Einführender Vortrag zum Römerbrief

Kapitel 6-8

Einführender Vortrag zum Römerbrief

Kapitel 6

Zweierlei könnte uns in diesem Zusammenhang unlösbare Schwierigkeiten bereiten, zum einen das Hindernis, welches die Sünde in unserer Natur für unsere praktische Heiligkeit bedeutet, zum anderen die Herausforderung und Verdammung durch das Gesetz. Die Lehre, welche uns im letzten Teil des 5. Kapitels eindrücklich dargestellt wurde, wird jetzt auf beide Probleme angewandt. Zunächst, d. h. in Verbindung mit der praktischen Heiligkeit, erfahre ich, dass Christus nicht nur für meine Sünden gestorben ist, sondern auch, dass schon die Anfangshandlung auf meinem Weg, die Taufe, die Wahrheit vorstellt, dass ich tot  bin. Dabei geht es nicht um die Lehre von Epheser 2, nämlich dass ich tot bin in Sünden; diese Sichtweise trägt nichts zu unserem Thema bei. Sie gilt natürlich vollkommen, und zwar für den Juden genauso wie für den Heiden – für jeden noch nicht erneuerten Menschen, der nie vom Heiland gehört hat. Was indessen die christliche Taufe bezeugt, ist der Tod Christi. „Wisset ihr nicht, daß wir, so viele auf Christum Jesum getauft worden, auf seinen Tod getauft worden sind?“ (V. 3). Wir werden mit  seinem Tod identifiziert. „So sind wir nun mit ihm begraben worden durch die Taufe auf den Tod, auf daß, gleichwie Christus aus den Toten auferweckt worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters, also auch wir in Neuheit des Lebens wandeln“ (V. 4).

Wenn ein Mensch, der im Namen des Herrn Jesus Christus getauft worden ist, d. h. mit der christlichen Taufe, in irgendeiner Weise das Sündigen erlaubt, weil es in seiner Natur liege und folglich eine unvermeidbare Notwendigkeit sei, dann leugnet er die wahre und offenkundige Bedeutung seiner Taufe. Jene Handlung spricht nämlich keinesfalls vom Abwaschen unserer Sünden durch das Blut Jesu. Davon ist hier gar nicht die Rede. Letzteres begegnet nämlich keineswegs dem Problem unserer alten Natur. Die Taufe stellt uns viel mehr als nur dies vor und wird daher zu Recht nicht in Römer 3, sondern in Kapitel 6 gefunden. Es liegt kein Widerspruch hierzu in Ananias' Worten an den Apostel Paulus: „Laß... deine Sünden abwaschen, indem du seinen Namen anrufst“ (Apg 22,16). Sowohl Wasser als auch Blut werden benötigt; und auf letzteres bezieht sich hier das Waschen. Dieses Thema ist indessen viel umfassender, wie Paulus später festhielt. Das eine wurde  zu Paulus  gesagt, das andere  lehrte er selbst. Was der Apostel später in seiner Fülle bekannt gab, war die große und grundlegende Wahrheit, dass ich berechtigt bin und dazu sogar im Namen des Herrn Jesus aufgefordert werde, mich als tot der Sünde gegenüber zu erkennen. Das heißt nicht, dass ich sterben muß, sondern dass ich tot  bin. Meine Taufe besagt nicht weniger als diese Wahrheit und wird ihres entscheidendsten Gesichtspunktes beraubt, wenn sie ausschließlich auf Christi Sterben für meine Sünden beschränkt wird. Das ist nicht die einzige Bedeutung. Doch in seinem Tod, auf den ich getauft bin, bin ich der  Sünde gestorben. „Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie sollen wir noch in derselben leben?“ (V. 2). Folglich finden wir, dass das ganze Kapitel auf dieser Wahrheit beruht. „Sollten wir sündigen“, sagt der Apostel im weiteren Verlauf, „weil wir nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade sind?“ (V. 15). Das würde in der Tat den Wert des Todes unseres Herrn leugnen und jene Neuheit des Lebens, die wir in seiner Auferstehung empfangen haben. Es wäre eine Rückkehr zur Knechtschaft in ihrer schlimmsten Form.

Kapitel 7

In Kapitel 7 wird als Thema das Gesetz sowohl in seiner Praxis als auch in seinen Grundsätzen eingehend besprochen. Es begegnet dort denselben Waffen von erprobter und unfehlbarer Schärfe. Auch hier ist es nicht das Blut, sondern der Tod – Christi Tod und Auferstehung. Das Bild der Beziehung zwischen Mann und Frau in der Ehe wird eingeführt, um die Sache deutlich zu machen. Ausschließlich der Tod löst dieses Band in rechtmäßiger Weise und sonst nichts. Folglich sind wir, sagt der Apostel, dem Gesetz gestorben. Das heißt nicht, wie wir zweifellos fast alle wissen, dass das Gesetz gestorben ist. Stattdessen sind  wir durch den Tod Christi dem Gesetz gestorben. Vergleiche Vers 6 mit Vers 4! Das ist der Grundsatz. Der Rest der Kapitels (V. 7–25) gibt eine lehrreiche Beschreibung, welche die Unfähigkeit und das Elend einer erneuerten Gesinnung, die versucht, unter dem Gesetz zu leben, ausführlich erörtert. Zuletzt wird die Befreiung (nicht die Begnadigung) in  Christus gefunden.

Somit beschreibt der letzte Teil des Kapitels genau genommen nicht die Lehre, sondern liefert vielmehr den Nachweis von den Schwierigkeiten einer Seele, welche nicht ihren Tod vor dem Gesetz in dem Leib Christi verwirklicht. Wird dadurch das Gesetz, welches verdammt, als böse verurteilt? „Das sei ferne!“, sagt der Apostel (V. 13). Die Schwierigkeiten kommen durch unsere böse Natur, nicht durch das Gesetz. Das Gesetz befreit niemals; es verdammt und tötet uns. Seine Bedeutung besteht darin, die Sünde außerordentlich sündig zu machen. Demnach behandelt Paulus hier nicht die Vergebung der Sünden, sondern die Befreiung von der Sünde. Kein Wunder, dass Seelen nie die Befreiung in der Praxis erleben, wenn sie diese beiden Wahrheiten durcheinanderwerfen! Damit eine bewusste Befreiung auch Gott gemäß auf festem Grund stehen kann, muss sie mit seiner Wahrheit übereinstimmen. Es ist sinnlos, Seelen klar machen zu wollen, dass sie in Heiligkeit frei geworden sind, wenn ausschließlich Römer 3 oder sogar 4 gepredigt wird.

Ab Vers 14 erkennen wir einen Fortschritt. Wir sehen die christliche Erkenntnis hinsichtlich des betrachteten Themas; und doch ist es die Erkenntnis eines Erlösten, der sich selbst nicht in diesem Zustand befindet, aber von einer Seele in Letzterem spricht. Wir müssen uns sorgfältig vor der Ansicht hüten, als spräche Paulus von seiner eigenen Erfahrung, weil er sagt: „Ich hätte nicht erkannt“ (V. 7), „Ich aber lebte“ (V. 9). Es gibt keinen guten Grund für diese Annahme; es spricht sogar vieles dagegen. Es mag mehr oder weniger das Los eines jeden Menschen sein, diese Wahrheit zu lernen. Ich will auch nicht sagen, dass Paulus diese Erfahrung nicht kannte. Es geht jedoch darum, dass der Grund für die Folgerungen und die allgemeine Idee seiner Ausführungen in gleicher Weise missverstanden werden, wenn wir diese Verse im Wesentlichen auf Paulus selbst beziehen. Zu unserer Belehrung überträgt Paulus manchmal etwas im Bild auf sich selbst, was nicht unbedingt seine eigene Erfahrung beinhaltet, ja, was er vielleicht niemals erlebt hat. Das mag indessen nur ein vergleichsweise kleines Problem sein. Außerordentlich wichtig für unsere Beachtung ist indessen dieses wahre Bild einer lebendig gemachten Seele, die elend unter dem Gesetz tätig und keinesfalls bewusst zur Freiheit gelangt ist. Die letzten Verse des Kapitels führen indessen die Befreiung ein, zwar noch nicht in ihrer Fülle, aber sozusagen ihren Angelpunkt. Die Seele macht die Entdeckung, dass die Quelle ihres inneren Elends darin liegt, dass die Gesinnung, obwohl erneuert, immer noch das Gesetz als ein Mittel für den Umgang mit dem Fleisch ansieht. Daher lässt gerade die neue Geburt einen Menschen sein Elend umso tiefer empfinden. Gleichzeitig besitzt die Seele keine Kraft, solange sie nicht weg von sich selbst auf den blickt, der gestorben und auferstanden ist. Er hat alle Schwierigkeiten vorausgesehen; und ausschließlich Er beantwortet völlig alle unsere Bedürfnisse.

Kapitel 8

Kapitel 8 entfaltet diese tröstliche Wahrheit in ihrer Fülle. Vom ersten Vers an wird der gestorbene und auferstandene Christus auf die Seele angewandt, bis wir in Vers 11 zusätzlich die Macht des Heiligen Geistes sehen, der die Seele in diese Freiheit stellt. Bald wird auch der Leib Letztere erfahren. Dann wird die Befreiung vollständig sein. „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, welche in Christo Jesu sind. Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesu hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Denn das dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott, indem er, seinen eigenen Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde und für die Sünde sendend, die Sünde im Fleische verurteilte“ (V. 1–3). Ein wunderbarer Weg; und wie gesegnet! Dort geschah (denn darum geht es hier) die vollständige Verurteilung jenes bösen Etwas, der menschlichen Natur in ihrem gegenwärtigen Zustand. Nichtsdestotrotz wird dadurch der Glaubende angesichts des Gerichts Gottes von dieser Natur und ihren Folgen frei gemacht. Das hat Gott in Christus bewirkt. Im eigentlichen Sinn ist dies keineswegs durch sein Blut geschehen. Das Vergießen seines Blutes war unbedingt notwendig. Ohne diese kostbare Sühne wäre alles andere vergeblich und unmöglich gewesen. In Christus gibt es jedoch viel mehr Segnungen als nur die, auf die sich zu viele Seelen beschränken, und zwar zu ihrem eigenen Verlust und zur Verunehrung Christi.

Gott hat das Fleisch verurteilt; und wir möchten hier wiederholen, dass es jetzt nicht um die Begnadigung eines Sünders geht, sondern um die Verdammung der gefallenen Natur. Das geschieht in einer Form, dass die Seele sowohl Kraft als auch eine rechtmäßige Unempfindlichkeit gegen jegliche innere Furcht diesbezüglich gewinnt. Denn Gott hat in Christus wirklich die Sünde verurteilt – ein für allemal. Folglich braucht Er sich nicht mehr mit jener Wurzel des Bösen zu beschäftigen. Was für ein Vorrecht gibt mir Gott demnach, indem ich Christus anschauen darf, der nicht mehr tot, sondern auferstanden ist! Meine Seele hat das fest gegründete Bewusstsein, dass ich in Ihm bin – so wie Er ist –, wo in Friede und Freude alle Probleme gelöst sind. Was bleibt übrig, das Christus nicht erfüllt hätte? Früher war dies ganz anders. Vor dem Kreuz gab es diese schwierigste Frage (die Frage der Sünde; Übs.), die jemals gestellt wurde, und forderte eine Antwort in unserer Welt. Doch in Christus ist die Sünde für den Gläubigen auf immer abgeschafft, und zwar nicht allein durch das, was Christus getan hat, sondern auch durch das, was Er ist. Bis zum Kreuz befand sich die bekehrte Seele durchaus in einem Zustand des Seufzens über ihr Elend, jedesmal wenn sie das Böse in sich selbst entdeckte. Für den Glauben ist in der Sicht Gottes indessen heute all dies vorbei – nicht durch Leichtfertigkeit, sondern wahrhaftig. Deshalb darf der Gläubige in einem Heiland, der aus den Toten auferstanden ist, als seinem neuen Leben leben.

Daher beschreibt Römer 8 in sehr praktischer Weise die Freiheit, zu der Christus uns frei gemacht hat. Zunächst wird in den ersten vier Versen die Grundlage gelegt, wobei der letzte von ihnen in das tägliche Leben hineinführt; und es ist gut für diejenigen, welche diese Wahrheit noch nicht kennen, hier in Vers 4 festzustellen, dass der Apostel zuerst vom „nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandeln“  spricht. Die Einführung dieses Ausdrucks in dem ersten Vers der englischen „Authorized Version“-Bibel entstellt den Text. 1 Im vierten Vers darf er nicht fehlen, aber unbedingt im ersten. Auf diese Weise dient die Befreiung nicht allein zur Freude für die Seele, sondern auch zur Kraft in unserem praktischen Wandel nach dem Geist. Er findet in uns eine Natur vor, die Er uns selbst gegeben hat und an der Er sich erfreut. Gleichzeitig teilt Er uns seine Freude an Christus mit und macht den Gehorsam zu einem freudigen Dienst für den Gläubigen. Darum verunehrt ein Gläubiger, wenn auch unwissentlich (aber nichtsdestoweniger) den Heiland, wenn er damit zufrieden ist, nicht diesen Maßstab und diese Kraft zu erreichen. Er ist dazu berechtigt und berufen, seiner Stellung entsprechend und im Vertrauen auf seine Befreiung in Christus Jesus vor Gott zu wandeln.

Danach werden die Herrschaftsbereiche des Fleisches und des Geistes vor uns gestellt. Der eine ist praktisch gekennzeichnet durch Sünde und Tod, der andere durch Leben, Gerechtigkeit und Frieden. Die Herrschaft des Geistes findet, wie wir gesehen haben, zuletzt ihre Krönung durch die Auferstehung unserer Leiber. Der Heilige Geist, welcher der Seele jetzt das Bewusstsein gibt, durch ihre Stellung in Christus die Befreiung erlangt zu haben, ist ebenfalls der Zeuge davon, dass auch unser Leib, jener sterbliche Leib, zu seiner Zeit befreit werden wird. „Wenn aber der Geist dessen, der Jesum aus den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christum aus den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen seines in euch wohnenden Geistes“ (V. 11).

Als nächstes geht Paulus auf einen weiteren Zweig der Wahrheit ein: Auf den Geist, und zwar nicht als einen  Zustand im Gegensatz zum Fleisch (Geist und Fleisch werden, wie wir wissen, in der Bibel immer als Gegensatzpaar gesehen), sondern als Macht, als eine göttliche Person, die in einem Gläubigen wohnt und die ihr Zeugnis im Gläubigen ablegt. Er bezeugt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind. Aber als Kinder sind wir auch seine Erben. Das führt uns folglich in Verbindung mit der Erlösung unseres Leibes zum Erbteil, das wir besitzen sollen. Seine Ausdehnung entspricht sozusagen dem, was Gott besitzt – dem Universum Gottes, allem, was Christus unterstellt sein wird. Und was wird Er  nicht besitzen!? So wie Er alles erschaffen hat, so ist Er auch der Erbe von allem. Wir sind Erben Gottes und Miterben Christi.

So tritt die Wirksamkeit des Geistes Gottes unter einem zweifachen Gesichtspunkt vor uns. Er ist sowohl die Quelle unserer Freude als auch eine Kraft des Mitgefühls in unseren Seelen; und der Gläubige kennt beides. Der Glaube an Christus brachte göttliche Freude in seine Seele. Doch in der Wirklichkeit durchwandert er eine Welt der Unvollkommenheit, des Leides und des Kummers. Wie wunderbar, wenn wir daran denken, dass der Geist Gottes sich in allem mit uns vereinigt und sich herablässt, uns göttliche Empfindungen sogar in unsere armen und kleinen Herzen zu geben! Von diesen Gedanken ist der Mittelteil unseres Kapitels erfüllt, welches mit der unfehlbaren und treuen Macht Gottes für uns in allen unseren Erfahrungen hienieden abschließt. So wie Er uns durch das Blut Jesu eine vollkommene Vergebung geschenkt hat – so wie wir durch sein Leben völlig errettet werden – so wie Er uns schon jetzt nichts Geringeres wissen lässt, als dass wir von jeder Spur des Übels befreit sind, welches zu unserer normalen menschlichen Natur gehört – so wie wir den Heiligen Geist als Unterpfand der Herrlichkeit, zu welcher wir berufen sind, besitzen und wir die Gefäße eines gnädigen Mitleidens inmitten aller Umstände sind, von denen wir noch nicht frei gemacht sind, aber bald frei sein werden – so leben wir jetzt schon in der Gewissheit, dass, was immer geschehen mag, Gott für uns ist und dass nichts uns von seiner Liebe, die in Christus Jesus, unserem Herrn, ist, scheiden wird.

Fußnoten

  • 1 Vergl. „Luther-Bibel“ bis wenigstens 1960! (Übs.)
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