Was von Anfang war
Eine Auslegung der Johannesbriefe
1.Johannes 2,12+13
Die Behandlung der Merkmale, an denen geprüft werden kann, ob das ewige Leben und die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne bei jemand Wirklichkeit sind, wird an dieser Stelle deutlich erkennbar unterbrochen. Offensichtlich nimmt der Schreiber mit dem 28. Vers dieses Kapitels das Thema in abgewandelter Form wieder auf. Das dort Gesagte trägt im wesentlichen denselben Charakter wie der Abschnitt von Kapitel 2, Vers 3 bis 11, der sich mit den zwei großen Grundsätzen beschäftigt, die den wahren Gläubigen von jeder anderen Person unterscheiden. Der erste ist, wie wir bereits sahen, der Gehorsam und der zweite die Liebe, beides wichtige und unerlässliche Stücke. Sie sind nicht miteinander vergleichbar, es sei denn, dass man dem Gehorsam den ihm gebührenden ersten Platz einräumt, weil es sich hier um den Gehorsam Gott gegenüber handelt und Er in allem den Vorrang haben muss und soll. Die Liebe, von der hier gesprochen wird, ist dagegen nicht die Liebe zu Gott, sondern die zu den Brüdern. Obgleich diese Liebe eines der Hauptprinzipien des Christentums darstellt und ihr Fehlen verhängnisvoll für das Bekenntnis eines Christen ist, hat der Gehorsam Gott gegenüber dennoch durchaus Vorrang vor der Liebe zu unseren Brüdern. Unter gewissen Umständen kann er sogar die Ansprüche, die die Liebe stellt, erheblich beeinflussen. Beide – Gehorsam und Liebe – nehmen praktisch gleichzeitig ihren Anfang, nämlich sobald jemand durch den Glauben an unseren Herrn Jesus ewiges Leben empfängt. Von diesem Zeitpunkt an lebt nicht mehr das alte „Ich“, sondern Christus lebt in mir, und das gilt für jeden Gläubigen ohne Ausnahme.
Hier nun wendet sich das Wort, im Anschluss an den einführenden Vers 12, den zwischen den Gläubigen bestehenden Abstufungen im geistlichen Wachstum zu. Dieses Thema wird von Vers 13 bis zum Ende von Vers 27 behandelt. Zuerst aber stellt der Apostel ausdrücklich alle Gläubigen auf einen gemeinsamen Boden, indem er sagt: „Ich schreibe euch, Kinder ...“ Damit bereitet er sorgfältig den Weg für die darauf folgenden Gedanken. Er spricht sie alle zusammen an und führt ihnen absichtlich ihr gemeinsames Vorrecht vor Augen, als Einleitung zur Behandlung der unterschiedlichen Gruppen der Gläubigen, welche infolge ihrer verschiedenen geistlichen Entwicklung bestehen. Denn obwohl das Wort Gottes jetzt vollendet ist und es in Christus, der absolut vollkommen ist, keine Weiterentwicklung geben kann, so kann und sollte es in dem Gläubigen ein Wachstum in der Erkenntnis Gottes geben. Ehe der Schreiber auf diese besonderen Unterschiede zwischen den Christen eingeht, zeigt er im Geiste der Gnade die erforderliche Grundlage, auf die uns der Glaube an das Evangelium stellt. Auf dieser Grundlage gesehen sind wir alle gleich, und zwar von dem ersten Augenblick an, da wir an Christus geglaubt haben. Es ist sicherlich kostbar und interessant zu sehen, was die Schrift als ersten Schritt zeigt, den der Gläubige zu tun hat, wenn er das Leben empfangen und seine Seele die Prinzipien des Gehorsams und der Liebe aufgenommen hat, die wesentlich und untrennbar mit dem Leben verknüpft sind. Wer von denen, die den Herrn Jesus kennen, könnte bezweifeln, dass Er stets gehorsam war und immer in Liebe wandelte? Der Christ kann grundsätzlich nicht von Christus getrennt werden, denn er ist ein Geist mit dem Herrn. Er verdankt Ihm alles, und Christus ist sein ein und alles, wie Er auch alles und in allen ist (Kol 3,11).
Es gibt ein Vorrecht von höchster Bedeutung, das die Christen von Anfang an kennen und genießen sollten. Wahrscheinlich ist das nicht immer der Fall, und das hat verschiedene Ursachen, obwohl das Evangelium dem Glaubenden ja sofortige und vollständige Sündenvergebung durch den Glauben an Christus und Sein Werk zusichert. Doch viele Heilige versagen in diesem Punkt, wie wir nur zu gut wissen, und das schon seit langem, ja, man kann sagen, seit die Apostel nicht mehr auf Erden sind. Die Gnade Gottes in der Erlösung geriet schon bald unter den Einfluss menschlicher Vernunft und damit unter einen gesetzlichen Geist. Sogar die volle Vergebung der Sünden wurde entkräftet und allmählich zum Endziel der christlichen Laufbahn gemacht, anstatt ihr Ausgangspunkt zu sein. In kurzer Zeit durchsetzte die Irrlehre der Galater das christliche Bekenntnis, obwohl der Galaterbrief sie gebrandmarkt und widerlegt hatte. Das Evangelium wurde dem Gesetz unterstellt, das stets das Leben als etwas vorstellt, wofür wir wirken müssen, um die Segnung zu erringen und zu bewahren. Auf diesem Boden fällt man in das Judentum zurück, da man die besondere Gnade des Evangeliums verlassen hat. Denn darin besteht ja gerade die Frohe Botschaft Gottes, dass der Gläubige von Anfang an unter die göttliche Gnade gestellt wird, die ihm aufgrund des Glaubens sowohl Leben in Christus als auch Seine Sühnung für die Sünden schenkt. Wenn es auch nicht möglich ist, das Leben wieder auszulöschen, so kann doch die Wirksamkeit und der Genuss des Lebens sehr beeinträchtigt werden. Dies geschieht durch den Irrtum, der die Sündenvergebung beseitigt oder verdeckt, indem er die Menschen veranlasst, sich selbst die Vergebung zu erwirken. Daraus entstehen Seufzer, Zweifel und Furcht, weil es ihnen nicht gelingt. Die Frage: „Bin ich Sein oder nicht?“ ist für einen Christen beschämend und des Herrn unwürdig. Seltsamerweise vertreten sogar ernste Christen diesen Standpunkt. Es überrascht weiterhin, dass nicht nur „Arminianer“ an diesen Zweifeln festhalten, sondern auch strengste Calvinisten. Manche gehen soweit zu behaupten: „Wenn du nicht über dich selber im Zweifel bist, dann bin ich im Zweifel über dich.“ Gibt es eine engherzigere und extremere Lehrauffassung? Ein Katholik könnte kaum trüber in seinen Gedankengängen sein als diese. Es gibt solche „Super-Calvinisten“, die in ihrer Selbstprüfung völlig befangen sind und alle anderen verurteilen, nur nicht sich selbst. Würden sie sich selber verurteilen, so bekämen sie die Kraft, sich ganz auf die Gnade des Herrn Jesus zu verlassen, und würden im Genuss der reichen Güte Gottes in Christus Jesus nicht mehr an sich selbst denken.
Nichts kräftigt die Seele unter der Anleitung des Heiligen Geistes so sehr wie die Gnade Gottes. Die Vergebung unserer Sünden hat der Herr Jesus uns gesichert durch Sein Blut, das uns von jeder Sünde reinigt. Das Evangelium verkündet diese Tatsache jedem Menschen, damit er es im Glauben ergreift. Selbst die größten Sünder der Erde können nun mit voller Berechtigung in Wahrheit, mit Ernst, Liebe und Beharrlichkeit aufgefordert werden, an Christus und Sein kostbares Blut zu glauben zur Vergebung ihrer Sünden. Die Schrift bezeugt, dass die Vergebung gewährt wird aufgrund des Werkes Christi, nicht nur gemäß der Gnade Gottes, sondern auch in Übereinstimmung mit Seiner Gerechtigkeit. Und doch gibt es tatsächlich viele Christen, die an den Herrn Jesus glauben, aber nicht begreifen, dass sie durch Sein Werk am Kreuz Anspruch auf die gegenwärtige und vollständige Vergebung haben. Sie glauben an Ihn, stellen aber ihre Sünden zwischen Christus und sich. Überdies quält sie ganz besonders der Gedanke an die innewohnende Sünde. Das letztere kann man gut verstehen; die Sünde im Fleische bereitet den Gläubigen bei und auch nach der Bekehrung noch große Schwierigkeiten. Obgleich sie wirklich bekehrt sind, stellen sie durch Erfahrung fest, dass das Böse viel tiefer in ihnen wohnt, als sie es je geahnt hatten.
Es überrascht solche Gläubige, dass ihnen dies erst so spät schmerzlich zum Bewusstsein kommt. Doch es ist das Licht des Lebens, das in ihren Seelen wirkt und ihnen ihr eigenes Ich vor Augen stellt, den so wesentlichen Bestandteil ihrer alten Natur. Durch die Gnade kommt die Seele nach dem Maß ihres Wachstums zu der Erkenntnis, dass nicht nur der neue Mensch vorhanden ist, von dem sie annahm, er allein wohne in ihr, sondern dass auch der alte Mensch noch existiert und sogar sehr lebendig ist. Er will ständig zum Durchbruch kommen und muss daher durch den Glauben am Platz seines Todes gehalten werden, dem Kreuz Christi, wo Gott ihn verurteilt hat. Nur Sein Tod konnte mit dem alten Menschen vollkommen abrechnen. Wenn von dem sühnenden Blute Christi die Rede ist, dann denken wir meist an unsere Sünden oder unsere Schuld. Doch der Opfertod Christi erstreckt sich auf weit mehr als nur auf sündige Taten. Am Kreuz wurde auch mit der Gesinnung des Fleisches richterlich abgerechnet. Dort verurteilte Gott die Sünde im Fleische durch das Opfer, das nicht nur für die Sünden, sondern auch für die innewohnende Sünde geschah. Das lernt man jedoch nicht nur durch den Glauben, sondern auch durch die Erfahrung verstehen.
Viele, vielleicht fast alle Christen sind nach ihrer Bekehrung schockiert, wenn sie die innewohnende Sünde bei sich feststellen, nachdem sie an Christus geglaubt haben. In der großen Freude über ihren vollkommenen Heiland begreifen sie nicht, dass ihre Sünden vollständig ausgetilgt sind, zudem müssen sie noch Böses in sich wahrnehmen, das ihnen bis dahin nie so zu schaffen machte. Wenn aber der Tod Christi dafür nicht ausreichend ist, was könnte dann noch dafür getan werden? Was hat endgültiger mit der Sünde abgerechnet? Im Brief an die Hebräer wird eine gründliche Untersuchung des Werkes Christi vorgenommen. Der Hauptpunkt dabei ist, dass es nur einen göttlichen Erlöser gibt und damit auch nur ein wirksames Opfer; wäre mehr erforderlich, dann hätte Christus oftmals leiden müssen. Das aber würde die Wahrheit vom Kreuze Christi leugnen und verkehren, es würde das Werk Dessen zunichte machen, der ein für allemal gestorben ist. Es heißt: „Der Tod herrscht nicht mehr über ihn“ (Röm 6,9). Die Sünde hat niemals über Ihn geherrscht.
Doch die Sünde, die selbst noch, nachdem wir geglaubt haben, in uns wohnt, musste am Kreuz Christi verurteilt werden. Gott musste sie richten, und das ist im Tode Christi geschehen. Das Feuer des Gerichtes musste in dem Sündopfer die Sünde vor Gott verzehren, wie es das wohlbekannte Bild im Alten Testament zeigt. im Neuen Testament wird uns die volle Wahrheit über das enthüllt, was im Alten Testament nur teilweise vorgebildet war. In Christus und Seinem Werk sind alle diese Bilder in einem viel umfangreicheren Maße, als es die Bilder zeigen konnten, verwirklicht.
Der Apostel führt die gesegnete Tatsache der vollen Sündenvergebung als Grund dafür an, dass er diesen Brief schreibt, hat aber davon ausgehend noch weit mehr zu sagen. Es ist nicht sein einziger Grund, aber sein Anlass, ihnen zu schreiben. Wir können hinzufügen, dass dieser Grund mit allen sich daraus ergebenden Nutzanwendungen für uns erhalten bleibt. Die ganze christliche Lehre und jede Unterweisung der Gläubigen ruht auf der Grundlage, dass wir durch Gnade die Vergebung der Sünden haben. Wir befinden uns solange nicht auf dem wahren christlichen Boden, wie wir nicht Gottes Mitteilung akzeptieren, dass unsere Sünden in Christus vergeben sind. „Ich schreibe euch, Kinder, weil euch die Sünden vergeben sind um seines Namens willen. „ Mit dem Ausdruck „Kinder“ umschließt der Apostel die ganze Familie Gottes, über die er anschließend noch manches zu sagen hat. Wie klar und einfach ist doch der Inhalt des 12. Verses! Es ist für den Anfang nichts nötiger, um voll gesegnet zu werden, als diese persönliche Erkenntnis. Für den Christen gilt es, mit dieser tröstlichen Gewissheit den Tag zu beginnen, den Tag über darin zu leben und mit ihr den Tag zu beschließen. Denn es ist eine unumstößliche Tatsache, dass unsere Sünden vergeben sind um Seines Namens willen. Es gibt keinerlei Grund für die erbärmliche Furcht, irgendetwas könnte noch dunkel oder ungewiss geblieben sein. Die Frohe Botschaft, die wir in unserem verlorenen Zustand hörten, bezeugt klar und deutlich, dass Gott uns aufgrund unseres Glaubens die Sünden vergeben hat. Es wäre daher eine Herabsetzung des Evangeliums, sowie eine große Verunehrung des Herrn Jesus, daran zu zweifeln. Solch ein Denken setzt offensichtlich die klaren Worte Gottes außer Kraft. Kann man es noch deutlicher sagen, als es in Vers 12 steht? Ist diese Grundlage nicht unveränderlich? Oder sind uns etwa zeitlich begrenzte, an Bedingungen geknüpfte Verheißungen gegeben, wie sie Israel unter dem Gesetz hatte?
Schon in den ersten Tagen des Christentums verkündigte Petrus die Vergebung der Sünden: „Diesem geben alle Propheten Zeugnis, dass jeder, der an ihn glaubt, Vergebung der Sünden empfängt durch seinen Namen“ (Apg 10,43). Darauf wurde all denen aus den Heiden, welche glaubten, der Heilige Geist gegeben, wie auch zuvor den Gläubigen aus den Juden. Ohne die Gewissheit der Sündenvergebung erhält man dieses göttliche Siegel nicht (vgl. Apg 11,17). Später predigte der Apostel Paulus in der Synagoge zu Antiochien in Pisidien genau dasselbe: „So sei es euch nun kund, Brüder, dass durch diesen euch Vergebung der Sünden verkündigt wird; und von allem, wovon ihr im Gesetz Moses nicht gerechtfertigt werden konntet, wird in diesem jeder Glaubende gerechtfertigt“ (Apg 13,38.39). So bestätigen die beiden großen Apostel – der Apostel der Beschneidung sowohl wie der der Nationen – völlig das gleiche, was der letzte überlebende Apostel am Ende des apostolischen Zeitalters niederschrieb, um dem zunehmend verderblichen Werk der Verführer entgegenzutreten. Er machte die Gläubigen mit diesem Vorrecht nicht bekannt, damit sie erführen, dass ihre Sünden um Seines Namens willen vergeben wären; er schrieb ihnen diesen Brief, weil sie vergeben waren. Ohne Sündenvergebung würde die wesentliche Grundvoraussetzung für den Christen fehlen, und ohne die innere Gewissheit darüber kann es keinen Frieden mit Gott geben. Auch wäre die Seele dann nicht imstande, weiter gehende göttliche Unterweisungen zu empfangen und aus ihnen Nutzen zu ziehen.
Kein „wenn“ mit nachfolgenden Bedingungen wird an dieser Stelle eingefügt. Das Wörtlein „wenn“ ist in der Schrift sehr wichtig und darf dort, wo es vorkommt, nicht wegdiskutiert werden. Hier aber steht es nicht, weil ein „wenn“ im Evangelium sein Wesen, seinen Inhalt und Zweck völlig vernichten würde. Der Segen der Erlösung hängt nämlich nicht von dem Erlösten, sondern vom Erlöser ab (was auch immer die Gnade und die neue Verantwortlichkeit, die sie begleiten, sein mögen). Nichts ist einfacher als diese Wahrheit, deren Gehalt in so wenigen Worten dargelegt wird, und der Glaube erfasst einfältig, was Gott darüber sagt. Er hat alles Nötige getan und hat Sich dabei nicht nur der beiden großen Apostel Petrus und Paulus, sondern, wie wir sehen, auch des Johannes bedient, des letzten aller Apostel. Die Wahrheit des Evangeliums bleibt bis zur „letzten Stunde“ dieselbe und wird am Ende ebenso aktuell sein wie am Anfang. So, wie sie in der Schrift enthalten ist, kann sie nicht im Geringsten abgeschwächt werden durch den praktischen Verfall der Versammlung. Auch nicht durch den furchtbaren Abfall, den der Apostel Paulus schon verhältnismäßig früh mit dem Hinweis ankündigte, dass er kommen würde, ehe der Tag des Herrn im Gericht in Erscheinung tritt. Schon in einem seiner ersten Briefe, dem 2. Thessalonicherbrief, unterrichtete er die Thessalonicher darüber; der 1. Thessalonicherbrief ist ja der erste Brief des Apostels überhaupt. Der 2. Thessalonicherbrief wurde nicht lange danach geschrieben, vielleicht noch innerhalb desselben Jahres. In diesem Brief ist die schreckliche Zunahme der Gesetzlosigkeit vorausgesagt, der Abfall von der Wahrheit, und zwar weder für die Juden noch für die Heiden, sondern traurigerweise für die Christenheit. Wenn die allgemeine Vereinigung auf christlichem Boden zustande gekommen ist, dann wird sie diesen Charakter tragen. Die Juden waren bereits abtrünnig geworden, als sie den Gott ihrer Väter zugunsten von Götzen verließen. Sie krönten ihr Tun mit der Verwerfung ihres Messias, des Herrn Jesus. Wir können das ihren Abfall nennen, obwohl sie vor dem Ende dieses Zeitalters zu noch größerer Abtrünnigkeit fortschreiten werden. Die Heiden waren von dem Zeitpunkt an, da sie sich ihren falschen Göttern zuwandten, stets in einem Zustand des Abfalls von Gott gewesen. Doch der zweite Brief an die Thessalonicher enthüllt die schreckliche Tatsache, dass am Ende des Zeitalters, ehe der Tag des Herrn kommt, die Christenheit selbst sich im Abfall befinden wird. Die Tageszeitungen, Monatszeitschriften und sonstigen Veröffentlichungen unserer Zeit enthalten in ihren religiösen und weltlichen Ausgaben bereits deutliche Anzeichen des bevorstehenden Abfalls. Die dahin zielende Entwicklung kann nicht verborgen bleiben; sie verrät sich in diesen Organen von selbst.
„Höhere Kritik“, wie sie fälschlicherweise genannt wird, ist das Mittel des Teufels, den Menschen hinsichtlich der Heiligen Schrift Sand in die Augen zu streuen. Was bleibt dann noch von Gottes Wort für den Glauben übrig? Wenn man leugnet, dass die Heilige Schrift Gottes Wort ist, wo bleibt dann die Versammlung, der Gläubige oder der verlorene Sünder? Was wird mit Christus, dem Herrn, oder dem Zeugnis Gottes über Seine Gnade und Wahrheit? Dem Glauben ist dann jegliche Grundlage entzogen. Man macht die Aussage der Bibel zu einer ungewissen Sache, indem man erklärt, sie sei mehr das Wort von Menschen als das Wort Gottes (man denke an die Einteilung des Pentateuch in u. a. „jahwistische“ und „elohistische“ Elemente). Dadurch verliert man aber zugleich Gottes rettende Liebe und Gnade und ignoriert die Tatsache, dass Gott Selbst über Sein Wort wachte und schwache, irrende Menschen, die es niederschrieben, davor bewahrte, auch nur einen einzigen Fehler zu machen. Die ganze Schrift, wie sie ursprünglich von Ihm eingegeben wurde, ist daher fehlerlos. So entsprach es Gottes Willen, und der Apostel Paulus unterstreicht in seinem zweiten Brief an Timotheus diese Absicht Gottes mit allem Nachdruck. Es war der letzte Brief des Apostels; die Zeit war reif für die Feststellung in 2. Timotheus 3,16, wo der Apostel sagt, dass nicht nur die ganze Heilige Schrift im allgemeinen Sinne, sondern „alle“ oder „jede“ Schrift, jeder einzelne Teil der Bibel, durch Inspiration von Gott eingegeben ist. Ob im Alten oder Neuen Testament – jeder Schriftteil, jedes kleinste Teilchen ist göttlich inspiriert. Gepriesen sei Gott, dass es so ist! Kann Gott lügen? Hat Er irgendeinen Grund, zu bereuen oder Seinen Sinn zu ändern?
Wie groß ist doch die Bosheit des Menschen, besonders auch in der Mitte der Christenheit. Es erschüttert einen zutiefst, die ungerichtete Zweifelsucht in all den großen und kleinen Benennungen zu sehen. Keine von ihnen kann sich dem zersetzenden Einfluss des Skeptizismus entziehen, der besonders bei ihren führenden und tonangebenden Männern zu finden ist.
Im Vers 12 haben wir also das selbstverständlichste und auch allererste Vorrecht, dessen Besitz bei jedem wahren Christen vorausgesetzt werden muss. Es geht nicht nur darum, dass man Leben hat, denn das besaßen auch alle Gläubigen des Alten Testaments. Doch konnte keiner von ihnen sagen: „Unsere Sünden sind vergeben um seines Namens willen. „ Christus war ja noch nicht gekommen und hatte deshalb noch nicht gelitten. Das Sühnungswerk war noch nicht vollbracht, und so konnte auch die volle Gnade noch nicht verkündigt werden. Jetzt aber ist alles vollbracht, auch in Bezug auf Ihn, so dass Er Vollmacht hat, Lebendige und Tote zu richten. Daher konnte auch geschrieben werden: „Ich schreibe euch, Kinder, weil euch die Sünden vergeben sind um seines Namens willen. „ Vor Seinem Kommen war das. nicht möglich. Die Worte „um seines Namens willen“ sind von entscheidender Bedeutung. Es braucht gar nicht deutlicher ausgedrückt zu werden, wer „Er“ ist; jeder Christ versteht es sofort. Sein Name steht für alles, was Gott über Ihn und Sein Werk kundgetan hat, und diese einst gegebene Offenbarung Seiner Gnade und Wahrheit bleibt für immer bestehen. Somit erhalten die Worte „um seines Namens willen“ während Seiner Abwesenheit besonderes Gewicht. Sie schließen in sich, was der Herr in Seinem Wandel auf Erden war und was Er erlitt und vollbrachte, ehe Er diese Welt verließ und zum Vater zurückkehrte. Auf Seine Bitte hin, aber auch vom Vater gesandt, kam der Heilige Geist hernieder, nicht nur zum reichen Segen für die Heiligen, sondern zur Verherrlichung des Herrn Jesus und damit das in Seiner Kraft verkündigte Evangelium zu allen Menschen hingelangt. Alle ohne Ausnahme sollen den Schall des Evangeliums hören. Viele Menschen weigern sich zwar in ihrer Feindschaft und Gleichgültigkeit hinzuhören; doch das ist ihr eigener Entschluss, für den sie einst Rechenschaft ablegen müssen. Das hindert das Evangelium aber nicht, sich an alle zu wenden, seien es Juden oder Griechen, Beschneidung oder Vorhaut, Barbar oder Scythe, Sklave oder Freier – niemand ist von Gottes Versöhnungsangebot ausgeschlossen. Gott handelt nicht nur gemäß Seiner Gnade, sondern auch nach Seiner Gerechtigkeit. Der Geist wirkt auch an unseren Gewissen, wenn wir abgewichen sind, und dann handelt es sich um eine Frage der praktischen Heiligkeit und des Zustandes unserer Seele. Unsere Gemeinschaft mit Gott, die durch die Sünde unterbrochen wurde, muss wiederhergestellt werden. Niemand kann den wirklichen Segen als Ergebnis der Versöhnung für sich in Anspruch nehmen, der nicht durch Gottes Gnade an Christus glaubt, und das setzt voraus, dass der Geist Gottes in seinem Herzen und Gewissen wirkt. Diese lebendige Wirksamkeit ist nur möglich aufgrund des Glaubens an Gottes Wort.
Von jeher wurde es unter den Gläubigen als völlig klar erachtet, dass jeder, der der Versammlung Gottes angehört, sich der Vergebung seiner Sünden bewusst ist. Wie könnte sich auch sonst die Seele vor Gott erfreuen und mit einfältigem Auge Seinen Willen erkennen, sowie die Energie haben, ihn zu tun, angesichts all der Fallen, die ihr die Welt, das Fleisch und der Teufel stellen? Wie könnte es sonst wahre Gemeinschaft in der Anbetung geben? Man wäre unfähig, in der Versammlung seinen Teil zur Behandlung von Bösem beizutragen und als letztes Mittel den Sauerteig auszufegen. Man würde ja nicht die Verantwortung fühlen, dass „ein wenig Sauerteig die ganze Masse durchsäuert“, und würde daher auch nicht entsprechend handeln können. Wenn die freudige Gewissheit der Sündenvergebung fehlt, hat man nicht nur ein schlechtes Gewissen, sondern eines, das tatsächlich niemals von den toten Werken gereinigt worden ist, um dem lebendigen Gott zu dienen. Die geistliche Kraft ist nicht vorhanden, und es kann nicht anders sein, als dass die Seele durch Ungewissheit verfinstert und geschwächt ist. Wenn man durch den Glauben die Gnade ergreift, die durch das Blut Christi das Gewissen reinigt, dann zeigt uns der Heilige Geist die gemeinsame vorrangige Verpflichtung, den alten Sauerteig auszufegen, „auf dass ihr eine neue Masse sein möget, gleichwie ihr ungesäuert seid“.
Die Praxis muss durch göttliche Grundsätze beherrscht werden, sonst dient die Versammlung zur Verunehrung Seines Namens und existiert schließlich nur, um Ihn zu verleugnen und zu beleidigen. „Denn auch Christus, unser Passah, ist geschlachtet. Darum Lasst uns Festfeier halten, nicht mit altem Sauerteig, auch nicht mit Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit Ungesäuertem der Lauterkeit und Wahrheit.“ Es mag traurige Verfehlungen geben, wie bei den Korinthern, von denen ohne Frage alle die Vergebung ihrer Sünden durch den Glauben an das Evangelium erlangt hatten. Bei denen aber, die keine Vergebung besitzen, verfehlen diese Briefe ihren Zweck; sie werden darin gar nicht angesprochen, da sie sich nicht auf dem Boden des Christentums, geschweige auf dem der Versammlung befinden.
Wo findet man unter Christen heute noch, dass das oben Gesagte ganz entschieden festgehalten wird? Die Reformation stellte keine diesbezügliche Forderung für die Versammlung auf (wenn man überhaupt von der „Versammlung“ in der damaligen Zeit sprechen kann), denn sie führte nicht im Geringsten die Ordnung wieder ein, die der Versammlung gegeben war. Sie tat ein Werk, das viel notwendiger und wichtiger war: Sie gab dem Volk die Bibel, die ihm ausgerechnet von der stolzesten aller religiösen Körperschaften, die sich zu Unrecht Kirchen nennen, vorenthalten worden war. Lange Zeit hatte die Heilige Schrift im Verborgenen gelegen. Ein Priester konnte wohl die Erlaubnis zum Lesen der Bibel geben, doch tat er dies kaum, und das Volk wusste nicht, woher es sonst das Wort Gottes empfangen sollte.
In London lebte jemand, der äußerst begierig war, das Neue Testament zu lesen. Da er der römisch-katholischen Kirche angehörte und, wie man sagt, ein „guter Katholik“ war, wollte er jedoch das Gesetz der „Kirche“ nicht brechen, die das Lesen des Neuen Testamentes grundsätzlich verbot. Sie hatte allerdings nicht verboten, das griechische Testament zu lesen, und so kam der Mann auf Umwegen doch zu seinem Ziel. Obwohl er Vorarbeiter in einer Fabrik war (jeder weiß wohl, welche Verantwortung und zeitliche Inanspruchnahme mit einer solchen Stellung verbunden ist), lernte er Griechisch nur zu dem Zweck, um in den Genuss des Wortes Gottes zu kommen, das ihm nun im Neuen Testament in der Originalsprache zugänglich war. Das wurde mir von seinem Meister erzählt, der ein bekannter und geachteter Christ war und großes Vertrauen in seinen eifrigen und gewissenhaften Angestellten setzte. Wir sehen darin das gesunde christliche Empfinden eines Katholiken, das sich gegen den gottlosen, despotischen Eifer seiner entarteten kirchlichen Obrigkeit wandte. Wenn ihm auch das Licht fehlte, das Böse ihrer Lehre zu verurteilen, so steht doch fest, dass er innerlich nach dem Wort Gottes, und zwar nach dem zuletzt geschriebenen Teil verlangte und keine Mühe scheute, es zu erhalten. Wir wollen hoffen, dass es seiner Seele zum Segen gereichte. Ich kann nichts weiter darüber sagen, als was mir erzählt wurde; auch, dass unter seinen Arbeitskollegen keiner zuverlässiger war als dieser arme Katholik, der eigens Griechisch lernte, um sich des Neuen Testamentes so erfreuen zu können, wie es von Gott eingegeben ist. Kann man bezweifeln, dass er Gott fürchtete und Sein Wort liebte?
Wir kommen nun zu den verschiedenen Stufen des geistlichen Wachstums, nachdem uns gezeigt wurde, was ihnen allen gemeinsam ist. Wir lesen als erstes: „Ich schreibe euch, Väter“; damit sind diejenigen gemeint, welche die höchste Reife in geistlicher Kraft und Erkenntnis erreicht haben. Wie äußerst wichtig ist es, zu beachten, was die Schrift sagt! Die Stellung von „Vätern“ hat nichts mit Herrschen (in der Versammlung) oder mit der Lehre zu tun; sie bedeutet das tiefe Eindringen in die Gedanken Gottes über Christus, ein höheres Maß an Verständnis über den Herrn Jesus. Dadurch ist man in geistlicher Hinsicht ein Vater, der unter den drei von dem Apostel unterschiedenen Gruppen der Familie Gottes an erster Stelle steht. Zuerst kommen die „Väter“, dann die „Jünglinge“ und schließlich die „Kindlein“. Weil die „Kinder“, wie das griechische teknia korrekt wiedergegeben wird, alle drei Gruppen in sich einschließen, muss man für die Gläubigen des untersten Reifegrades ein anderes Wort, wie z. B. „Kindlein“ (griech. paidia) benutzen. Erinnern wir uns daran, dass hier im Grundtext zwei völlig verschiedene Wörter gebraucht und auch durchgehend beibehalten werden. Mit dem Wort „Kinder“ im 12. Vers, das eine unveränderliche Stellung ausdrückt, ist die ganze Familie Gottes gemeint. Dieses Wort steht einleitend zu Beginn des eingeschobenen Abschnittes von Vers 13 bis 27. Im 28. Vers, wo der Faden wieder aufgenommen wird, nachdem sich der Apostel mit den verschiedenen Klassen unter den Gläubigen beschäftigt hat, finden wir genau dasselbe Wort, wiederum als Einleitung für die folgenden Verse. Der Apostel hatte den Ablauf seiner Belehrungen unterbrochen, um zu zeigen, dass es unter den Kindern Gottes unterschiedliche Stufen der geistlichen Reife gibt – übrigens die einzige Art von Unterschied, den die Schrift anerkennt. Innerhalb des genannten Abschnittes benutzt der Apostel jedoch ein ganz anderes Wort. So finden wir im letzten Teil des 13. Verses: „Ich schreibe euch, Kindlein (paidia) ...“ und am Beginn des 18. Verses noch einmal: „Kindlein (paidia) ...“ Das sind die einzigen Stellen in diesem Brief, wo dieses Wort vorkommt. Unser Herr gebrauchte beide Ausdrücke (Kinder und Kindlein) in allgemeinem Sinn, wie wir es im Johannesevangelium finden. Ich möchte aber jetzt nicht darauf eingehen, da offensichtlich keine Beziehung zu dem besonderen Gebrauch besteht, dessen Bedeutung im ersten Johannesbrief so klar erkennbar ist. Wenn Gott uns die Wahrheit mit aller Deutlichkeit mitgeteilt hat, braucht man keinen Menschen nach seiner Meinung zu fragen. Dann braucht es auch keinerlei Ungewissheit mehr zu geben. Auch Unterschiede in den Ansichten sollten dann nicht zugelassen werden; denn Gott ist in Seinem Wort das Ende allen Widerspruchs, und das sollte für jeden bindend sein.
So sind also im 13. und 18. Vers – und nur an diesen Stellen – mit den „Kindlein“ die Jüngsten der Familie Gottes gemeint. Nach den „Vätern“ und den „Jünglingen“ kommen die „Kindlein“, wenn man es so ausdrücken darf; es sind drei Abteilungen der „Kinder“ oder der gesamten Familie Gottes. Man muss sie schon in mancher Hinsicht unterscheiden, und das umso mehr, als ausgezeichnete und gelehrte Männer zu Irrtümern verleitet wurden, weil sie diese Unterschiede nicht beachteten. Irrige Ansichten sind immer die zwangsläufige Folge, wenn die Gelehrsamkeit nicht der offenbarten Wahrheit untergeordnet wird und man daher auch nicht begehrt, durch den Heiligen Geist in Übereinstimmung mit dem Wort geleitet zu werden. In einem solchen bedauerlichen Fall verursacht die Gelehrsamkeit mehr Schaden als Nutzen und kann nichts Gutes hervorbringen; denn nichts ist geistlich gesund, wenn nicht der Heilige Geist daran beteiligt ist und die Führung übernimmt. Redet Er aber in Worten, gelehrt durch Ihn Selbst, müssen wir uns dem Wort unterwerfen. Nur dann ist die gesegnete Gewissheit in uns, dass wir es mit der Offenbarung Seiner Gedanken zu tun haben, andernfalls nicht.
Die Tragweite des 13. Verses ist unverkennbar, dabei zeichnet er sich wie der vorhergehende Vers durch große Einfachheit und Klarheit aus. Die drei unterschiedlichen Klassen der Gläubigen werden hier nur ganz kurz hervorgehoben. Doch der Geist Gottes geht dann noch einmal auf sie ein, dann aber – mit einer deutlichen Ausnahme – ausführlicher und in wahrhaft belehrender Weise, was wir noch betrachten werden. Jetzt wollen wir uns damit begnügen, die wenigen Worte, die uns der Geist Gottes über die charakteristischen Unterschiede mitteilt, in uns aufzunehmen.
Die „Väter“ werden hier deswegen so bezeichnet, weil sie Den erkannt haben, „der von Anfang ist“. Wer könnte zweifeln, wer damit gemeint ist? Es ist Christus, niemand anders. Er wird hier jedoch nicht mit Seinem üblichen Namen genannt. Längst vor der Zeit, welche die Schrift „von Anfang“ nennt, war Er das Wort und der Sohn; von Ewigkeit her war Er der Eingeborene des Vaters. Den ewigen Sohn des ewigen Vaters kann kein menschlicher Sinn ergründen, und ebenso unerforschlich ist auch Seine Fleischwerdung. Diese Tatsache bietet aber nicht den geringsten Grund, dem nicht zu glauben, was unendlich weit über unseren Horizont hinausgeht; denn es ist ohne Frage göttlich offenbart worden. Die Menschen scheitern oft an diesen Dingen, weil sie vom Menschen auf Gott schließen wollen; das ist immer falsch. Man muss umgekehrt von Gott ausgehen zum Menschen hin, wenn man die Wahrheit erkennen will, denn wer außer Gott kennt die Wahrheit? Wer außer Ihm kann sie offenbar machen, wie Er es in Christus getan hat? Wie äußerst genau redet Johannes, wenn er in seinem Evangelium sagt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. „ Man kann versuchen, sich in Gedanken in die Tiefen der Ewigkeit zurückzuversetzen, soweit man es vermag – und sei es um Jahrmillionen –, so hat man noch nicht den „Anfang“ erreicht. (Man kann natürlich nicht eigentlich von „Jahren“ sprechen, ehe die Zeit begann und gemessen werden konnte.) Gehe in deiner Vorstellung zurück in diese Unermesslichkeit der Ewigkeit, so findest du, dass Er immer da war. Er, der Ewige, hat keinen Anfang, und in Seiner eigenen Persönlichkeit war Er auch „bei Gott“. Wie schon gesagt, war Er nicht nur bei Gott als eine vom Vater und dem Geist unterschiedene Person, sondern Er war auch Selbst Gott. Es gibt auch keine charakteristischere Eigenschaft Gottes als die Tatsache, dass Er ewig ist. Wenn Er nicht ewig wäre, wäre Er nicht Gott.
Hier wird jedoch auf etwas ganz anderes Bezug genommen. Hier geht es nicht darum, Ihn zu kennen als Den, der im Anfang bei Gott war, sondern als Den, „der von Anfang ist“. Und das bedeutet Seine Fleischwerdung, als Er als das fleischgewordene Wort in diese Welt kam. Das ist ein absolut neuer Tatbestand. „Von Anfang“ heißt von dem Zeitpunkt an, als Er als der Emanuel, Gott und Mensch zugleich, in Erscheinung trat. Dieses fleischgewordene Wort kannten die „Väter“. Was kannst du über den Sohn in der Ewigkeit wissen, abgesehen davon, dass Er der eingeborene Sohn in des Vaters Schoß und der Gegenstand Seiner ewigen Wonne war, wie uns Sprüche 8 belehrt? In dieser Weise war Er schon da, als noch kein Geschöpf im Himmel und auf Erden existierte, kein Engel, kein Mensch und kein niederes Wesen. Nur Gott war da, gepriesen in Ewigkeit, und zwar der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, wie wir es jetzt wissen. Es bestanden auch göttliche Ratschlüsse, und es war vorgesehen, sie uns, die wir jetzt glauben, mitzuteilen. Mehr wissen wir nicht darüber. Schauen wir aber auf Den, „der von Anfang ist“, dann empfangen wir praktisch über alles Belehrung und Kenntnis. Und wo finden wir diesen unermesslichen Gegenstand? Das ganze Neue Testament spricht von Ihm, insbesondere die Evangelien, die Ihn als den Menschen auf der Erde zeigen, nicht nur als ein menschliches Wesen, sondern als Gott und Mensch in einer Person, wahrlich, eine göttliche Person. Dort finden wir Seine Geburt von der Jungfrau, nicht nur als Messias, sondern auch als Sohn Gottes, als „Elohim“ und „Jehova“ (Mt 1,21+23). wie viel können wir doch selbst aus Seiner Geburt lernen! Ich berühre jetzt nur flüchtig die Tatsache Seiner Fleischwerdung. Wenn uns schon so manches über Ihn berichtet wird, als Er noch ein kleines Kindlein war, dann erfahren wir noch mehr über den zwölfjährigen Knaben Jesus. Und wie bedeutsam ist das Schweigen über all die Jahre bis zu Seinem dreißigsten Lebensjahr! Weder Trompetengeschmetter noch Trommelwirbel, weder Prunk noch Zeremonien gab es Seinetwegen, nichts dergleichen geschah zur Erinnerung an den Tag Seiner Geburt. Kein Mensch dachte daran, mit Ausnahme Seiner Mutter und Seines Pflegevaters und vielleicht der nächsten Bekannten. Man nahm nicht weiter Notiz von Ihm. Es war genauso wie bei Seiner Geburt, als in der Herberge kein Raum für Ihn war. Niemand hat wohl mehr Scharfsinn dafür, eine namhafte Persönlichkeit nach weltlichen Maßstäben einzuschätzen, als ein Hotelportier. Er kommt schnell dahinter, wie der eintretende Gast einzustufen ist, und hat ein gutes Gespür dafür, ob der Betreffende dem Hause etwas einbringt. Nicht so bei Ihm – für solche Leute ist die Krippe gerade gut genug. Im Stall war noch Platz, aber „in der Herberge war kein Raum für sie“.
Eine der erstaunlichsten Tatsachen ist, dass Er, die Wonne des Vaters, Sich in so völliger Zurückgezogenheit aufhielt, als Er die einfache Arbeit in der Zimmermannswerkstatt Seines Pflegevaters verrichtete. Doch gerade dort und damit erfüllte Er den Willen Seines Vaters. „muss ich nicht in dem sein, was meines Vaters ist?“ Da saß Er dann im Tempel, hörte den Lehrern zu und stellte ihnen Fragen. Er stieg nicht auf ein Podium, um zu predigen, wie es manche törichte Jungen tun, die von noch törichteren Erwachsenen dazu ermutigt werden. Er saß bei ihnen in demütiger und lieblicher Weise, hörte ihnen zu und befragte sie, obwohl Er weit mehr Kenntnisse als alle Seine Lehrer besaß. War das nicht für ihre Gewissen ein Zeugnis, aus dem sie lernen konnten, was sich diesbezüglich geziemt? Denn in Seinem Betragen war keinerlei Anmaßung. Er war Mensch geworden, aber blieb zunächst ganz schlicht ein Knabe. Doch dieser Knabe war zugleich Jehova-Gott, der Schöpfer des Weltalls, der Eine, auf den der Vater hernieder blickte und in Ihm alles fand, was Seinen Gedanken und Herzensregungen entsprach. Er war nicht nur eine göttliche Person, sondern – und das ist das wunderbare – eine göttliche Person, die Mensch geworden war. Er wurde Mensch! Das Wort ward Fleisch! Wer kann es fassen? Er trat ein in die Familie des Menschen. Doch der Mensch ist seit eh und je das verderbteste, nichtigste und stolzeste aller Geschöpfe Gottes. Die Tiere bleiben bei ihren Gewohnheiten seit der Zeit, als die verheerende Wirkung der Sünde des Menschen sich auch auf sie erstreckte. Der Mensch aber schritt von einer Bosheit zur anderen und wurde im Laufe der Zeit immer böser. Je mehr äußeres Licht er empfing, umso mehr verderbte er sich.
Als die Welt, allgemein betrachtet, den Zustand höchsten Verderbens erreicht hatte, wurde der Herr in der Fülle der Zeit geboren. Und was enthüllte sich Tag für Tag vor Ihm, als Er Seinen öffentlichen Dienst begann! Welche Belehrungen strömten aus Seinem Munde und aus Seinem Leben hervor! Er war mit Männern, Frauen und Kindern, mit Ältesten, Schriftgelehrten und Pharisäern, mit Heuchlern und Selbstgerechten, mit bösen, aber auch häufig mit gottesfürchtigen Männern und Frauen bestens vertraut. Denn der Herr kam mit jeder Klasse von Menschen in Berührung. Niemand zuvor hatte so vielseitige Kontakte wie Er und bemühte sich um einen jeden so liebevoll, uni allen, die zu Ihm kamen, die göttliche Gnade und Wahrheit kundzutun. Von Seinen Wundern, die so erstaunlich waren, und Seinen Zeichen, die von noch tieferen Dingen zeugten, soll jetzt nicht die Rede sein. Auch brauche ich nicht ausführlich auf Seine Worte einzugehen, obgleich niemand jemals so geredet hat wie Er. Er konnte auf die Frage, wer Er sei, antworten: „Durchaus (oder absolut; griech. tün archen) das, was ich auch zu euch rede“ (Joh 8,25). Er war das, was Er sagte. Er allein, und niemand anders, ist die Wahrheit. Wer sind nun diejenigen, die das alles genießen, ihre Freude an Ihm haben, Ihn wertschätzen, der solchermaßen vor die Blicke gestellt wird, und zugleich wissen, wie Seine Wesenszüge in uns zu verwirklichen sind? Es sind die „Väter“, deren Herzen von Christus erfüllt sind. Er hat ja zugleich Seinen Vater kundgemacht: „Niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat ihn kundgemacht.“
Wie wir sehr wohl wissen, finden vielfach selbst wahre Christen nicht ihre volle Befriedigung in Ihm. Im Hinblick darauf, wie sich die Dinge seit den ersten Tagen der Christenheit entwickelt haben, kann das auch nicht erwartet werden. Für den Christen, der nicht völlig mit dem alten Menschen und der Welt gebrochen hat, wird das nie möglich sein. Er muss persönlich vom Heiligen Geist durch alle die Schwierigkeiten in sich selbst und bei anderen geführt werden. Für hingegebene Gläubige ist es oftmals das Werk des Herrn, in dem sie völlig aufgehen; bei anderen können es, wenn auch seltener, die Dinge der Versammlung sein. Aber wenn Christus so gekannt wird, wie Er war, deckt Er alles Unangemessene auf und stellt Ausgewogenheit her. So wird Er immer besser erkannt, und das Verständnis über die Fülle, die in Ihm leibhaftig wohnt, wird vertieft.
Natürlich war jeder „Vater“ zunächst ein „Kindlein“ und dann ein „Jüngling“, ehe er ein „Vater“ werden konnte. Er hatte die erste Freude am Herrn in all ihrer Frische geschmeckt und teilgenommen an den Konflikten, die geistliche Energie und Mut erfordern. Das Ergebnis aller Erfahrungen, die er als Mann des Glaubens und der Liebe gemacht hatte, lautete: Nichts außer Christus! und: Christus ist alles! Aber – ich wiederhole – es geht um die Kenntnis Dessen, „der von Anfang ist“, nicht des Sohnes, wie Er von Ewigkeit her im Himmel war, obwohl Seine ewige Gottheit selbstverständlich anerkannt wird. Es geht hier um Ihn als den Menschen unter Menschen auf der Erde. Was die Väter insbesondere kennzeichnet, ist also die Kenntnis des fleischgewordenen Sohnes, des Christus, wie Er tagtäglich bei Seinem öffentlichen Dienst in Galiläa, Judäa oder Samaria gesehen und gehört werden konnte. Er war Gott und Mensch zugleich, auch Gott im Menschen, der Sohn, der den Vater offenbarte in allem, was Er redete und tat. Das hatte die Herzen der „Väter“ gewonnen, befestigt und erfüllt. Es erfreut auch das Herz Gottes: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe.“ Sowohl als Ausdruck Seiner Gnade (Mt 3) als auch zum Zeugnis Seiner kommenden Herrlichkeit (Mt 17) wurde diese Stimme des Vaters vernommen. In unserem Abschnitt wird bekundet, dass ein „Vater“ sich der Gemeinschaft mit Ihm erfreut. Die „Väter“ hatten eine wirklich tief greifende, praktische Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn.
Man mag eine große Gnadengabe besitzen, aber deswegen ist man noch keineswegs ein „Vater“. Man kann ein großer Prediger des Evangeliums oder ein gewaltiger Lehrer sein, und ist doch noch kein „Vater“. Diese Stellung hat nichts mit einer Gabe zu tun, sie hängt von der geistlichen Wachstumsstufe ab, in der man erkannt hat, dass alles außer Christus wertlos ist. Es gibt andere Dinge, durch die die Seele gesegnet wird, und seien es sogar solche, die sie demütigen und ihr große Schmerzen verursachen. Man kann sich in Bewunderung, Freude und Dankbarkeit mit den geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern beschäftigen oder mit den Gliedern Seines Leibes, von dem Er das Haupt zur Rechten Gottes ist, oder mit der Gemeinschaft der Heiligen, die ihren Ursprung in der Gemeinschaft mit Ihm hat. Doch das Ergebnis all dieser wunderbaren Geheimnisse und Erfahrungen muss zu der Erkenntnis führen, dass unser ein und alles in Christus Selbst ist, in dem Christus, den der Vater liebt und ehrt. Er ist es, der unsere Herzen erfüllt und erfreut als Derjenige, der in dieser Welt offenbart worden ist. Das bedeutet also, Den erkannt zu haben, „der von Anfang ist“, und stellt den letzten und höchsten Abschnitt in unserer geistlichen Entwicklung dar; es ist das Teil der „Väter“.
Der Apostel wendet sich nun der zweiten Stufe zu und sagt: „Ich schreibe euch, Jünglinge, weil ihr den Bösen überwunden habt.“ Das charakteristische Merkmal der „Jünglinge“ ist die Energie, die sich in Glauben und Liebe nach außen hin zeigt. Die Jünglinge hatten die Sünde zutiefst erkannt und verurteilt und wussten, dass sie ihr mit Christus gestorben waren. Sie wussten aber auch, dass sie mit dem Christus auferweckt worden waren und nun ihren Sinn auf Ihn und auf das, was droben ist, zu richten hatten, ihre Glieder aber, die auf der Erde waren, töten mussten. Die Beschäftigung mit dem Ich war für sie eine überwundene Sache. Sie hatten die Macht Satans kennen gelernt und traten ihr mutig entgegen. Sie widerstanden dem Teufel, und er floh von ihnen. Auf diese Weise hatten sie den Bösen überwunden. Sie befanden sich inmitten dieses Glaubenskampfes und erwiesen sich stark darin. Sie hatten auch die erste Stufe, die der „Kindlein“, erfolgreich durchschritten. Damit muss natürlich jeder beginnen und kommt dann vielleicht dazu, ein „Jüngling“ zu werden. Aber sehr wenige erreichen die Stellung eines „Vaters“. Ich kenne eine große Anzahl Gläubiger, aber ich muss sagen, dass ich auf meiner Pilgerreise durch diese Welt nur wenige „Väter“ kennen gelernt und mit wenigen Ausnahmen auch nichts über solche gehört habe. Erfreulicherweise ist es aber nicht so ungewöhnlich, „Jünglinge“ anzutreffen; allerdings findet man sie kaum oder gar nicht in der allgemeinen, verweltlichten Christenheit. Der wahre und eigentliche Charakter der „Jünglinge“ kann sich auch nicht dort entwickeln, wo die Welt ihren Einfluss ausübt. Daher kommt es auch, dass oft nicht einmal Neugeborene im Glauben die von dem Apostel beschriebenen Merkmale der „Kindlein“ an sich tragen, wie noch gezeigt werden wird. Wie schade, wenn noch nicht einmal die den „Kindlein“ von Gott gegebenen Merkmale vorhanden sind und offenbar werden.
Wir haben nun die zweite Wachstumsstufe genügend umrissen und hoffen, dass jeder Gläubige sie versteht und wertschätzt, selbst wenn er diese Stufe nicht für sich in Anspruch nehmen kann. Die „Jünglinge“ stellen ein Christentum voller Tatkraft, Geradheit und Entschiedenheit dar. Sie wissen sehr wohl, dass es nichts nützt, mit Fleisch und Blut gegen die Macht Satans zu kämpfen. Sie brauchen die ganze Waffenrüstung Gottes und legen sie auch an, weil sie für diese Art des Kampfes unerlässlich ist. Sie wissen, sowohl zu widerstehen und, nachdem sie alles ausgerichtet haben, zu stehen. Sie haben den Bösen überwunden. Sie sind sich in jeder Hinsicht darüber im Klaren, welchen Kampf sie zu führen haben. Die Gedanken des Feindes sind ihnen nicht unbekannt, aber sie widerstehen ihm entschieden und sind befähigt, ihn zu überwinden. Wie gesagt – es ist ein tatkräftiges Christentum, das sich im Glauben und in der Praxis machtvoll erweist. Auch hier ist es nicht eine Frage der besonderen Gaben, sondern es geht um rein geistliche Errungenschaften. Weder die Vergebung der Sünden, noch der Besitz des Lebens und Lichtes in Christus sind Dinge, die man sich erwerben kann; man empfängt sie durch den Glauben an das Evangelium. In Anbetracht der Beschaffenheit der Welt und der Menschen besteht für die Gläubigen, nachdem sie errettet wurden, die Notwendigkeit, sich selbst und das Wesen der Welt zu erkennen, aber auch den Satan, der erkannt und zum Schweigen gebracht werden muss. Sie werden durch das, was der große Feind unmerklich im Geheimen tut, nicht betrogen, sondern stehen durch die Gnade unerschütterlich auf der Grundlage des errungenen Sieges ihres Herrn und Heilandes und danken Gott, der auch uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus. Somit beweisen sie, dass sie in allen Dingen, die gegen sie zu sein scheinen, mehr als Überwinder sind durch Den, der sie geliebt hat. Auf diese Weise also haben die „Jünglinge“ den Bösen überwunden.
Wir kommen nun zu der sehr interessanten und weit zahlreicheren dritten Gruppe, den „Kindlein“: „Ich schreibe euch, Kindlein, weil ihr den Vater erkannt habt“ (oder: „die Kenntnis des Vaters habt“). Die „Kindlein“ sind also die Kleinsten unter den „Kindern“, die wir in den Versen 1, 12 und 28 finden. Habt ihr schon einmal festzustellen versucht, inwieweit die Kinder Gottes, die ihr kennt, diesen Charakterzug an sich tragen? Sicherlich sind viele von uns im Laufe des Lebens als Gläubige nicht wenigen Kindern Gottes begegnet. Hätte man sie aber gefragt: „Hast du den Vater erkannt?“, was wäre wohl in den meisten Fällen die Antwort gewesen? Ich gehe wohl nicht zu weit, wenn ich annehme, dass die meisten gemeint hätten, das sei wohl ein zu hoher Anspruch. „Ob ich den Vater erkannt habe? Es tut mir leid, aber ich wage so etwas nicht von mir zu behaupten.“ Die meisten Christen denken offensichtlich, dass die Erkenntnis des Vaters bereits auf Erden eine wirklich außerordentliche Errungenschaft sei. Wer kann eine solche Kenntnis in diesem Leben und in dieser Welt erlangen? Den Vater erkannt zu haben heißt, zu wissen, dass man schon jetzt Sein Kind ist und diesbezüglich keinerlei Bedenken zu haben braucht. Es bedeutet, dass dies eine in der Seele fest verankerte und gesicherte Wahrheit ist, die man von Gott empfangen hat, und nicht aufgrund von Einbildung, Gefühlen oder sonstigen Vorstellungen, auch nicht durch eigenes Verdienst. Sie sind auf diese Weise von Gott belehrt worden und haben Seine Belehrung dankbar im Glauben angenommen. Sie wissen schon jetzt, dass ihre Sünden vergeben sind, wie wir bereits sahen. Sie hätten ohne die Gewissheit der Erlösung in Christus den Vater nicht erkennen können. Doch wie wenige Heilige ruhen wirklich immer in diesem Frieden auf Seinem Erlösungswerk!
Die Lehre von der Erlösung festzuhalten – und mag sie noch so gesund sein – heißt noch lange nicht, dass die Seele aufgrund des Wortes Gottes tatsächlich auf dem Erlösungswerk Christi ruht. Es ist durchaus möglich, die Wahrheit von der Erlösung rein theoretisch anzunehmen und doch sagen zu müssen: „Ich bin vor Gott wegen meiner Sünden nicht in Sicherheit. Manchmal habe ich eine schwache Hoffnung, aber manchmal liegt meine Seele auch wieder völlig am Boden. „ Es ist klar, dass dies kein wahrer und viel weniger ein gefestigter Friede ist. Der feste innere Friede gründet sich auf das Blut Seines Kreuzes und wankt daher auch nicht, weil seine Grundlage sich nie verändert. Wir kennen dann auch unsere Stellung zum Vater, in die der Heilige Geist uns eingeführt hat, weil wir Söhne sind. Selbst für das „Kindlein“ ist es charakteristisch, dass es mehr als nur die Sündenvergebung kennt. Die völlige Tilgung der Sünden durch das Blut ist eine elementare christliche Wahrheit. Diese Erkenntnis stellt aber, wie gewiss sie auch im Glauben verwirklicht werden mag, nicht das kennzeichnende Merkmal des „Kindleins“ in der Familie Gottes dar. Wäre dies alles, dann fehlte ihm der wesentliche Bestandteil der Segnung, die in der Verbindung mit dem Vater – und zwar in einer bewussten Verbindung mit Ihm – besteht.
Deshalb schreibt der Apostel Paulus den Galatern (Kap. 3,26): „Denn ihr alle seid Söhne Gottes durch den Glauben an Christus Jesus“ mit dem gleichen Nachdruck, mit dem unser Apostel hier sagt: „Ich schreibe euch, Kindlein, weil ihr den Vater erkannt habt. „ Diese Erkenntnis konnten sie nur deshalb haben, weil sie Söhne waren und weil Gott den Geist Seines Sohnes in ihre Herzen gesandt hatte, der da ruft: „Abba, Vater! „ (Gal 4,6). Nur wer den Geist der Sohnschaft empfangen hat – nicht den der Knechtschaft, der zur Furcht führt – kann so empfinden und so zu Gott sprechen. Es wirkt dann die göttliche Kraft in uns, um sowohl diese Gesinnung und Liebe hervorzurufen als auch die innige Beziehung aufrechtzuerhalten, die uns befähigt, das zu tun, was unserem Vater wohlgefällig ist. Mit welcher Klarheit wird doch dieses gesegnete Vorrecht mitgeteilt und dargelegt! In unserer Zeit glauben wohl viele an den Herrn Jesus, doch sie scheuen sich zu glauben, dass sie Söhne Gottes sind und dass sie es auch immer bleiben werden. Durch solchen Unglauben wird der Heilige Geist betrübt. Er muss ihn missbilligen und kann diese Christen nicht in die herrliche Freiheit einführen, die einer solchen Beziehung entspricht. Doch hier werden uns nun die jüngsten Angehörigen der Familie Gottes gezeigt als solche, die ihr Verhältnis zum Vater kennen. Niemand kann dieses ständige Bewusstsein, ein Kind Gottes zu sein, in sich tragen, es sei denn, er ist mit dem Heiligen Geist versiegelt. In einem solchen Herzen wohnt der Geist, weil „die Sünden vergeben sind um Seines Namens willen“, und durch Ihn kennen auch die „Kindlein“ den Vater. So schreibt der Apostel den Ephesern (Kap. 1,13): „Auf welchen auch ihr gehofft, nachdem ihr gehört habt das Wort der Wahrheit, das Evangelium eures Heils, in welchem ihr auch, nachdem ihr geglaubt habt, versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geist der Verheißung. „ Die Epheser waren zu jener Zeit keine fortgeschrittenen Christen und waren in der Wahrheit noch nicht viel gewachsen. Sie hatten gerade erst die Wahrheit des Evangeliums, so wie Gott es ihnen verkündigen ließ, aufgenommen. Sie glaubten an die Wirksamkeit des Todes Christi und hatten die Fülle Seiner Gnade angenommen, die nicht nur ihre Sünden ausgetilgt, sondern sie auch zu Söhnen Gottes gemacht und ihnen den Heiligen Geist gegeben hatte, durch den sie allezeit rufen konnten: „Abba, Vater!“ Diese christlichen Segnungen sind nicht wie die jüdischen an Bedingungen geknüpft oder zeitlich begrenzt. Gesetzliche Denkweise erniedrigt das Werk Christi für uns unter das Werk des Heiligen Geistes in uns und stellt damit den Frieden, der durch das Blut Seines Kreuzes gemacht ist, in Frage.
Es ist gewiss etwas Wunderbares, wenn jemand, der vielleicht noch kurz zuvor ein Sünder war, nun durch den Glauben diese Stellung einnimmt. Er hat nun als Gläubiger, kraft des Erlösungswerkes Christi, die Kenntnis des Vaters. Das bedeutet eine völlige Veränderung für ihn und führt ihn dahin, als Sohn vertrauten Umgang mit dem Vater zu pflegen. Wenn ein Vater nach dem Fleische, insbesondere ein zärtlicher und gewissenhafter Vater, seinen Kindern liebevoll begegnet, dann gibt es einen innigen und lebhaften Verkehr zwischen ihnen. Sollte es bei unserem Gott und Vater anders sein? Er hat stets unser Wohl im Auge und ist besorgt um alles, denn Er ist ebenso zärtlich wie treu und wahrhaftig; und das hat einen liebevollen Umgang zwischen den Söhnen und dem Vater zur Folge. „Wer aber ist dazu tüchtig? „ Nur bei Gott finden wir alles, was unsere Herzen dazu befähigt. Es geht nicht allein um den Ruf: „Abba, Vater!“, sondern um das Wissen: „So viele durch den Geist Gottes geleitet werden, diese sind Söhne Gottes; ... der Geist Selbst zeugt mit unserem Geiste, dass wir Kinder Gottes sind. „ Dadurch genießen wir auch den Trost und die Gewissheit, dass uns der Vater Tag für Tag liebt und segnet, wenn Er uns vielleicht auch züchtigen muss zu unserem Nutzen, damit wir Seiner Heiligkeit teilhaftig werden, da wir ja zu Seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus berufen sind. Unter diesem Gesichtspunkt sehen wir also die „Kindlein“ Seiner Familie, und, was sie charakterisiert, ist, „den Vater erkannt zu haben“.
Es ist nicht nur so, dass man in der Christenheit vergeblich nach „Vätern“ in Christus Ausschau hält und dass nur sehr wenige „Jünglinge“ in Erscheinung treten, die den wahren Stempel Gottes an sich tragen. Leider muss man sich auch fragen: Wo sind die „Kindlein“, die diesem Bild der so offenbarten Wahrheit entsprechen? muss einen das nicht tief betrüben? Nie waren die Menschen selbstzufriedener als heutzutage. Mit welcher Freude würde man solche „Kindlein“, wie sie der Apostel beschreibt, begrüßen und bemüht sein, sie auf dem Glaubensweg zu ermuntern, dem Feind gegenüber standhaft zu sein und Christus immer besser kennen zu lernen, der für uns so unaussprechlich gelitten hat. Aber es ist schwer, sie zu finden. Vom ersten Jahrhundert an -wir dürfen wohl sagen: von der Zeit an, als noch die ersten Kirchenväter lebten – ging es bergab. Einen der deutlichsten Beweise für den Verfall liefert die Tatsache, dass die Kenntnis so elementarer Wahrheiten verloren ging, wie: „Eure Sünden sind vergeben um seines Namens willen“ und: „Ich schreibe euch, Kindlein, weil ihr den Vater erkannt habt.“
Man denke nur einmal an die vorherrschende Auffassung, dass man immer wieder zu dem Blut Christi Zuflucht nehmen muss, um bei Fehltritten wiederhergestellt zu werden. Wie könnten Christen so reden, wenn sie daran glaubten, dass Christus eine ewige Erlösung zustande gebracht hat und dass die Anbeter, einmal gereinigt, kein Gewissen mehr von Sünden haben? Sie können in ihren Herzen unmöglich die Wahrheit des Evangeliums festhalten, sonst würden sie nicht solche Ansichten vertreten. Christus trug unsere Sünden an Seinem Leibe auf dem Holz, und zwar nicht nur diejenigen, die wir begangen hatten, ehe wir glaubten. Sein Blut reinigt von jeder Sünde, nicht nur von einigen. Die Heiligen sollten wissen, dass die Waschung mit Wasser durch das Wort geschieht, um jede Beschmutzung des Gläubigen auf seinem Weg zu beseitigen, dass aber die Erlösung durch das Blut Christi niemals ungültig gemacht werden kann. „Denn mit einem Opfer hat Er (Christus) auf immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden“, d. h. nicht nur für immer, sondern ununterbrochen (griech. eis to dienekes) ist die Vollkommenheit vor Gott unser Teil. Das Evangelium Gottes enthält keinen solchen Gedanken, dass wir immer wieder eine neue Sühnung durch Sein Blut benötigten, denn Sein Werk ist vollständig und allgenügsam. Unsere beschmutzten Füße aber müssen durch das Wort und die Sachwalterschaft Christi stets gereinigt werden. Deshalb bekennen wir jede Sünde, wenn wir im Widerspruch zu Ihm gehandelt haben; wir bekennen Gott die einzelne Sünde und verurteilen in uns dasjenige, was uns veranlasste zu fallen. Das entspricht Seinem Wort. Wir dürfen aber niemals die Grundlage Seines einmaligen Opfers und die Erlösung durch Sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, antasten. Wären nicht alle unsere Sünden getilgt, wie stände es dann mit uns? Wenn nur eine einzige nicht vergeben wäre, dann erginge es uns schlecht. Doch für den Gläubigen bedeutet die Vergebung der Sünden vollständige Befreiung von der Schuldenlast. Sollten wir trotzdem sündigen, dann regt sich das Gewissen unter dem Einfluss des Heiligen Geistes, und das führt uns zu aufrichtiger Demütigung im Blick auf jede Verfehlung. Denn jede Sünde, die wir tun, gereicht uns zur Schande und betrübt den Heiligen Geist Gottes, durch den wir versiegelt worden sind auf den Tag der Erlösung. Dadurch kann jedoch niemals das einst im Glauben angenommene Werk unseres Herrn Jesus, des Urhebers ewigen Heiles, außer Kraft gesetzt werden. Auch die Erkenntnis des Vaters und unsere Verbindung mit Ihm als Seine Kinder werden dadurch nicht im Geringsten erschüttert. Denn „wir haben einen Sachwalter bei dem Vater“, der ausdrücklich droben ist, um wirksam für uns in all diesen Schwierigkeiten einzutreten, die ohne Ihn nicht zu bewältigen wären. Wir sind somit Christus stets zu Dank verpflichtet, müssen aber wissen, dass Seine Sachwalterschaft nicht in der erneuten Anwendung Seines Blutvergießens besteht und dass umgekehrt Sein Blut nicht Seine Sachwalterschaft darstellt. Als der Auferstandene ist Er im Himmel bei dem Vater und weilt dort, um für uns einzutreten. Sein Blut hatte eine gänzlich andere Aufgabe und Wirkung. Sein Opfer ist ein vollkommenes Werk mit einer eigenen Zweckbestimmung. Auch Seine Sachwalterschaft hat ihren bestimmten Platz und kommt unseren Bedürfnissen nach unserer Bekehrung entgegen. Wehe denen, die achtlos die Wahrheit verrücken und sie mit Vorstellungen vermengen, die das Evangelium des Christus untergraben – auch wenn sie an Seine Person glauben!