Geist sagt David: „Er erquickt meine Seele“ (o.: „Er stellt meine Seele wieder her“; siehe Fußnote von Psalm 23,3). In Augenblicken des Selbstvertrauens und der Selbstzufriedenheit mögen wir denken, wir könnten allein zu dem Herrn zurückkehren, aber kein Abtrünniger würde jemals zum Herrn zurückkehren, wenn Er ihn nicht wiederherstellen würde. Das Gebet des Herrn für Petrus, bevor er fiel, und der Blick des Herrn, als er fiel, brachen das Herz des Petrus und führten ihn zur Wiederherstellung. Petrus folgte von weitem und Petrus fiel, aber es war der Herr, der ihn zurückbrachte.
- Noomi sagt nicht nur, dass der Herr sie zurückkehren ließ, sondern dass der Herr sie nach Hause brachte (V. 21, Darby Translation). Wenn der Herr zurückbringt, dann bringt Er in die ganze Wärme und Liebe des häuslichen Bereichs. Als der Hirte sein verlorenes Schaf auf die Schultern nahm, brachte er es nach Hause. Er scheint zu sagen: „Für mein Schaf ist nichts gut genug, außer mein Haus.“
- Trotzdem ist es bewegend, dass sie anerkennen muss, dass, obwohl der HERR sie zurückkehren ließ, Er sie doch leer zurückkehren ließ. In der Zeit unseres Abirrens vom Herrn machen wir keine geistlichen Fortschritte. Der Herr muss sich vielleicht mit uns beschäftigen, um uns von allem zu entleeren, was unsere Seele am Fortschritt hindert. Wir müssen dann mit Noomi bekennen: „Voll bin ich gegangen und leer hat mich der HERR zurückkehren lassen.“ Wie alle, die abirren, musste auch Noomi leiden. Zwar wird sie auf herrliche Weise wiederhergestellt, zwar kommt sie wahrhaftig nach Hause und zum Volk des Herrn und zum Land des Herrn zurück, aber ihren Mann und ihre Söhne bekommt sie nicht zurück. Sie sind für immer fort. Sie suchte Sorglosigkeit und Ruhe von Kampf und Übungen, sie fand nur Tod und Verlust. Sie wurde leer zurückgebracht.
- Aber wenn der Herr uns leer zurückbringt, dann bringt Er uns an einen Ort des Überflusses. So war es auch bei Noomi. Denn Noomi kehrte zurück „beim Beginn der Gerstenernte“.
Welch ein Trost für unsere Herzen. Wenn wir in unserem Mitgefühl füreinander versagen, bei dem Herrn gibt es kein Versagen. Noch eine kurze Zeit, dann wird der Herr seine armen, verirrten Schafe nach Hause bringen, und am Ende wird keins fehlen. Dann werden wir in der ewigen Heimat der Liebe die Fülle der himmlischen Ernte genießen. Es wird der Beginn einer Ernte des Segens und der Freude sein, die kein Ende haben wird.