Was von Anfang war
Eine Auslegung der Johannesbriefe
1.Johannes 2,28-3,6
Wir kehren nun zu den allgemeinen Belehrungen dieses Briefes zurück. Nachdem die verschiedenen Gruppen der Kinder Gottes in dem bemerkenswerten Abschnitt von Vers 12 bis 27 behandelt worden sind, werden ab Vers 28 alle Seine Kinder wieder gemeinsam angesprochen, wie bereits in den Versen davor. Der Apostel nimmt damit das eigentliche Thema seines Briefes wieder auf. Das Wort, das sich hier an alle richtet, lautet: „ Und nun, Kinder, bleibet in ihm“.
Der Glaube an Seine Person führt dazu, dass man in Ihm bleibt, und das ist die wahre Voraussetzung für einen christlichen Wandel. Es genügt nicht, in der Wahrheit, im Wort oder in der Lehre zu bleiben. Es ist die lebendige und göttliche Person Christi selbst, die gewissermaßen eine magnetische Wirkung auf uns ausübt; diese Wirkung ist um so stärker, als Er sowohl Mensch als auch Gott ist. Manche sehen Ihn entweder nur als Mensch, dann aber getrennt von Seiner Gottheit; oder umgekehrt nur als Gott, gelöst von Seiner Menschheit; aber beides ist falsch. Es gibt tatsächlich nur eine Person, die zwei Naturen in sich vereinigt, darin liegt ja gerade dieses unermessliche Geheimnis, das unmöglich von dem Menschen ergründet werden kann. Er Selbst sagt darüber: „Niemand erkennt (epiginöskei) den Sohn als nur der Vater.“ Beachten wir, dass dies nicht bezüglich des Vaters gesagt wird, obwohl der Vater niemals wie der Sohn Mensch geworden ist. Der Sohn offenbart den Vater; wir lesen aber nirgends, dass der Vater den Sohn offenbar macht (siehe hierzu Mt 11,27 und Lk 10,22). Johannes 17,3 lehrt uns dagegen, dass es Fortschritte in der Erkenntnis gibt. In dem Herrn Jesus liegt das Unerforschliche. In dem Bemühen, in dieses Unerforschliche einzudringen, liegt die Gefahr für den Geist des Menschen, der auf allen Gebieten stolz und dreist ist und insbesondere in den göttlichen Dingen eine respektlose Anmaßung zeigt. Gerade an diesem Bereich hat der natürliche Mensch aber nicht den geringsten Anteil. Er ist ohne Gerechtigkeit und ohne Erkenntnis, und selbst das Verlangen, Gott zu suchen, fehlt ihm. Darum stolpert er von einem Irrtum in den anderen. In 1. Korinther 2,11 heißt es: „Denn wer von den Menschen weiß, was im Menschen ist, als nur der Geist des Menschen, der in ihm ist? Also weiß auch niemand, was in Gott ist, als nur der Geist Gottes.“ Uns, die wir an Christus glauben, ist der Heilige Geist gegeben worden, damit wir Ihn verherrlichen können. Der Herr Jesus ist die Wahrheit, und zwar der Herr in dieser zweifachen Weise – Gott und Mensch in einer Person. Glauben wir an Ihn, dann besteht unsere Weisheit, unser Glück, unsere Kraft zum Dienst und zur Anbetung und unsere ganze Sicherheit darin, „in Ihm zu bleiben“.
Als Gott Israel als Volk bildete, wurde keine göttliche Person offenbart. Gott gab Gebote, die von Seiner Majestät zeugten. Sie waren von furchteinflößenden Kundgebungen Seiner Macht gegenüber Seinem irdischen Volk begleitet, von dem der größte Teil ja nicht einmal bekehrt war. Das Gesetz galt für jeden Israeliten, aber so etwas wie die Offenbarung einer Person gab es darin nicht. Gerechte Gebote, Verordnungen, Anweisungen und Zeremonien wurden von Gott dem Volk in der eindrucksvollsten und bedeutsamsten Weise auferlegt. Alles redet von dem Namen des Herrn Jesus, von den Stellungen, die Er bekleidet, und von Seinem Werk. Das Gesetz beruhte auf der Autorität Gottes, der Sich in tiefe Finsternis hüllte. Das Wesen der christlichen Wahrheit dagegen besteht darin, dass der Sohn Gottes vom Vater ausging und zu den Menschen hernieder kam. Wir kennen die Dinge, die Gott uns bereitwillig in Ihm geschenkt hat, der Gott und Mensch zugleich ist. Er konnte den Menschen in der Vollkommenheit darstellen, wie er vor Gott sein sollte. Er hat auch Gott in Seinem Verhalten dem Menschen gegenüber vollkommen offenbart und hat dann, nach vollbrachtem Erlösungswerk, den Heiligen Geist hernieder gesandt. Ist das nicht unumschränkte Gnade? Welch ein unschätzbarer Segen ist mit der Person des Herrn Jesus verbunden! Nicht das Gesetz brachte diesen Segen, obwohl Er die Erfüllung der Verheißung und auch der Erfüller Selbst ist. Nein, Er Selbst war es, der Sohn, der sich herabließ, wahrer Mensch zu werden, nur mit der Ausnahme, dass in Ihm keine Sünde war, wie uns etwas später in diesem Brief gesagt wird. Er tat nicht nur keine Sünde und kannte auch keine (vgl. 1. Pet 2,22; 2. Kor 5,21), sondern es war auch keine Sünde in Ihm. Seine Natur war heilig und vollkommen sündlos. Ohne Frage wurde Er von der Jungfrau Maria geboren. Aber daraus ergab sich nicht Seine Sündlosigkeit, denn die Jungfrau hatte, wie alle Menschen, die sündige Natur in sich. Sie war eine Gläubige von reinem Charakter und bemerkenswerter Herzenseinfalt; aber auch sie hatte den Heiland nötig, und in ihrem eigenen Sohn fand sie denselben Retter wie wir. Sie wusste sehr wohl, dass sich ihr Sohn in der Weise, wie Er Fleisch wurde, von allen anderen Kindern unterschied, denn Seine Menschwerdung geschah durch die Kraft des Heiligen Geistes. Daher war Er unbefleckt, nicht aber sie. Wir müssen entschieden bei der Wahrheit bleiben. Wenn man sich erdreistet, etwas zu der offenbarten Wahrheit hinzuzufügen, dann entsteht durch Aberglauben eine Fälschung der Wahrheit, und die einzigartige Stellung Christi wird auf jemand anders übertragen. Gott wird eine solche Lästerung richten.
Im Zusammenhang mit der Fleischwerdung des Herrn vollzog sich ein Wunder von erstaunlicher Art; ein weiteres Wunder geschah bei Seinem Tod und Seiner Auferstehung. Es gibt nichts Menschlicheres, als geboren zu werden und zu sterben, denn das ist die Bedingung, der der Mensch jetzt unterworfen ist. Der Herr kannte diese Bedingung, und doch hat Er in allem Gott offenbart. Es gefiel Ihm, am Kreuz Sein Leben zu lassen; niemand hätte es Ihm nehmen können, wenn Er es nicht gewollt hätte. Er Selbst ließ Sein Leben in einer Weise, wie kein anderer es zu tun vermochte. Würde einer von uns seinem Leben ein Ende machen, so wäre das eine große Sünde. Aber bei dem Herrn Jesus war es wunderbare Gnade und diente zur Aufrechterhaltung der heiligen Ansprüche Gottes gegenüber aller Sünde. So steht der Herr in diesen beiden Ereignissen, in denen Er dem Menschen am nächsten kommt, doch als göttliche Person unendlich weit über ihm. Hier versagt der Verstand des Menschen völlig. In seiner Selbstüberheblichkeit und Unwissenheit über Gott will der Mensch nicht anerkennen, dass es Geheimnisse gibt, die über sein Denkvermögen hinausgehen. Bei jeder Schwierigkeit baut er nur auf seine eigenen Fähigkeiten und vertraut lieber auf sich selbst anstatt auf Gott; und der mächtige Feind bestärkt ihn noch darin. Gott aber will ihn dazu bringen, als Sünder vor Ihm im Staub zu liegen und nur auf den Herrn Jesus zu blicken; denn nur durch Ihn empfängt der Glaube alle Segnungen, und auch der Glaube selbst ist Gottes Gabe. Aber gerade das fordert den Stolz des Menschen heraus, die Gnade Gottes in Christus zu verwerfen.
Nachdem der Apostel gezeigt hat, wer und was diese wunderbare Person ist, die von Anfang war und Gott und Mensch in einer Person vereinigt, sagt er: „Bleibet in ihm.“
Wir kennen keine andere Person, in der wir bleiben sollten, außer Christus, der die Wahrheit ist. Der Geist Gottes wohnt in uns, um uns die Kraft dazu darzureichen; der offenbarte Gegenstand des Glaubens ist jedoch Der, mit dem wir unseren Glaubensweg begonnen haben. Deshalb wird gesagt, dass die „Kindlein“ die Salbung von dem Heiligen haben. Sie waren nicht nur zur Bekehrung gekommen. Christ sein heißt wesentlich mehr, als nur lebendig gemacht und zu Gott umgekehrt zu sein. So war auch der Gläubige des Alten Testaments bekehrt. Er empfing aber nicht den Heiligen Geist; denn diese Gabe folgt erst auf die bewusste Erkenntnis der Erlösung, und das ist eine typisch christliche Segnung. Christus empfing den Heiligen Geist ohne die Notwendigkeit der Erlösung und des Sühnungswerkes, denn Er allein war der Heilige Gottes, der Gerechte. Wir aber brauchten die Erlösung, die Vergebung unserer Sünden. Daher empfangen wir, nachdem wir uns bekehrt und dem Evangelium geglaubt haben, den Heiligen Geist; erst dadurch werden wir wahre Christen (vgl. Apg 11,17). Die Gabe des Geistes, die „Salbung von dem Heiligen“, ist dafür das wahre Erkennungszeichen. Sie darf nicht damit verwechselt werden, dass wir aus dem Geist geboren sind. So sagt also der Apostel zu ihnen: Ihr (nicht die Antichristen) habt diese große Gabe von dem Heiligen; und da Christus es ist, von dem die Salbung kommt, müsst ihr „in Ihm bleiben“.
Gab es im Gesetz irgendetwas Bleibendes für die Israeliten? Ihnen war durch das Gesetz keine göttliche Person offenbart worden. Auf dem Boden des Gesetzes war die Erlösung ein zukünftiger Gegenstand, nach dem sie Ausschau hielten (abgesehen von der symbolhaften Wirkung der Anordnungen). Sie hatten Christus nicht im Glauben angenommen, geschweige denn Sein Sühnungswerk. Das Kommen des Herrn Jesus hatte den Zweck, dem, der an den Sohn glaubt, Gott und den Vater zu offenbaren; die Ausgießung des Heiligen Geistes fand erst statt, nachdem der Herr gestorben, auferstanden und aufgefahren war (um Seinen Geist vom Himmel herab zu senden). Etwas Derartiges hatte es selbst für bekehrte Menschen noch nie gegeben, nicht einmal die falschen Religionen nehmen es im Allgemeinen für sich in Anspruch. Denken wir an den Koran Mohammeds mit seinen hochtrabenden Versen und Vorstellungen, die Lust und Leidenschaften wecken; er enthält keine Offenbarungen Gottes, wohl aber die Offenbarung einer Fülle von Lügen. Ebenso verhält es sich mit den uralten „Veden“, wie die Hindus ihre heiligen Schriften nennen. Noch schlimmer ist es bei den Buddhisten: Sie sind Atheisten, obwohl sie mit den Polytheisten liebäugeln. Der Brahmanismus ist polytheistisch, doch der Buddhismus ist ein System des Atheismus in seiner pantheistischen Form und kennt daher keinen persönlichen Gott, der sich zu offenbaren vermag.
Doch das Wesen des Christentums besteht darin, dass Gott sich in Seinem Sohn offenbart hat, und zwar als Mensch, der, erfüllt von heiliger Liebe, auf Erden wandelte und doch weit über all der Sünde und der Lüge stand, die Ihn umgab. Denn es sollte nicht nur eine Offenbarung im Worte sein, sondern in Tat und Wahrheit. Alle Seine Handlungen und Worte offenbarten Gott, den Vater, alle Seine Wunder machten Ihn in einer Weise bekannt, die weit über das hinausging, was es bis dahin gegeben hatte. Es mochten Zeichen geschehen sein und Kräfte gewirkt haben durch Männer wie Mose, Elia, Elisa usw.; aber diese waren von anderer Art. Hier haben wir die einzigartige Person Jesus Christus, den Mittler zwischen Gott und Menschen. Ihn hatten die „Kindlein“ angenommen, und in Ihm sollten sie bleiben. Nur dann waren sie sicher und empfingen Segen; nur in Ihm waren das Licht und die Liebe Gottes zu finden sowie das Wissen um den Besitz des ewigen Lebens, das Gott dem Glaubenden schenkt. Das alles ist in Ihm zu finden und kann nie von Ihm getrennt werden.
Vor kurzem wurde behauptet, dass wir das ewige Leben nicht in uns selbst hätten. Solche Christen sollten sich in Acht nehmen, dass sie nicht über das hinausgehen, was die Schrift sagt. Insoweit sie daran festhalten, dass das Leben im Sohne ist, haben sie vollkommen Recht, denn das ist eine kostbare Tatsache. Wir danken Gott, dass es so ist, weil das Leben dadurch sicher, unbefleckt und unverändert erhalten bleibt. In Ihm ist das Leben beständig und vollkommen sichergestellt. In Ihm ist es aber auch jedem Glaubenden als sein neues Leben gegeben worden. Hätten wir es getrennt von Ihm, dann würden wir es schon bald verloren oder ebenso veruntreut haben, wie auch die anderen von Gott erhaltenen Vorrechte. Doch es ist gleicherweise wahr, dass wir das Leben haben und dass wir es in Ihm haben, und die letztere Wahrheit erhöht noch den Wert der ersteren. Er ist unser Leben.
Gehen wir weiter: „Und nun, Kinder“ (es ist die ganze Familie Gottes angesprochen), „bleibet in ihm, auf dass wir, wenn er offenbart wird, Freimütigkeit haben und nicht vor ihm beschämt werden bei seiner Ankunft.“ Diesen Satz sollten wir aufmerksam lesen, denn er wird oft nicht richtig verstanden. Im Allgemeinen denkt man, dass wir oder andere Christen mit denen gemeint sind, die nicht beschämt werden sollen. Aber der Apostel sagt doch ganz deutlich: Bleibt „ihr“ in Ihm, damit „wir“ nicht beschämt werden! „Wir“ sind die Diener des Herrn, und unter „ihr“ sind diejenigen zu verstehen, die die Frucht ihrer Arbeit ausmachten. Für die Wahrheit wäre es eine große Herabwürdigung und für den Arbeiter sehr schmerzlich, wenn jemand, der anscheinend die Wahrheit angenommen hatte, sie wieder preisgab. Das änderte jedoch nichts daran, dass der Apostel, wenn er persönlich an ihnen gearbeitet hatte, dennoch ein gesegneter, heiliger und treuer Arbeiter war. Es ist aber an sich sehr beschämend für den Arbeiter des Herrn, wenn diejenigen, die er in die Wahrheit eingeführt zu haben meinte, sich wieder von ihr abwenden. Die Worte des Apostels sind daher ein Appell an ihre Liebe zu ihm.
Wir müssen uns daran erinnern, dass die Abkehr von der Wahrheit bereits zu jener Zeit Fortschritte machte. Judas Iskariot war einer der ersten gewesen, aber schon lange vor dem Verrat des Judas zogen sich viele der Jünger des Herrn zurück und wandelten nicht mehr mit Ihm, als Er davon sprach, dass Seine Fleischwerdung und Sein Tod die unentbehrliche Speise für den Glauben sei. Auch unter den Obersten der Juden glaubten viele an Ihn, aber wegen der Pharisäer bekannten sie sich nicht zu Ihm, weil sie die Ehre bei den Menschen mehr liebten als die Ehre bei Gott. Geliebte Freunde, hütet euch vor einer solchen Gesinnung! Bekennt Ihn, wenn ihr gläubig seid! Bekennt Ihn, wenn ihr durch den Glauben an Ihn ewiges Leben besitzt! Und bekennt Ihn nicht nur, sondern bleibt in Ihm, wie groß auch die Bedrängnis sei. Der Apostel spricht hier außerordentlich zart: „... dass wir, wenn er offenbart wird, ... nicht vor ihm beschämt werden bei seiner Ankunft.“ Würde nicht ihr Mangel an jenem Tage auch für uns eine Beschämung und keine Ehre bedeuten?
Dieser Vers enthält aber noch mehr Unterweisungen. In ihm werden zwei Ausdrücke gebraucht, die nicht genau dasselbe besagen. Der erste ist: „wenn er offenbart wird“, der andere: „bei seiner Ankunft“. Der Begriff „Seine Ankunft“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur, wie an vielen anderen Stellen (z. B. Joh 14,3; 1. Kor 11,26, wo „kommen“ [griech. erchomai] steht), lediglich den Vorgang Seines Herniederkommens, sondern auch die Tatsache oder den Zustand Seiner Anwesenheit (griech. parousia), es ist Seine Gegenwart, wenn Er gekommen ist. Nehmen wir als Beispiel die Auferstehung jener Heiligen, die zu Beginn und im späteren Verlauf des Zeitraumes, den die Offenbarung beschreibt, getötet werden. Diese beiden Klassen von Heiligen, die auferstehen werden, nachdem der Herr als Richter erschienen ist (Off 22,4), bilden einen Teil derer, die des Christus sind bei Seiner Ankunft. „Seine Ankunft“ bedeutet auch an dieser Stelle die Tatsache Seiner Anwesenheit (im Gegensatz zur Abwesenheit), nicht den Vorgang Seines Herniederkommens. Es ist aber doch ein Unterschied zu beachten. Das Wort „Anwesenheit“ oder „Ankunft“ im genannten Sinn kann sich auf Sein Kommen sowohl für das irdische als auch für das himmlische Volk beziehen. Die irdische Seite wird z. B. im Jakobusbrief gezeigt, wo es in Kapitel 5,8 heißt: „Die Ankunft des Herrn ist nahe gekommen“, oder in den Worten des Herrn: „Also wird die Ankunft des Sohnes des Menschen sein“ (Mt 24). Die Verbindung Seiner Ankunft mit dem „Sohn des Menschen“ in den Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas weist klar auf Sein Kommen auf diese Erde hin. Das bringt auch Jakobus in seinem Brief zum Ausdruck, wenn er weiter sagt: „Der Richter steht vor der Tür.“ Wenn der Herr in dieser Weise vorgestellt wird, steht Seine Ankunft immer mit Seinem Tag oder Seiner Erscheinung in Verbindung. Seine Ankunft oder Anwesenheit auf der Erde wird dann auch zur Folge haben, dass Er hier „offenbart“ wird.
Doch das Wort „Ankunft“ schließt auch den Akt Seines Kommens in sich, um uns zu Sich in das Vaterhaus einzuführen, ehe Er offenbart wird. Mit anderen Worten, wenn der Ausdruck parousia, „Ankunft“, nicht mit einer Sein Offenbarwerden ausdrückenden Beifügung verbunden ist, dann bedeutet er, dass der Herr durch Seine Ankunft die Seinen nach 1. Thessalonicher 4 und 2. Thessalonicher 2,1 zu Sich nehmen wird. Ohne nähere Bestimmung wird dieses Wort einfach dazu benutzt, um Seine Anwesenheit in Gnade auszudrücken, und sie ist wirklich mit souveräner Gnade verbunden. Geht es aber um unsere Verantwortlichkeit, dann ist immer von Seiner Erscheinung oder Offenbarung, nicht nur von Seinem Kommen, die Rede. Und das ist der Gegenstand in Vers 28, wo aber beide Begriffe genannt werden; denn Sein Offenbarwerden hat Seine Anwesenheit zur Voraussetzung, während Seine Ankunft oder Anwesenheit noch nicht Seine Offenbarung bedeuten muss.
Es ist noch etwas zu beachten. In dem Satz „wenn er offenbart wird“ steht nicht das zeitliche, sondern das bedingte „Wenn“ (griech. ean: gesetzt den Fall, dass). Das mag für den, der die Heilige Schrift nicht so zu lesen pflegt, wie Gott sie inspiriert hat, befremdend klingen. Doch wir können sicher sein, dass Gott Sich stets so genau wie möglich ausdrückt und auch dafür gesorgt hat, dass Sein Wort für uns verständlich ist. So bezieht sich das „wenn“ hier nicht auf den Zeitpunkt, sondern auf die Tatsache der Offenbarung Christi, unabhängig davon, zu welcher Zeit sie stattfindet. Dass sie sich in Zukunft ereignen wird, steht außer Zweifel. Wenn es nun ganz sicher ist, dass Er offenbart wird, dann sollten die Heiligen auch in Ihm bleiben und nicht ab bewegt werden, damit „wir“ (d. h. die Arbeiter im Werk des Herrn) Freimütigkeit haben und nicht vor Ihm beschämt werden bei Seiner Ankunft. Der Apostel drückt aus, was er in seiner Liebe zu denen, die den Namen des Herrn Jesus tragen, empfindet. Es hätte ihn sehr geschmerzt, wenn einer von ihnen von der Wahrheit abgekommen wäre. Doch wie groß auch seine Liebe zu seinen Kindern im Glauben war, er liebte den Namen Christi mehr als die Heiligen, und diese Liebe drängte ihn, danach zu trachten, dass keiner der Anlass zu seiner Beschämung an jenem gesegneten Tag würde.
„Wenn ihr wisset, dass er gerecht ist, so erkennet, dass jeder, der die Gerechtigkeit tut, aus ihm geboren ist.“ Dieses Tun entspringt, wie der Gehorsam, dem neuen Leben. Weil Er gerecht ist, ist jeder, der die Gerechtigkeit tut, aus Ihm geboren, d. h. die Ausübung der Gerechtigkeit hängt mit dem neuen Leben zusammen. Wir kommen hier zu der Behandlung der praktischen Gerechtigkeit, die sich auch auf die folgenden Verse erstreckt. Dabei muss auf eine geringfügige Ausnahme hingewiesen werden. Es geht jetzt nicht um die Liebe, auch nicht um den Gehorsam als solchen; beide sind bereits in Kapitel 2 von Vers 3 bis Vers 6 bzw. 7 bis 11 behandelt worden. Im letzten Teil des dritten Kapitels werden wir nach den Ausführungen über die Gerechtigkeit die Liebe wieder finden. Das ähnelt dem zweiten Kapitel, wo auf den Gehorsam auch die Liebe folgt. Somit besteht durch die Liebe ein wichtiges Bindeglied zwischen Gehorsam und Gerechtigkeit, denn sie ist in Wahrheit das Band der Vollkommenheit, wie wir in Kolosser 3,14 lesen.
Es wäre interessant zu untersuchen, worin der Unterschied zwischen unserem Gehorsam und unserer Gerechtigkeit liegt. Doch ist die Antwort eigentlich nicht völlig klar? Obwohl die Gerechtigkeit stets durch Gehorsam geprägt ist, ist sie doch nicht nur der Ausdruck der Unterwerfung unter die Autorität Gottes, sondern auch der Übereinstimmung mit unserer Beziehung zu Ihm. Darin liegt offensichtlich die Definition ihres eigentlichen Wesens. Selbst wenn wir uns mit Gottes vollkommener Gerechtigkeit beschäftigen, können wir diese Definition anwenden: Sie besteht in der Übereinstimmung mit Seinen Beziehungen. Das gleiche gilt sowohl für die Gerechtigkeit Christi wie für unsere Gerechtigkeit, so groß der Unterschied zwischen beiden auch sein mag. Im ersteren Fall schauen wir die Vollkommenheit der Übereinstimmung Christi mit Seinen Beziehungen; in unserem Fall müssen wir unser Zukurzkommen in der Darstellung unserer Beziehungen als Christen beklagen.
Sind das nicht für jeden von uns ernste Erwägungen? Doch die Gnade Gottes in Christus gibt uns nicht die geringste Veranlassung, mutlos zu werden; der Hauptzweck dieses Verses ist es ja auch, die Heiligen in Christus zu befestigen. Daher wird auch nichts erwähnt, was Fragen oder Zweifel bei ihnen hervorrufen könnte; denn das ist die Handlungsweise der Verführer – mehr noch als die anderer Ungläubiger –, um ihren Irrtümern Eingang zu verschaffen und einfältige Gläubige, die sich der Wahrheit Gottes erfreuen, irrezuleiten. Es ist eines der Hauptanliegen dieses Briefes, selbst die Jüngsten im Glauben gegen die bösen und gefährlichen Angriffe dieser Leute zu wappnen. Eine ihrer Methoden bestand darin, unerfahrenen Gläubigen Zweifel einzuflößen, ob sie auch wirklich die ganze Wahrheit besäßen. Die Antichristen behaupteten, es gäbe noch weitaus mehr und höhere Wahrheiten als die bisher bekannten. Dieses „neue Licht“, das sie besäßen, sei die große Errungenschaft, und bei denen, die sie nicht hätten, sei es eine Frage, ob sie überhaupt Christen seien. Im Gegensatz dazu war es dem Apostel darum zu tun, diesen jungen Gläubigen die Gewissheit zu geben, dass sie mit dem Geiste gesalbt waren und in dem bleiben mussten, was sie von Anfang gehört hatten. So jung sie auch waren, sie hatten die Pflicht, jede anmaßende Berufung auf eine „neue Erleuchtung“ mit Hilfe der altbekannten Wahrheit zu verurteilen und zurückzuweisen. Es muss für jeden Heiligen ein Alarmzeichen sein, wenn von „neuem Licht“ gesprochen wird. Besonders die Jungen müssen auf der Hut sein, weil sie allzu leichtgläubig sind, wenn ihnen große und hohe Dinge, die andere noch nicht besitzen, vor Augen gestellt werden. Wenn es sich nachher aber herausstellt, dass alles Lüge war, was dann? Wir müssen bei neuen Lehren stets damit rechnen, dass es Lügen des Feindes sind, denn Gott hat uns über Seinen Sohn nichts Neues mitzuteilen. Er hat uns bereits alles kundgetan, und die „Kinder“ hatten die Wahrheit, wie sie in Seinem Sohn ist und von Anfang war, angenommen. Er ist die Wahrheit; in Ihm ist sie demnach vollständig vorhanden. Daher ist alles Reden über neue Wahrheiten ein Betrug Satans. Manche von uns haben es erlebt, wie der Geist des Irrtums wirkt, denn in unseren Tagen ist das mehr denn je der Fall. Wir brauchten nicht weit zu gehen, um auf Irrlehren zu stoßen.
Im 29. Vers nun legt der Apostel großen Nachdruck darauf, dass die praktische Gerechtigkeit von höchster Bedeutung ist, weil sie sich auf unser Kindschaftsverhältnis gründet. Ist das nicht auch für uns eine wichtige Lektion? Im Allgemeinen sind die heutigen Christen in diesem Punkt sehr gleichgültig. Sie schätzen die neuen Beziehungen nicht genügend, in die uns die Gnade versetzt hat. Niemand anders als der Herr Jesus hat uns diese neuen Vorrechte verschafft. Ihm und dem Vater gebührt das höchste Anrecht an diesen Beziehungen, und der Heilige Geist hat in uns Wohnung gemacht als die göttliche Kraft, durch die wir dieses Verhältnis zu Gott verwirklichen können. Wir werden finden, dass dieses den Heiligen Geist betreffende Thema am Ende von Kapitel 3 aufgenommen und im nächsten Kapitel weiter behandelt wird. Daran erkennen wir den offensichtlich streng systematischen Charakter dieses Briefes. Seine Mitteilungen sind zwar in einfache Worte gekleidet, enthalten aber Gedanken und Empfindungen von großer Tiefe, die der Gnade und Wahrheit Gottes entsprechen.
Manche werden sich noch an die Zeit erinnern, als unter uns alles, was „System“ heißt, verurteilt wurde. Diese Reaktion wurde durch die starren Neuerungen in den Benennungen ausgelöst, die sich im Gegensatz zu der heiligen Freiheit des Geistes befanden, die nach der Schrift in der Versammlung bestehen muss. Es hat manche Überstürzung bei der Auseinandersetzung mit dem „System“ gegeben, weil man meinte, es wäre das einzig richtige, gar kein System anzuerkennen. Wo es dazu kam, waren die Betreffenden jedoch wirklich zu bedauern. Die wahre Frage lautet: Worin besteht Gottes System? Das System der Menschen ist unbedingt falsch. Aber es sei ferne von uns, das System Gottes zu verwerfen, gleichgültig, worin es besteht; denn Er hat stets Sein eigenes System, das der natürliche Mensch niemals begreift. Nur Sein Wort kann es uns entfalten und Sein Geist uns dazu befähigen, es in die Tat umzusetzen. Dabei müssen wir empfinden, dass nur Seine Gnade und die machtvolle Wirksamkeit Seines Geistes uns durch die Heilige Schrift die Fähigkeit gab, aus dem Labyrinth alten und modernen Irrtums herauszufinden und außerhalb der menschlichen Traditionen und Irrtümer Seinen Weg zu betreten. Der gottgemäße Weg erscheint denen, die in diese Irrtümer verstrickt sind, hart, ungewiss, eng, pharisäerhaft und vieles andere. Dagegen vermittelt er in Wirklichkeit eine Weite des Herzens, eine Freiheit und Freimütigkeit sowie Demut vor Gott, wenn wir die menschlichen Systeme aufrichtig im Licht des Systems Gottes beurteilen; denn Sein System ist im Wort Gottes offenbart. Jedes Buch und jedes Kapitel der Schrift ist wunderbar systematisch angelegt. Auch dieser Brief des Johannes trägt dieses charakteristische Merkmal, das umso bedeutsamer ist, als es nicht an der Oberfläche erscheint, sondern tief in den Text verflochten ist. Das finden wir durchweg in der Bibel, und stets liegt ihm eine besondere Absicht zugrunde. Hier besteht es darin, in besonders eindringlicher Weise in die Höhen und Tiefen der Wahrheit über das Leben Christi einzuführen, wie dies an anderen Stellen des Neuen Testamentes kaum gefunden wird.
„Wenn ihr wisset, dass er gerecht ist, so erkennet, dass jeder, der die Gerechtigkeit tut, aus ihm geboren ist.“ Der praktische Wandel in Gerechtigkeit lässt klar die Quelle des neuen Lebens erkennen. Es mag gefragt werden, wer im ersten Satzteil mit „Er“ gemeint ist. Wahrscheinlich würden viele Gläubige an Christus denken und hätten damit auch vollkommen Recht. Nicht wenige aber haben diese Frage dahingehend beantwortet, dass Gott hier Derjenige ist, der „gerecht“ genannt wird, weil das „Geborensein“ aus „Ihm“ in diesem Zusammenhang naturgemäß auf Gott hinweist. Diese Begründung hat unbestritten erhebliches Gewicht, da niemand leugnen kann, dass Gott gerecht ist. Doch dabei würde eine sehr auffällige Eigentümlichkeit dieses Briefes übersehen werden, nämlich, dass man nie mit absoluter Sicherheit sagen kann, ob an einer Stelle Gott oder Christus gemeint ist. Der Grund hierfür ist sehr kostbar, denn Christus ist zugleich Gott. Dabei wird der Vater keineswegs ausgeschlossen, da die göttliche Natur dem Sohn ebenso zu eigen ist wie dem Vater, was kein Gläubiger leugnen wird. Johannes, der sich mehr als die anderen Apostel mit dem Wesen Gottes beschäftigte und seine Wonne darin fand, bewegt sich fortwährend – in Ehrfurcht gesagt – auf dem anbetungswürdigen Kreis, der von Christus zu Gott, von Gott zu Christus und wieder zurück zu Gott führt, wenn er in diesem Brief von „Er“ und „Ihm“ spricht. Das zeigt sich schon im ersten Teil des zweiten Kapitels. Hier, am Ende des Kapitels; sehen wir das gleiche, und dies setzt sich fort am Anfang des dritten Kapitels bis zum Ende des Briefes, wo der Apostel im Blick auf Christus ohne Bedenken sagt: „Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben.“ Einem nicht erweckten Gelehrten würde dies beim Lesen ziemlich verworren vorkommen. Diejenigen jedoch, die wissen, dass Christus der Sohn Gottes und mit dem Vater zugleich Gott ist, erblicken darin eine Schönheit der Wahrheit. Aus diesem Grunde weist der Herr in Johannes 5, 23 auf das Tun des Vaters hin und fügt hinzu: „Auf dass alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren.“ Weil Gottheit beide Personen kennzeichnet, kann unmöglich in absoluter Weise festgelegt werden, ob der Vater oder der Sohn gemeint ist, und da beide Personen der Gottheit in Liebe tätig sind, wechselt der Apostel absichtlich und gleichsam unmerklich von dem Einen zum Anderen. „Wenn ihr wisset, dass er gerecht ist, so erkennet, dass jeder, der die Gerechtigkeit tut, aus ihm geboren ist“. Würden wir zu Beginn des Satzes meinen, „Er“ gelte für Christus, so könnten wir ebenso berechtigt sagen, dass am Ende mit „Ihm“ Gott gemeint ist.
Der inspirierte Schreiber muss für einen derart ungewöhnlichen Schreibstil einen göttlichen Beweggrund gehabt haben. Da diese Unbestimmtheit in der Bezeichnung der Gottheit nicht nur gelegentlich auftaucht, sondern sich durch den ganzen Brief hinzieht, lässt sie eine besondere Absicht erkennen. Auch zeigt der Schreiber keinerlei Bedenken in ihrer Anwendung. Wir wissen, dass jeder sorgfältige Schriftsteller peinlichst darauf bedacht ist, bei alltäglichen Themen etwas Derartiges zu vermeiden. Ein Literat oder Gelehrter ist stolz auf die Einhaltung bestimmter Regeln, die seinen Stil so durchsichtig machen, dass selbst ein Laie die zweimalige Erwähnung eines „Er“ in einem Satz auseinander halten kann. Sicher war der Apostel von jedem eitlen Bemühen weit entfernt, durch Worte mit einem dunklem Sinn den Eindruck zu erwecken, besonders tiefsinnig zu schreiben. Es kann nicht bezweifelt werden, dass der Grund für seine Schreibweise in dem Geheimnis der Gottheit lag, deren der Vater und der Sohn gleichermaßen teilhaftig sind. Wo ist der Weise, wo der Schriftgelehrte, wo der Schulstreiter dieses Zeitlaufs, wenn es um eine solche Wahrheit geht? Gerade weil der eingeborene Sohn Selbst Gott ist, wollte Johannes Ihn nicht auf einen Boden mit dem Menschen stellen. Obgleich Er in unendlicher Gnade Mensch wurde, wollte Johannes keine begrenzte, menschlich fassliche Darstellung von Ihm geben. Durch diese Verschmelzung und die wechselnde Bedeutung der Personalpronomen lässt er uns sehen, dass er Gott und Christus so vereinigt vor uns stellen möchte, dass sie durch den sprachlichen Ausdruck des Menschen nicht zu trennen sind. Wie kann er in Vers 29 eine solche Aussage machen: „... so erkennet, dass jeder, der die Gerechtigkeit tut, aus ihm geboren ist“? Weil die Heiligen aus Gott geboren sind und das Leben Christi besitzen. Diese Wahrheit liegt auch dem gesamten Brief zugrunde. Aus der Tatsache, dass Christus uns Sein Leben gegeben hat, ergibt sich, dass „Christus unser Leben“ ist. Ein markantes Kennzeichen des Lebens Christi ist Seine makellos vollkommene Gerechtigkeit, die Er in Seinem ganzen Wandel offenbarte. Und es ist Sein Leben, das nun auch unser Leben geworden ist; es ist das einzige Leben, dessen wir uns rühmen können. Es ist göttliches Leben, weil es in unendlicher Gnade von Gott kommt, der uns das beste, höchste, wertvollste und vollkommenste Leben schenkte, das es je gegeben hat. Es war von Ewigkeit her im Sohne, der es uns jetzt mitgeteilt hat. Durch die Ausübung der Gerechtigkeit (entsprechend der Tatsache, dass Er gerecht ist) sollen wir bezeugen, dass unsere Lebensquelle in Ihm ist.
Wie traurig, dass es Christen gibt, die diese Tatsache bezweifeln! Das bedeutet tatsächlich, das Christentum anzuzweifeln, da es sich durch das praktische Verhalten, wie zuvor erläutert, als solches erweist. Es ist nutzlos, für derartige Zweifel Entschuldigungen vorbringen zu wollen. Der Irrtum ist zu deutlich und zu fundamental, als dass er durch eine mangelhafte Ausdrucksweise im Bibeltext oder durch die Auffassung, es handle sich hier um eine andere, falsch verstandene Seite der Wahrheit, erklärt werden könnte. Dieser Irrtum ist so schwerwiegend und gefährlich, dass er zu verwerfen ist und man versuchen muss, jeden, der in diese verderbliche Falle geraten ist, daraus zu befreien. Hier wird klar gezeigt, dass ein gerechter Wandel aus der moralischen Gemeinschaft mit Christus herrührt. Alle, die in Gerechtigkeit handeln, können somit als aus Gott geboren gelten, da Er gerecht ist. Jeder muss erkennen, dass in diesem Vers nicht von Rechtfertigung die Rede ist, sondern von praktischer Gerechtigkeit. Dass wir kraft des Kreuzes Christi, an dem Gott Ihn für uns zur Sünde machte, durch Glauben Gottes Gerechtigkeit in Christus werden, ist absolut wahr, doch das ist unsere Stellung durch die Gnade! Unser Text spricht von dem Wandel, der auf diese Rechtfertigung folgt. Der Apostel betont die äußerst wichtige Tatsache, dass praktische Gerechtigkeit Einssein mit Christus bedeutet und unlösbar damit verbunden ist, aus Gott geboren zu sein.
Die Tatsache und das Wesen der neuen Beziehungen zu Gott wird hier vor uns gestellt. Wir sind aus Gott geboren, sind Seine Kinder. Kann man sich etwa die geringste Ungerechtigkeit in Gott oder in Christus vorstellen? Wir können daher die Feststellung, dass jeder, der die Gerechtigkeit tut, aus Gott geboren ist, auch umkehren und sagen, dass jeder, der aus Gott geboren ist, auch die Gerechtigkeit tut. Es ist also eine Frage des Tuns, nicht nur der Zunge oder des Bekennens. Unsere Stellung kommt hier nicht in Betracht, sondern das, was die Gnade durch die neue Natur in unserem Wandel hervorbringt, der dadurch auf die Quelle dieses neuen Lebens hinweist. Was könnte stärker auf das Gewissen einwirken als ein von Gott geschenktes neues Leben? Wenn diese Worte auch niedergeschrieben wurden, um den Glauben zu stärken, so sollten sie gewiss auch kräftig auf das Gewissen einwirken; denn Gerechtigkeit bedeutet, in Übereinstimmung mit einer Beziehung zu sein, die kein Liebäugeln mit der Sünde gestattet.
Nun zeigt gerade der nächste Vers (Kap. 3, 1), dass wir die Gnade in ihrer ganzen Fülle nötig haben. Je klarer und ungehinderter das Gewissen tätig sein soll, umso mehr haben wir den Frieden nötig, den die vollkommene Gnade uns verleiht. Dieser Gedanke wird hier scheinbar ganz unvermittelt zur Sprache gebracht, und zwar um unsere neue Kindesbeziehung, die durch die Liebe des Vaters geprägt ist, hervorzuheben. Diese neue Beziehung ist hier nicht nur als die erforderliche Grundlage unseres Wandels hervorgehoben; sie wird uns auch als Grund unserer Freude an der alles Denken übersteigenden Liebe des Vaters und ihren herrlichen Resultaten gezeigt. Wenn es daher auch wie ein plötzlicher Gedankensprung erscheint, den wir in den Schriften des Johannes hin und wieder finden, so erkennen wir darin doch nur göttliche Weisheit, die uns genau das mitteilt, was wir tagtäglich benötigen. „Sehet, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat!“ Nicht nur der Umfang, sondern auch die Art dieser Liebe ist so wunderbar. Sie zeigt sich darin, dass der Vater uns diese grenzenlose Liebe gegeben hat, „dass wir Kinder Gottes heißen sollen“. „Kinder“ ist hier der korrekte Ausdruck, nicht „Söhne“. Johannes wendet das Wort „Sohn“ normalerweise nur auf Christus an, weil er eifersüchtig auf die Ehre des Sohnes bedacht ist. Sodann leitet ihn aber auch die ihm von Gott übertragene Sorge um die offenbarte Wahrheit, weniger von unserer Sohnschaft zu sprechen als davon, dass wir Kinder Gottes sind. Übrigens drückt die Kindesbeziehung in der Familie viel größere Innigkeit aus als die Sohnesstellung. Wir besitzen die Sohnschaft, aber als Kinder verbindet uns das innigste Familienband mit dem Vater. Beide Vorrechte besitzen wir durch Seinen Sohn. So wunderbar ist also die Liebe, die uns gegeben wurde, dass wir Kinder Gottes heißen sollen.
„Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat.“ Welche Ehre bedeutet es für uns, mit Christus das gleiche Los zu teilen, von der Welt nicht erkannt zu werden! Unsere Stellung und neue Natur in Christus sowie unsere enge Beziehung zu Gott sind für die Welt unverständlich.
Vielleicht ist es nützlich, zu erwähnen, dass einige der ältesten bekannten Manuskripte hinter dem Satz „... dass wir Kinder Gottes heißen sollen“ übereinstimmend den Zusatz haben: „und wir sind es!“ Dieser kurze Satz erscheint nicht in der englischen „Authorized Version“ (ebenso wenig in einigen deutschen Übersetzungen). Ich bin jedoch nicht in der Lage, mich mit Bestimmtheit über diesen speziellen Punkt zu äußern. Ich möchte lediglich noch bemerken, dass diese alten Manuskripte manchmal gemeinsam etwas enthalten, was mit Sicherheit falsch ist. In diesem Satz liegt jedoch eine Besonderheit: „... dass wir Kinder Gottes heißen sollen. Und wir sind es!“ Diese letzte Feststellung ist zweifellos wahr und wird ja auch zu Beginn des zweiten Verses mit besonderer Betonung zum Ausdruck gebracht. Manchmal sind zwar die Lesarten der alten Manuskripte dort, wo sie von anderen Handschriften abweichen, offensichtlich falsch; dieser Zusatz ist zumindest wahr. Es fragt sich nur, ob er etwa von dem folgenden Vers übernommen und hier eingefügt worden ist, und somit als menschliche Ergänzung betrachtet werden muss. (Aufgrund weiterer Handschriftenfunde wird heute allgemein angenommen, dass „und wir sind es“ zum ursprünglichen Text gehört. Anm. d. Herausgebers.)
Der vorliegende Gegenstand ist von so großer Bedeutung, dass noch eine weitere Bemerkung berechtigt ist. Die lateinische Vulgata, die, obwohl nur eine Übersetzung, von der römisch-katholischen Kirche als maßgebende Heilige Schrift anerkannt wird, irrt an dieser Stelle. Sie gibt diesen Satz zwar wie die alten griechischen Unzialschriften wieder, wird aber dort fehlerhaft, wo diese in Übereinstimmung mit der Wahrheit sind. Die Vulgata schreibt in diesem Fall – durch natürliche Gedankengänge geleitet – „... dass wir Söhne Gottes heißen sollen und sollten es auch sein.“ Ihr lateinischer Text heißt also nicht „wir sind“, sondern „wir sollten sein“ oder „wir mögen sein“. Das entspricht nicht der Wahrheit. Damit wird geleugnet, dass wir jetzt schon Kinder Gottes sind, und versucht, dies als eine zukünftige Sache hinzustellen, vielleicht mit dem Gedanken, dass es von unserem guten Wandel abhänge. Solche Überlegungen sind unvereinbar mit den nachfolgenden Worten des Apostels und können, weil unwahr, nicht aufrechterhalten werden. Jedoch der Zusatz: „Und wir sind es!“ ist ohne Frage in sich wahr. Ob er Bestandteil des inspirierten Textes ist, bleibt offen. Die gleiche Feststellung steht aber am Anfang des folgenden Verses.
„Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes.“ Damit erhalten die Gläubigen eine wichtige Zusicherung, die sie kennen müssen. Diese Mitteilung geht über den vorhin erwähnten fraglichen Satz hinaus, denn das „jetzt“ ist höchst bedeutsam. Wir sind nicht nur Kinder Gottes, wir sind es „jetzt“ schon. Dieses Wort ist ebenso unserer Beachtung wert wie der unmittelbar vorangegangene Satz: „Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat.“ In welch bemerkenswerter Weise wird hierdurch unser Einssein mit dem Herrn zum Ausdruck gebracht! Die Welt hat weder Christus noch die Seinen verstanden. Niemals kann der Mensch Ihn wirklich begreifen, obwohl er es vielleicht behauptet. Nur der Vater erkennt Ihn vollkommen. Doch die Welt hat aus Seinem Munde und durch Sein Leben genügend erfahren, um Ihn zu hassen. Aus diesem Grunde blieb Er ihr als eine Person, der Ehrfurcht, Ehre und Liebe gebührt, unbekannt. Er ist für die Welt ein Niemand, mit dem man nichts anfangen kann, und ebenso betrachtet sie auch die wahren Gläubigen. Durch die Gnade sind wir in die gleiche Beziehung eingeführt, in der Er zum Vater steht, und folglich teilen wir auch Sein Los, in dieser Welt nichts zu sein. So wie Er in dieser Welt ein Unbekannter war, sind auch wir es. Sollten wir das nicht als eine hohe Ehre betrachten?
Bekanntlich trachtet man in der Welt mit größter Anstrengung nach Macht und Ruhm, Behaglichkeit und Vergnügen. Bemühen sich nicht die meisten Menschen darum, Reichtum und etwas von der Ehre in dieser Welt zu erlangen? Geht man zu weit mit der Behauptung, dass dies auch das Trachten vieler Christen ist? Christus war niemals damit beschäftigt. Nicht nur trachtete Er nicht nach der Welt, Er lehnte sie auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit ab. Er war hienieden stets der treue Diener und konnte sagen: „Gleichwie der lebendige Vater mich gesandt hat, und ich lebe des Vaters wegen, so auch, wer mich isst“ (d. h. als Speise für den Glauben), „der wird auch leben meinetwegen“ (Joh 6,57, vgl. Fußnote dazu in der Elberfelder Übers.). Daraus folgt, dass die Liebe des Vaters der Weltliebe direkt entgegengesetzt ist. Wo die Liebe des Vaters nicht ist, ist die Liebe der Welt oder zur Welt; wo umgekehrt die Liebe des Vaters wohnt, hat die Weltliebe keinen Platz. Die Welt verachtete Ihn, und ebenso behandelt sie auch alle, die treu im Glauben vorangehen, wie es sich für Kinder Gottes geziemt. Könnte sich die Gesinnung der Welt klarer und deutlicher dokumentieren als in dieser völligen Geringschätzung? Die Welt ist so völlig von sich überzeugt, dass sie meint, ohne Gott und die Seinen auskommen zu können. Die Kinder Gottes sind für sie tatsächlich nichts weiter als lästige Störenfriede.
„Geliebte“ sagt der Apostel wieder zu den Kindern – ein sehr bezeichnendes Wort, wie wir schon früher sahen. Er behandelt hier die hohe Stellung, die wir gegenwärtig schon besitzen, sowie die Hoffnung auf die Herrlichkeit, die uns bevorsteht; beide aber haben wir nur durch die Liebe des Vaters empfangen. „Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, dass, wenn es offenbar werden wird, wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ Hier finden wir wieder das Wort „wenn“, und wieder ist es nicht in zeitlicher Hinsicht zu verstehen, sondern an einen Umstand geknüpft (griech. ean, im Fall dass o. ä.). Wenn man z. B. in diesem Satz „Wenn er offenbar werden wird“ das „wenn“ als Zeitangabe versteht, könnte man zu der falschen Schlussfolgerung kommen, dass mit Seinem Offenbarwerden auch der Zeitpunkt gemeint ist, an dem wir Ihm gleich gestaltet werden. Diese Auffassung hat sicher viele verwirrt, aber wir wissen aus 1. Korinther 15,51+52; 1. Thessalonicher 4,16+17 sowie 2. Thessalonicher 2,1, dass unsere Umgestaltung in dem Augenblick stattfinden wird, wenn Er für uns kommt. Dann ist unser Leib Seinem Leibe gleichförmig, und wir werden sein, wie Er ist. Und wenn wir Ihm bei Seinem Kommen für uns bereits gleich gestaltet werden, dann ist es gewiss, dass das auch unser Zustand bei Seiner Erscheinung oder Seinem Offenbarwerden sein wird. Die ganze Welt wird uns mit Ihm so sehen und erkennen, dass wir Ihm gleich sind und mit Ihm dieselbe Herrlichkeit besitzen (vgl. Joh 17,22+23 und Kol 3,4). Unsere Verwandlung wird also nicht zu diesem Zeitpunkt geschehen, sondern sie wird schon vorher stattgefunden haben, und darum ist es wichtig, das Wort „wenn“ hier richtig zu verstehen. Ich sage das nicht, um etwas zu behaupten, was durch einen Beweis aus der Schrift erhärtet werden müsste, sondern einfach deswegen, weil das grammatisch die Bedeutung dieses Partikels ist: Wenn (oder unter der Voraussetzung, dass) Er offenbart werden wird (was ganz gewiss der Fall sein wird), werden wir Ihm gleich sein. Aus den angeführten Stellen wissen wir, dass wir Ihm gleich sein werden, ehe Er uns in den Himmel einführt und in das Vaterhaus bringt. Und wenn wir mit Ihm aus dem Himmel kommen und der Welt offenbar werden, werden wir Ihm noch immer gleich sein, nicht erst gleich gestaltet werden. Denn das geschah, als wir Ihn für uns kommen sahen. Das muss beachtet werden, sonst könnte das „wenn“ in diesem Falle zu Trugschlüssen führen.
Was sind das doch für Vorrechte, geliebte Brüder! Wenn wir dann an unsere so mangelhafte Treue und Hingabe denken, was sollen wir dann sagen? Doch der Wunsch unserer Herzen ist, auf Seine Stimme zu hören und Ihm zu folgen. Blicken wir im Glauben auf Christus und sind mit Ihm beschäftigt, so werden wir durch den Heiligen Geist mehr und mehr in Sein Bild verwandelt. Auf Erden werden wir Ihm jedoch nie gleich werden. Wir dürfen Ihm nacheifern, der für uns litt und uns ein Beispiel hinterlassen hat, damit wir Seinen Fußspuren folgen. Wir werden auch aufgefordert, es dem Apostel Paulus gleichzutun, der ein treuer Nachahmer Christi war. Doch niemals wird gesagt, dass wir Ihm schon jetzt gleich sein werden; das wird erst geschehen, wenn wir verwandelt und aufgenommen worden sind, nicht eher. Es wäre eine große Vermessenheit zu behaupten, dass jemand Ihm schon jetzt gleich sei. Jetzt besitzen wir alles nur stückweise. Wenn das Vollkommene für uns gekommen sein wird, dann werden wir Seine Herrlichkeit teilen, in keinem Stück werden wir Ihm dann ungleich sein. Wie eindrücklich und umfassend wird die gewaltige Verwandlung, die den Gläubigen bei dem Kommen des Herrn bevorsteht, in unserem Vers zum Ausdruck gebracht! Wenn Er offenbart wird, dann werden wir es auch, und zwar mit derselben Herrlichkeit, und alle Welt wird uns dann sehen. Verwandelt werden wir bereits, wenn wir Ihn erblicken, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist, und das geschieht nicht an dem Tage Seiner Erscheinung vor der Welt, sondern bei der ersten Phase Seiner „Ankunft“, wenn Er kommt, um die Seinen zu Sich zu nehmen Dann werden wir Ihn sehen, wie Er ist, und auch Ihm gleich sein.
Bei Seinem und unserem Offenbarwerden wird Ihn jedes Auge sehen. Die Hoffnung, die uns hier vorgestellt wird, übt eine gegenwärtige geistliche Wirkung aus, deren Bedeutung für den Gläubigen nicht stark genug betont werden kann. „Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, gleichwie er rein ist.“ Hier ist nicht die Hoffnung auf den Menschen gemeint, sondern die Hoffnung, die auf (epi) Christus gegründet ist. Die genaue Bedeutung dieses Wortes ist „auf“ Ihn, nicht zu Ihm. Es ist eine Hoffnung, die auf Ihn gerichtet ist und auf Ihm ruht. Dadurch „reinigt sich der Gläubige selbst“. Aus dieser Feststellung ergibt sich von selbst, dass wir Ihm noch nicht gleich sind. Christus musste Sich niemals reinigen. Er heiligte sich Selbst, d. h., Er sonderte sich ab, und kehrte zum Himmel zurück, um für uns, die wir auf der Erde sind, das große Vorbild zu sein, damit auch wir für den Vater abgesondert seien durch Wahrheit (vgl. Joh 17,19). Wir jedoch müssen uns noch ständig reinigen, weil wir außer dem Leben Christi auch die alte Natur in uns haben. Ihre Regungen müssen wir im Tode halten, damit sie nicht zum Vorschein kommen und uns zum Sündigen verleiten. Deshalb müssen wir uns von jeder Beschmutzung reinigen, die durch Unachtsamkeit und Nachlässigkeit im Gebet entsteht, und uns immer wieder nach der Norm ausrichten, die in Christus ist, da es heißt: „gleichwie er rein ist“. Er war stets absolut rein. Diese Aussage könnte nun wiederum auf Gott angewandt werden, denn Gott ist Licht und rein in Sich Selbst, was kein Gläubiger bezweifeln wird. Hier jedoch ist gemeint, dass Christus rein ist, und das ist umso beachtlicher, wiewohl völlig gewiss, als Er auch wahrhaftiger Mensch war. Obwohl Er von einer Frau geboren wurde, ist Er rein im absoluten Sinne. Allen, die diese Aussage nicht auf Christus anwenden, geht sehr viel verloren. Sie schmälern die Ehre, die Ihm zukommt, wenn sie leugnen, dass diese Stelle von Ihm spricht. Manche gelehrte und auch fromme Menschen haben das getan.
Damit kommen wir zu dem Gegenstand, der das genaue Gegenteil von Reinheit ausmacht, und zwar zu der Auseinandersetzung mit der Frage, was Sünde wirklich ist. „Jeder, der die Sünde tut, tut auch die Gesetzlosigkeit, und die Sünde ist die Gesetzlosigkeit“ (Kap. 3,4). Ich kenne kaum einen Vers im Neuen Testament, der, wenn ich so sagen darf, mehr entstellt worden ist oder so weit verbreitetes Missverständnis hervorgerufen hat.
(Der Text der englischen „Authorized Version“ lautet sinngemäß: „Wer Sünde begeht, übertritt auch das Gesetz, denn Sünde ist Gesetzesübertretung.“ Die nachstehenden Ausführungen haben diese falsche Übersetzung zum Anlass, Anm. d. Üb.). Wie Schade, dass die im allgemeinen ausgezeichnete „Authorized Version“ hier in so deutlicher und schmerzlicher Weise von den offenbarten Gedanken Gottes und der einzig legitimen Bedeutung Seines Wortes abweicht!
Der Grund für die Entstehung dieses Irrtums und für seine allgemeine Anerkennung liegt in dem judaisierenden Einfluss, der seit langem in der Christenheit vorherrscht. Betrachten nicht die vielen verschiedenen Benennungen das Gesetz Moses als die Richtschnur für das Leben des Christen? Wie abwegig, da doch allein Christus und Sein Wort die Richtschnur für jede Einzelheit im Leben des Gläubigen ist! Steht nicht die Stelle Johannes 1, Vers 17 „die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden“ im Gegensatz zum Gesetz? Das Gesetz ist im Gegensatz zur Gnade der Dienst des Todes und der Verdammnis (2. Kor 3,7–9) und somit das Todesurteil für den Sünder. Als solches hat es sich auch dem Israeliten gegenüber erwiesen. Das gilt nicht nur für das Zeremonialgesetz, sondern auch ausdrücklich für die in Stein eingegrabenen Zehn Gebote, wie der Apostel Paulus uns belehrt.
Was jedoch die Übersetzung aus dem griechischen Grundtext betrifft, so gibt es in diesem Vers nicht den geringsten Hinweis auf „Gesetzesübertretung“. Trotzdem wird wohl kaum ein Katechismus zu finden sein – ganz gleich, welcher Herkunft –, in dem nicht die Verfasser, durch diese falsche Übersetzung irregeführt, die Sünde als „Gesetzesübertretung“ definiert haben. Diese Definition ist aber absolut falsch und entspricht durchaus nicht dem, was der Apostel schreibt. Gesetzlosigkeit geht erheblich tiefer und ist tückischer und weit reichender als die Verstöße gegen das Gesetz. Sie äußert sich nicht nur in bösen Handlungen, sondern bekundet sich in der Wirksamkeit einer böswilligen Natur. Daher ist die Gesetzlosigkeit besonders bei solchen Menschen zu finden, die unter Umständen noch nie etwas vom Gesetz gehört haben und hemmungslos ihrem eigenen Willen leben. Wie kann man in Bezug auf Menschen von Gesetzesübertretung sprechen, die von der Existenz des Gesetzes überhaupt nichts wissen? Ihr böses Tun kann man schwerlich „Übertretung“ nennen, denn das bedeutet Zuwiderhandlung gegen ein bekanntes Gesetz. Der Ausdruck „Übertretung des Gesetzes“ erklärt sich doch selbst ganz deutlich und unterscheidet sich klar von „Gesetzlosigkeit“. Der letztere Begriff ist die einzig richtige Übersetzung an dieser Stelle, während der andere Ausdruck nur irreführt.
Wir können sicher annehmen, dass fast jeder aufmerksame Christ schon von der wahren Bedeutung dieses Verses gehört hat, denn seit über hundert Jahren haben viele Diener Gottes mit Nachdruck daran festgehalten und sie verkündet.
Sünde bedeutet mehr als fleischliche und weltliche Lüste, vor denen in Kapitel 2,16 gewarnt wird. Der Urteilsspruch Gottes über die Sünde wird hier reziprok (wechselseitig) dargestellt: „Die Sünde ist die Gesetzlosigkeit“, und „die Gesetzlosigkeit ist die Sünde.“ In ihr bezeugt sich der Eigenwille, der entweder Gottes Willen nicht kennt oder nicht beachten will. Vers 4 sagt unmissverständlich aus, dass jeder, der Sünde tut oder ausübt, auch die Gesetzlosigkeit tut. Es ist darunter nicht zu verstehen, dass man in eine Sünde fällt, sondern dass man Sünde „praktiziert“, d. h. das, was der Sünder ständig tut, worin er lebt. Solange ein Mensch ein Sünder ist, kann er nichts als Sünde tun. Als Sünder kann er es nicht unterlassen, zu sündigen, weil die Sünde sein natürlicher Zustand und er ein gefallenes Geschöpf ist. Er tut nicht die Gerechtigkeit, er ist von der Heiligkeit denkbar weit entfernt; das Sündigen kennzeichnet sein ganzes Leben. „Jeder“, sagt Johannes hier; dabei macht es nichts aus, ob der Betreffende ein Jude oder ein Heide ist. „Jeder, der die Sünde tut, tut die Gesetzlosigkeit.“ Der Jude vermehrte seine Schuld dadurch, dass er das Gesetz übertrat. Der Heide dagegen tat die Gesetzlosigkeit und wurde dadurch zum Sünder, wenngleich er vom Gesetz nichts wusste und daher auch nicht ein Gesetzesübertreter genannt werden konnte. Die Schrift bezeichnet ihn auch nicht so, sondern nennt ihn „Sünder aus den Nationen“. Die angeblichen und die wirklichen Gesetzesübertreter (die Juden) waren beide schuldig; sie taten ihren eigenen Willen, und darin besteht die Gesetzlosigkeit. Sie bedeutet, Gott völlig außer Acht zu lassen und nach eigenem Willen zu handeln, weil es einem so gefällt. Der Mensch wagt es, sich So gegen Gott aufzulehnen! Doch Gott lässt sich nicht spotten; Er wird ihn ins Gericht bringen. Wenn der Mensch auch jetzt noch seine Ohren verstopft, so wird er doch an jenem Tage mit unaussprechlichem Entsetzen vor Gott stehen müssen.
„Gesetzlosigkeit“ ist also nach Gottes Gedanken der Sinn des Wortes hier, das eine viel größere Tragweite als der fälschlich so übersetzte Begriff „Gesetzesübertretung“ hat. Beide Ausdrücke unterscheiden sich wesentlich voneinander und werden auch verschieden angewandt. Das Wort Gesetzesübertretung kommt im Neuen Testament auch z. B. in Römer 2,23 vor. „Übertretung“ ohne das Bestimmungswort „Gesetz“ hat in den Stellen Römer 4,15; Galater 3,19; Hebräer 2,2 und Hebräer 9,15 dieselbe Bedeutung. Aber in unserem Vers ist im deutlichen Gegensatz dazu von „Gesetzlosigkeit“ die Rede. Das wird am Ende des Verses besonders klar, denn es schließt jeden sündigen Menschen und sein ganzes Leben in sich. Ein solcher Mensch lebt ein Leben der Gesetzlosigkeit, und das steht im absoluten Gegensatz zu Christus, der aus diesem Grunde in Vers 5 (ohne Nennung Seines Namens) eingeführt wird. „ Und ihr wisset, dass er“ (betont) „offenbart worden ist, auf dass er unsere Sünden wegnehme. Hier ist nicht von „tragen“ (wie in 1. Petrus 2,24), sondern von „wegnehmen“ die Rede, wiewohl Er beides durch eine Handlung, vollbrachte. Es kann keinen Zweifel darüber geben, wer „Er“ ist, der so litt. Es war nicht Gott, der Vater, sondern ausschließlich der Sohn, der Herr Jesus. Auf dem Kreuz trug Er allein unsere Sünden und nahm sie für immer hinweg. Dieses Erlösungswerk erstreckte sich nicht über eine längere Zeit Seines Lebens, es wurde innerhalb weniger Stunden vollbracht und hat doch Auswirkungen für die ganze Ewigkeit. „Und Sünde ist nicht in ihm.“ Das spricht von Seiner heiligen Person, wie sie während Seines ganzen Lebens, von Seiner Geburt an bis zu Seinem Tode, von Seiner Auferstehung bis zu Seiner Aufnahme in Herrlichkeit gekennzeichnet war.
Wenn man nur die Seite Seiner ewigen göttlichen Existenz als Sohn betrachtet, kann es bezüglich Seiner Sündlosigkeit gar keine Unklarheit geben. Aber weil Er von der Jungfrau Maria geboren wurde, hat man trotz des Wunders Seiner Menschwerdung (vgl. Lk 1,35) gewagt, diesbezügliche Zweifel aufkommen zu lassen. Doch „in Ihm ist keine Sünde“ – sie war nie in Ihm und kann auch niemals in Ihm sein. Christus war auf Erden das absolute Gegenteil von dem, was den Sünder kennzeichnet. Der Sünder hat nichts als Sünde. Selbst in seinen Zuneigungen hat er nicht Gott im Sinn, sondern nur sich selbst. Sie entsprechen nicht der Liebe, die in Gott und in Christus war, die in die Herzen der Kinder Gottes ausgegossen ist und durch sie wirkt. Jene Gefühle der Zuneigung hat der Mensch sogar mit Hunden und Katzen gemein, denn es gibt unter diesen sehr anschmiegsame Tiere, nicht alle sind bissig. Die unsterbliche Seele des Menschen verleiht seinen Herzensregungen zwar einen höheren Charakter, doch der Mensch ist ein Sünder, die unvernünftige Kreatur ist es nicht! Und weil er eine unsterbliche Seele hat, wird er ins Gericht kommen. Tiere werden nicht gerichtet werden, sondern nur der Mensch als einziges Geschöpf auf der Erde. Wir sprechen jetzt nicht von Engeln, die gefallenen unter ihnen werden ebenfalls das Gericht erleiden.
Doch von den Geschöpfen auf der Erde ist der Mensch das einzige, das so beschaffen ist, dass es zur Rechenschaft gezogen werden kann; er ist Gott direkt verantwortlich.
Hier wird uns Christus in wahrer und einzigartiger Weise vor Augen gestellt. Er hatte nicht nur keine Sünde in Sich, Er kam auch, um unsere Sünden wegzunehmen, wie hoch der Preis auch sein sollte. Gibt es etwas, das wir Ihm nicht verdanken? Und wie sieht nun die Praxis aus, die den Beziehungen der Gnade, in die wir schon jetzt gebracht sind, entspricht? Antwort: „Jeder, der in ihm bleibt, sündigt nicht.“ Wenn nun jemand nicht in Ihm bleibt, kann es uns dann wundern, dass er sündigt? Wenn er nicht in Christus bleibt, wandelt er nicht als Christ. Dagegen sündigt kein Gläubiger, der seine Wonne an dem Sohn Gottes hat, sein ganzes Vertrauen auf Ihn setzt und in bewusster Abhängigkeit von Ihm bleibt. Was sonst könnte uns mit Sicherheit davor bewahren zu sündigen? „Jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen noch erkannt.“ Hier spricht Johannes in grundsätzlicher Weise. Er hat einzig und allein das Wesen und den Charakter der neuen Natur des Gläubigen vor Augen. Die andere, alte Natur des Menschen dient diesem nur zur Schande und bringt ihn in Trübsal. Jede Neigung, sie gewähren zu lassen, wird von dem Apostel schonungslos verurteilt, ob es ihn selbst oder andere Gläubige betrifft. Doch die neue Natur trägt die Merkmale Christi an sich und sündigt nicht, sie kann es auch nicht.
„Jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen noch ihn erkannt.“ Das Sündigen lässt sich unmöglich mit der aufrichtigen Liebe zu Christus in Einklang bringen. Sünde kennzeichnet den Zustand, in dem sich der Mensch von Natur aus befindet; er kann nicht anders als sündigen. Doch als Sünder hat er Christus weder gesehen noch erkannt. Hätte er Ihn wirklich als Sohn Gottes angenommen, dann würde er Ihm geglaubt haben. Wenn er Ihn als solchen erkannt hätte, wäre ihm das Leben in Christus geschenkt worden, und er hätte fortan die Sünde gehasst. Wer im Besitz dieses neuen und heiligen Lebens ist, der blickt auf Christus und bleibt in Abhängigkeit von Ihm, um vor dem Bösen bewahrt zu bleiben. Er begehrt, in praktischer Gerechtigkeit zu verharren, gleichwie Er gerecht ist. Getrennt von Ihm können wir nichts tun und keine Gott wohlgefällige Frucht bringen. Eine bekehrte Seele mag sich noch geknechtet, schwach und elend fühlen, wie es in Römer 7, 7–24 beschrieben wird, ist sie aber durch die Gnade dahin gebracht, sich selbst als hoffnungslos verdorben aufzugeben und sich Christus und Seiner befreienden Macht auszuliefern, wird sie von dem Gesetz der Sünde und des Todes freigemacht und in die christliche Freiheit eingeführt. Nur der Apostel Paulus geht auf diesen Prozess ein, der der Seele Befreiung bringt. Unser Brief übergeht diesen Vorgang und betrachtet die ganze Familie Gottes, einschließlich der Kindlein, als im Zustand des gefestigten Friedens und auf der wahren christlichen Grundlage stehend. Sein Hauptthema ist das neue Leben in Christus.
Der kostbare Gesichtspunkt in dem Zeugnis des Apostels Johannes liegt daher in den Worten unseres Herrn, die er in Johannes 14,20 niederschrieb: „An jenem Tage“ (der nun bereits seit dem Pfingsttag währt) „werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin, und ihr in mir und ich in euch.“ Wenn das wirklich unser gekanntes Teil ist, dann besitzen wir das neue „Ich“; wir sind nicht mehr „im Fleische“, fürchten auch nicht mehr das Gericht über unsere Sünden, sondern der auferstandene Christus ist unser Leben im Geiste. Wir müssen uns vor dem Gedanken hüten, dieser Wechsel vollziehe sich lediglich in unserem Verstand, er bringt uns in den praktischen Besitz der Gesinnung des Geistes (Röm 8, 6). Noch weniger dürfen wir an das Gesetz denken, das Gerechtigkeit von uns fordert; das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat uns freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.
Ganz offensichtlich spricht der Apostel in diesen Versen nicht, wie im 2. Kapitel, von den Lüsten und vom Hochmut des Menschen ohne Christus, sondern er geht weiter. Er führt Christus in Seiner absoluten Sündlosigkeit und in Seinem sühnenden Werk allen Heiligen vor Augen. Daher legt er auch die Wurzeln der Sünde frei und stellt damit den Urheber der Sünde in aller Offenheit bloß, dessen hochmütige, rebellische Unabhängigkeit von Gott sich in denen fortsetzt, die die Bezeichnung tragen, „aus dem Teufel“ zu sein (V. 8). Der Sohn Gottes ist nicht nur offenbart worden, um unsere Sünden hinweg zu nehmen, sondern auch, um die Werke des Teufels zu vernichten. Diese Vernichtung reicht weit über die Sünden der Menschen hinaus und schließt Satans vorsätzliche Anstrengungen und Entschlossenheit ein, Gott zu verunehren und die Menschen zu verderben. Es ist nicht zu übersehen, dass der Sohn Gottes an dieser Stelle dem Teufel persönlich gegenübergestellt wird, ebenso wie sich im 2. Kapitel die Weltliebe in offenbarer Opposition zur Liebe des Vaters befindet.
In Vers 9 kommt die verborgene Ursache dieses radikalen Unterschiedes zum Vorschein: „Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist.“ Der erste Mensch, der Wille des Fleisches oder der Wille des Mannes kommen hier nicht in Betracht. Fleisch und Blut haben nichts in sich, was als Quelle des neuen Lebens dienen könnte. Moralpredigten („Moralische Aufrüstung“) sind ebenso kraftlos wie religiöse Einrichtungen, denn „was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch.“ Man muss aus Gott geboren sein; das geschieht aber durch den Glauben an Seinen Sohn. Er ist der Gegenstand des Glaubens, und die Wirksamkeit Seines Geistes durch das Wort bewirkt die Wiedergeburt. Auf diese Weise ist der Gläubige aus dem Geist geboren; und hier ist ebenfalls wahr, dass das, was aus dem Geist geboren ist, Geist ist (Joh 3,6). Fleisch und Geist bleiben scharf voneinander getrennt; das eine kann keine Verbindung mit dem anderen haben. Auch verbessert oder verändert der Geist das Fleisch nicht. Jede Natur bleibt ihrem Ursprung gemäß bestehen.
So besitzt der Gläubige nicht nur die Rechtfertigung aus Glauben und die dadurch bewirkte Reinigung seines Herzens. Das Versöhnungswerk des Herrn für den Sünder und das Werk des Heiligen Geistes in ihm sind ohne Frage eine Tatsache, sind Wirklichkeit. Aber es gibt auch ein neues Leben das nicht dem ersten Menschen, sondern dem zweiten Menschen entstammt und dem Sünder mitgeteilt wird. Bis dahin war er ja geistlich tot, wie der Herr unmissverständlich nach Johannes 5,24 bezeugt. Das erklärt auch die Sprache des Apostels in diesem Abschnitt, wenn er davon spricht, dass der aus Gott Geborene nicht sündigt. Er wird als in Übereinstimmung mit der göttlichen Natur betrachtet, zu deren Teilhaber ihn die Gnade gemacht hat (vgl. 2. Pet 1,4). Es wird vorausgesetzt, dass er sein altes, sündiges Ich verabscheut und aus dem neuen Leben lebt, das er in dem Sohn hat; dass er vor den Listen, Versuchungen und Anreizungen des Teufels auf der Hut ist, der auf jede Weise versucht, auf den alten Menschen einzuwirken.
Da der Gläubige das Leben Christi besitzt, ist er dafür verantwortlich, die Neigungen der alten Natur zu erkennen, zu hassen und ihnen keinen Raum zu geben. In diesen Versen wird jedoch nicht der Nachdruck auf die Verantwortlichkeit gelegt, sondern darauf, dass eine Natur stets ihrem Wesen gemäß handelt, denn jede Natur bleibt sich grundsätzlich treu. Da der Gläubige jetzt eine neue Natur von Gott hat, lebt er in Übereinstimmung mit ihr. Sie unterscheidet sich ganz deutlich von der alten, gefallenen Schöpfung; und im Glauben erkennt er an, dass sie ebenso wirklich vorhanden ist und eine unvergleichlich höhere Bedeutung hat. Von dieser Grundlage ausgehend schreibt der Apostel nicht nur, „er sündigt nicht“, sondern „er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist“, und das ist durchaus wahr. Dass er nicht sündigt, wird damit begründet, dass „sein Same in ihm bleibt“. Der Same ist das durch Gottes Macht in Gnaden vermittelte Leben Christi, das nicht der Vergänglichkeit und dem Tode unterworfen ist, wie die alte Schöpfung, und das in ihm bleibt. Die neue Natur ist unfähig zu sündigen, und wer sie in Christus besitzt, trägt ausschließlich ihre Merkmale an sich. Er kennt die Sünde im Fleische nicht mehr, sie wurde bereits durch Gott an Christus gerichtet, der am Kreuz für sie zum Opfer gemacht wurde. Von der Art und Weise, wie Gott das Erlösungswerk zustande brachte, wird hier ebenso wenig gesprochen wie von unserer sündigen Natur. Wir hören nur davon, dass der Gläubige durch das Wesen des neuen Menschen gekennzeichnet ist. Dieser lebt ausschließlich in und durch Abhängigkeit von Christus, der seine Quelle ist. Wenn der Gläubige aufhört, im Glauben zu wandeln, und sich nicht mehr auf den Herrn stützt, dann bricht die alte Natur wieder hervor und sündigt.
Während wir dieses Leben nun allein in Christus besitzen, ist es äußerst wichtig und interessant zu sehen, mit welcher Sorgfalt der Heilige Geist bemüht ist, den Sohn fortwährend greifbar und objektiv vor unsere Augen zu stellen. Dadurch will Er uns vor Mystizismus und Selbstgefälligkeit, diesen so verbreiteten Schlingen für gottesfürchtige Seelen, bewahren. Er lenkt unsere Blicke auf die alles überragende Hoffnung, dass wir Christus gleich sein werden, wenn wir Ihn sehen werden, wie Er ist. Beachten wir auch die mit allem Nachdruck getroffene Feststellung: „In ihm ist keine Sünde.“ Sie ist für das Herz des Gläubigen so kostbar, weil er auf den Menschen Christus Jesus blickt, der in leuchtendem Gegensatz zu allen anderen Menschen vor uns steht. Wie verwerflich muss dem Apostel der Gedanke gewesen sein, es könnte dem Satan gelingen, uns der anmaßenden Lüge zugänglich zu machen, Christus sei sündhaft gewesen, weil Er als wahrhaftiger Gott sich herabließ, die menschliche Natur mit Seiner Gottheit zu vereinigen! Dass Sünde in Seiner Natur gewesen sei, ist eine äußerst böse Einflüsterung des Teufels. Auch die Lehre, dass Er wegen Seiner menschlichen Geburt zwangsläufig in einem fernen Verhältnis zu Gott gestanden habe, ist nicht weniger verkehrt. Sowohl die erste als auch die zweite Lüge ist mit einem vollkommenen Sühnungswerk sowie mit Seiner göttlichen Person unvereinbar.