Der erste Brief an Timotheus
Warnungen vor weltlicher Gesinnung und Unterweisung zur Gottseligkeit
Nachdem der Apostel uns vor dem Bösen solcher gewarnt hat, die von dem Christentum abfallen und eine falsche Religion des Fleisches annehmen werden, warnt er uns nun vor dem Bösen, das durch weltliche Gesinnung inmitten des christlichen Kreises auftreten kann. Außerdem belehrt er uns darüber, wie den Nöten des Volkes Gottes begegnet werden kann, so dass es keinen Anlass zur Schmähung gibt, denn dadurch würde das Zeugnis von der Gnade Gottes vor der Welt gehindert.
Die Gesinnung, in welcher verkehrten Zuständen zu begegnen ist (Verse 1 und 2)
Es mag zu verschiedenen Gelegenheiten Böses in dem christlichen Kreis auftreten, was richtigerweise getadelt werden muss. Trotzdem müssen wir uns in dem Vollziehen des Tadels vor Augen halten, was dem Alter und dem Geschlecht gegenüber gebührend ist; deshalb müssen wir sorgfältig darauf achten, dass der Tadel in der richtigen Gesinnung ausgesprochen wird. Der Tadel mag richtig sein und doch keine Wirkung entfalten, weil er in einer falschen Gesinnung ausgesprochen wird. Wenn ein an sich richtiger Tadel in einer falschen Gesinnung ausgesprochen wird, ist dies eigentlich nur das Zusammentreffen von Fleisch auf Fleisch.
Verse 1 und 2: Das Alter ist sogar zu berücksichtigen, wenn es Tadel erforderlich machen sollte. Ein älterer Bruder soll nicht hart zurechtgewiesen werden; er soll vielmehr mit all dem Respekt, den ein Sohn einem Vater schuldig ist, ermahnt werden. Die jüngeren Männer sollen nicht geringschätzig behandelt werden, die älteren Frauen mit dem Respekt, der einer Mutter gebührt. Mit jüngeren Frauen muss sich in aller Keuschheit beschäftigt werden, um dadurch die unbekümmerte Vertraulichkeit zu vermeiden, die die Natur so leicht annimmt.
In all unseren Beschäftigungen miteinander sollte also das Verhalten derart sein, dass nichts getan wird, was den Anstand verletzen und eine Gelegenheit für einen Skandal bieten könnte.
Unterweisungen, wie den Nöten des Volkes Gottes zu begegnen ist, und Warnungen vor Genusssucht in vergänglichen Dingen (Verse 3–16)
Vers 3: Als erstes werden wir unterwiesen, den Witwen, die wirklich Witwen sind, die schuldige Ehre zu erweisen. Eine wirkliche Witwe ist nicht nur eine Frau, die ihres Mannes beraubt ist, sondern jemand, der sich durch gewisse moralische Eigenschaften auszeichnet (siehe Vers 5). Ob solche in Nöten sind oder nicht, sie sollen in Ehren gehalten werden.
Vers 4: Wenn jedoch eine solche Witwe in zeitlichen Nöten ist, sollen deren Nachkommen ihre praktische Gottseligkeit ihren Eltern gegenüber beweisen, denn dies ist gut und angenehm vor Gott. Hier sehen wir wieder, dass die Gottseligkeit in jede Einzelheit des Lebens Gott hineinbringt und danach trachtet, in einer Gott wohlgefälligen Weise zu handeln.
Vers 5: Der Apostel zeigt uns nun die schönen Merkmale einer wirklichen Witwe. Sie ist vereinsamt – ohne menschliche Hilfsquellen; ihr Vertrauen ist auf Gott gerichtet – sie hofft auf Gott; und sie ist abhängig von Gott – sie verharrt in dem Flehen und den Gebeten Nacht und Tag.
Vers 6: Der Apostel warnt uns nun vor solchen im Haus Gottes, die sich im Gegensatz zu der wirklichen Witwe einem Leben der Genusssucht hingegeben haben. Solche sind lebendig tot. Wir werden aufgefordert, uns der Sünde für tot zu halten, „Gott aber lebend in Christo Jesu“ (Röm 6,11). Wir können nicht gleichzeitig uns selbst und Gott leben. Wenn wir uns selbst leben, leben wir der Sünde, die die Gesetzlosigkeit ist (1. Joh 3,4), bzw. der Erfüllung unseres Eigenwillens. Ein Leben der Genusssucht führt zu einem geistlichen Tod zwischen der Seele und Gott.
Vers 7: Solche Warnungen sind im Hinblick darauf notwendig, dass ein jeder im Hause Gottes in Gottseligkeit wandeln und nicht nur angenehm und wohlgefällig vor Gott sein möge, sondern auch untadelig vor den Menschen.
Vers 8: Für einen Christen bedeutet es, unter das normale natürliche Verhalten zu sinken, wenn er für die Seinigen und besonders für seine Hausgenossen nicht sorgt. Dadurch verleugnet er den christlichen Glauben, der die natürlichen Verbindungen bestätigt und lehrt, dass wir sie beachten sollen. Es ist für einen fleischlich handelnden Christen also möglich, sich schlechter zu verhalten als ein Ungläubiger.
Verse 9 und 10: Es mag jedoch in dem christlichen Kreis auch Einzelne geben, die bedürftig sind und niemanden haben, der für sie sorgt. Solche Witwen sollen in eine Liste derer, die zu Recht von der Versammlung versorgt werden, eingetragen werden. Trotzdem ist bei den Hilfeleistungen für die Bedürftigen darauf zu achten, dass das Haus Gottes nicht in einer Weise benutzt wird, als wäre es eine bloße Einrichtung zur Unterstützung Hilfsbedürftiger.
Die Gnade wird tatsächlich Möglichkeiten finden, selbst den Einsamsten und Verlassensten zu Hilfe zu kommen. Es ist hier eine Frage der Eignung zur Aufnahme in eine Liste solcher, die regelmäßige Unterstützung von dem Volk des Herrn empfangen. Solche müssen in ihrem Leben ihre Geeignetheit zum Empfang einer solchen Hilfe bewiesen haben. Bei Witwen von normaler Gesundheit müssen die für die Liste in Frage kommenden Personen in einem Alter sein, in dem sie unter gewöhnlichen Umständen nicht mehr in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten. Weiter muss die Witwe eines Mannes Frau gewesen sein, und sie muss jemand sein, der ein ehrendes Zeugnis aufgrund ihrer guten Werke gebracht wird, indem sie Kinder aufgezogen hat, Fremden Freundlichkeiten erwiesen hat, die Heiligen erfrischt hat, den Bedrängten Hilfe geleistet hat und wirklich jedem guten Werke nachgegangen ist.
Auf eine sehr segensreiche Weise zeigt die Heilige Schrift hier, wie viel eine gottesfürchtige Frau an Gott wohlgefälligen und dem Volk des Herrn hilfreichen Dingen tun kann. Ebenso bemerkenswert wie die aufgezählten Werke ist jedoch das, was ausgelassen wurde. Nichts wird gesagt von Lehren und Predigen oder irgend etwas anderem, was die Frauen öffentlich in den Vordergrund rücken würde und im Gegensatz zu der Ordnung des Hauses Gottes stehen würde.
Verse 11 bis 13: Die jüngeren Witwen sollen nicht in diese Liste aufgenommen werden. Diese auf die gleiche Art zu versorgen wie die wirklichen Witwen, würde dazu führen, dass sie Christus als ihren einzigen Herzensgegenstand vergessen und statt dessen nur noch den einen Wunsch hegen, wieder zu heiraten. Dadurch werden sie schuldig, da sie ihren ersten Glauben verworfen haben. Es ist also möglich, nicht nur unsere erste Liebe zu verlassen (Offg 2,4), sondern auch unseren ersten Glauben zu verwerfen, der am Anfang unseres Glaubenslebens Christus zum großen Gegenstand hatte.
Mehr noch, diese jüngeren Witwen in diese Liste aufzunehmen, würde sie nur zur Untätigkeit ermuntern und ein Fallstrick für sie bedeuten, denn ihre Untätigkeit und Müßiggang wird sie dazu verführen, als Geschwätzige und Vorwitzige von Haus zu Haus zu gehen. Ein Geschwätziger verbreitet Gerüchte und Tratsch zum Nachteil für andere; ein Vorwitziger mischt sich in fremde Angelegenheiten ein und äußert freimütig seine Ansichten über Dinge, die ihn gar nichts angehen. In keinem dieser Fälle ist da ein Gedanke vorhanden an Hilfe für die Bedürftigen oder ein Trachten danach, Verkehrte zurechtzubringen, sondern nur die Verwöhnung des Fleisches in seiner Vorliebe, Verleumdungen in Umlauf zu bringen.
Geschwätzige und Vorwitzige, denen es egal ist, ob sie etwas Falsches oder etwas Wahres weitersagen, reden in jedem Fall, was sich nicht geziemt. Salomo sagt: „Wer als Verleumder umhergeht, enthüllt das Geheimnis“(Spr 20,19), und weiter: „wer aber ein Narr ist, stürzt sich hinein“ (Spr 20,3). Das Gesetz sagt: „Du sollst nicht als ein Verleumder unter deinen Völkern umhergehen“ (3. Mo 19,16). Das Christentum warnt uns vor dem Umherlaufen von Haus zu Haus als Geschwätzige und Vorwitzige.
Vers 14: Nach dem Urteil des Apostels sollen die jüngeren Frauen heiraten und ihren eigentlichen Aufgabenbereich im Familienleben, in der Kindererziehung und in der Haushaltsführung finden. Ob die Älteren angesprochen werden, die Witwen, oder die jüngeren Frauen, alle sollen sich vor Augen halten, dass sie einen Teil des Hauses Gottes bilden; und in dem Hause Gottes darf nichts dem Widersacher eine Gelegenheit zur Schmähung geben.
Vers 15: Durch das Nichtbeachten dieser Belehrungen hatten sich schon einige abgewandt, dem Satan nach. Die ernste Bedeutung ihres Weges mochten sie gar nicht erfasst oder sich klar gemacht haben; aber offensichtlich führt Sorglosigkeit und Oberflächlichkeit in bezug auf Christus die Seele dahin, von Satan betört zu werden und sich abzuwenden, den Verlockungen des Teufels nach.
Vers 16: Witwen in Familien von Gläubigen soll durch diese Familien geholfen werden, damit die Versammlung solche unterstützen kann, die wirklich Witwen sind.
Die Bedürfnisse der Ältesten (Verse 17 bis 21)
Der Apostel geht nun dazu über, uns zu unterweisen, wie den Bedürfnissen solcher zu begegnen ist, die offiziell die Stellung als Älteste einnehmen; und in welchem Geist gegen sie erhobene Anklagen zu behandeln sind.
Verse 17 und 18: Der Dienst der Ältesten war der, in der Versammlung des Volkes Gottes wohl vorzustehen. Die Ältesten standen in der Verantwortung, darauf zu achten, dass öffentlich und in den Häusern die göttliche Ordnung aufrechterhalten blieb. Einem Ältesten als solchem gebührte schon Ehre; solche aber, die ihren Dienst gut ausübten, sollten doppelter Ehre würdig geachtet werden. Ganz besonders galt dies für solche, die neben ihrer Sorge für die Heiligen auch noch in Wort und Lehre arbeiteten. Außerdem sollte ihrer zeitlichen Bedürfnisse nicht vergessen werden. Das Alte Testament und das Neue Testament werden hier als gleichermaßen Autorität, als Heilige Schrift besitzend, angeführt, um unsere Verantwortlichkeit hinsichtlich der Unterstützung der Arbeiter zu betonen (5. Mo 25,4; Lk 10,7).
Vers 19: Die Ältesten werden aufgrund ihres Dienstes, eher als andere, Missverständnissen oder Beeinträchtigungen ausgesetzt sein. Da sie sich manchmal mit Fehlern bei anderen beschäftigen müssen, mag dies zu Ärger und Unbehagen führen. Dies kann sich dann in böswilligen Anklagen äußern. Es mag tatsächlich mal einen berechtigten Grund für eine Klage geben, doch selbst dann soll sie nicht ohne Zeugen angenommen werden.
Verse 20 und 21: Sünder, seien es Älteste oder nicht, deren Verfehlungen durch eine hinreichende Anzahl von Zeugen völlig bewiesen worden sind, sollen „vor allen“ überführt werden, „auf das auch die übrigen Furcht haben“. Trotzdem sollte bei den Überführenden dies alles nicht nur „vor allen“ geschehen, sondern „vor Gott“, „dessen Haus wir sind“, und vor dem Herrn Jesus Christus, der Sohn über das Haus Gottes ist (Heb 3,6), und vor „den auserwählten Engeln“, die Diener derer sind, die das Haus bilden. Auf diese Weise wird das Überführen ohne Vorurteil, und ohne Verurteilung mit nicht ordnungsgemäßer Untersuchung der ganzen Angelegenheit, und ohne Parteilichkeit, bei der der eine dem anderen vorgezogen wird, geschehen.
Sorgfalt und Vorsicht beim Ausdrücken der Gemeinschaft (Vers 22)
Vers 22: In der Heiligen Schrift ist das Hände-Auflegen ein Zeichen der Gemeinschaft, und nicht die Übermittlung von Autorität, wie es die Christenheit lehrt. Falsche Großzügigkeit kann durch zu sorgloses Erweisen der Gemeinschaft zu Weitherzigkeit bei solchen führen, die einen falschen Weg eingeschlagen haben. Auf diese Weise können wir das Böse billigen und an fremden Sünden teilhaben. Wir müssen uns selbst rein erhalten; diese Aufforderung beweist mit aller Deutlichkeit, dass wir durch unsere Verbindungen verunreinigt werden können.
Unterweisungen hinsichtlich leiblicher Bedürfnisse (Vers 23)
Vers 23: Die Bedürfnisse eines schwachen und leidenden Körpers sollen nicht vernachlässigt werden. Timotheus sollte seines Magens und seines häufigen Unwohlseins wegen ein wenig Wein gebrauchen. Ihm wird hier nicht die Schuld an seiner Krankheit gegeben, noch wird hier angedeutet, dass ihr häufiges Auftreten ein Beweis für fehlenden Glauben bei ihm wäre. Er wird hier auch nicht aufgefordert, sich darum zu bemühen, dass die Ältesten ihm die Hände auflegen oder gar für seine Heilung beten möchten (Jak 5,14). Er wird nur aufgefordert, ein gewöhnliches Heilmittel zu benutzen. Dennoch ist es ein wenig Wein, und er soll für einen schwachen Magen benutzt werden. In dem guten Rat des Apostels liegt also auch keine Entschuldigung für übertriebenes Weintrinken oder für einen bloßen Gebrauch zur Befriedigung seiner Genusssucht verborgen.
Warnungen davor, nach dem äußeren Anschein zu urteilen (Verse 24 und 25)
Vers 24: Im Beurteilen unserer Verbindungen mit anderen müssen wir uns davor hüten, durch Augenscheinliches getäuscht zu werden. Die Sünden etlicher Menschen sind so offenkundig, dass es bezüglich ihres Charakters und ihres Gerichtes keine Frage geben kann. Andere mögen gleichermaßen verderbt sein, doch täuschen sie durch einen angenehmen Eindruck ihrer Person. Trotzdem werden auch diesen ihre Sünden zum Gericht nachfolgen.
Vers 25: Dies trifft auch auf solche zu, in denen Gnade wirken konnte. Bei manchen ist es augenscheinlich, dass ihre guten Werke ein Beweis ihres wahren Charakters sind. Andere mögen gleichermaßen Gegenstände des Wirkens der Gnade sein, und doch können ihre Werke im Verborgenen getan werden. Zu seiner Zeit wird alles ans Licht kommen.
Wenn wir die Belehrungen und Warnungen des Apostels lesen, tun wir gut daran, die Worte zu beachten: „Daher, wer zu stehen sich dünkt, sehe zu, dass er nicht falle“ (1. Kor 10,12). Aus den Ermahnungen dieses Kapitels geht deutlich hervor, dass der Gläubige in einen Zustand fallen kann, in dem er seiner Genusssucht lebt (Vers 6); er kann einen schlechteren Wandel führen, als ein Ungläubiger, und dadurch den Glauben verleugnen (Vers 8); er kann üppig werden wider Christum, und dadurch den ersten Glauben verwerfen (Vers 12); er kann von Haus zu Haus umherwandern und sich geschwätzig und vorwitzig in die Angelegenheiten anderer mischen (Vers 13) und er kann sich abwenden, dem Satan nach (Vers 15).
Darüber hinaus lernen wir beim Lesen dieser Unterweisungen, wie solche, die das Haus Gottes bilden, danach trachten sollen, einen Wandel zu führen, der gut und angenehm vor Gott ist (Vers 4), der untadelig vor den Menschen ist (Vers 7); und der keinen Anlass zu Schmähungen gibt (Vers 14).