Was von Anfang war
Eine Auslegung der Johannesbriefe
1.Johannes 1,5-10
Wir haben bereits gesehen, dass uns die ersten Verse die Offenbarung Gottes, und zwar hier insbesondere die des Vaters in Seinem Sohne, dem Menschen Christus Jesus, dem Wort des Lebens, vor Augen stellen. Mit besonderer Sorgfalt wird die überragende Bedeutung der Tatsache festgestellt, dass in Seiner Person Sein unumschränkt anerkanntes Gott-Sein mit wahrem Mensch-Sein vereint wurde. Nur so konnte Seine Gnade offenbart und die notwendige, vollständige Grundlage für alles gelegt werden, dessen wir uns nun in Christus rühmen können. Das ist wahres Christentum von seiner positiven Seite aus gesehen. Denn wir haben bisher noch nicht die Notwendigkeit erwähnt, dass Er unsere Sünden tragen und Gott unseretwegen die Sünde im Fleische verurteilen musste. Die Gegenüberstellung dieser beiden Seiten sollte uns beeindrucken.
Wohl jeder Christ würde, wenn er etwas über das Christentum schreiben wollte, als Ausgangspunkt den schuldigen und verlorenen Sünder nehmen. Wie unermesslich segensreicher ist es aber, mit Christus in der Fülle Seiner Gnade zu beginnen, wie es der Geist Gottes hier tut! Seine Absicht ist hier nicht, verlorenen Sündern zu zeigen, wie sie in Gottes Augen gerechtfertigt werden können. Der Brief richtet sich an die Kinder Gottes, auf dass ihre Freude völlig werde. Und welche Freude könnte größer sein als diejenige, die Gott uns in Christus bereitet hat? Christus wird in diesem außergewöhnlichen Schriftteil ganz deutlich als die Offenbarung des ewigen Lebens dargestellt. Er wird „das ewige Leben, welches bei dem Vater war“ genannt und vorher „das Wort des Lebens“, weil Er es den Seinigen darstellte und mitteilte, damit auch sie in Ihm Leben hätten.
Das ist die Grundlage für das wunderbare Vorrecht, von welchem hier die Rede ist: „ Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohne Jesus Christus.“ Diese Gemeinschaft kann nur verwirklicht werden, wenn wir Christus als unser Leben besitzen. Von solch großer Wichtigkeit ist also der gegenwärtige Besitz des ewigen Lebens durch den Glauben! Dieses Leben befindet sich ohne Frage in Christus, aber es ist das Leben, das uns jetzt bereits zuteil geworden ist. Wer diese Wahrheit leugnen oder auch nur abschwächen wollte, würde der Wirksamkeit des Feindes auf versteckte, aber wirksame Weise Vorschub leisten.
Doch die Gnade, diese Quelle unserer Freude, ist noch nicht alles. Wir dürfen niemals die Tatsache aus dem Auge verlieren, dass unser Vater zugleich Gott ist, und dass, wenn auch die Gnade überströmend ist, die Wahrheit über Sein Wesen, über Seine Heiligkeit unmittelbare Auswirkungen auf unsere Seele hat. Was sind wir denn in uns selbst? Höchstens ein tönendes Erz oder eine schallende Zimbel! Diese „Botschaft“ kann nicht von der „Offenbarung“ Gottes im Menschen in der Person Christi getrennt werden, die uns in die Gemeinschaft mit dem Vater und mit Seinem Sohne versetzt. Zweifellos können wir weder die aus dieser Gemeinschaft hervorströmende Freude noch auch das ewige Leben, das ihre Grundlage bildet, besitzen, ohne an der Natur Gottes in sittlicher Hinsicht teilzuhaben. Die Gnade und die Wahrheit sind durch Christus geworden. Die Wahrheit ist, dass Er ein Gott ist, der Seinen Abscheu gegenüber der Sünde bezeugt, und dies jetzt, da Er von uns als Vater gekannt ist, in unvergleichlich stärkerem Maße, als da Er von Seinem irdischen Volk als Jehova angebetet wurde.
Einst wohnte Gott in dichter Finsternis. Schon damals offenbarte Er Seine Güte, Seine Gerechtigkeit, Seine Macht in Seinen Regierungswegen, Seine Barmherzigkeit und Langmut. Er gab Verheißungen des Segens und herrliche Hoffnungen, die Er auch gewisslich erfüllen wird, wenn die Zeit gekommen ist. Denn Jehova ist der ewige Gott Israels, der die den Vätern gegebenen Verheißungen an den Kindern erfüllen wird. Aber ehe dieser Tag auf der Erde anbricht, ja sogar ehe das Christentum kommen konnte, musste sich die vollständige Verderbtheit der Juden und der ganzen Welt, die beide Christus verworfen haben, zeigen. Was könnte ein deutlicherer Beweis dieses Verderbens sein als die Tatsache, dass Juden und Nationen gemeinsam den Herrn Jesus ermordet haben? Der Mensch tat damit Gott, der in der Person Christi gegenwärtig war, aus Seiner eigenen Welt hinaus. Er bewies dabei seinen tiefsten Hass und seine Verachtung, indem er ihm ins Angesicht spie und Ihn an das Kreuz nagelte. Das war das Wesen dieser Welt, der Welt von ihrer besten Seite aus betrachtet! Nicht in erster Linie das Wesen Roms oder Babylons, der „goldenen Stadt“ der Chaldäer, sondern das Jerusalems. „Jerusalem, Jerusalem, die da tötet die Propheten“, nun hast du deinen eigenen Messias, den Gesalbten Jehovas, gekreuzigt!
Damit hatte der Mensch den überwältigenden Beweis erbracht, dass in ihm nichts Gutes wohnt. Gerade das Volk, das die höchsten religiösen Vorrechte des natürlichen Menschen besaß, hat diese durch seinen Unglauben in das Gegenteil verkehrt und damit die größte Schuld auf sich geladen. Trotz dieser Tatsache sollte nun aber allen Nationen im Namen Jesu Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden, „anfangend von Jerusalem“. Wie unergründlich ist doch Gottes Gnade gegenüber denen, die nur das schwerste Gericht verdient hatten! Seine Gnade beschränkt sich nicht auf die engen Grenzen Israels, sondern ergießt sich nun nach allen Seiten zu jeder Nation, jedem Land und jeder Sprache. Gott will Seine himmlische Wohnung mit Gästen füllen auf der Grundlage des ewigen Lebens, das von nun an verkündet werden sollte. Das ewige Leben war in der Person Jesu auf der Erde gegenwärtig gewesen, aber wie wenige hatten es erkannt! Selbst diejenigen, die es kannten, erkannten es nur in sehr unvollkommenem Maße. Nun aber, da der Verfall der Versammlung in jeder Hinsicht schon zutage trat (wenn der Verfall auch noch nicht in der großen Weise wie heute, sondern auf eine verdeckte, aber unleugbare Art sichtbar war), wurde das ewige Leben klar und deutlich verkündet. Schon zeigte das Böse seine schlimmsten Triebe. Alles, was sich später an Bösem entwickelte, war im Keim bereits vorhanden, ehe die Apostel entschliefen. Aus diesem Grunde wurde dieser segensreiche Brief des Johannes geschrieben, um die Herzen aller Treuen in der Gnade und der Wahrheit zu befestigen. Sie sollten die Gewissheit haben, dass Christus unverändert und unveränderlich Derselbe bleibt, wie groß auch das Versagen gegenüber der Verantwortung war und wie schnell auch der Niedergang einsetzen mochte. Er, der „von Anfang war“, wird den Glauben nie beschämen; groß aber wird die Schande derer sein, die Seinen Namen verunehren, sowie das Verderben der Abtrünnigen. Denn es ist eine ernste und gefährliche Sache, die Person Christi leichtfertig zu behandeln. Wie traurig, wenn ein Christ so gleichgültig sein oder sich so irreführen lassen kann, dass er derartigem Bösen Vorschub leistet!
Mit der Offenbarung der vollkommenen Gnade ist die Botschaft der Heiligkeit untrennbar verbunden. Beide zusammen entsprechen dem Charakter Gottes und sind notwendig für die Gläubigen. Wie lautet die Botschaft? „ Und dies ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben“ – nämlich von Christus selbst, nicht „über (peri) ihn“, sondern „von (apo) Ihm“ – „und euch verkündigen (eigentlich: berichten): dass Gott Licht ist und gar keine Finsternis in ihm ist. „ Wie wir sehen, ist diese Botschaft etwas anderes als die Offenbarung, bei der es sich um das „Wort des Lebens“, die unvermischte Gnade Gottes in Christus, handelt. Hier heißt es nicht „betreffend (das Wort des Lebens)“, sondern „von Ihm“; es ist nicht eine Offenbarung Seiner Liebe, sondern eine Botschaft, die sich gegen die Sünde wendet.
Übrigens begegnen wir hier zum ersten Mal der Gewohnheit des Apostels, in einem Fürwort Gott mit der Person Christi, der ja ebenfalls Gott ist, zu verbinden. Nachdem er erst von Christus gesprochen hat, erwähnt er dann die Botschaft von „Ihm“. Damit deutet er eigentlich auf Gott hin, obwohl er vorher gerade von Christus gesprochen hatte. Solch ein plötzlicher Wechsel bringt viele Ausleger in Verwirrung. Es handelt sich aber um keinen Makel im Stil, sondern um eine besondere Schönheit des Wortes Gottes.
Diese Botschaft bringt Gott in Seinem Charakter als Licht (das ja ebenfalls in Christus offenbart war) in Beziehung zu unserer Stellung und unserem Zustand. Es ist nur begreiflich, wenn die heidnischen Griechen „Chaos“ zum Erzeuger von „Erebos“ (Finsternis, Unterwelt) und „Nyx“ (Nacht) machten. Viele ihrer Götter wurden in ihrem Wesen durch Finsternis gekennzeichnet. Moralische Finsternis charakterisierte sie alle. Es waren Gottheiten des Düsteren, der Lust und der Lüge. Aber wie anders ist unser Gott! In Ihm ist „gar keine Finsternis“. Dieses klar zu bezeugen in Wesen, Grundsatz und Wirklichkeit ist ein besonderes Vorrecht des Christentums. Selbst im Judentum war diese Eigenschaft Gottes nur zum Teil offenbart, denn Gott wohnte im undurchdringlichen Dunkel. Jedem Menschen, der sich anmaßte, Ihm zu nahen oder auf irgendeine Weise Sein Gesetz zu brechen, wurde der Tod angedroht. Doch hat das Gesetz nichts zur Vollendung gebracht (Heb 7,19). Wir dürfen heute ohne Einschränkung sagen, dass Gott Licht ist. Er hat Seine Liebe vollkommen unter Beweis gestellt. Was könnte mit Seiner in Christus offenbarten Gnade, die wir in den vorigen Versen gesehen haben, verglichen werden? Gott ist aber auch Licht. Wir alle wissen, wie man sich an den Ausspruch gewöhnt hat, dass Gott Liebe ist. Ja, man geht sogar soweit zu behaupten, dass die Liebe Gott ist. Aber wie selten hören wir die Botschaft, dass Gott auch Licht ist! Der Mensch machte auf dem Gipfel seiner Torheit aus Gott ein bloßes Idol. Wenn es wahr ist, dass Gott Liebe ist, dann ist Er aber viel mehr als nur Liebe. „Licht“ ist wie ein Wort in Flammenschrift, das die innewohnende absolute Reinheit des göttlichen Wesens zum Ausdruck bringt, während „Liebe“ von der unumschränkten Tätigkeit Gottes im Blick auf andere wie auch in Sich Selbst spricht. Nie muss bei Gott das Licht hinter der Liebe zurückstehen. Eine solche Annahme wäre tatsächlich ein großer Verlust für Seine Kinder. Dies ist aber ebenso unwahr wie unmöglich. Weil „Gott Licht ist und gar keine Finsternis in ihm ist“, kann Er keine Finsternis in den Seinigen dulden, die freien Zutritt zu Seiner Gegenwart und Gemeinschaft haben. Was könnte Christus und Seiner Lehre mehr entgegengesetzt sein? An anderer Stelle lesen wir, dass wir einst Finsternis waren, jetzt aber Kinder des Lichts sind. Johannes brauchte das nicht mehr zu erwähnen, da der Apostel Paulus diese Belehrung bereits niedergeschrieben hatte.
Aber was Johannes nun schreibt, ist ebenfalls von größter Bedeutung. Er berührt nämlich einige große Widersprüche innerhalb der Christenheit, die mit wahrem Christentum unvereinbar sind. In den Versen 6–10 heißt es dreimal „ Wenn wir sagen“, und dabei handelt es sich jedes Mal um äußerst wichtige Dinge. -„Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. „ Was kann in krasserem Widerspruch zum wahren Wesen des Christentums stehen? Man sagt etwas, ohne es auch zu tun. Eine solche Unaufrichtigkeit war schon unter dem Volke Israel schlimm genug. Wie traurig aber, wenn dies bei uns gefunden wird, die wir durch das Wort der Wahrheit wieder gezeugt sind und denen das Licht und die Liebe so vollkommen offenbart wurden!
„Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben ...“. In diesem und den nächsten beiden Fällen wird das Wort „wir“ in einem allgemeinen Sinn gebraucht, während es in vielen anderen Schriftstellen nur die Gläubigen einschließt. Wir können daraus lernen, wie falsch es ist, aus dem gelegentlichen Gebrauch eines Wortes in einem bestimmten Sinn eine feste Regel ableiten zu wollen. Wie ich selber feststellen konnte, halten viele es für eine selbstverständliche Tatsache, dass der Ausdruck „wir“ in der Schrift stets die Familie Gottes andeutet. Dies trifft zwar häufig, ja sogar gewöhnlich zu, aber eben doch nicht in allen Fällen. Mit den Worten „in ihm leben und weben und sind wir“ (Apg 17,28) meinte der Apostel Paulus sowohl die gesamte Menschheit wie auch die heidnischen Athener, zu denen er redete. Es ist ein göttlicher Grundsatz, nach dem Gott mit den Menschen entsprechend ihrem Bekenntnis handelt. Der Apostel Johannes zeigt hier das Abweichen von der Wahrheit, das bereits damals begann und sich heute durch die gesamte Christenheit hin ausbreitet. Im Christentum ist es viel leichter, ein bloßer Bekenner zu sein, als im Judentum. Man musste normalerweise ein Jude sein, um als ein solcher anerkannt zu werden, da es sich ja um äußerliche Merkmale handelte. Dagegen kann jemand, der kein wahrer Christ ist, den Schein, ein solcher zu sein, lange aufrechterhalten. Er kann sogar, ohne ein Betrüger zu sein, sich selbst betrügen, indem er meint, ein Christ zu sein. Die Botschaft des Apostels sollte daher gerade in dieser Situation ein Prüfstein für das sich ausbreitende christliche Bekenntnis sein. Da sie alle den Namen des Herrn bekannten, verwendet der Apostel weiterhin den Ausdruck „wir“, obwohl der Zustand von vielen die Echtheit ihres Bekenntnisses vor Gott äußerst fraglich erscheinen ließ.
Wir benötigen also zur rechten Auslegung des Wortes die Leitung des Heiligen Geistes. Ebenso wichtig ist es, ein Wort in seinem Zusammenhang zu sehen, denn dadurch wird die Bedeutung meistens schon von selbst klar. Das ist für unsere Seelen viel dienlicher und gereicht mehr zur Verherrlichung Gottes, als wenn dieses Wort fachgerecht definiert würde. Auch handelt Gott mit uns als mit Söhnen, denn wenn wir uns als Christen im rechten Zustand befinden, sind wir „Erwachsene“ geworden und haben Fortschritte gemacht. Wir sind dann keine „ABC-Schützen“ mehr, die gerade das Buchstabieren gelernt haben, sondern wir vermögen durch die Gnade das Wort mit Verständnis zu lesen, wenn wir in der Erkenntnis Gottes und Seiner Wege gewachsen sind. Gott sucht echten Fortschritt bei uns. Wie betrübend ist es daher, dass viele Christen ihr Leben lang bei den einfachsten Grundbegriffen stehen bleiben und sich mit der Hoffnung zufrieden geben, dass ihre Sünden vergeben sind oder doch einst vergeben werden!
Wenn eine Seele sich mit dem ersten Geschenk der Gnade Gottes, der Sündenvergebung, zufrieden gibt, besteht nur zu oft Anlass zu der Befürchtung, dass sie einer ernsten Selbsttäuschung unterliegt. Das Evangelium verkündet die Vergebung der Sünden, und der Glaube stützt sich auf Gottes Wort und nimmt sie an. Ruhen wir nun auf dem Erlösungswerk Christi, so empfangen wir ewiges Leben und die Gabe des Heiligen Geistes, der uns befähigt, die Liebe des Vaters zu genießen. Wenn wir aber Leben haben von dem Leben, welches Christus ist, wie sollte sich dann nicht ein Wachstum am inneren Menschen zeigen, das nicht nur in äußerlichem Dienst, sondern in der Gnade und der Erkenntnis unseres Herrn und Heilands Jesus Christus sichtbar wird? Alle neutestamentlichen Briefe späteren Datums machen auf diese ernste, Frage aufmerksam. Aber, soweit ich mir ein Urteil erlauben darf, beschäftigt sich keiner in so tiefgründiger Weise mit dieser Frage wie der Apostel Johannes, und zwar ganz besonders in dem uns vorliegenden Brief.
„Wenn wir sagen“ ... (wie oft machen wir nur leere Worte!) „wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben“, so kann das nur die Frucht der Annahme Christi und der Gabe des Lebens in Ihm sein. Das ewige Leben ist die Grundlage wahrer Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne. Der Genuss dieser Gemeinschaft führt notwendigerweise dazu, dass unsere Seelen die darin verborgene Kraft für unseren Wandel, unsere Anbetung und unseren Umgang mit dem lebendigen Gott als unserem Vater und mit Seinem Sohne erkennen und schätzen lernen. „Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben“, das bedeutet, dass wir durch die Gnade in das neue Verhältnis zu Gott eingetreten sind und Anteil an Seiner Natur, Seinen Gedanken und Seinen Zuneigungen haben. Das ist etwas unendlich Großes, und wir benötigen Seine Gnade, um sowohl im Licht als auch in der Liebe Gottes zu stehen. Es handelt sich hier um Gott, während in Verbindung mit der vollen Offenbarung der Gnade der Name des Vaters genannt wurde. – „ Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis“, so wäre das eine klare Widerlegung unserer Behauptung. Der Wandel in der Finsternis entspricht dem Tun des Weltmenschen; eine solche Beschreibung trifft auf jemand zu, der keine Wiedergeburt erlebt hat. Das geht beträchtlich weiter, als wenn jemand in Sünde oder in einen unglücklichen Seelenzustand geraten ist. So deuteten die Puritaner diese Stelle. Sie waren ganz gewiss gottesfürchtige, ehrenwerte Leute, aber leider in ihren Auffassungen sehr einseitig; das Alte Testament lag ihnen mehr als das Neue. Sie standen unter dem Gesetz, und das Gesetz trübt immer das geistliche Unterscheidungsvermögen. Nur die Gnade macht das Herz weit und lässt uns – unter der Leitung des Geistes – Gottes himmlische Ratschlüsse und Seine Wege mit der Erde verstehen. Den Puritanern fehlte dafür die Einsicht; sie gerieten in jene Selbstbeschäftigung, die unausbleiblich ist, wenn ein Gläubiger sich unter das Gesetz stellt. Die hier beschriebenen Menschen hatten sich nie im Lichte Gottes gerichtet. Sie waren wahrscheinlich getauft und so in die Gemeinschaft der Versammlung aufgenommen worden, ohne sich offensichtlich weitere Gedanken zu machen. Der Fehler lag nicht bei dem guten Samen, sondern bei dem unfruchtbaren Boden. Wenn auch das Wort sogleich mit Freuden aufgenommen wird, so sagt der Herr doch von solchen: „Er hat aber keine Wurzel“, weil keine göttliche Wirksamkeit im Gewissen stattgefunden hat. Solche Menschen glauben vielleicht eine Zeitlang auf menschliche Weise, aber sie fallen entweder in Zeiten der Versuchung ab, oder, falls sie länger mitgehen, sind sie doch lebendig tot. Weil sie aber den Namen des Herrn bekannt hatten, waren sie zur Vergebung der Sünden mit Wasser getauft worden und hatten sich den Christen beigesellt. War das nicht genug? Weitere Seelenübungen kannten sie nicht, und es konnte auch nichts weiteres Gutes über sie gesagt werden. Selbst in den Tagen des Johannes gab es also bereits solche, die in der Finsternis wandelten, aber trotzdem behaupteten, Gemeinschaft mit Gott zu haben – denn das ist ja wirklich das Teil des Christen. Das eigentliche Bekenntnis eines Christen hat jedoch zum Inhalt, dass wir von Sünden, vom alten Menschen und von der Macht Satans befreit sind; dass wir die Finsternis hinter uns gelassen haben und bereits hier in Sein wunderbares Licht berufen sind. In diesem Lichte wandeln wir. Diese nicht wiedergeborenen Menschen behaupteten ebenfalls, dass sie Gemeinschaft mit Gott hätten, aber „wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit“. Weder die Taufe noch die Teilnahme am Abendmahl können das Geringste daran ändern. Sie waren nie wirklich erwacht und hatten bezüglich ihrer Sünden keinerlei Begegnung mit Gott in der Person Christi gehabt. Ihre Buße war ebenso fleischlich wie ihr Glaube. Ihr Gewissen war nicht einmal vor Gott in Tätigkeit getreten, es fehlte ihnen jedes wahre Verlangen nach der Gnade Gottes, wie es durch den Glauben hervorgerufen wird. Jede Beziehung ist mit einer entsprechenden Verantwortung verbunden. Diese Bekenner, die keine Täter waren, standen nicht nur unter der Verantwortung jedes Menschen bezüglich Sünde, Tod und Gericht, sondern unter einer viel größeren, weil sie sich zum Namen des Herrn bekannt hatten. Durch ihren Wandel in der Finsternis leugneten sie tatsächlich ihre Verantwortung, Christus, den zweiten Menschen und letzten Adam, in Wandel und Wort zu bezeugen. Sie konnten keinerlei Gemeinschaft mit Gott haben, geschweige denn mit dem Vater und mit Seinem Sohn, was der höchste Ausdruck christlicher Gemeinschaft ist. Sie wandelten wirklich in der Finsternis, so als ob das Christentum nur ein Bekenntnis oder ein Dogma sei, das der menschliche Verstand auf natürliche, äußerliche Weise anerkennen und verstehen kann. Welch eine Blindheit gegenüber dem Worte Gottes! Finsternis ist unvereinbar mit ewigem Leben. Ewiges Leben heißt, dass wir den Vater, den allein wahren Gott, und Seinen Sohn, den Herrn Jesus Christus, den Er gesandt hat, erkennen. Wenn wir Ihn durch Gottes Unterweisung erkannt haben, so ist es allein göttliche Liebe, die uns in die Gemeinschaft mit beiden, mit dem Vater und mit dem Sohne, führt.
Hier jedoch waren Bekenner, die vorgaben, in dieser Gemeinschaft zu sein, die aber keine lebendigen Auswirkungen in ihrem täglichen Wandel, ihren Wegen und ihren Zielen auf Erden zeigten. Haben wir nicht schon viele so genannte Christen dieser Art gesehen? Und ist das nicht eine Tatsache, die ernst zum Gewissen eines jedes Namenchristen reden sollte? Hast du, lieber Leser, selber bereits eine gründliche Begegnung mit der Wahrheit gehabt? Wenn Gottes Gnade die Seele erfasst, dann nimmt diese die Wahrheit mit Freuden auf, ohne zweifelnde Fragen zu stellen und ohne vor den Kosten nach außen und nach innen zurückzuschrecken. Im Lichte wandeln bedeutet, von nun an in der Gegenwart Gottes, der sich völlig offenbart hat, zu wandeln; wir befinden uns jetzt ständig bei Ihm im Licht. Zwar können wir fallen, und wer wollte die Unbeständigkeit seines Wandels im Lichte leugnen? Aber das ist eine andere Sache. Es heißt hier nämlich nicht, wie es manchmal fälschlicherweise ausgelegt wird: „Wenn wir in Übereinstimmung mit dem Lichte wandeln.“ Das konnte nur von Einem in Vollkommenheit gesagt werden. Als man Ihn fragte: „Wer bist Du?“ konnte nur Er antworten: „Durchaus das, was Ich auch zu euch rede“ (Joh 8,25). Der Heiland, der Gottes Sohn und zugleich Mensch war, wandelte in völliger Übereinstimmung mit dem Licht. Er war ja selbst das Licht, das wahrhaftige Licht, das ewige Leben.
Doch auch wir, die Glaubenden, sind aus der Finsternis in jenes wunderbare Licht gebracht worden. Das darf bei jedem aufrichtigen Christen vorausgesetzt werden. Wenn wir nun in dieses Licht gebracht sind, wird Gott uns dann des Lichtes wieder berauben, wenn und weil wir versagen? Keinesfalls, denn wir wandeln darin und empfangen in Ihm das Licht des Lebens, um nicht in der Finsternis zu wandeln. Wenn wir nicht wachsam sind, können wir Dinge tun, die Seiner unwürdig sind. Wir können vorübergehend in falsche Grundsätze oder in ein falsches Verhalten hineingezogen werden. Aber nichts Derartiges kann uns dieses Licht nehmen und uns in die Finsternis zurückstoßen. Wer wirklich aus der Finsternis herausgeführt wurde, wandelt im Licht. Es kann nur der Genuss der Gemeinschaft eine Zeitlang verloren gehen und dann eine Wiederherstellung notwendig werden (auf welche Weise werden wir später sehen). Hier handelt es sich aber um bekennende Christen, die behaupteten, Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne, mit Gott Selbst, zu haben, und die doch, wie jeder Unbekehrte, unbekümmert in der Finsternis wandelten. Oberflächlich betrachtet, mochten zwar große Unterschiede bei ihnen bestanden haben. Einige mochten äußerlich sittsame und ehrbare Menschen gewesen sein, andere das gerade Gegenteil. Manche mochten behaupten, streng religiös zu sein, wie etwa der Pharisäer im Tempel, der die anderen Menschen, vor allem den Zöllner (oder Steuereinzieher), verachtete. Was dachte Gott aber von den beiden? Wie beurteilte der Herr sie? Hat uns das nicht auch heute noch etwas zu sagen? Wir mögen zwar keine „Zöllner“ sein, aber wir müssen im Glauben in das Heiligtum eintreten, wenn wir Gott nahen wollen. Denn ich glaube, dass für einen irdischen Tempel keinerlei Raum mehr vorhanden ist, nachdem der Herr hinaufgestiegen und uns der Zugang zum himmlischen Heiligtum geöffnet ist. Aber wir haben es mit dem gleichen Gott zu tun, der jetzt zwar völlig offenbart ist, was noch nicht der Fall sein konnte, ehe der Vorhang zerrissen wurde. Aber seit dem Tode Christi strahlen Seine Liebe und Sein Licht in vollkommener Weise aus zur Errettung der Seele, noch nicht zur Rettung der Welt oder des Volkes Israel, sondern des Christen. Hier aber waren Menschen, die sich Christen nannten und das hohe und heilige Vorrecht der Gemeinschaft mit Gott für sich beanspruchten, während sie in der Finsternis wandelten und die Verantwortung, Seinen Willen zu tun, leugneten. Was sagt Gott über sie: „Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit Ihm haben und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. „ Das ganze Leben ist dann eine Lüge, weil es dem wesentlichen Grundsatz und Charakter des Christen widerspricht, der nicht nur ein Gegenstand der göttlichen Gnade ist, sondern auch im Lichte Gottes wandelt. Als wahrer Christ kannst du dieses Licht ebenso wenig verlassen, wie ein Mensch, der am Tage im hellen Sonnenschein wandelt. Das ist die Bedeutung des wahren Christentums.
In Vers 7, wo der Apostel die wahre christliche Stellung in markanter Weise hervorhebt, finden wir das Gegenteil, die Seite des Segens. Der Namenchrist kann über seine wahre Stellung auf dreifache Weise hinwegtäuschen. (Das zeigt der Apostel ja gerade in diesen Versen: wir sehen jetzt, wo die Ernte nahe ist, die Frucht dessen, was damals vom Feind ausgesät wurde.) Als Gegenstück finden wir hier drei große und wesentliche Kennzeichen des wahren Christen. Das erste ist der Wandel im Licht: „Wenn wir aber in dem Lichte wandeln.“ Das hier gebrauchte Bild dient zur Erläuterung der Wahrheit. Wenn jemand sich in einem völlig dunklen Zimmer befindet, tappt er umher, kann das, was er sucht, nicht finden und beschädigt sich selbst und die Gegenstände, gegen die er stößt. Sobald der Raum jedoch hell erleuchtet wird, hört die Verwirrung auf, und er kann sicher und bequem umhergehen. So ist es auch, wenn das geistliche Licht Christi den Weg des Christen erhellt. Es geht hier nicht um das „Wie“, sondern um das „Wo“. Durch Gnade wandelt jeder Christ in dem Licht. Es ist daher von großer Bedeutung, dass er sich dieser Tatsache bewusst ist (was leider bei vielen nicht der Fall ist). Es handelt sich um ein großes, allgemeines christliches Vorrecht; nicht nur um ein Gefühl oder eine Idee, sondern um eine göttlich gewirkte Stellung. Sie ist zugleich eine praktische Tatsache, die nach Gottes Willen von jedem Christen verstanden und genossen werden soll. Zwar kann und wird Versagen bei dem einzelnen nicht ausbleiben, wie bereits erwähnt, und wir sind dann umso mehr verantwortlich, unsere Fehler zu erkennen und zu bekennen, weil wir im Lichte wandeln.
„Wenn wir aber in dem Lichte wandeln, wie er in dem Lichte ist“ (d. h. wie Gott in dem Lichte ist), „so haben wir Gemeinschaft miteinander.“ Das ist das zweite Kennzeichen. Wir wandeln nicht nur in dem Licht, sondern wir haben aufgrund dieser Tatsache als Christen Gemeinschaft miteinander. Wenn wir auf der Straße einem „Kind des Lichts“ begegnen und nur ein paar Worte hören, die erkennen lassen, dass Gott dies Herz erleuchtet hat und ein wirklicher Wandel im Licht vorliegt, dann werden unsere Herzen sofort angezogen. Wir fühlen uns von einer solchen Seele weit stärker angezogen, als von leiblichen Brüdern oder Schwestern, die nicht im Lichte wandeln. Viele kennen ja den Schmerz nur zu gut, dass die nächsten Angehörigen das Licht und den Herrn, der dieses Licht ist, hassen, anstatt durch die Gnade in diesem Lichte zu wandeln.
Die Gemeinschaft der Gläubigen untereinander ist also ein zweites christliches Vorrecht. Sie ist etwas anderes als Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne, und auch als die Gemeinschaft der Versammlung am Tische des Herrn. Die erstere Gemeinschaft könnte man als Grundlage der anderen, und die anderen bis hin zur letzten als Frucht der ersten bezeichnen. Wir finden in diesem Brief jedoch nichts, was auf die Versammlung Bezug hat. Alles ist hier eindrücklich auf den einzelnen bezogen, aber doch ewige Wahrheit – die Gnade und Wahrheit, die durch Jesus Christus geworden ist. Die hier genannte Gemeinschaft gründet sich darauf, dass wir das neue Leben in dem Bruder wahrnehmen. Auch wenn wir nicht einmal den Namen des anderen wissen, können wir Gemeinschaft miteinander haben. Da wir denselben, durch die Gnade geschenkten Segen genießen, „haben wir Gemeinschaft miteinander“. Wenn in der Welt jemand einen Preis gewinnt, so bedeutet das, dass er ihn erhält und kein anderer ihn bekommen kann. Aber bei den geistlichen Vorrechten der Christen ist es völlig anders. Wir alle besitzen sie vollkommen für uns, und doch sind sie ebenso vollkommen das gemeinsame Teil aller. Die Tatsache, dass alle Gläubigen die Vorrechte in gleicher Weise besitzen wie wir selbst, erhöht noch die Freude der Liebe, die unsere Herzen erfüllt.
Die Vorrechte, die man als Engländer oder Franzose oder aus irgendeinem anderen, von der Welt oft als wichtig eingeschätzten Grund genießt, sind nur gering und von kurzer Dauer. Hier aber beginnen wir mit der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne. Nur der Heilige Geist kann in uns die Aneignung dieser Gemeinschaft durch den Glauben bewirken und uns darin erhalten. Wir werden noch auf die Wirksamkeit dieser göttlichen Person im weiteren Verlauf des Briefes hingewiesen werden. Hier sehen wir aber, was Seine Gnade in dem Gläubigen bewirkt, wenn er einem Mitgläubigen noch so „zufällig“ begegnet: „So haben wir Gemeinschaft miteinander. „ Ist das nicht ein herrlicher Sieg über das eigene Ich, das immer zur Trennung und Spaltung neigt? Diese Wahrheit hat auch in der heutigen schrecklichen Verwirrung Gültigkeit, wo die Unterschiede schärfer zutage treten und vielleicht tiefer empfunden werden als selbst die Trennungen, die einst unter den doch größtenteils fleischlichen Juden bestanden.
Ihre Streitigkeiten und Parteiungen können kaum mit dem verglichen werden, was wir selbst in unseren bevorzugten Ländern täglich erleben müssen. Geliebte Freunde, wir sollten uns wirklich ernstlich wegen des traurigen Zustandes innerhalb der Christenheit beugen! Aber noch schwerer belastet es unsere Herzen, wenn wir sehen, wie wenig die Christen sich über all das Versagen hinaus zu der Wahrheit erheben, dass wir Gemeinschaft miteinander haben.
Wohl jeder wahre Christ hat ein Empfinden für diese Gemeinschaft und verwirklicht sie entsprechend seinem Verständnis von der Gnade Gottes. Aber sie wird immer schwach bleiben, wenn das geistliche Verständnis der Gnade und Wahrheit fehlt, die Christus gebracht hat, um uns jetzt schon alle in eine sichtbare Stellung gegenseitiger Liebe zu versetzen. „So haben wir Gemeinschaft miteinander. „ Mit tiefer Freude erkennen wir denselben Christus in dem Bruder und haben so Gemeinschaft miteinander.
Nun gibt es noch ein drittes Vorrecht, ohne das nichts Gutes unser bleibendes Teil wäre und jede Kraft fehlen würde, um Schwierigkeiten zu überwinden und zu beseitigen. Denn Sünden sind unüberwindliche Hindernisse, aber „das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde“ (oder, ganz genau übersetzt: „von jeder Sünde“, wodurch der Satz noch gezielter wirkt). Es ist falsch, die Tragweite dieses Wortes dadurch herabzumindern, dass man ihm zeitliche Bedeutung beilegt. Auch diese Wahrheit wird in der charakteristischen, abstrakten Schreibweise des Apostels Johannes ausgedrückt. Er stellt uns hier den großen, unveränderlichen Trost des Christen vor Augen. Niemand konnte vor dem Kreuz die Wirksamkeit dieses Blutes kennen, erst von jenem Augenblick an ist sie unser Teil. Und je heller das Licht mit seiner alles offenbarenden Kraft erstrahlt, umso deutlicher zeigt es die reinigende Wirkung dieses Blutes. Wandeln wir im Lichte (und dahin sind wir gekommen, wenn wir Christus angenommen haben), so haben wir Gemeinschaft miteinander und kennen den Wert des Opfers Christi. Er ist das Licht, und da wir das ewige Leben haben, genießen wir die Gemeinschaft mit dem Vater und mit Seinem Sohne. Überdies haben wir auch Gemeinschaft miteinander. Weder auf der Erde noch im Himmel kann es wahre Gemeinschaft geben, wenn wir Christus nicht in dieser Weise kennen und genießen. In einer religiösen Gemeinschaft mag ein liebliches Zusammengehörigkeitsgefühl herrschen, in einer weltlichen Vereinigung mag es freundschaftlich zugehen, Christus aber versetzt uns schon hier auf der Erde, trotz aller Verwirrung auf religiösem Gebiet, in ein Verhältnis, das nicht nur real ist, sondern göttlichen Charakter trägt. Nichts hindert die Gemeinschaft so sehr wie das eigene Ich, der sündige Egoismus, der jedem Menschen, ob Mann, Frau oder Kind dieser Welt, innewohnt, weil wir alle eine gefallene Natur besitzen. Die Menschen greifen instinktiv nach den Dingen, von denen sie sich eine Befriedigung ihrer selbst und ihrer Wünsche erhoffen. Das ist nicht Gemeinschaft, sondern ihr Gegenteil in einer sündigen Natur. In diese schuldige, unglückliche, unter der Sünde seufzende Welt, die nur ihr Gericht zu erwarten hat, trat der Schöpfer ein, dessen Liebe schon vor der Schöpfung da war, die aber völlig offenbart wurde, als die ganze Schöpfung sich gegen Ihn erhob und Ihn hinauswarf. Seine göttliche Liebe lässt uns an allem, was Er besitzt, teilhaben, ausgenommen das, was absolut göttlich und daher nicht mitteilbar ist. In vollkommener Liebe teilt Er mit dem Christen alles, was Er zu geben vermag, Er, der gemeinsam mit dem Vater alle Dinge besitzt. Wenn wir mit Ihm und dem Vater Gemeinschaft haben, haben wir auch Gemeinschaft untereinander. Das ewige Leben wurde in Christus offenbart, der uns dasselbe Leben als unser Leben gegeben hat. Dieser höchste Segen macht uns fähig zu der Gemeinschaft; sie wird bewahrt und aufrechterhalten durch Seinen Tod, der jede Sünde auslöscht. Trotzdem bleibt für uns auf der Erde als Gegenstände solchen Segens die christliche Verantwortung bestehen. Deshalb ist beständige Abhängigkeit erforderlich, damit wir, wenn wir durch den Geist leben, auch durch den Geist wandeln. Denn der Geist ist uns gegeben, um Christus in allen Dingen, und ganz besonders in dieser Gemeinschaft, zu verherrlichen. „Wenn ihr dies wisset, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut“ (Joh 13,17).
Wir haben hier also unsere Stellung in der Gnade, den dreifachen Segen des Christen, vor uns. Diese unzerreißbare „dreifache Schnur“ setzt sich zusammen aus dem Wandel im Licht, der Gemeinschaft miteinander und der Kraft des von aller Sünde reinigenden Blutes Christi. Es zeugt von geringer Kenntnis der griechischen Sprache, wenn man meint, dass die Zeitform des Wortes „reinigen“ in Vers 7 nur die begrenzte Gegenwart andeutet. Diese Form wird in vielen Fällen für allgemein gültige, an keine Zeit gebundene Tatsachen verwendet. So auch in Vers 7. Es ist die Eigenschaft des Blutes Christi, dass es von aller Sünde reinigt, unabhängig davon, wann das geschieht. Aus anderen Schriftstellen wissen wir, dass es für den Christen nur ein einmaliges Opfer, ein Blutvergießen, nur eine Anwendung des Blutes gibt. Es ist ein Irrtum, wenn die Reinigung durch das Blut nicht von der Reinigung durch das Wasser unterschieden wird. Während die Anwendung des Blutes Christi ein für allemal geschieht, muss die Waschung mit Wasser fortwährend wiederholt werden. Sobald die immerwährende Reinigung des Blutes angezweifelt wird, entsteht nur Ungewissheit. Es fehlt dann der gesicherte Friede in dem Bewusstsein, dass alle meine Sünden vor Gott vollkommen ausgelöscht sind. Mit der größten Klarheit und Sorgfalt wird in der Schrift – besonders den Judenchristen – diese große Wahrheit dargelegt, dass das Opfer und dessen Darbringung in der Person Christi eine einmalige Tatsache sind. Im jüdischen Gottesdienst war es nicht so, denn der Priester musste tagaus, tagein neue Opfer darbringen. Für uns jedoch hat der Herr für immerdar und ohne Unterbrechung Seinen Platz im Himmel eingenommen. Das Wort, das in Hebräer 10, 12 mit „auf immerdar“ übersetzt ist (s. V. 14), bedeutet „ununterbrochen“ (s. V. 1). Das ist viel stärker als „auf immerdar“, denn unter letzterem Ausdruck könnte verstanden werden, dass die Barmherzigkeit zwar ewig andauert, aber dass Er Seinen Platz droben doch immer wieder verlassen müsste. Das hier gebrauchte Wort bedeutet dagegen „ohne Unterbrechung“. Leider wird das nicht von allen Kindern Gottes verstanden und geglaubt. Das hat zur Folge, dass diesem Vers eine verkehrte Bedeutung unterlegt wird. Man entnimmt aus ihm, dass Sein Blut in dem Maße fortlaufend reinigt, wie wir immer wieder unsere Zuflucht zu ihm nehmen. Diese Auffassung zieht das Blut Christi mehr oder weniger auf den Boden der alttestamentlichen, bei jeder Sünde erneut zu bringenden Opfer herab. Das ist jedoch nicht die Lehre der Schrift.
Der Apostel spricht hier in einer absoluten Weise von unseren Vorrechten, wie er auch an anderen Stellen die Wahrheit in abstrakter und absoluter Form mitteilt. Wenn wir unseren Vers unter diesem Aspekt betrachten, so ist der Wandel im Licht eine fortdauernde Wirklichkeit für den Christen, auch wenn er in der Praxis hier und da von der Regel abweichen mag. Auch die Worte: „So haben wir Gemeinschaft miteinander“ bleiben absolut wahr, obwohl wir dann und wann versagen. Es handelt sich hier um den bleibenden Grundsatz, den wir verwirklichen sollen. Wir sind dazu befähigt aufgrund unseres gemeinsamen Teiles, das keine irdischen Dinge, sondern ewige Segnungen umfasst. Genauso verhält es sich in Bezug auf das Blut unseres Herrn Jesus Christus. Es reinigt von jeder (aller) Sünde. Es wird nicht gesagt, wann Er diese Reinigung vollbrachte, dass sie noch geschehen wird, oder gar, dass sie immer geschieht. Das inspirierte Wort äußert sich nicht in dieser Weise, es spricht nur von der vollkommenen Wirkung des Blutes. „Denn mit einem Opfer hat Er auf immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden.“ Was dagegen die Waschung mit Wasser durch das Wort anbetrifft, so benötigen wir diese bei jedem Versagen, und wie oft kommt dieses leider bei uns vor! Es handelt sich um die Fußwaschung durch den Herrn (Joh 13), die wir später noch näher betrachten werden. Wir brauchen daher jetzt nicht auf diesen Gegenstand einzugehen. Wir erwähnen ihn nur, um Irrtümer und einer falschen Auslegung des Wortes Gottes entgegenzutreten. Es sei noch bemerkt, dass hier keineswegs die Gemeinschaft als Versammlung am Tische des Herrn, so wichtig diese auch sein mag, gemeint ist. Der Apostel spricht von der geistlichen Gemeinschaft wahrer Christen während des Verfalls des äußeren Bekenntnisses. Diese Gemeinschaft sollte sich stärker erweisen als das Versagen und der allgemeine Niedergang; und in dem Maße, wie wir in Gemeinschaft mit Gott wandeln, wird sie das auch tun. Auch hier handelt es sich wieder um eine Wahrheit in abstrakter Form, die wir in die Praxis umsetzen müssen.
Wir kommen jetzt zu der zweiten Behauptung christlicher Bekenner, die mit den Worten „Wenn wir sagen“ beginnt (V. 8). Es ist fast unglaublich, dass Christen behaupten könnten, „dass wir keine Sünde haben“, aber offensichtlich gibt es solche, die dieser Meinung sind. Man müsste sie bemitleiden, da sie wohl keine Christen sein können, obwohl dies aus dem Text nicht eindeutig hervorgeht. Es heißt weiter: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst“. Wie leicht können wir uns selbst betrügen, und bei einer solchen Meinung wären wir bestimmt im Irrtum. Wie kann jemand, der ewiges Leben in Christus besitzt, so verblendet sein zu behaupten, er habe keine Sünde? Er darf mit Recht sagen, dass Christus seine Sünden hinweg getan hat, dass sein alter Mensch gekreuzigt ist und dass Gott in Bezug auf ihn die Sünde im Fleische verurteilt hat. Aber in das eigene Herz zu blicken und dann die Augen zum Himmel zu erheben mit den Worten: „Ich habe mich selbst geprüft und kann sagen, dass ich keine Sünde habe!“, das wäre für einen Gläubigen doch der Gipfel der Selbsttäuschung. Bei einem Pantheisten wäre eine solche Behauptung verständlich, da sowohl er wie auch sein Gott gleichermaßen blind ist. Aber eine geringe Wertschätzung Christi geht mit einer hohen Selbsteinschätzung Hand in Hand. In diesen Irrtum scheinen auch die Pelagianer verfallen zu sein.
Wenn wir diesen Vers prüfen, sehen wir, dass es sich nicht um Tatsünden, sondern um die innewohnende Sünde handelt, die ständige Neigung zum Sündigen, die stets zum Ausbruch kommt, wenn wir nicht wachsam sind. Wir besitzen zwar in Christus das neue Leben, aber auch unsere alte, böse Natur ist noch vorhanden. Es bedarf der Wachsamkeit, um ihre Regungen stets im Keim zu ersticken. Wir haben die tröstliche Gewissheit, dass unser alter Mensch mit Christus gekreuzigt worden ist, auf dass der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der Sünde nicht mehr dienen. Trotzdem werden wir aufgerufen, die Glieder (d. h. die Taten) des Leibes durch den Geist zu töten. Wenn Abhängigkeit und Unterwerfung des Herzens bei uns vorhanden ist, wird Gott stets bei uns sein, um uns zu stärken. Aber zu behaupten, dass wir keine Sünde haben, ist ein Zeichen von verkehrter Selbstgerechtigkeit. Eine solche Behauptung kann nur einen Anschein von Wahrheit erhalten, wenn durch Selbstbetrug und Unkenntnis der Wahrheit die Sünde als etwas ganz Unbestimmtes hingestellt wird. Viele teure Seelen sind dieser Täuschung bereits erlegen. Wir müssen einerseits Mitleid mit ihnen haben, andererseits aber klar bezeugen, dass nur ein völlig falsches Bild sowohl von der Sünde wie auch von der Wahrheit einem solchen Gedanken Raum verschaffen kann.
Von Einem allein konnte zu Recht gesagt werden: „Sünde ist nicht in ihm“ (1. Joh 3,5). In jedem anderen ohne Ausnahme ist die Sünde vorhanden. Die alte Natur ist noch anwesend, und wenn wir sie nicht durch den Geist Gottes ganz unter der Macht des Todes Christi halten, wird sie unweigerlich zum Ausbruch kommen. Hier handelt es sich somit um ein fleischliches, falsches Rühmen. Alle diese Sätze, die mit „Wenn wir sagen“ beginnen, weisen auf die Ausbreitung des Bösen unter den bekennenden Christen hin. Sie setzen grundsätzlich Irrtümer durch menschliche Spekulationen voraus. „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. „ Diese scharfe Ausdrucksweise lässt es zweifelhaft erscheinen, dass diese Getäuschten überhaupt Christen sein können. Aber die Worte „die Wahrheit ist nicht in uns“ scheinen etwas anderes zu bedeuten, als dass wir die Wahrheit überhaupt nicht kennen. Zweifellos kann bei jedem Gläubigen vorausgesetzt werden, dass er durch die göttliche Belehrung die Wahrheit kennt. Die Besonderheit der hier gebrauchten Ausdrucksweise führt jedoch die Selbsttäuschung darauf zurück, dass wir die Wahrheit nicht in unserem Innern besitzen. Wir sollten die Wahrheit nicht nur glauben und äußerlich besitzen, sondern „in uns“ haben.
Sicher gibt es manche Menschen, die an der Theorie der Sündlosigkeit festhalten, die aber dennoch Gläubige sind. Sie glauben vielleicht, dass sie der Sünde niemals nachgeben; aber selbst eine solche Behauptung wäre eine Vermessenheit. Sie beweisen damit zumindest, dass sie eine sehr hohe Meinung von sich selbst haben, während geistlich gesinnte Gläubige weit davon entfernt sind, etwas Derartiges zu empfinden oder auszusprechen.
In Vers 9 stellt der Apostel den Gläubigen durch die Leitung des Heiligen Geistes auf einen ganz anderen Boden. „ Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt. „ Wie können wir Selbstgericht und Bekenntnis erwarten, „wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben“? In einem solchen Zustand ist kein Raum oder Bedürfnis dafür vorhanden. Die Illusion von der eigenen Vollkommenheit übt einen verderblichen Einfluss auf die Seele aus. In diesem Vers heißt es aber nicht: „Wenn wir sagen.“ Das Sündenbekenntnis ist ebenso ein Beweis lebendiger Wirklichkeit wie der Wandel im Licht, die Gemeinschaft miteinander und die Reinigung von aller Sünde durch das Blut. Hier fehlen daher die Worte: „Wenn wir sagen.“ Wahre Christen stellen ihr Teil in Christus nicht zur Schau, sie genießen es. Christus lebt in ihnen, und da sie durch das Wort der Wahrheit wiedergeboren sind, tun sie auch die Wahrheit. Die Wahrheit ist in ihnen. Das ist unser aller wahre Berufung, die wir Ihn wirklich als unser Licht, unser Leben und als die Wahrheit besitzen.
Der Christ wird hier durch eine völlig andere Einstellung gekennzeichnet. „ Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit. „ Wenn wir von der Sünde übereilt worden sind, müssen wir ein Bekenntnis ablegen. Das gilt sowohl bei der Bekehrung als auch für unser ganzes späteres Leben, so oft unser Zustand es erfordert. Denn unser Gott kann Sünden nicht dulden. Wir können sie nicht verbergen, sondern müssen sie vor Gott und, wenn nötig oder ratsam, auch vor Menschen bekennen. So wird der stolze Eigenwille gebrochen, und die Gnade bewirkt, dass wir unserer eigenen armseligen Ehre vor den Menschen entsagen. Wir denken nur noch an die Verherrlichung des Namens Christi, den auch wir tragen. Was ist unser Name im Vergleich zu Seinem Namen? Wenn wir daher unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns vergibt. Welch ein ermunterndes Wort ist das; und es ist schon wahr seit unserer ersten Umkehr zu Gott! Auch hier handelt es sich um einen Grundsatz, dem, wie in ähnlichen Fällen, keine zeitliche Begrenzung gesetzt ist. Es ist ein erstrangiger und unumstößlicher Grundsatz für den Christen, der seinen erneuerten Wandel vom Anfang bis zum Ende beherrschen und der als eine lebendige Tatsache von ihm festgehalten werden soll.
Es geziemte uns, einst mit all unserem Bösen zu Gott zu kommen, als wir als Verlorene vor Ihm im Staube lagen. Er bleibt stets der Gott aller Gnade, in welcher Not wir uns auch befinden mögen. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt“ – nicht nur von aller Sünde, sondern – „von aller Ungerechtigkeit“. Die Verunreinigung, das traurige Ergebnis der Sünde, ist dazu angetan, die Seele unaufrichtig zu machen, wenn man sie wie Adam verbirgt. Wer seine Sünde in seinem Inneren verbirgt, entfernt sich mehr und mehr von Gott. Das einzig Richtige ist daher, sich Ihm anzuvertrauen und die Sünde zu Seinen Füßen zu bekennen. Das gilt für unseren ganzen Weg, wenn wir Gott als unseren Vater erkannt haben. Unser Vater ist in Seinen Regierungswegen gegenüber dem Gläubigen ebenso treu und gerecht wie in Seiner Barmherzigkeit dem gegenüber, der zum ersten Mal die Vergebung seiner Sünden erfahren hat. Das ist auch die Bedeutung der diesbezüglichen Bitte in dem so genannten „Vaterunser“. Sie bezieht sich nicht so sehr auf die Bekehrung des Ungläubigen, sondern in erster Linie auf die täglichen Bedürfnisse der Jünger, ebenso wie auch alles andere, was der Herr in der Bergpredigt lehrte. Es ist wichtig zu beachten, dass der Herr damals keineswegs das Evangelium verkündete, um Seelen für Gott zu gewinnen. Wenn ein Gläubiger sündigt (Joh 15,1–10; 1. Pet 1,14–17), dann beschäftigt sich der Vater mit ihm in Seiner sittlichen Regierung über unsere Seelen. Er beachtet das Geringste in unserem Wandel, weil wir Seine Kinder und Jünger Christi sind. Seine Liebe und Ehre, Seine Gnade und Wahrheit sind davon betroffen. Wir sind und werden immer wieder durch das Wort gereinigt. Diese Reinigung bezieht sich nicht nur auf die Sünden, sondern auch auf deren Folgen, auf jede Ungerechtigkeit und jede Unlauterkeit, die als natürliche Folge der Sünde entsteht.
Wir kommen jetzt zum dritten und letzten Vers, der mit den Worten „Wenn wir sagen“ eingeleitet wird und der zugleich die dreisteste der bisherigen Behauptungen enthält. „Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns“ (V. 10). Hier werden offenbar Menschen beschrieben, die soweit herabgesunken sind, dass sie es wagen, sich mit einer jeder Grundlage entbehrenden Behauptung gegen Gott aufzulehnen. Nirgendwo gedeihen derartig verkehrte Lehren so üppig wie in der bekennenden Christenheit. Denn das Verderben des Besten ist das schlimmste Verderben. Selbst unter den Juden hat es eine derartige Anmaßung kaum gegeben, obwohl sie viele verkehrte Überlieferungen besaßen, durch die Gott verunehrt sie selbst verunreinigt wurden. Aber die Christenheit ist eine Brutstätte unzähliger Verirrungen und Fabeln, le sich stets weiter ausbreiten und den Zorn Gottes herausfordern.
Die letzte Behauptung „Wenn wir sagen ... „ stellt eine der unreinen Lehren dar, die im Gnostizismus endeten. Schon Paulus hatte früher davor gewarnt. Die böse Entwicklung hatte ihren Lauf gerade begonnen und griff nach dem Tode der Apostel schneller und stärker um sich. Diese unbegründeten und unheiligen Spekulationen des menschlichen Geistes über göttliche Dinge rütteln an den sittlichen Fundamenten des Christentums. Alle falschen Lehren streben in diese Richtung und verraten sich dadurch selbst. Sie schwächen nicht nur die Grundlagen der christlichen Verantwortung, sondern leugnen und zerstören sie vollends.
Hier möchte ich bemerken, dass die Sittenlehre aller alten und modernen Philosophen zwangsläufig auf schwankender Grundlage steht. Sie haben die Wahrheit nicht erfasst, dass jedes Beziehungsverhältnis mit bestimmten Pflichten verbunden ist, und dies ganz besonders, wenn es sich um die Beziehungen zu Gott handelt. Sie machen in dieser Hinsicht denselben schwerwiegenden Fehler wie die Heiden, die weder Gott kannten noch von irgendwelchen Beziehungen zu Ihm und zu Seinem Sohne etwas wussten. Die Namenchristen (von denen in Vers 10 die Rede ist) machten sich jedoch noch weit schuldiger, da sie ihren früheren Glauben verleugneten, so dass praktisch kein Raum mehr für die göttliche Gnade in Christus verblieb. „Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben ...!“ Welche Finsternis muss in ihren Seelen geherrscht haben! Wie war doch das Licht in ihnen in Finsternis verwandelt! Welche Finsternis könnte dunkler oder hoffnungsloser sein? Wir erleben sie auch heute und leider gar nicht so selten.
Wir müssen uns vor Augen halten, dass die Antichristen einst ihren Platz innerhalb der Versammlung hatten und in der Familie Gottes anerkannt wurden, solange der Apostel noch lebte. „Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns; denn wenn sie von uns gewesen wären, so würden sie wohl bei uns geblieben sein; aber auf dass sie offenbar würden, dass sie alle nicht von uns sind“ (Kap. 2, 19). Wenn die in Vers 10 genannten auch keine Antichristen waren, so waren sie jedenfalls Feinde der Wahrheit, die sich selbst betrogen. Die Letztgenannten sind die Schlimmsten, denn es ist ein Zeichen der Verachtung des Wortes Gottes, zu behaupten, dass wir nicht gesündigt haben. Es ist schon böse genug, zu sagen, dass wir jetzt als Christen keine Sünde haben. Die Behauptung, dass wir nie gesündigt haben, widerspricht aber jedem Zeugnis Gottes über den Menschen sowohl im Alten als im Neuen Testament, und Gott wird damit auf schamlose Weise zum Lügner gemacht. Solchen Menschen begegnen wir in der Christenheit ab und zu – Gott sei Dank, jedoch nur selten –, welche leugnen, dass es so etwas wie Sünde gibt. Dasselbe tun auch die Pantheisten, indem sie behaupten, selber ein Teil der Gottheit zu sein, und wie könnte Gott sündigen?
Eine solche Behauptung ist natürlich eine verkehrte und entartete Philosophie. Aber die bange Frage für den Christen und das Schreckliche in den Augen Gottes ist: Wie ist es möglich, dass jemand, der einst den Sohn Gottes als seinen Heiland und die Vergebung der Sünden durch Sein Blut bekannt hat, so abgrundtief sinken kann, dass er völlig leugnet, jemals gesündigt zu haben? „Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns“. Hatten sie das vergessen, was sie bekannten, als sie sich von dem kraftlosen Judentum oder den Nicht-Göttern der Heiden abwandten? Das Schlimmste war jedoch, dass sie Gott zum Lügner machten! Es ist schlimm genug, wenn wir angesichts des Lichtes, das uns offenbar machen sollte, „uns selbst betrügen“. Doch das ist noch etwas Geringes gegenüber dem Versuch, Gott zum Lügner zu machen! Das ist eine direkte Gotteslästerung, ein mutwilliger Angriff auf die erhabene Ehre, Wahrhaftigkeit und Heiligkeit Gottes. „Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns. „
Diese Menschen verwerfen nicht nur die „Wahrheit“ (was im Grunde gleichbedeutend ist), sondern in direkter Weise Sein klares „Wort“, das in ihren Seelen wohl nie eine Aufnahme gefunden hatte. Wenn Sein Wort in uns wohnt, dann bekennen wir nur zu gerne und in Demut, wenn wir gesündigt haben. So wird es auch Israel an dem kommenden Tage tun, wenn „ganz Israel errettet“ wird und die ganze Erde frohlocken wird. Und wie ist es mit uns, die wir dem erhöhten Christus angehören? Was sprachen unsere Lippen aus, als wir aus der Finsternis in das Licht kamen? Es waren die unvergesslichen Worte aller wahrhaft bekehrten Seelen am Anfang ihres neuen Weges: „Wir haben gesündigt!“ Aber hier muss der Apostel, Jahrzehnte nach der Offenbarung der Gnade und Wahrheit durch Christus, und nachdem das christliche Zeugnis bereits so lange bestanden hatte, in ernster Weise auf das eingedrungene Böse hinweisen. Es hatte seinen Ursprung nicht im Juden- oder Heidentum, sondern in der bekennenden Christenheit jener Tage – wie auch unserer Tage! Damals wie heute hatte sich das Bekenntnis von der Wirklichkeit entfernt und war dem Abfall nahe. „Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns. „
Ich möchte an dieser Stelle dem unter anderem von den Puritanern vertretenen Irrtum entgegentreten, die Stelle Jesaja 50,10 auf Christen anzuwenden. Das steht in direktem Widerspruch zu dem ersten „Wenn wir sagen“ in den Versen 6 und 7. Diese Auffassung wird noch heute u. a. von einer Gruppe von Calvinisten vertreten und findet ihren klaren Ausdruck in der Schrift eines bekannten alten Theologen: „Kind des Lichts beim Wandel in der Finsternis.“ Es soll nicht unterstellt werden, dass der Schreiber damit die Stelle im Johannesbrief widerlegen wollte. Ich erinnere mich nicht, dass er den Apostel überhaupt erwähnt. Er hatte wahrscheinlich die Verwirrung gar nicht erkannt, die er durch diese Anwendung der Jesaja-Stelle anrichtete. Dieser Puritaner dachte wohl dabei an solche Seelen innerhalb der seit langem entarteten Christenheit, die, obwohl wahre Christen, keinen gefestigten Frieden besitzen. Das, was sie einst hatten, verlieren sie meist aus den verschiedensten Gründen, vornehmlich deshalb, weil sie in sich selbst nach dem Frieden suchen, der nur in Christus und in Seinem Werk für uns zu finden ist. Dieser Mangel an Heilsgewißheit führte zu der Auffassung, ein Kind des Lichts könne in der Finsternis wandeln. Damit gibt man den Worten „Licht“ und „Finsternis“ jedoch eine Bedeutung, die weder bei Johannes noch bei Jesaja zu finden ist. Keiner von beiden bezieht sich auf den zwar widersprüchlichen, aber leider häufig vorkommenden Fall, dass ein Gläubiger dem Unglauben Raum gibt, anstatt diesen Unglauben als Sünde gegen das Zeugnis des Heiligen Geistes, das Werk des Erlösers und den Willen des Vaters zu verurteilen. Solche Seelen haben das Wort der Wahrheit, das Evangelium, niemals in der rechten Weise aufgenommen. Dies ist der erste Schritt, der ihnen fehlt, abgesehen von allem anderen, das sie sonst zu bekennen haben mögen. Wenn sie in der Wahrheit ihrer Sünden zu Gott kommen, so wird Er ihnen in der Wahrheit Seiner Gnade zu ihrer Rettung entgegenkommen.
Der Prophet Jesaja spricht in der angeführten Stelle nicht von Christen, sondern vom zukünftigen gläubigen Überrest Israels. Er steht im Gegensatz zu der abgefallenen Masse des Volkes Israel, die gemäß Vers 11 umkommen wird. „Wer unter euch fürchtet Jehova? Wer hört auf die Stimme seines Knechtes? Wer in Finsternis wandelt und welchem kein Licht glänzt, vertraue auf den Namen Jehovas und stütze sich auf seinen Gott. „ Es dürfte selbstverständlich sein, dass der jüdische Prophet und der christliche Apostel die Ausdrücke „Finsternis“ und „Licht“ nicht in dem gleichen Sinn benutzen. Der Prophet gebraucht sie im Hinblick auf die schrecklichen Umstände jenes zukünftigen Tages, an dem die Bestrafung der Sünden des Volkes, nicht nur seines Götzendienstes, sondern – was weit schlimmer ist – der Verwerfung seines Messias ausgeführt wird. Furchtbare Leiden werden das Teil der Frommen sein, ob sie den Märtyrertod erleiden oder hindurchgerettet werden. Es wird ihnen kein Licht scheinen, aber sie werden ihren Befreier erwarten, der die inneren und äußeren Feinde vernichten wird. Der Apostel hingegen behandelt eine christliche Wahrheit, den Ausdruck der ewigen Natur Gottes in Seinen Kindern, und geht damit weit über prophetische Aspekte oder die Merkmale einer bestimmten Haushaltung hinaus. Der Christ wandelt zwar nicht immer dem Licht entsprechend, aber stets im Licht, er befindet sich, wie Gott selbst, in dem durch Christus offenbarten Licht. Das ist der sittliche Charakter der neuen Natur, der Natur Gottes, der Licht ist und in dem gar keine Finsternis ist. Der Christ hat zwar noch die alte Natur an sich, aber er ist freigemacht, als mit Christus gestorben, um ihr jetzt durch die Gnade nicht mehr nachzugeben. Er vermag das zu verurteilen, was Gott auf dem Kreuze an Christus richtete, obwohl Er dafür den höchsten Preis bezahlen musste. Wir besitzen tatsächlich eine vollkommene Errettung, nicht nur von Sünden, sondern auch von der Sünde. Wir sind von der bösen Wurzel (Röm 6, 7) sowie von der bösen Frucht (Röm 5,1) gerechtfertigt.
Der Apostel Paulus hatte den Auftrag, über diese zweifache Rechtfertigung zu schreiben, die bisher von keiner Theologie richtig verstanden worden ist. Der Apostel Johannes dagegen beschreibt eingehender als alle anderen das ewige Leben, unsere neue und göttliche Natur. Er stellt die Echtheit dieses neuen Lebens in den wahren Christen in Gegensatz zu dem Wandel der falschen Bekenner, die durch ihren Wandel dieses Leben und die Wahrheit verleugnen. Von Gemeinschaft mit Gott zu sprechen, während man in der Finsternis der gefallenen Schöpfung wandelt, ist eine lebendige oder richtiger eine „tödliche“ Lüge. Der wahre Christ kann ohne Anmaßung aus Glauben sagen, dass er die Finsternis von Anfang an verlassen hat und im Licht wandelt.
„Ich bin das Licht der Welt“ (Israel konnte das nie von sich sagen), „wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh 8,12). Der Gläubige kann aus Unachtsamkeit einen Fehltritt begehen, seinem Eigenwillen nachgeben oder von den Lüsten des Fleisches und der Gedanken fortgerissen werden. Alle diese Dinge sind sündig und mit dem Licht unvereinbar. So ernst diese Fehltritte auch sind, so ist doch die in Christus offenbarte Liebe Gottes, die uns als Feinden Vergebung schenkte und uns als Verlorene rettete, bereit, die nötige, wiederherstellende Gnade darzureichen, wie wir es im nächsten Kapitel sehen werden. Niemals wird in einem solchen Fall gesagt, dass wir „in der Finsternis wandeln“. Wenn schon das Kindschaftsverhältnis unserer Kinder zu uns durch ihre Fehler nicht aufgehoben werden kann, wie viel weniger unser Verhältnis zu Gott! Wer, wie der Apostel schreibt, in der Finsternis wandelt, lügt und tut nicht die Wahrheit. Er hat weder Leben noch Licht und muss aufgeweckt und lebendig gemacht werden. Bei dem Christen, der gestrauchelt ist, wird dagegen durch ein aufrichtiges Bekenntnis die unterbrochene Gemeinschaft wiederhergestellt. Anstatt des Lichtes verlustig zu gehen, dient dieses Licht gerade dazu, dass er sich über seinen Fehltritt tief demütigt.
Vers 7 zeigt klar und deutlich den Boden, auf dem jeder wahre Christ durch die Gnade steht. „Wenn wir aber in dem Lichte wandeln, wie er in dem Lichte ist“, das ist das bleibende Kennzeichen eines jeden, der aus der Finsternis herausgerufen ist. Indem wir die göttliche Natur in dem Bruder wahrnehmen, „haben wir Gemeinschaft miteinander“. Das göttliche Leben wird im Blick auf unsere Brüder wirksam, während der erste Teil des Verses sich auf unseren Wandel vor Gott bezieht. Danach folgt die kostbare Grundlage und Stütze für beide Seiten unseres Wandels. Es ist ein Vorrecht und eine Notwendigkeit zugleich, dass „das Blut Jesu Christi, seines Sohnes ... uns von aller Sünde reinigt“. Ohne diese Tatsache könnten wir das wunderbare Teil, das jeder Christ besitzt, weder empfangen noch darin bewahrt bleiben. Es ist die Grundlage, auf der jeder wahre Gläubige steht.
Wer in dem letzten Satz von Vers 7 nur die göttliche Vorsorge für unsere Fehltritte sehen will, wie es häufig geschieht, verkennt seinen tieferen Sinn und den Zusammenhang, in dem er steht.
Man löst ihn von seinem grundlegenden Gegenstand und verwechselt ihn mit dem in 1. Johannes 2,1–2 genannten göttlich gegebenen Weg zur Wiederherstellung. Eine solche falsche Anwendung ist in jeder Hinsicht gefährlich. Vers 7 bildet eine Zusammenfassung der allgemeinen christlichen Stellung. Liest man ihn so, wie er dasteht, so sagt er gerade das Gegenteil von dem aus, was manche aus ihm machen wollen. Denn dann müsste er wohl eher lauten: „Wenn wir nicht in dem Lichte wandeln usw., und nicht Gemeinschaft miteinander haben, reinigt uns das Blut Jesu Christi von dieser oder jener Sünde.“ Ein solcher Sinn steht jedoch offensichtlich im Gegensatz zu der wahren, beabsichtigten Bedeutung: einer abstrakten Beschreibung der gemeinsamen christlichen Vorrechte. Nur diese Bedeutung passt in den Zusammenhang. Dadurch werden die herrlichen und vollkommenen christlichen Vorrechte den verschiedenen Formen des falschen Bekenntnisses gegenübergestellt, welche den Namen des Herrn verunehren, von der Wahrheit abweichen und ins ewige Verderben führen. Gottes Weg zur Wiederherstellung gefallener Gläubiger wird an anderer Stelle und auf andere Weise behandelt.