Was von Anfang war
Eine Auslegung der Johannesbriefe
1. Johannes 2,3-6
Jedem nachdenklichen Christen wird beim Lesen dieser Worte auffallen, dass diese Verse eine eigenartige Stellung in dem gegebenen Zusammenhang einnehmen. Das Bindewort „und“ am Anfang scheint eine Verbindung zu dem Vorhergehenden herzustellen. Tatsächlich besteht auch ein wesentlicher innerer Zusammenhang, wenn auch nicht in der üblichen Weise, wie wir verschiedene Gegenstände miteinander verbinden würden. Denn es wird ein von dem Vorhergehenden abweichender Gegenstand eingeführt. Die Verbindung wird aber durch das Wort „Leben“ hergestellt. Es handelt sich nicht mehr allein um das Leben aus Gott, sondern um Seine Natur. Sie wird bildlich in der absoluten Reinheit des „Lichtes“ dargestellt, in welches der Christ bei seiner Bekehrung eingeführt wird.
Dieses Licht wirkt seitdem mächtig auf das Gewissen, da dieses nicht nur erweckt, sondern auch gereinigt ist. Die neue Natur ist für das Licht Gottes umso empfänglicher, je mehr sie sich auf schmerzliche Weise der Verderbtheit der alten Natur bewusst wird. Doch besitzen wir jetzt eine Natur, die aus Gott ist. Der Apostel Petrus bezeugt uns, den Glaubenden, dass wir eine göttliche Natur haben, und zwar von dem Augenblick an, da das göttliche Leben in der Seele tätig geworden ist, d. h. seit dem Augenblick der Bekehrung zu Gott. Es mag zwar sein, dass wir zunächst noch keinen Frieden besitzen; es kann sogar ziemlich lange dauern, bis wir ihn völlig genießen. Aber die Gewissheit, dass Gott deutlich und ernst zu unserer Seele geredet hat, bewirkt bereits große Freude. Die aufrichtige, tiefe Beugung im Licht Gottes, das unser vergangenes Leben offenbart und verurteilt, bringt eine unermessliche Erleichterung. Warum wohl? Der Grund liegt darin, dass wir neues Leben aus Gott haben, und das Leben Christi ist das Licht der Menschen. Es wird an anderer Stelle als ewiges Leben bezeichnet, doch ist es stets das gleiche Leben. Der Ausdruck „ewiges Leben“ ist besonders bezeichnend und eindrücklich, aber es handelt sich um dasselbe Leben; denn ein anderes gibt es für den Gläubigen nicht. Wir sehen auch, wie passend und gut das ist, denn Christus ist Selbst das ewige Leben, wie wir in Kapitel 1,2 gelesen haben. So sagt der Apostel Paulus in Kolosser 3, 4 ausdrücklich, dass Christus unser Leben ist, und in Galater 2,20: „Nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir. „ Es kann somit keinen Zweifel über diese Wahrheit geben. Weder Christus noch der Gläubige haben zwei verschiedene Leben (im geistlichen Sinn; ich spreche hier nicht von dem natürlichen Leben). In Ihm war Leben von Ewigkeit her. Und indem Er vom Himmel kam, gab Er nicht nur den Juden, sondern der Welt das Leben aufgrund des Glaubens (Joh 6,33). Der Heide, welcher glaubt, sollte es in der gleichen Fülle erhalten wie der Jude. Somit besitzt der Gläubige nun dieses Leben, und mit wachsendem Verständnis erkennt er zu seiner großen Freude, dass es das ewige Leben ist.
Die gleiche grundlegende Wahrheit finden wir in der „Heiligung des Geistes“, die in 1. Petrus 1,2 erwähnt wird. Diese Bezeichnung hat bei den Theologen aller Richtungen zu falschen Auslegungen geführt. Fast alle Ausleger und Übersetzer verstehen darunter die praktische Heiligkeit, was z. B. Beza zu gröbster Missdeutung geführt hat. Ist der Irrtum erst gesät, dann erntet man daraus nur Verwirrung. Der Zusammenhang macht es unzweideutig klar, dass die Heiligung des Geistes hier nur die Aussonderung des Gläubigen für Gott bedeuten kann. Sie kommt dadurch zustande, dass er aus Gott geboren wird, denn diese Heiligung des Geistes führt ihn „zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi“, das heißt, dass sie einem Christusähnlichen Gehorsam und der Besprengung mit Seinem Blute vorausgeht und nicht darauf folgt, wie es bei dem Gesetz und der damaligen Blutbesprengung der Fall war (2. Mose 24). Sofort mit dem Empfang des neuen Lebens, wodurch der Geist uns für Gott abgesondert hat, sind wir zu einem Gehorsam berufen, der dem des Christus gleicht. Wir sind Söhne geworden, die in einer heiligen Freiheit stehen, während die Blutbesprengung uns gleichzeitig bezeugt, dass unsere Sünden vergeben und hinweg getan sind. Bei Israel dagegen begann das Bemühen um die Erlangung des Lebens mit der Befolgung der Gesetzesvorschriften. Das Blut des Opfertieres, das auf das Buch des Gesetzes und das Volk gesprengt wurde, bezeugte ihnen dabei die Todesstrafe, die auf dem Brechen des Gesetzes ruhte.
Aus demselben Grunde stellt der Apostel in 1. Korinther 6,11 die Worte „abgewaschen“ und „geheiligt“ vor das Wort „gerechtfertigt“. Wenn es sich um praktische Heiligkeit handelte, hätte das Wort „gerechtfertigt“ an erster Stelle stehen müssen. Die „Heiligung des Geistes“, die von den beiden großen Aposteln behandelt wird, bezeichnet die Absonderung für Gott, die dann stattfindet, wenn wir „aus Gott geboren“ werden (nach der Ausdrucksweise des Johannes), ehe die Blutbesprengung Christi erfolgt. Durch die Heiligung des Geistes werden wir in die Lage versetzt, Gott zu gehorchen, wie Christus es getan hat. Der Erzbischof Leighton ist fast der einzige mir bekannte Theologe, der ein wenig von der Kraft dieser Wahrheit erfasst hat. Unter dem Gesetz wurde dem Israeliten das Leben nur unter der Bedingung seines Gehorsams verheißen. Trotzdem besaß er es nicht in Wirklichkeit, denn es war ja verwirkt und der Macht des Todes unterworfen gleichwie das Leben des ersten Adam. Nirgends lesen wir jedoch, dass es der Macht der Vernichtung preisgegeben war. Nicht die Auslöschung des menschlichen Lebens, sondern das Gegenteil wird in der Schrift gelehrt. Die ganze Macht Satans kann keinen einzigen Menschen vernichten. Zweifellos wurden Wesen geschaffen, die nicht dazu bestimmt waren, nach dem Tode weiterzuleben. Aber beim Tode des Menschen findet nur eine Trennung von Seele und Leib statt. Der schuldige Mensch muss sterben, um nachher gerichtet zu werden. Es entspricht nur der Gerechtigkeit, dass er für seine Ungerechtigkeit gegen Gott und Menschen büßen muss. Der Gläubige ist von Gott darüber belehrt, dass er schon hier das gleiche ewige Leben im Sohne besitzt, wie nach seiner Verwandlung oder Auferweckung aus den Toten. Das Leben, das ihn hier auf Erden zur Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne befähigte, wird ihn auch befähigen, sich des Vaters und des Sohnes in alle Ewigkeit zu erfreuen.
Der Geist Gottes ist sowohl die göttliche Kraft wie auch die Person, die in diesem Leben allen Widerständen entgegenwirkt. Dadurch verherrlicht Er Christus, der uns in Seiner Gnade dieses Leben gegeben hat. Wir benötigen den Spender dieses Lebens, den Herrn Jesus, als den immerwährenden Gegenstand und die Kraftquelle unserer Seelen. Ebenso werden wir Ihn in der Ewigkeit benötigen, dann um Ihm zu dienen, Ihn anzubeten und uns Seiner zu erfreuen. – Jetzt lebt Er im Himmel für uns, so dass wir nicht nach Ihm zu verlangen brauchen, als wäre Er nicht unser. Mögen wir stets unsere Wonne an Ihm haben, der Sein Leben für uns dahingab! Mögen wir vor allen Dingen begehren, Ihm wohl zu gefallen. In der Liebe zu Ihm dürfen wir schon jetzt auf dieser Erde Gottes Willen zur Ausführung bringen, wie wir es droben in der Herrlichkeit tun werden, wenn alle hindernden Einflüsse für ewig hinweg getan sind. Wir beginnen hier bereits, solange wir in einer vergänglichen Welt sind, mit dem, was ewig währen wird. Weich ein Segen für uns, die Ewigkeit nicht nur als etwas Zukünftiges ansehen zu müssen! Gott gibt uns die Gewissheit, dass jeder, der das ewige Leben besitzt, in Wirklichkeit schon jetzt an etwas teilhat, das ewig bestehen wird! Wir schauen nicht auf das Sichtbare, das nur zeitlichen Bestand hat, sondern wir haben das Vorrecht, auf das Unsichtbare schauen zu dürfen, das ewig bleiben wird. Der Glaube weiß, dass die unsichtbaren Dinge viel wirklicher und unwandelbarer sind als alles Sichtbare. Die Grundlage unserer Verbindung besteht darin, dass Er, der Selbst das ewige Leben ist, auch unser Leben ist. Und wie wird dieses Leben erkannt? Wir wissen, dass Satan immer wieder versucht, uns Zweifel einzuflößen, doch sollte der Gläubige ihnen niemals Raum geben. Wer der Offenbarung Gottes geglaubt hat, muss jeden Zweifel als Sünde betrachten; denn wogegen richtet sich der Zweifel? gewiss nicht gegen uns selbst! Bis zu dem Augenblick, da wir die Stimme des Sohnes Gottes vernahmen, waren wir nichts als Sünder. Die Schrift bezeugt uns, dass wir verloren waren. Ebenso kann es keinerlei Zweifel an der Liebe Gottes geben. Sie hat sich darin erwiesen, dass Christus für uns dahingegeben, ja gekreuzigt worden ist. Der unermessliche Wert Seines Blutes hat unsere Sünden hinweg getan. Er ist auferstanden und befindet Sich jetzt in der Herrlichkeit droben, wo Er Sich unser nicht schämt, sondern uns Seine Brüder nennt. Durch die Gnade besitzen wir Christus jetzt und in alle Ewigkeit; Er selbst versichert es uns (Joh 10,28).
Wie die ewige Erlösung so ist auch das ewige Leben eine wunderbare Gabe, die uns in Christus geschenkt ist und in Ewigkeit unverändert bleibt. Christus stieg in den Tod hinab, damit dieses Leben nicht nur dadurch gekennzeichnet ist, dass es ewig ist, sondern dass es auch den wunderbaren Charakter der Auferstehung trägt. Mit Ihm lebendig gemacht, wissen wir nun, dass alle unsere Vergehungen vergeben sind (Kol 2,13). „Mitauferweckt“ bedeutet, dass Er, der gestorben ist, in Ewigkeit lebt und dass auch wir in diese Seine Stellung eingeführt sind; wir dürfen sie durch Gnade schon als unser gegenwärtiges Teil genießen. Sind wir aber nachlässig, nicht wachsam oder träge im Gebet und im Lesen des Wortes Gottes als unserer täglichen Speise, so geben wir Satan dadurch Angriffsmöglichkeiten. Jedermann weiß, dass der Körper Speise zu seiner Erhaltung braucht. Hat nicht die Seele ein ebenso großes oder gar größeres Bedürfnis nach Stärkung, und ist sie nicht unvergleichlich wichtiger als unser Leib? Was ist nun das Brot des Lebens, das wir benötigen? Es ist Christus, wie Er im Worte offenbart ist; das Wort, das Christus durch die Wirkung des Heiligen Geistes zu unserer Speise macht. Christus allein ist die Nahrung für unsere Seelen. Wenn jemand aber der Versuchung nachgegeben und in Sünde gefallen ist, macht sich der Feind die Gelegenheit sofort zunutze. Er versucht dann meistens, Zweifel an Gottes Wort ins Herz zu säen, häufig unter dem Vorwand, dass man an sich selbst zweifle. In Wirklichkeit ist es aber ein Zweifeln an Gott und an Seiner in Christus offenbarten Gnade. Wie beschämend sind derartige Zweifel bei solchen, denen der Herr als gekreuzigt vor die Augen gestellt ist! Im Wort Gottes wird Er unserem Glaubensauge als der Gekreuzigte vorgestellt, um jeden Zweifel völlig zu beseitigen. Er starb für gottlose und kraftlose Feinde (Röm 5,6–10)! Wären wir nicht so verderbt wie wir es sind, so hätten wir wohl eines solchen göttlichen Heilandes nicht bedurft! Wir waren tatsächlich so schlecht, dass man sich schwerlich vorstellen kann, wir könnten noch schlechter sein. Auch wissen wir, wie trügerisch das Fleisch des Gläubigen ist. Das verursacht vielen Gotteskindern eine gewisse Besorgnis. Es sind nicht die Sünden der Vergangenheit, als sie sich noch in Finsternis und Tod befanden, sondern ihr so häufiges Versagen in der Gnade und Wahrheit, die Ausbrüche von Eigenwillen, Torheit, Eitelkeit, Stolz, Weltförmigkeit und allem anderen, was den Heiligen Geist betrübt, nachdem Gott ihnen soviel Barmherzigkeit erwiesen hat. Wie traurig ist es, wenn sich Gläubige, die die Fülle der Gnade erfahren haben, hart und unfreundlich oder nachlässig und leichtfertig zeigen! Durch solche Verfehlungen werden in der Seele ernste Fragen hervorgerufen bezüglich der Stellung vor Gott. Verunehrt er den Herrn durch Sünden, von denen auch andere Menschen Kenntnis erlangen, so kann es leicht dazu kommen, dass auch sie seine Errettung in Frage stellen.
Nachdem im ersten Kapitel (einschließlich der beiden ersten Verse des zweiten Kapitels) die lehrmäßige Grundlage des Briefes gelegt worden ist, wird daher jetzt die Frage angeschnitten: Wie kann ich die Merkmale wahren Lebens erkennen? Die Philosophen reden zwar viel, wissen aber wenig über das natürliche Leben. Ist es da verwunderlich, wenn es Satan leicht gelingt ' Zweifel am geistlichen Leben zu wecken, besonders bei solchen, die sich in sein Netz verstrickt haben und daher kein reines Gewissen mehr haben?
Ab Vers 3 finden wir die herzerforschenden Prüfsteine, deren Anwendung uns und anderen zeigen soll, ob wirkliches Leben vorhanden ist oder nicht. Zuerst wird eine vollkommene Darstellung Christi als Gegenstand des Glaubens gegeben. Sodann wird die notwendige Wirksamkeit des göttlichen Lebens in den Seinigen gezeigt. Nach einer kurzen Einschaltung über die Wiederherstellung eines gefallenen Gläubigen durch die Gnade kommen wir dann zu den göttlich gegebenen Merkmalen des neuen Lebens. Das erste Erkennungszeichen finden wir in den Versen 3–6. Worin besteht es? Das Vorhandensein des neuen Lebens bei einem Menschen ist von Anfang an in aller Deutlichkeit an dem Gehorsam festzustellen, ebenso wie fehlender Gehorsam das Gegenteil beweist. „Und hieran wissen wir, dass wir ihn kennen (oder: erkannt haben; die Erkenntnis ist ein bleibendes Resultat), wenn wir seine Gebote halten. „ Das bedeutet nichts anderes als Gehorsam. Es ist zwar nicht der einzige Weg, auf dem der Geist des Gehorsams sich erweist, doch gewöhnlich ist es der erste, der sich unverzüglich zeigt. Gehorsam geziemt sich auch für den jüngsten Gläubigen. Die Frage des Gehorsams wird sicherlich von Anfang an ein Prüfstein seines Glaubens sein, und das neue Leben in ihm wird ihn stets zum Gehorsam anspornen.
Das sehen wir bei dem Mann, der einmal der große Apostel der Nationen werden sollte. Im gleichen Augenblick, in dem die Stimme des Herrn sein Herz erreichte und damit den Gekreuzigten mit dem wahren Gott identifizierte, konnte er nicht anders als ausrufen: „Was soll ich tun, Herr?“ Er verurteilte seinen Irrtum und wünschte zu gehorchen. Das zeigt den sogleich erwachenden Instinkt des geistlichen Lebens. Nachdem sein Herz zur Umkehr gebracht war, wünschte er völlig Dem zu gehorchen, den er ohne Zögern als „Herrn“ anerkannte. So sehen wir im ganzen Wort Gottes, wie wichtig und allumfassend der Gehorsam ist. Betrachten wir z. B. die Unterwerfung der Seele unter die Gerechtigkeit Gottes, die im Römerbrief „Glaubensgehorsam“ genannt wird. Damit ist nicht der durch den Glauben bewirkte praktische Gehorsam im Wandel gemeint, sondern der erste Akt der Seele, Gottes Wort im Glauben zu ergreifen. Das ist der eigentliche Herzensgehorsam, der Gehorsam gegenüber der Wahrheit, die Annahme des Zeugnisses Gottes über Seinen Sohn. Der bislang gottlose Mensch erkennt dieses Zeugnis wahrhaft an, beugt sich unter das Wort Gottes, ergreift die Wahrheit über die Person und das Werk Christi und wird dadurch gerechtfertigt. Das Evangelium wird daher allen Nationen gepredigt, nicht wie einst bei Israel zum Gesetzesgehorsam, sondern zum Glaubensgehorsam. Das ist die wahre, volle Bedeutung, die uns den Sinn des Wortes klarmacht. Es ist nicht ein Gehorsam, der durch den Glauben bewirkt wird, sondern die Annahme des Evangeliums im Glauben. Das findet man in der ganzen Heiligen Schrift in verschiedenen Formen immer wieder.
Es gibt aber noch andere Zeugnisse und Beweise für die Wichtigkeit des Gehorsams. Betrachten wir nur den Anfang der Menschheitsgeschichte, den ersten Adam, den Vater des Menschengeschlechts. Ach, die sittliche Geschichte des Menschen beginnt damit, dass er ungehorsam war. Das Gebot im Garten Eden stellte einzig und allein eine Prüfung des Gehorsams dar, und zwar unter Androhung des Todes. Das Essen von dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen war an sich keine sittlich verwerfliche Tat wie Diebstahl, Mord, Habgier oder die Übertretung eines der Zehn Gebote. Diese Gebote setzen eine angeborene böse Neigung voraus, die aber bei Adam noch nicht vorhanden war. Er war noch unschuldig und aufrichtig, und Gott gebot ihm, nicht von der Frucht jenes Baumes zu essen. Dieses Verbot hatte nichts mit der Eigenschaft der Frucht zu tun, etwa als Hinweis darauf, dass die Frucht giftig sei. Das hätte der menschlichen Art mehr entsprochen, da er gerne alle Dinge von dem Standpunkt aus betrachtet, inwieweit sie ihn selbst berühren. Das Gebot war einfach der Ausdruck der Autorität Jehova-Gottes. Es sollte den Gehorsam des Menschen, sein Vertrauen auf Gottes Wort und Güte, kurz seine völlige Unterwerfung als ein Geschöpf Gottes auf die Probe stellen. Adam konnte ja noch nicht durch Gnade ein Kind Gottes genannt werden. Er war, im gleichen Maße wie die Athener, ein „Sohn“ vom „Geschlecht Gottes“ (Apg 17,29), d. h., er war nicht nur ein Lebewesen ohne Verstand, ein unvernünftiges Tier. Von Anfang an besaß er durch das Einhauchen des Odems Gottes eine unsterbliche Seele. In diesem Sinne war er natürlich von „göttlicher Abstammung“, aber er war noch kein Kind Gottes, das durch Gnade und Glauben aus Ihm geboren ist. Diese Geburt ist nur als Frucht der göttlichen Gnade in Christus möglich. Nur so empfängt man Leben in Seinem Sohne. Das besaß Adam nicht, als er im Garten Eden lediglich als Mensch im Zustand der Unschuld lebte.
Leider trat bald der Umstand ein, der zu seinem tiefen Sturz führte: Er fiel in Ungehorsam. Sein Ungehorsam gereichte ihm zum Tode im Gegensatz zum zweiten Menschen, dem letzten Adam, der gehorsam war bis zum Tode. In Seinem ewigen Wesen, Seiner Ihm zustehenden Stellung und Seiner unveräußerlichen persönlichen Herrlichkeit war der Sohn eine göttliche Person; Er hatte als solcher mit Gehorsam nichts zu tun. Aus diesem Grunde wird uns in Hebräer 5,8 gesagt, dass Er „an dem, was er litt, den Gehorsam lernte“. Bevor Er herabkam, um Mensch zu werden, kannte Er nicht aus Erfahrung, was es bedeutete, gehorsam zu sein. Er wusste zwar genau, was dies für andere, für jedes Geschöpf bedeutete, aber Er war ja kein Geschöpf, sondern der Schöpfer. Da Er aber Mensch geworden war, nahm Er auch in vollkommener Treue die Pflichten des Menschen auf Sich. Die erste Aufgabe des Menschen aber ist, Gott zu gehorchen.
Der Herr offenbarte einen Gehorsam wie kein anderer auf Erden; Er verherrlichte Seinen Vater durch alles Trachten Seines Herzens, jedes Wort Seines Mundes und jeden Schritt auf Seinem Wege. Mit den Worten: „Also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen“, brachte Er den Einwand Johannes des Täufers zum Schweigen. Er begegnete den Versuchungen Satans mit nichts anderem als Gehorsam. Darin zeigt sich der gewaltige Unterschied zwischen dem Herrn Jesus als Mensch und jedem anderen Menschen. Nie war ein anderer ununterbrochen gehorsam. Dieser Gehorsam charakterisiert Seinen Abstand zum Menschen viel mehr als die Wunder, die Er tat, denn jeder könnte Wunder vollbringen, wenn Gott ihm die Kraft dazu verliehe. Auch Judas hat Wunder getan, und viele werden an jenem Tage zu dem Herrn sagen: „Herr, Herr! haben wir nicht durch deinen Namen geweissagt und durch deinen Namen Dämonen ausgetrieben und durch deinen Namen viele Wunderwerke getan? Und dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch niemals gekannt; weichet von mir, ihr Übeltäter“ (Mt 7,22–23).
Das Vollbringen von Wundern allein braucht keineswegs ein Zeichen sittlicher Größe zu sein. Im Allgemeinen kennzeichneten Wunder die gerechten Knechte Gottes, die Seinen offenbarten Willen zum ersten Mal kundmachten oder für ihn eintraten, wenn das Volk abfällig wurde. Gott zeigt uns aber in Seiner weisen Absicht sogar Menschen der bösesten Art, die große Zeichen vollbrachten, bis hin zu dem Verräter des Herrn Jesus, der bereits erwähnt wurde. Wir werden bald einem weiteren Beispiel dieser Art begegnen, doch der erste, der ein „Sohn des Verderbens“ genannt wurde, zeigte offensichtlich, dass er nicht die geringste Wertschätzung für Christus besaß. Er hatte zwar Machtbefugnisse erhalten, bewies aber weder Gehorsam noch den Glauben, der ihn bewirkt.
So wird unser Blick von selbst von diesem ersten „Sohn des Verderbens“ auf den letzten, den Antichristen, gelenkt. Was kennzeichnet den Antichristen, was macht ihn in einem erstaunlichen Ausmaß zu einem willigen Werkzeug Satans? Wie Judas keine größere Auflehnung gegen Gott zeigen konnte als durch den Verrat an dem Geliebten Gottes, so wird der Antichrist, wie nie ein Mensch zuvor, Juden und Nationen ins Verderben stürzen. Was ist das besondere Kennzeichen des Antichristen, bereits ehe es Satan für kurze Zeit gestattet wird, seine Macht in ihm zu offenbaren? Was ist bei dem Antichristen die Voraussetzung, die ihn dafür zubereitet? Es ist sein Eigenwille, die Quelle alles Ungehorsams. Er wird deshalb als der König bezeichnet, der nicht nach Gottes Willen, sondern „nach seinem Gutdünken“ und nach dem Willen Satans handeln wird (Dan 11, 36). Er ist „der Mensch der Sünde“, der „Gesetzlose“ (2. Thes 2,3.8). Ach, auch wir werden so leicht Sklaven Satans, wenn wir unseren eigenen Willen tun! Doch bei ihm wird dies in besonders schrecklicher Weise in Erscheinung treten. Wir sehen an diesen beiden völlig gegensätzlichen Beispielen, welch wichtigen Platz der Gehorsam von Anfang bis Ende in der Heiligen Schrift einnimmt. Am Anfang verließ der erste Mensch diesen Platz des Gehorsams, und völliges Verderben war die Folge. Doch dann kam der Zweite Mensch, der gehorsame Mensch. Er brachte den Menschen nicht nur vollen Segen, sondern auch Versöhnung und Frieden durch das Blut Seines Kreuzes. Er hat die Sünden jedes Gläubigen in vollkommener Weise getilgt. Er sandte den Heiligen Geist vom Himmel, der von Ihm und Seinem ewig gültigen Erlösungswerk sowie von der Versöhnung des Weltalls bei Seiner Wiederkunft zeugt. Gehorsam ist daher der Wunsch, das Ziel und die Freude der Seele, die Jesus kennt und bekennt. Durch das Wort und den Geist Gottes wird der stolze, gleichgültige und verfinsterte Mensch zum Stillstehen gebracht. Das Herz wird mit Abscheu über seine eigene Bosheit erfüllt und erfährt die Güte Gottes, der Christus für die Rettung der Seele dahingab. Nun beugt sich der Mensch vor seinem Herrn und Heiland und wird von dem ernsten Begehren erfüllt, Ihm von diesem Augenblick an zu gehorchen. Wie der Gehorsam im Leben der erneuerten Seele von Anfang an eine äußerst wichtige Rolle spielt, so auch in allen Wegen Gottes mit der Welt, wie wir es bis hin zu dem Antichrist am Ende dieses Zeitalters sehen.
Es handelt sich hier somit um einen Grundsatz von größter Tragweite und Bedeutung, sowohl bezüglich der Verherrlichung Gottes als auch hinsichtlich des Menschen und weit über den Menschen hinaus. Denken wir nur daran, dass die gefallenen Engel einst himmlische Wesen waren! Durch ihren Ungehorsam und ihren Stolz verließen sie die ihnen von Gott zugewiesene Stellung, um sich eine andere, die Gott ihnen nicht zugedacht hatte, anzumaßen. Dagegen ist der Gehorsam Gott gegenüber stets die Quelle wahren Segens.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Geist Gottes dieses Thema in unserem Brief an dieser Stelle sogleich aufgreift. Wenn jemand an seinem Verhältnis zu Gott Zweifel hegt oder wenn andere ihm mit Zweifeln begegnen, dann gibt uns der Geist den Gehorsam als den ersten wichtigen Prüfstein. Die Frage lautet: Besitzt diese Seele den Geist des Gehorsams? Gerade in unserer dunklen Zeit wissen wir, dass wir einst zu Recht „Söhne des Ungehorsams“ (Eph 2,2) genannt wurden; doch als der Wendepunkt der Bekehrung zu Gott eintrat, wurden wir „Kinder des Gehorsams“ (1. Pet 1,14). Der Gehorsam ist von Anfang an der wahre Ausdruck des durch den Glauben gereinigten Herzens. Sein stetes inneres Verlangen ist es jetzt, Gott zu gehorchen, vielleicht lange bevor die Seele den gefestigten Frieden genießt, obwohl dies in verhältnismäßig kurzer Zeit der Fall sein kann. Das Verabscheuen der Sünde, die Verurteilung des eigenen Ichs und die Gnade Christi bewirken nicht nur das Verlangen, sondern auch die Befähigung dazu; denn ohne einen noch so geringen Strahl göttlicher Gnade wird niemand je bekehrt werden. Bestürzung kann den Menschen zwar zum Einhalt bringen und in eine andere Richtung weisen, aber niemals bekehren. Auch aus Schrecken heraus wurde noch keine Seele bekehrt, obwohl sie dadurch zum Hören des Evangeliums veranlasst werden kann. Um uns für Gott zu gewinnen, ist mehr und etwas anderes erforderlich als Furcht. Ich glaube, dass die Person Christi, wenn auch in noch so schwachem Maße, erkannt werden muss, wenn dem Glauben göttliches Licht und ewiges Leben geschenkt werden sollen. Dieses Leben zeigt sich im Gehorsam und erweist seine Wirklichkeit dadurch, dass der innere Mensch Gott mit Herzensentschluss unter einem Gesetz der Freiheit, nicht der Knechtschaft, gehorcht. Das Leben Christi in uns findet seine Freude daran, Seinen Willen und sonst nichts auszuführen, wie dies bei Christus allezeit in Vollkommenheit geschah.
Das Gesagte erklärt den scheinbar merkwürdigen Unterschied zu dem vorhergehenden Teil des Briefes. Doch ist dies genau die richtige Stelle, auf den Gehorsam eindrücklich hinzuweisen. Wir haben gesehen, dass die göttliche Segensquelle im Vater durch den Sohn kundgemacht wurde und dass wir nun mit dem Vater und dem Sohne Gemeinschaft haben. Auch haben wir gehört, dass Sein Zeugnis über den Charakter Gottes in all seiner Heiligkeit untrennbar damit verbunden ist. Wenn wir des Segens teilhaftig geworden sind, werden wir die mit dem Besitz des Lichtes Gottes und unserem Wandel in diesem Licht verbundene Verantwortung nur begrüßen können. Das wird dadurch bewirkt, dass das ewige Leben, welches Er in Sich Selbst war, auch unser Leben ist. Sowohl das Licht als auch das Leben offenbaren sich im Gehorsam. Wie der Gehorsam aus dem ganzen Wandel Christi hervorleuchtete, so ist er auch ein wesentliches Element in dem Gläubigen. Er ist der wichtigste Prüfstein des neuen Lebens hier auf der Erde. „ Und hieran wissen wir, dass wir ihn erkannt haben, wenn wir seine Gebote halten.“
Es geht bei diesem Gehorsam ist nicht um Predigteifer, wie er sich heutzutage oft zeigt. Manche möchten sich, sobald sie bekehrt sind, als Prediger betätigen, auch wenn es sich noch fast um Kinder handelt. Es geht auch nicht darum, eine so genannte „Gabe des Gebets“ zu entwickeln, die sich besonders in der Öffentlichkeit zeigt. Bei genauerer Betrachtung kann manchmal festgestellt werden, dass es sich hierbei lediglich um eine fließende Wiederholung von Bitten für Bedürfnisse und Mängel innerhalb der ganzen Christenheit handelt. Wie dem auch sei, die offenbarten Gedanken Gottes gehen ganz andere Wege. Wir wissen, dass besonders der Dienst der Verkündigung ein Fallstrick für die menschliche Eitelkeit sein kann. Es scheint ein Dienst zu sein, der von vielen begehrt wird, doch ist bei manchen wohl der Wunsch, leider aber nicht die nötige Kraft zu diesem Dienst vorhanden. Wo diese Gabe wirklich vorhanden ist, sind Glaube und Liebe vereint in wunderbarer Weise tätig. Dazu muss aber auch die notwendige Grundlage vorhanden sein. Ausschlaggebend sollte stets die Liebe zu den Seelen und nicht der Drang zum Dienst sein. Auch muss im Herzen die göttlich bewirkte Erkenntnis davon sein, was wir in uns selbst sind sowie vor allem was Gott in Christus für die Verlorenen ist und sein will.
Der Apostel stellt den Gehorsam an den Anfang; er ist es, der Gott vor allem gebührt und sich für uns stets geziemt. Der Gehorsam ist eine durchaus persönliche Sache und sollte von uns überall und allezeit geübt werden. Er macht und erhält uns demütig, aber gleichzeitig standhaft. Er erfordert Abhängigkeit von Gott und bewahrt uns vor Eigenwillen und dem falschen Einfluss anderer. Es muss ein persönlicher Umgang mit Gott vorhanden sein, um dem Gehorsam wahren Wert zu verleihen und uns vor Selbsttäuschung zu schützen. Zunächst heißt es: „Wenn wir seine Gebote halten. „ Wir stehen hier vor einer bemerkenswerten Eigenart dieses Briefes. Sehr oft kann im Verlauf des Briefes nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob das Fürwort „Er“ auf Gott oder auf Christus hindeutet. Der Apostel wechselt öfters von Einem zum Anderen, weil seine Aussprüche für Beide wahr sind. Denn obwohl Christus Mensch wurde, hat Er niemals aufgehört, zugleich Gott zu sein. Wenn wir daher von „Gottes Geboten“ reden, so sind sie gleichzeitig auch diejenigen Christi. Häufig beginnt der Apostel direkt mit Christus und geht dann ebenso deutlich dazu über, von Gott zu sprechen. Christus ist ja Selber Gott, das Wort Gottes, der große Zeuge Gottes, der in Seiner Person die Gedanken Gottes in Tat und Wort kundgemacht hat. Der Heilige Geist, der in Christus stets wirkte, macht diese göttlichen Gedanken auch in dem Gläubigen lebendig und bewirkt in ihm diesen Gehorsam, damit er nicht seinen eigenen Gedanken Raum gibt oder gar nach seinem eigenen Willen handelt, sondern sich von Gott leiten lässt. Denn das ist die Aufgabe des Heiligen Geistes in dieser wie auch in jeder anderen Hinsicht.
So fängt also bei uns das Lernen wie bei neugeborenen Kindern im natürlichen Leben an. Sie haben zunächst noch wenig Verständnis, es ist aber äußerst wichtig, dass sie bereits lernen, gehorsam zu sein, ehe sie alles begreifen können. Die Unterweisung zum Gehorsam muss klar und einfach und ihrem kindlichen Verständnis angepasst sein. Man kann von einem Kind nicht erwarten, dass es einen abstrakten Grundsatz sofort begreift. Auch der Hinweis auf Vorbilder wird nicht immer den gewünschten Erfolg haben. Das Kind mag dann sehr bald entgegnen, das alles sei schön und gut für Vater und Mutter oder für diese und jene Person. Es ist aber etwas ganz anderes, wenn es seine eigene kleine Person betrifft.
So zeigt sich der Gehorsam zuerst in der einfachsten, ureigensten und notwendigsten Form, nämlich in der Unterwerfung unter die Gebote Gottes. Mit diesen Geboten sind nicht die Zehn Gebote des Gesetzes gemeint. Auf diese bezieht sich Johannes niemals, wenn er, wie hier, über Gebote spricht. Vielmehr stehen sie stets mit Christus in lebendiger Verbindung. Der Unterschied zwischen der Bürde, die das Gesetz auferlegte, und der Erprobung durch diese Gebote des Herrn ist, kurz gesagt, folgender: Das Gesetz bewies, was der Mensch in sich selbst ist; das Evangelium dagegen ist die Offenbarung dessen, was Gott in Christus ist. Der unter Gesetz stehende Mensch wurde auf die Probe gestellt, ob er bereit sei, seinen Eigenwillen aufzugeben und den Forderungen Gottes nachzukommen, um dadurch Leben zu empfangen. Das Leben wurde ihm unter der Bedingung verheißen, dass er gehorsam war, im Gegensatz zu dem, was Gott dem Glaubenden jetzt schenkt. Jetzt ist der Besitz des Lebens die Voraussetzung für den Gehorsam; das Leben ist in dem Gläubigen aufgrund seines Glaubens ebenso, wie es in Christus war, ehe Er in diese Welt kam. Er war als das ewige Leben bei dem Vater, und als Er Mensch wurde, änderte sich nichts an diesem ewigen Leben. Er wurde auf Erden nicht nur als göttliche Person offenbart, um als wahrer Gott und Gottes Sohn Seine Liebe zu offenbaren; Er war zugleich das ewige Leben, das denen, die durch die Sünde im Tode lagen, Leben brachte. Es ist also offensichtlich, dass die hier erwähnten Gebote dem uns gegebenen neuen Leben als Richtschnur dienen, anstatt ein moralischer Wertmaßstab zu sein, durch dessen Befolgung wir Leben empfangen. Sie werden durch das Leben in Christus, das der Gläubige durch die Gnade bereits empfangen hat, in die Tat umgesetzt. Die Art, wie sich dieser Gehorsam zunächst erweist, bezeichnen die Worte: „Wenn wir seine Gebote halten.“ In Seiner Gnade stellt Gott diese Dinge in autoritativer Weise vor unsere Seelen. Seine Kinder, gleichsam die Neugeborenen der Gnade, sollen den Ernst, die Wichtigkeit und Notwendigkeit Seiner Gebote empfinden. Er spricht daher in vielen Fällen mit großer Entschiedenheit, mit aller Klarheit und Autorität. Ist das nicht gut und richtig? Kann ein nüchtern denkendes Geschöpf sich vorstellen, dass Gott je anders als mit absoluter Autorität reden könnte oder dass Seine Autorität nicht hinter allem steht, was Er dem Menschen gebietet? Man denke nicht, dass sich die Gebote Gottes nur auf das erstrecken, was der Mensch tun soll. Sollte es in dem, was Er getan hat, nichts geben, was es zu glauben gilt? In 1. Johannes 3,23 wird uns geboten, an den Namen Seines Sohnes zu glauben. Das ist nicht weniger ein Gebot Gottes als das zur gegenseitigen Liebe untereinander. Gott gebietet also dem Menschen, dem Evangelium zu glauben, und den Gläubigen, einander zu lieben. Er stellt beides als ein Gebot auf. Damit zeigt Er uns, dass in allen Dingen Seine Autorität, nicht nur Seine Liebe, maßgebend ist und dass Er das Recht hat zu gebieten. Der Mensch aber hat ohne Frage Gott Gehorsam zu leisten.
Nehmen wir ein anderes Beispiel: Nach Apostelgeschichte 17,30 sagt der Apostel Paulus den Athenern, dass Gott jetzt allen Menschen überall gebietet, Buße zu tun. Das ist gleichbedeutend damit, dass man an Seinen Sohn Jesus Christus glaubt. Es geht nicht darum, dass Menschen wie einst in Ninive dem zeitlichen Verderben entrinnen, sondern dass Sünder vor dem ewigen Feuer der Hölle gerettet werden. Weder Jona noch die Einwohner von Ninive dachten daran, von dem ewigen Gericht errettet zu werden oder ewiges Leben zu empfangen, um sich der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne erfreuen zu können und ewig bei Christus in der Herrlichkeit zu sein. Wir aber haben jetzt Sein diesbezügliches ausdrückliches Gebot empfangen, und befinden sich unsere Seelen in der rechten Stellung, dann hat dieses Gebot für uns allergrößtes Gewicht. Gott zeigt dadurch, wie wertvoll wir Ihm sind. Welche Freude für eine Seele, die sich wegen ihrer Sünden in Staub und Asche gebeugt hat, im Glauben zu erkennen, dass Gott ernsthaft darum bemüht ist, sie freigebig aus der Fülle Seiner Gnade zu segnen! Zugleich ist es auch eine Frage, die Seine Majestät betrifft; Gott kann sie nicht preisgeben, um dem armseligen, hochmütigen Menschen entgegenzukommen. Wie völlig blind ist der Mensch im Blick auf sein ganzes Leben voller Sünde und Feindschaft gegen Gott, im Blick auf sein völliges Verderben durch den Eigenwillen, wenn er bei Gott die Schuld suchen will, bei dem Gott, der Seinen Sohn gab, um den verworfensten Sünder zu retten.
Wenn wir jemand lieben, so freuen wir uns, seine Wünsche zu erfüllen, auch wenn sie in die Form eines Gebotes gekleidet sein sollten. Ist es eine Autoritätsperson, so erhält ihr Wunsch selbst im Verkehr unter Menschen den Charakter eines Gebotes. wie viel mehr ist das bei Gott der Fall, der nie lügt oder betrügt, der Sich selbst gleichgültigen und aufsässigen Menschen gegenüber voller Güte, Erbarmen und Langmut erweist. Zudem ist es für die Seele von bleibendem, ewigem Segen, wenn wir Seine Gebote halten. Der Sünder, der sich sein Leben lang an das Böse gewöhnt hat, muss jetzt das Gute lernen. Wenn er wirklich vor Gott Buße getan und an den Herrn Jesus Christus geglaubt hat, bedeutet das eine völlige Änderung seines ganzen Lebens. Gott macht ihn dann in aller Klarheit und Entschiedenheit mit Seinem Willen und Seinen Gedanken bekannt. Diese liebevolle Sorgfalt Gottes macht den Eigenwillen und die Gleichgültigkeit des Menschen Seinen Geboten gegenüber umso verwerflicher, besonders wenn er sich dabei zu dem Herrn bekennt.
In Vers 5 gibt uns der Apostel einen etwas tieferen Einblick: „ Wer aber irgend sein Wort hält ...“. Das ist nicht das gleiche wie das Halten Seiner „Gebote“. Das erhöht (seiner Natur und seinem Ausmaß nach) den Gehorsam. Es setzt voraus, dass der Gläubige geistliche Fortschritte gemacht hat und dass sein geistliches Verständnis ebenso zugenommen hat wie seine feste Absicht, Gottes Wort in die Tat umzusetzen. Sein Gehorsam wird dabei nicht mehr nur durch ein „Gebot“ regiert, sondern durch „Sein Wort“. Dieses Wort muss nicht in ein bestimmtes Gebot gekleidet sein, es enthüllt aber der Seele, was Ihm wohl gefällt und was Er wertschätzt. Einer solchen von Grund auf gehorsamen Seele genügt schon eine Andeutung, um in einer bestimmten Sache treu zu sein, auch wenn Gott kein ausdrückliches Gebot zum Ausdruck gebracht hat.
Es ist erstaunlich und schmerzlich zugleich zu sehen, wie das gesetzlich eingestellte Herz in einer genau entgegen gesetzten Weise handelt. In der Christenheit (besonders unter den Baptisten) herrscht die Ansicht vor, die Taufe und das Abendmahl seien als Seine Gebote zu betrachten. Dabei handelt es sich hierbei um nichts Derartiges. Wo finden wir in der Schrift ein Gebot, getauft zu werden oder das Abendmahl zu nehmen? Ein Gebot hieraus zu machen, rückt diese Handlungen in ein ganz falsches Licht. Die christliche Taufe ist eine Gunst, die dem Gläubigen aufgrund der Autorität des Herrn Jesus erwiesen wird. Der Kämmerer fragte: „Was hindert mich getauft zu werden?“; und im Falle des Kornelius sagte Petrus: „Kann wohl jemand das Wasser verwehren ...?“ Es wäre eigenartig, so zu reden, wenn es sich bei der Taufe um ein Gebot handeln würde. Wer könnte es wagen, ein Gebot des Herrn verhindern oder verweigern zu wollen? In diesem Falle traten sofort die aus der Beschneidung auf und stritten heftig mit Petrus. Man kann in der Schrift keine Stelle finden, die das Getauftwerden als ein Gebot hinstellt. Wer sich mit der Taufe eines christlichen Bekenners befasst, wird ihn sicher entweder selber taufen oder ihn anweisen, sich von jemand taufen zu lassen. Doch das meinen die Baptisten nicht. Sie sprechen von einem direkten Gebot des Herrn Jesus an den Täufling, sich taufen zu lassen. Doch der Herr Jesus hat nichts dergleichen geboten. Es ist Seine Freude, der Seele die Taufe gemäß Seinem Wort als eine Gunst zu erweisen. Sie ist somit kein Gegenstand eines Gebotes, sei es im moralischen oder gesetzlichen Sinne des Wortes. Mit dem Abendmahl verhält es sich ebenso. Der Herr sagt: „Nehmet, esset!“ Macht diese Ausdrucksweise die Aufforderung des Herrn zu einem Gebot? Angenommen, ich läge im Sterben; ein lieber Freund besuchte mich an meinem Sterbebett und ich würde auf meine Bibel deutend sagen: „Nimm meine Bibel und behalte sie!“ Wenn jemand diesen Wunsch ein Gebot nennen wollte, müsste er wohl einfältig oder böswillig sein. Es ist kein Gebot, sondern der Ausdruck meiner Liebe zu meinem Freund. Zweifellos hat eine solche Bitte die Wirkung eines Gebotes, doch sie geht viel weiter und unterscheidet sich auch wesentlich davon. Sie spricht von den Zuneigungen des Herzens zu einem Menschen, den man bis zu seinem Abscheiden lange und innig geliebt hat und dessen man sich gern erinnert. Die Bitte kam von einem Sterbebett, sie wurde in dieser Gesinnung aufgenommen und muss auch so von jedem einsichtigen Menschen verstanden werden.
Ein Beispiel, das ich öfter gebraucht habe, wird das vielleicht noch klarer machen. Stellen wir uns eine ärmliche kleine Familie vor, die für ihren Unterhalt auf die tägliche Arbeit angewiesen ist. Das Familienhaupt, der Ernährer der Familie, muss jeden Morgen sehr früh zur Arbeit gehen. Ich bin mir darüber im Klaren, dass dies in unseren Tagen des Wohlstandes ein seltener Fall sein mag, doch hat es das früher jedenfalls gegeben. Nehmen wir also an, dass der Mann morgens sehr früh fort muss, um seine Fabrik oder seine sonstige Arbeitsstätte zu erreichen. Doch die Mutter des Hauses erkrankt plötzlich und muss nun zu Bett liegen. Die Frau, die morgens mit Freuden aufstand, um ihrem Mann das Frühstück und alles, was er tagsüber brauchte, zu bereiten, ist so krank, dass sie nicht einmal ansprechbar ist. Was ist in dieser plötzlich eingetretenen Notlage zu tun? Eine Tochter der Familie hat die missliche Lage sofort erfasst. Niemand hat ihr geboten, jetzt zu handeln, doch sie erkennt klar, was sie zu tun hat. Sie weiß, dass in den häuslichen Umständen eine Änderung eingetreten ist, und da die Mutter nicht imstande ist, den Haushalt zu führen, tut sie es. Sie hatte ihrer Mutter oft geholfen, und so ergreift sie jetzt die Initiative. Sie steht frühmorgens auf, macht das Feuer an, bereitet dem Vater heißen Kaffee oder Tee und versorgt ihn mit allem, was er für die Zeit seiner Abwesenheit braucht. Niemand hatte ihr ein diesbezügliches Gebot gegeben; und so dient dieses Beispiel als Illustration, was mit „Seinem Wort“ gemeint ist. Wie das Wort Gottes, ohne in eine Gebotsform gekleidet zu sein, Seinen Willen zum Ausdruck bringt, so kannte auch die Tochter des Hauses den Willen der Mutter, wenn diese ihn auch nicht ausdrücken konnte. Der Vater war durch die Krankheit seiner Frau so belastet, dass er sich kaum oder gar nicht seine Mahlzeiten hätte bereiten können; trotzdem musste er wie gewohnt zur Arbeit gehen. Sein Kind verstand das alles. Ohne viel Aufhebens zu machen, erledigte sie daher die Arbeit, die ihre Mutter sonst getan hätte. Hier wurde kein „Gebot“ befolgt; das Beispiel zeigt, was das „Halten Seines Wortes“ bedeutet.
Auf diese Weise wächst der Gläubige in der Erkenntnis Gottes und findet seine Freude daran, Ihm wohl zu gefallen. Er befolgt Sein Wort nicht nur, wenn es die Form eines Gebotes hat; dem gehorsamen Herzen genügt es zu wissen, was der gute Wille Gottes in jeder Sache ist, um ihn zu tun. Das bedeutet, weder eine äußere Anleitung für das Gewissen noch Rat in sich selber zu suchen. Nein, ich bin dazu berufen, Gott durch das Halten Seines Wortes unterworfen zu sein. Ich bin verpflichtet, den Willen Gottes zu tun, der jetzt in dem geschriebenen Wort der Heiligen Schrift niedergelegt ist. Sie ist sowohl zu unserer Zurechtweisung als auch zu unserem Trost geschrieben. So befahl der Apostel Paulus diejenigen, die sein Angesicht nicht mehr sehen sollten, Gott und dem Wort Seiner Gnade an. Ist es uns darum zu tun, dass alle Gläubigen dem Willen Gottes gehorsam sind, dann Lasst uns zusehen, dass wir damit in aller Demut bei uns selber anfangen. Alles dazu Erforderliche ist in Seinem Wort klar enthalten, und die beste Art, es auf die rechte Weise zu lesen, ist Christus Selbst darin zu betrachten; Er ist in der ganzen Schrift der hervorragende Gegenstand Gottes. Dabei ist nicht nur das wichtig, was Christus sagte, obwohl es gewaltig ist; auch nicht, was Er gebot, obwohl es von höchstem Wert ist; sondern die Offenbarung Seiner Selbst in jedem Augenblick Seines irdischen Wandels. Da finden wir Ihn z. B. schon in aller Frühe, ehe es Tag wurde, im Gebet zu Gott. Hat das dir und mir nichts zu sagen? Betrachte Ihn, wie Er die ganze Nacht hindurch im Gebet vor Gott verweilte, wenn Er am folgenden Tag eine wichtige Entscheidung treffen musste. Das sollte doch ganz bestimmt zu unseren Herzen reden. Wir dürfen und sollen nicht denken, dass wir es dem Herrn darin gleichtun können; aber wer wollte leugnen, dass Er uns damit ein Beispiel hinterließ? Ein Beispiel ist kein Gebot, dennoch soll es machtvoll auf die Seele einwirken, um ihre Aufmerksamkeit und Bereitwilligkeit zum Gehorsam zu wecken.
Daher schreibt Johannes: „ Wer da sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, ist ein Lügner, und in diesem ist die Wahrheit nicht“ (V. 4). Bei einem solchen fehlt der Geist des Gehorsams gänzlich. Er hält nicht nur Sein Wort nicht, sondern noch nicht einmal Seine Gebote. Er setzt sich kalt über seine Pflichten hinweg und schiebt die Anordnungen Gottes beiseite, nicht nur die des Alten Testaments, sondern auch die des Neuen Testaments, die dem Christen insbesondere auferlegt sind. An diesen neuen Geboten kann nämlich zuallererst gemessen werden, ob das christliche Bekenntnis eines Menschen echt ist. Wenn er kein Interesse für das Halten der göttlichen Gebote hat, dann brauchen wir nicht weiter zu forschen, wie er Christus und dem Neuen Testament als Ganzes gegenübersteht.
Vers 5 zeigt uns indessen das gerade Gegenteil: „Wer aber irgend sein Wort hält, in diesem ist wahrhaftig die Liebe Gottes vollendet.“ Hier offenbart sich eine Gesinnung der Aufmerksamkeit dem ganzen Wort Gottes, allen Seinen Gedanken gegenüber, und sie werden auch ausgeführt, weil der Betreffende Gottes Wort liebt. Sein Herz liefert den Beweis dafür, dass er gehorsam ist, indem er nicht nur Gottes Gebote, sondern auch Sein Wort hält. Das Wort ist der Seele kostbar und wird nicht nur als autoritativ und machtvoll empfunden. Er untersucht das ganze Wort Gottes mit Freuden und zieht Segen daraus; und wo dies der Fall ist, da sagt Johannes ohne Zögern, dass die Liebe Gottes in einem solchen Menschen vollendet ist.
Das bietet erneut Gelegenheit, auf die besondere Art des Apostels hinzuweisen, die nicht nur in diesem Brief, sondern in allen seinen Schriften zu finden ist. Er betrachtet die Dinge nach den offenbarten göttlichen Grundsätzen, ohne sich mit den Hindernissen und dem Versagen zu beschäftigen, die sich aus dem Zustand und Verhalten des Menschen ergeben. Er behandelt nicht die Verfehlungen, die eine Folge unserer Gleichgültigkeit sind. Der Apostel hat den wahren Christen vor Augen und betrachtet ihn als einen, der Gottes Gedanken ausführt. Daher schwächt er diese Grundsätze nicht ab oder entkräftet sie durch die Einbeziehung von Schattenseiten einerseits oder Warnungen andererseits. Er stellt einfach das vor unseren Blick, was Gott wohlgefällig ist und sich für Sein Kind geziemt, und das bedeutet selbst für den jüngsten Gläubigen, „Seine Gebote zu halten“. Für diejenigen, die nicht mehr am Anfang stehen, sondern geistliche Erfahrungen gesammelt haben, gilt es, nicht nur Seine Gebote, sondern „Sein Wort“ im allgemeinen zu halten, d. h. das, was im umfassendsten Sinne Seinen Willen kundtut.
Daher lesen wir, wenn wir noch einmal unseren Herrn anschauen wollen: „Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun. „ Er sagt nicht: „Dein Gesetz“ oder „Dein Gebot“, obwohl Er stets Sein Gesetz hielt und Sein Gebot ausführte; Er ehrte und rechtfertigte Gottes Gesetz und gab ihm eine Tragweite, wie niemand zuvor es getan hatte. Er sagt aber auch noch: „In der Rolle des Buches steht von mir geschrieben. „ Es war die Rolle des Buches, die nur der Vater, der Sohn und der Heilige Geist kannten (Gott benützt hier bildliche Ausdrücke, die dem Menschen geläufig sind). Es waren die Gedanken Gottes, verborgen in Seinem Ratschluss, die später im Buch der Psalmen niedergeschrieben wurden. Was von der Rolle des Buches gesagt wird, steht eigentlich im Gegensatz zum Gesetz und seinen Anordnungen; aber dieser Ratschluss war von Ewigkeit her vorhanden. Und als Er kam und Mensch wurde, war der Zweck Seines Kommens, den Willen Gottes zu tun. Dieser Wille ging weit über das hinaus, was die Menschen unter den Zehn Geboten oder dem Gesetz verstanden. In diesem Willen tat sich eine unaussprechliche Gnade kund. Der Herr tat nicht nur den Willen Gottes, Er erduldete ihn auch; denn Er war ihm gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Wann forderte oder erwartete das Gesetz von einem Gerechten jemals solch ein Opfer? Enthielt etwa das Gesetz den Gedanken, dass der Heilige Gottes für die Ungerechten sterben würde? Nein, aber gerade das war der Wille Gottes, und der Herr kannte ihn schon vor aller Zeit. Irdische Schlachtopfer und Darbringungen kamen für die Erlösung nicht in Betracht. Gott sagt, dass diese die Hinzunahenden niemals vollkommen machen können. Das Blut von Stieren, Schafen oder Ziegen kann unmöglich Sünden hinweg nehmen, ein Entrinnen vom Feuersee bewirken oder einen Sünder vor dem Gericht Gottes retten. Kein Ritual vermag einen bösen Menschen in einen guten zu verwandeln oder zu bewirken, dass er ohne Flecken, „weiß wie Schnee“, vor Gott stehen kann. Wo ist dann Rettung zu finden? Der Herr sagt: „In der Rolle des Buches steht von mir geschrieben. „ So nahm Er das Erste, das Gesetz, hinweg und richtete das Zweite auf, und das war der Wille Gottes. Dieser besteht darin, in unendlicher Gnade, durch den Tod des Herrn Jesus, den schlimmsten Sünder zu retten. Beweist das nicht, welch eine wunderbare Kraft in dem liegt, was Gott in Seinem Worte mitteilt? Gott verfolgte Seinen Ratschluss mit aller Beharrlichkeit, und der Herr kannte ihn bereits von Ewigkeit her. Als dann die Fülle der Zeit gekommen war, kam Er, um Gottes Willen zu tun, doch bei der Ausführung dieses Willens litt Er bis zum Äußersten. Kein noch so großes Werk der Macht Gottes wäre dafür ausreichend gewesen. Er war bereit, von Gott zur Sünde gemacht zu werden und alle sich daraus ergebenden Folgen zu tragen. Er war bereit, Gott im Blick auf die Sünde zu verherrlichen und zu bewirken, dass Gott gerecht sein und doch volle Sündenvergebung gewähren kann, ja uns rechtfertigen und verherrlichen kann. Christus musste für die Sünde unter der heiligen Hand Gottes leiden, die das Schwert gegen die Sünde trug und die Strafe vollzog, die die Sünde verdient hatte. Doch Er ertrug sie in vollkommener Unterwürfigkeit, was sie Ihn auch kosten mochte. Das zeigt den völligen Gegensatz zwischen Gesetz und Gnade.
Für den Gläubigen gilt diesbezüglich derselbe Grundsatz wie für Christus, jedoch natürlich mit der Ausnahme, dass Er Gott ist und das Sühnungswerk für uns vollbracht hat. Wir besitzen bereits das Leben, ehe wir in die Praxis des Glaubenspfades eintreten, so wie der Herr von Ewigkeit her das Leben in Sich hatte. Wir handeln also, weil wir Leben bereits haben, und nicht, wie der Mensch unter Gesetz, um das Leben zu erwerben. Der Wandel des Christen ist die praktische Entfaltung des neuen Lebens. Dies ist für jeden unmöglich, der kein neues Leben besitzt. Und nur wer den Glaubensblick auf den Herrn Jesus gerichtet hält und dadurch dieses Leben besitzt, ist zu einem solchen Wandel fähig. Andernfalls ist das Auge nicht mehr einfältig; es wird mit allen möglichen Dingen beschäftigt sein, so dass der Wandel nicht mehr im Licht geführt wird. Der Herr sagte in Matthäus 6,22: „Wenn nun dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein“; und nur Er vermag das Auge einfältig zu machen.
Das wird uns in diesem 5. Vers deutlich gezeigt. Doch der Apostel geht noch weiter: „Hieran wissen wir, dass wir in ihm sind“; er sagt nicht nur: „... dass wir Ihn kennen.“ Welch ein Vorrecht spricht daraus, zu dem wir Zugang haben!
Auf diese Weise ermuntert Gott diejenigen, die in ihrem Geist wahrhaft gehorsam sind. Sie kennen Ihn nicht nur, sie wissen auch, dass sie in Ihm sind. Welch ein gesegnetes Vorrecht für einen Gläubigen ist die Zusicherung, dass er in Christus ist! Er ist der Unendliche, wir die Endlichen und Schwachen, jedoch durch Seine Gnade Gesegneten. Hier zeigt es sich, dass das Leben ganz von Gott und Seinem Sohne abhängig ist. Der Geist Gottes stärkt in uns das Verlangen nach dieser Abhängigkeit und benutzt das Wort, um uns in dieser Haltung zu befestigen. Und was sagt uns das Wort? Es enthüllt uns, dass Gott Seine Freude daran hat, den gehorsamen Gläubigen die Versicherung und das Wissen zu geben, dass sie in Ihm sind. Wie glücklich macht es uns doch zu wissen, was Er für uns ist und für uns war. Welch einen Trost und welche Kraft verleiht uns das, wo wir doch unsere eigene Schwachheit fühlen!
Wenn wir diese Stelle mit Johannes 14,20 vergleichen, dann finden wir, dass es ein Bestandteil des Reichtums der christlichen Segnungen ist, in Christus zu sein. Der Herr versicherte Seinen Jüngern bei jener Gelegenheit, dass sie dieses Vorrecht an dem Tage empfangen würden, an dem ihnen der Heilige Geist gegeben werden sollte, um in ihnen und bei ihnen zu bleiben, nachdem der Herr zum Vater aufgefahren war. „An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin, und ihr in mir und ich in euch. „ Da ist zum ersten Mal von der herrlichen Stellung des auferstandenen Herrn die Rede, die Er mit vollem Recht in Seinem Vater einnimmt. Es ist nicht verwunderlich, dass Er als der eingeborene Sohn im Vater ist, denn das war von jeher Seine Ihm eigene Stellung in der Gottheit. Aber jetzt wurde den Jüngern erstmals enthüllt, dass Er diese Stellung als der auferstandene Mensch, der Er war und stets bleiben wird, einnimmt. Es ist Sein Platz seit Seiner Auffahrt, der dem erhöhten Herrn gerechterweise als Auszeichnung gegeben wurde, nachdem die Welt Ihn verworfen hat (vgl. Joh 16,10). Durch Glauben wissen wir, in Seinem Namen von dem Geist des Vaters unterwiesen, dass Er dort in Seinem Vater ist. Diese Stellung übersteigt weit diejenige, die Er als der Messias auf dem Thron David oder selbst als Sohn des Menschen im künftigen Reich als Herrscher über die Nationen der Erde einnehmen wird. Es ist Seine Stellung, und dies ist nur möglich, weil Er als göttliche Person eins mit dem Vater ist. Doch Er ist dort als auferstandener Mensch, der das Erlösungswerk vollbracht hat. Das verleiht dem Christentum seine einzigartige Größe.
Nachdem der Herr Seinen Jüngern gezeigt hatte, dass Er in dem Vater ist, sollten sie auch wissen, dass sie in Ihm waren. Das heißt, dass sie aufgrund Seines Todes und Seiner Auferstehung nicht nur Teil der Frucht waren, die das Weizenkorn dadurch hervorbrachte, dass es in die Erde gefallen und gestorben war. Sie sollten vielmehr eine vertraute und himmlische Stellung in Ihm einnehmen, soweit das für ein Geschöpf möglich ist; nicht nur das Auferstehungsleben, sondern den Platz sicherer Nähe in Ihm, den. wir jetzt schon kennen, während wir noch auf der Erde sind. Auch sollten sie von dem Wissen erfüllt sein, dass Christus in ihnen ist. Diese Wahrheit kennzeichnet den Kolosserbrief (Kap. 1,27). dass die Gläubigen in Christus sind, ist das Merkmal des Epheserbriefes (Kap. 1,3; 2,6.10 usw.). Beide Apostel behandeln diese Wahrheit mit dem Unterschied, dass Johannes sie auf den einzelnen Gläubigen anwendet, während Paulus sie mit der Einheit des Leibes Christi, der Versammlung, in Verbindung bringt. Es ist das Teil, das jeder wahre Christ besitzt. Die Unkenntnis, die darüber in der Christenheit herrscht, ist nur ein Beweis ihres bedauerlichen Unglaubens. Dieser hindert manchen Gläubigen unserer Zeit, die volle Wahrheit zu erfassen, und das war sicher bereits seit dem Tode des Apostels der Fall. Er weist hier darauf hin, dass es nötig ist, das Wort Christi zu halten und in der Liebe Gottes vollendet zu sein, denn davon hängt die Verwirklichung dieser Wahrheit ab. Das ist nicht mehr, als sich für jeden Gläubigen geziemt; wo es daran mangelt, wird der Heilige Geist Gottes betrübt, durch welchen wir versiegelt worden sind auf den Tag der Erlösung, d. h. der Erlösung unseres Leibes. Der Mangel an Glauben und Treue macht das geistliche Auge blind für unsere höchsten Vorrechte.
„Wer da sagt, dass er in ihm bleibe ...“. Der Apostel nennt hier einen weiteren Punkt, mit dem vielleicht jemand unberechtigt prahlen könnte. Er geht aber auf ganz andere Weise darauf ein als in dem Fall des gleichgültigen Verächters der Autorität Gottes. Einen solchen hatte er einen Lügner genannt und gesagt, dass die Wahrheit nicht in ihm sei. Damit hatte er ihn als einen gebrandmarkt, der in Wirklichkeit nichts von Gott empfangen hatte. Geht es aber um das Bekenntnis, in Ihm zu bleiben, dann fällt die Beurteilung weniger scharf, jedoch durchaus zwingend aus. Behauptest du, in Ihm zu bleiben? Dann bist du schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat. Hier geht es nicht darum, dass jemand behauptet, er habe keine Sünde. Wenn wir sagen, dass wir in Christus bleiben, wird sich dieses Bleiben in Ihm unmittelbar und kraftvoll auf den Wandel auswirken, denn dieser Wandel ist der Ausdruck eines Lebens im Lichte Gottes. Wenn ich wirklich in Ihm bleibe, der Leben und Licht ist, was kann mich dann daran hindern, so zu wandeln, wie Christus auch wandelte? In Seiner Gegenwart sündigen wir nicht; sind wir uns ihrer nicht bewusst, dann fallen wir in Sünde. Durch die Gnade gilt der gleiche Grundsatz für unseren Wandel, obwohl es eine Anmaßung wäre, zu behaupten, dass unser Wandel dem Seinen gleich sei. Wichtig ist, dass nicht das Gesetz, sondern Christus der Maßstab für unseren Wandel ist.
Nun wissen wir aber, wie leicht wir zu Fall kommen, wie schnell wir für kurze Augenblicke den Herrn vergessen, wie sehr wir geneigt sind, unsere eigene Natur wirken zu lassen. Wir sind dann nicht in Ihm geblieben. Der Apostel spricht jedoch nicht von solchen einschränkenden Behinderungen. Er hat den Grundsatz vor Augen, und ein Grundsatz hat einen absoluten Charakter. Jeder, der sich weigert, diese absolute Wahrheit anzuerkennen, weil sich der Mensch bald so, bald so verhält, gibt den Glauben zugunsten von Gefühlen und Empfindungen preis. Wie kann man dann die Wahrheit Christi an dieser und an anderen Stellen der Schrift überhaupt verstehen? Alles muss in seiner Absolutheit ergriffen werden, sowohl die Person Christi und Sein Werk wie auch die Gnade, wenn der Sünder den vollen Segen daraus ziehen soll. Wenn Gott mich rechtfertigt, dann gibt Er mir keine unvollkommene Rechtfertigung. Wenn Er den Gottlosen rechtfertigt, dann tut Er das ebenso absolut, wie wenn Er das ewige Leben in Christus schenkt. Der Gläubige hat das ewige Leben empfangen, um gehorsam zu sein und sich der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne erfreuen zu können. Daher lesen wir hier: „Wer da sagt, dass er in ihm bleibe, ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat. „ Es geht hier um jemand, der lediglich den Anspruch erhebt, in Ihm zu bleiben; daher soll dieses Wort auf sein Gewissen einwirken. Es geht hier nicht um die Glückseligkeit zu wissen, dass man in Ihm ist, sondern um das Bekenntnis, dass man Ihn zur Ruhestatt für die Seele gemacht hat, in der man in Freud und Leid, in jeder Gefahr und Schwierigkeit geborgen ist. Denn das heißt, in Ihm zu bleiben. Wenn dies wirklich der Fall bei mir ist, dann soll ich auch so wandeln, wie Er gewandelt hat. Wandeln wir wirklich so, in Tat und Wahrheit? Unser mangelhafter Wandel beweist, wie wenig wir tatsächlich in Ihm bleiben. Als Gläubige bekennen wir uns aber dazu, dass Christus unser wahrer Maßstab ist, wie sehr uns das auch demütigen mag. Wir maßen uns nicht an, jemals auf der erhabenen Höhe wandeln zu können, auf der Christus gewandelt ist, doch trachten wir durch die Gnade danach, Seine Nachahmer zu sein.