Einführender Vortrag zum 1. Korintherbrief
Kapitel 2
Das wird in Kapitel 2 noch weiter befestigt, indem der Apostel die Korinther daran erinnert, in welcher Weise das Evangelium nach Korinth gelangte. Als er zu ihnen kam, verzichtete er bewusst auf alles, was ihn empfehlen konnte. Zweifellos war es für einen Mann mit solch herausragenden Fähigkeiten und einer solchen Fülle an Gaben wie den Apostel Paulus, menschlich gesprochen, schwer, nichts zu sein. Wie viel Selbstverleugnung musste es ihn gekostet haben, völlig auf alles zu verzichten, worin er so geübt war und das die Menschen in Korinth mit lautem Beifall begrüßt hätten! Denke nur an den großen Apostel der Nationen, wie er den gewaltigen Geist in ihm frei wirken lässt, wenn er über die Unsterblichkeit der Seele spricht! Aber hier nicht! Was seine Seele vollkommen erfüllte, als er die intellektuelle und ausschweifende Hauptstadt Achaias betrat, war das Kreuz Christi. Er nahm sich daher vor, wie er sagt, nichts anderes unter ihnen zu wissen – und zwar genau genommen nicht das Kreuz allein, sondern – „Jesum Christum und ihn als gekreuzigt“ (V. 2). Es war vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, das Kreuz. Er sprach auch nicht einfach von der Erlösung, sondern in diesem Zusammenhang vor allem von einer anderen Seite der Wahrheit. Die Erlösung setzt zweifellos einen leidenden Heiland und das Vergießen jenes kostbaren Blutes voraus, welches den Gefangenen gegen ein Lösegeld freikauft. Jesus hat in Gnade das Gericht Gottes ertragen und die volle befreiende Macht Gottes für solche Seelen eingeführt, die glauben. Das Kreuz bedeutet hingegen mehr als nur dies. Es spricht vor allem von dem Tod der Schande. Es steht im totalen Gegensatz zu den Gedanken, Gefühlen, Urteilen und Handlungsweisen der religiösen und weltlichen Menschen. Dieser Teil der Wahrheit war es also, den er unter der Leitung der Weisheit Gottes herausstellen musste. Folglich bestanden die Empfindungen des Apostels in Misstrauen gegen sich selbst und Abhängigkeit von Gott entsprechend jenem Kreuz. Deshalb schreibt er: „Ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und in vielem Zittern“ (V. 3). So wie von Christus in 2. Kor 13 gesagt wird, dass Er in Schwachheit gekreuzigt wurde, so lebte auch sein Knecht hier in Schwachheit. Seine Rede und seine Predigt „war nicht in überredenden Worten der Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft.“ Folglich verbindet er im weiteren Verlauf dieses Kapitels die Anwendung der Lehre von dem Kreuz auf den Zustand der Korinther mit dem Hinweis auf die Wirksamkeit des Geistes Gottes; denn Letzteres setzt wieder die Unfähigkeit des Menschen in göttlichen Dingen voraus.
Das Thema wird in tröstlicher Weise eröffnet, doch gleichzeitig ohne Schonung für den menschlichen Stolz. Beachten wir das bemerkenswerte Zitat aus der Prophetie des Jesaja – „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben; uns aber hat Gott es geoffenbart durch seinen Geist“ (V. 9–10). Zuerst wird die große, grundlegende Tatsache vor uns gestellt, nämlich, was der Retter für den Geretteten ist. Ein gekreuzigter Christus ist die Totenglocke für jede Form menschlicher Weisheit, Kraft und Gerechtigkeit. Das Kreuz schreibt auf die Welt ein vollständiges Todesurteil. In dem Kreuz sagten die Menschen, was sie von Jesus hielten. Sie hatten für Ihn ausschließlich ein Kreuz. Auf der anderen Seite ist das Kreuz für den Gläubigen die Macht und Weisheit Gottes; denn er liest demütig und willig in dem Kreuz die Wahrheit von dem Gericht über seine eigene Natur, von der er befreit werden musste. Gleichzeitig findet er, dass der, welcher gekreuzigt wurde, der Herr selbst, eine gerechte, gegenwärtige und vollständige Befreiung bewirkt hat, wie der Apostel sagt: „Aus ihm aber seid ihr in Christo Jesu, der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung“ (1. Kor 1,30).
Das Fleisch ist völlig zum Schweigen gebracht. Der Mensch kann nicht tiefer in Hinsicht auf Schwachheit und Schande herabsteigen als bis zum Kreuz; und dort hängt alle Segnung, welche Gott dem Gläubigen gibt. Außerdem wurde Gott in dem Kreuz in einer Weise verherrlicht wie niemals sonst. Das Kreuz ist unter beiden Gesichtspunkten genau das, was es sein sollte; und der Glaube sieht diese Wahrheit in dem Kreuz Christi und erkennt sie an. Der Zustand der Korinther ließ – jedenfalls an dieser Stelle des Briefs – nicht zu, von der Auferstehung Christi zu sprechen. Es hätte sozusagen einen Heiligenschein um die menschliche Natur gemalt, wenn an erster Stelle der auferstandene Mensch vorgestellt worden wäre. Der Apostel weist jedoch auf Gott als die Quelle und Christus als den Kanal und das Mittel für alle Segnungen hin. „Aus ihm aber seid ihr“, schreibt Paulus, „in Christo Jesu, der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung“. Aber neben dieser großen Quelle des Segens in Christus zeigt er, gibt es auch noch eine Macht, die in uns wirkt. Es ist niemals der Geist des Menschen, welcher diese unendlich guten Gaben, die Gott uns gewährt, in Besitz nimmt. Genauso wie der Mensch einen Heiland außerhalb seiner selbst benötigt, muss in dem Menschen eine göttliche Macht wirken.
Folglich führt Paulus im 2. Kapitel den Gedanken von einem gekreuzigten Christus fort und verbindet ihn mit dem Zustand der Korinther. Er deutet indessen außerdem an, dass er keineswegs auf diesen Gedanken beschränkt sei. Wenn Menschen im Christentum gegründet waren, dann war er durchaus bereit, in die tiefsten Tiefen der offenbarten Wahrheit herabzusteigen. Aber um dieses ohne Schaden tun zu können, durfte es nicht in menschlicher Weise geschehen, sondern durch den Heiligen Geist. Der Mensch ist genauso wenig fähig, die Tiefen der göttlichen Wahrheiten auszuloten, wie ein Tier die Werke menschlicher Klugheit und Wissenschaft verstehen kann. Diese Lehre wies den Stolz der Griechen ganz und gar zurück. Sie waren vielleicht bereit zuzugeben, dass der Mensch Vergebung und sittliche Veredelung benötigen könnte. Sie kannten sein Bedürfnis nach Belehrung, Verfeinerung und sozusagen Vergeistigung an; sofern dieses Ziel überhaupt zu erreichen war. Das Christentum vertieft unser Empfinden für jeden Mangel nur noch mehr. Der Mensch benötigt nicht nur ein neues Leben oder eine neue Natur, sondern auch den Heiligen Geist. Das ist nicht einfach Gottes Gnade in einem allgemeinen Sinn, sondern die Kraft des Heiligen Geistes, der im Menschen persönlich wohnt. Dies allein kann uns in die Tiefen der Dinge Gottes führen; und dies, wie Paulus uns sehen lässt, beeinflusst nicht nur diese oder jene besondere Einzelheit, sondern vor allem das gesamte Wirken der göttlichen Gnade und Macht im Menschen. Das vollständige und einzige Mittel, um uns Segnungen mitzuteilen, kann nur der Heilige Geist sein. Folglich besteht der Apostel darauf, dass es in erster Linie der Heilige Geist ist, der uns die Wahrheit offenbart. Er ist es auch, der uns die rechten Worte gibt; und schließlich geschieht es durch den Geist Gottes, wenn wir die Wahrheit annehmen, die Er uns in den Worten offenbart, die Er selbst gegeben hat. So handelt es sich vom Anfang bis zum Ende um einen Vorgang, den der Heilige Geist beginnt, weiterführt und beendet. Wie klein wird da der Mensch!