Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus
Der Antichrist oder der Mensch der Sünde
In unserer Betrachtung ist schon wiederholt von dem „Antichrist“ die Rede gewesen, und es wird dem Leser nicht entgangen sein, dass unter dieser Bezeichnung nicht etwa nur eine böse Macht, ein verderblicher, satanischer Einfluss, wie manche gemeint haben, sondern zugleich auch eine Person, ein Mensch zu verstehen ist. Die Schrift nennt ihn denn auch unter anderem „den Menschen der Sünde, den Sohn des Verderbens“ (wie Judas), oder „den Gesetzlosen“ (2. Thes 2).
In dem Nachstehenden möchte ich nun ein wenig näher untersuchen, was uns die Schrift betreffs dieser abscheu- und schreckenerregenden Persönlichkeit lehrt. Betrachten wir zu diesem Zweck seinen Charakter, seine Stellung, seine Herkunft, seine Tätigkeit und sein Ende.
1. Sein Charakter
Schon der Name Antichrist (d. i. Widerchrist oder Gegen-Christus) lässt uns verstehen, dass wir es mit einer Person zu tun haben, die in Wesen und Gesinnung in jeder Hinsicht zu unserem Herrn Jesus Christus entgegengesetzt ist. Wie könnte dies auch anders sein? Er ist ja der Stellvertreter Satans, der, wie Gott einst seinen Sohn in die Welt sandte, um Sünder zu erretten, den Antichrist in die Welt senden wird, um die Menschen zu verderben. So wie der Herr Jesus wird auch er als König und Prophet auftreten, d. h. weltliche Macht ausüben und in religiöser Beziehung die Menschen beeinflussen (Dan 11,36; Off 19,20). Wie das geschlachtete Lamm wird auch er uns vorgestellt als ein Tier, das zwei Hörner gleich einem Lamm hat, das aber redet wie ein Drache (Off 13,11). In allen diesen Beziehungen wird er sich als der Gegen-Christus offenbaren, als derjenige, der kommt, um gegen Gott und seinen Gesalbten zu streiten und ihr Gedächtnis auf Erden auszurotten.
War es die Speise des Herrn, den Willen seines Vaters in den Himmeln zu tun (Joh 4,34; 6,38), so lesen wir von dem Antichrist, dass er nach seinem Gutdünken handeln und sich erheben und groß machen wird über jeden Gott (Dan 11,36). Bestand die Arbeit des Herrn darin, im Land umherzugehen, um Gutes zu tun, Kranke zu heilen und den Armen die frohe Botschaft zu verkündigen, so wird das Wirken des Antichrists dahin gehen, die Heiligen zu verfolgen, sie ins Gefängnis zu werfen und zu töten (Off 12 und a. St.). Tat Jesus Wunder zum Heil der Menschen, so wird er Wunder tun, um die Menschen zu verführen und sie in seinen Abfall von Gott mit hineinzuziehen (Off 13,14.15). Verkündigte Jesus die Wahrheit und tat Er die Worte Gottes kund, so wird der Antichrist die Lüge bringen und aus seinem Eigenen reden. War Jesus der gute Hirte, der sein Leben für seine Schafe ließ und seine Herde vor allen Gefahren schützte, so ist er „der nichtige Hirte, der die Herde verlässt“ und sie dem Verderben preisgibt (Sach 11,17).
Im Gegensatz zu dem Menschen vom Himmel (1. Kor 15,47) ist der Antichrist der Mensch von der Erde (Ps 10,18). Im Gegensatz zu Christus, dem Heiligen und Gerechten, der sich selbst erniedrigte und Knechtsgestalt annahm (Phil 2,6–11), ist er „der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, der widersteht und sich erhöht über alles, was Gott heißt oder verehrungswürdig ist, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, dass er Gott sei“ (2. Thes 2,3.4). Er gleicht dem Pharao, dem stolzen Feind Gottes und seines Volkes, der sagte: „Wer ist der Herr, auf dessen Stimme ich hören soll?“ (2. Mo 5,2), oder dem König Nebukadnezar, der bei Todesstrafe gebot, dass alle Völker und Nationen vor dem goldenen Bild niederfallen sollten, das er in der Landschaft Babel hatte aufrichten lassen (Dan 3), oder dem König Darius, der verbot, dass dreißig Tage lang jemand von irgendeinem Gott oder Menschen etwas erbäte außer von ihm (Dan 6).
Johannes beschreibt ihn als „den Antichrist, der den Vater und den Sohn leugnet“. Das ist sein Charakter in religiöser Beziehung. Er leugnet den Vater und den Sohn, d. h. die Offenbarung, die dem Christentum eigentümlich ist und es ausmacht. Er bekennt nicht Jesus Christus im Fleisch gekommen, diese zweite große Wahrheit, die dem Christentum zu Grunde liegt. Er leugnet ferner, dass Jesus der Christus ist, was mehr mit dem Judentum in Verbindung zu stehen scheint, da es sich in den letzten Tagen (wie zur Zeit des Lebens Jesu hienieden) für den gottesfürchtigen Juden gerade um die gläubige Erkenntnis dieser Wahrheit handeln wird. Der Antichrist leugnet und verdirbt also die Grundlagen jedes wahren Gottesdienstes.
Hierin offenbart sich der Höhepunkt des Unglaubens und der Bosheit. Schon zur Zeit des Johannes gab es Antichriste, d. h. Menschen, die in dem Geist des Antichrists handelten. „Viele falsche Propheten sind in die Welt ausgegangen… Jeder Geist, der nicht Jesus Christus im Fleisch gekommen bekennt, ist nicht aus Gott; und dies ist der Geist des Antichrists, von dem ihr gehört habt, dass er komme, und jetzt ist er schon in der Welt“ (1. Joh 4,1–3). Und: „Denn viele Verführer sind in die Welt ausgegangen, die nicht Jesus Christus im Fleisch kommend bekennen, dies ist der Verführer und der Antichrist“ (2. Joh 7). Zuerst also war (und heute noch ist) der Geist des Antichrists in der Welt wirksam, am Ende aber erscheint der Antichrist selbst, um sich offen gegen Gott und seinen Gesalbten aufzulehnen. Je näher wir dem Ende kommen, desto mehr entwickelt Satan seine schreckliche, verführerische Macht. Er begnügt sich nicht mehr damit, das Werk Christi anzugreifen, sondern er wendet sich gegen seine Person. Das ist ein großer Schritt vorwärts auf dem Weg zur Offenbarung des Menschen der Sünde. Sobald der Herr seiner persönlichen Herrlichkeit entkleidet wird, ob man nun seine Gottheit oder seine wahrhaftige Menschheit antastet, schwindet der Boden unter unseren Füßen, und das ganze Gebäude der christlichen Wahrheit stürzt zusammen. Und gerade hieran arbeitet Satan in der gegenwärtigen Zeit mit aller Kraft. In offener und versteckter Weise, durch offenbare Gottesleugner und Freidenker, durch Theologen und Theosophen, durch Spiritismus und Aberglaube sucht er die Bekenner Christi für die Ankunft des Antichrists zuzubereiten, damit sie sich bei seinem Auftreten widerspruchslos ihm in die Arme werfen und sich seiner Leitung übergeben. Die Grundsätze und Eigenschaften, die den Antichrist kennzeichnen werden, sind heute schon alle vorhanden. Um das Geheimnis der Gesetzlosigkeit offenbart zu sehen, ist es daher nur noch nötig, dass die wahren Gläubigen von der Erde weggenommen werden.
2. Seine Stellung
Wir erinnern uns, dass nach der Aufnahme der Kirche Christi das römische Reich wiederhergestellt werden wird, und dass die Juden in ihr Land zurückkehren und Jerusalem und den Tempel wieder aufbauen werden. Damit beginnt die siebzigste Jahrwoche Daniels, die einst infolge der Verwerfung Christi hinausgeschoben wurde. Im Anfang dieser Woche wird der Antichrist auftreten, und zwar in Verbindung mit dem Haupt des römischen Reiches. Der kommende Fürst, dessen Volk die Stadt und den Tempel verwüstet hat (Dan 9), wird – ohne Zweifel verleitet durch den Antichrist, den falschen Propheten, „der die ganze Gewalt des ersten Tieres (d. i. des römischen Reiches in seiner letzten satanischen Form) vor ihm ausübt“ – einen festen Bund mit den Vielen (d. i. mit der großen Masse des jüdischen Volkes) schließen für eine Woche, und zur Hälfte der Woche wird er Schlachtopfer und Speisopfer aufhören lassen. „Und wegen der Beschirmung der Gräuel wird ein Verwüster kommen, und zwar bis Vernichtung und Festbeschlossenes über das Verwüstete ausgegossen werden.“ Der Antichrist wird sich zum König der Juden aufwerfen, wie dies aus Daniel 11 hervorgeht. Der erste Teil dieses 11. Kapitels bis Vers 36 ist bereits erfüllt. Die Geschichte der Ptolemäer (der Könige des Südens) und der Seleuciden (der Könige des Nordens) wird dem Propheten bis in ihre kleinsten Einzelheiten hinein mitgeteilt. (Die Weltgeschichte bestätigt in einer den Unglauben geradezu verblüffenden Weise die Genauigkeit der prophetischen Darstellung.) Zugleich aber bilden die erzählten Ereignisse entsprechend dem allgemeinen Charakter der Prophezeiung eine vorbildliche Beschreibung dessen, was am Ende des gegenwärtigen Zeitlaufs stattfinden wird. Dieselben schrecklichen Drangsale, Kämpfe und Wirren werden sich am Ende der Tage in verstärktem Maß wiederholen. Von dem 36. Vers bis zum Ende des Kapitels ist jedoch alles zukünftig. Die in diesem Abschnitt geschilderten Ereignisse sind in den Blättern der Weltgeschichte noch nicht aufgezeichnet. Der 35. Vers schließt mit den Worten: „Damit sie geläutert und gereinigt und weiß gemacht werden bis zur Zeit des Endes; denn es verzögert sich noch bis zur bestimmten Zeit“. Die vorher erzählten Begebenheiten müssen also vor der Zeit des Endes geschehen sein. Mit dem 36. Vers erst treten wir in die Zeit des Endes selbst ein (vgl. V. 40), und die erste Person, die nun vor unseren Blicken erscheint, ist „der König“, d. h. der König, der mit Israel in Verbindung stehen wird. Wäre ein anderer König gemeint, so würde der Heilige Geist zweifellos eine nähere Bezeichnung hinzugefügt haben. Ähnlich lesen wir häufig von „dem Land“, nämlich dem Land Palästina, von „der Stadt“, nämlich der Stadt Jerusalem usw. Doch wer ist dieser „König“? Es ist der Antichrist, der falsche Messias, der in seinem eigenen Namen kommen und von Israel aufgenommen und als König anerkannt werden wird (vgl. auch Jes 30,33; 57,9).
„Und der König wird nach seinem Gutdünken handeln, und er wird sich erheben und sich groß machen über jeden Gott, und gegen den Gott der Götter wird er Erstaunliches reden.“ Dasselbe weissagt Paulus in 2. Thes 2 und Johannes in Offenbarung 13 von dem Antichrist. Daniel fügt noch hinzu: „Und auf den Gott seiner Väter wird er nicht achten“, d. h. er wird sich völlig von dem Gottesdienst der Väter abwenden und einen eigenen Gottesdienst oder vielmehr Götzendienst einrichten. Auch wird er nicht achten „auf die Sehnsucht der Frauen“, das ist auf den Messias, dessen Mutter zu werden von allen gottesfürchtigen Frauen des Alten Bundes heiß ersehnt worden sein muss. „Und an dessen statt wird er den Gott der Festungen ehren: Den Gott, den seine Väter nicht gekannt haben, wird er ehren mit Gold und mit Silber und mit Edelsteinen und mit Kleinodien.“ Diese Worte zielen wohl auf das Bild hin, das der Antichrist an heiliger Stätte errichten wird, auf den „Gräuel der Verwüstung“, wie der Herr Jesus ihn nennt (vgl. auch Dan 12,11).
Doch wir müssen noch einmal auf die aus Joh 5,43 angeführten Worte zurückkommen. Der Herr sagt dort zu den in Jerusalem versammelten Juden: „Ich bin in dem Namen meines Vaters gekommen, und ihr nehmt mich nicht auf; wenn ein anderer in seinem eigenen Namen kommt, den werdet ihr aufnehmen.“ Mit anderen Worten: weil das Volk Israel den von Gott gesandten Messias nicht angenommen hat, wird es der Verführung und Verfolgung seitens des falschen Messias preisgegeben werden; weil es den guten Hirten verworfen hat, wird es eine Zeitlang in die Hände jenes Hirten fallen, von dem geschrieben steht: „Der Umkommenden wird er sich nicht annehmen, das Versprengte wird er nicht suchen und das Verwundete nicht heilen; das Gesunde wird er nicht versorgen, und das Fleisch des Fetten wird er essen und ihre Klauen zerreißen“ (Sach 11,16).
Auffallend mag es erscheinen, dass der Antichrist sich einerseits über Gott erhebt und sich selbst als Gott verehren lässt, während er andererseits ein Götzenbild in dem Tempel aufstellt und „den Gott der Festungen“ ehrt, also selbst Götzendienst treibt. Allein dieser scheinbare Widerspruch ist nur ein neuer Beweis von der alten oft erprobten Wahrheit, dass eine stolze Verwerfung des wahren Gottes und eine vermessene Selbstüberhebung nicht unvereinbar sind mit sklavischer Furcht vor einem falschen Gott. Der stolze, selbstgefällige Mensch ist selbst auf dem höchsten Gipfel irdischer Macht nicht mehr als ein armer Sklave Satans, des Gottes und Fürsten dieser Welt.
Es bleibt uns noch übrig, ein Wort über den großen Einfluss zu sagen, den der Antichrist, wie schon früher bemerkt, auf das römische Reich ausüben wird. In Offenbarung 13 lesen wir: „Und ich sah ein anderes Tier aus der Erde heraufsteigen: Und es hatte zwei Hörner gleich einem Lamm, und es redete wie ein Drache. Und die ganze Gewalt des ersten Tieres übt es vor ihm aus, und es bewirkt, dass die Erde und die, die auf ihr wohnen, das erste Tier anbeten, dessen Todeswunde geheilt wurde.“ Was die beiden Tiere von Off 13 vorstellen, ist dem Leser bekannt. In dem ersten erblicken wir das wiederhergestellte römische Reich, in dem zweiten den Antichrist, den falschen Propheten. Ein „Tier“ ist in der prophetischen Sprache der Heiligen Schrift das Bild einer irdischen, weltlichen Macht. Dieses Tier nun hat zwei Hörner, gleich einem Lamm, und redet wie ein Drache. Es ist also, was die äußere Form seiner Macht betrifft, dem Lamm ähnlich, aber seine Sprache gleicht der des Drachen, es übt einen bösen, satanischen Einfluss aus. Auch lässt es Feuer vom Himmel herabfallen, wodurch einst die Sendung Elias als Prophet des HERRN bestätigt wurde (1. Kön 18), und tut Zeichen und Wunder und verführt alle, die auf der Erde wohnen, Kleine und Große, Arme und Reiche. Zugleich ist es aufs Engste mit dem ersten Tier verbunden, ja, mehr als das: „es übt die ganze Gewalt des ersten Tieres vor ihm aus“. Das will sagen: die innere wirkende Kraft des Bösen ist in dem zweiten Tier, obwohl das erste äußerlich mit ihr bekleidet erscheint. Ferner fordert das zweite Tier die Bewohner der Erde auf, „ein Bild dem Tier zu machen, das die Wunde des Schwertes hat und wieder lebendig wurde“ (V. 14). Seinem teuflischen Einfluss ist es auch wohl zuzuschreiben, wenn das Haupt des römischen Reiches „Worte redet gegen den Höchsten“ (Dan 7,25), oder wenn es, wie es in Off 13 ausgedrückt wird, „seinen Mund öffnet zu Lästerungen gegen Gott, seinen Namen zu lästern und seine Hütte und die, die ihre Hütte in dem Himmel haben“ (Verse 6 und 7).
Beachten wir, dass alle diese Dinge sich erst nach der Errichtung des römischen Reiches ereignen werden. So wie der Antichrist erst in der zweiten Hälfte der Woche sich den Juden in seinem wahren Charakter zeigen wird, so wird er auch wohl dann erst seinen bösen Einfluss auf das Haupt des römischen Reiches, und durch dieses auf dessen ganzen Machtbereich (die westlichen Länder) ausüben.
3. Seine Herkunft
Aus dem Vorstehenden müssen wir die Folgerung ziehen, dass der Antichrist ein Jude sein wird. Es ist auch kaum denkbar, dass die Juden bei ihrem bekannten Hass gegen Christen und Heiden einen Mann aus deren Mitte als ihren König anerkennen würden. Wie könnten sie in einem solchen ihren verheißenen Messias erblicken? Es ist daher auch nur Unkenntnis betreffs der Prophezeiungen über den Antichrist und über die Stellung, die er einnehmen wird, wenn manche auf den Gedanken gekommen sind, ein Papst oder ein Napoleon würde der Antichrist sein. Die göttlichen Weissagungen lassen uns deutlich erkennen, dass der Antichrist in Judäa als König herrschen wird. Wie könnte dies nun auf einen Papst oder auf einen Napoleon bezogen werden? Die Residenz sowie der Mittelpunkt der Macht des Papstes ist nicht Jerusalem, sondern Rom, und auch ein Napoleon würde den Sitz seiner Regierung wohl kaum von Frankreich nach Judäa verlegen. Wenn es ferner heißt, dass der Antichrist sich als Gott in den Tempel Gottes setzten wird (2. Thes 2,4), so können wir wieder nur an den Tempel in Jerusalem denken. Einen anderen irdischen Tempel erkennt das Wort Gottes nirgendwo an. Diejenigen, die einen Papst für den Antichrist halten, müssen natürlich unter dem Tempel Gottes die Peterskirche in Rom verstehen, aber diese Erklärung bedarf wohl keiner Widerlegung, sie richtet sich selbst. Das Wort Gottes kennt, wie gesagt, keinen anderen Tempel, als das Haus, das einst auf dem Berg Morija zu Jerusalem erbaut wurde und später wieder dort errichtet werden wird. Von diesem Haus sagt der HERR: „Und nun habe ich dieses Haus erwählt und geheiligt, dass mein Name dort sei in Ewigkeit“ (2. Chr 7,16). Im geistlichen Sinn wird zwar auch die Kirche oder Gemeinde Christi der Tempel Gottes genannt, doch es liegt auf der Hand, dass dieses „geistliche Haus“, dieser „heilige Tempel im Herrn“ (1. Pet 2,5; Eph 2,21) hier nicht in Betracht kommen kann. Es kann sich um nichts anderes als um den Tempel zu Jerusalem handeln. Dies wird auch durch manche Einzelheiten in den Weissagungen bestätigt. So kann z. B. nur in Bezug auf den Tempel zu Jerusalem von dem Abschaffen des täglichen Opfers und von dem Entweihen der heiligen Stätte gesprochen werden. Auch passt die Beschreibung, die Johannes in religiöser Beziehung von dem Antichrist macht, dass er nämlich „den Vater und den Sohn leugne“ (1. Joh 2,22), nicht auf den Papst. Das hat das Papsttum niemals getan. Es hat nie geleugnet, dass Christus wahrhaftig Gottes Sohn sei. Im Gegenteil, wenn es einmal soweit kommen wird, dass der Vater und der Sohn völlig geleugnet und verworfen werden, dann wird auch der Papst, der sich ja gerade den Stellvertreter Christi nennt, vom Schauplatz verschwinden.
4. Seine Tätigkeit
Wir haben schon wiederholt darauf hingewiesen, dass der Antichrist in der ersten Hälfte der 70. Woche Daniels die Juden durch Schmeicheleien an sich ziehen und unter seinen bösen Einfluss bringen wird. Aber in der zweiten Hälfte der Woche wird sich alles verändern. Der Teufel ist dann aus dem Himmel auf die Erde geworfen, und wissend, dass sein Reich bald ein Ende nehmen wird, lässt er seine ganze Wut an der Erde aus (Off 12). Das besondere Werkzeug zur Ausführung seiner bösen Pläne ist der Antichrist, dessen Einfluss infolge seiner Verbindung mit dem Haupt des römischen Reiches sich nicht allein über Palästina, sondern auch über das ganze Abendland erstrecken wird. Durch das Gelingen seiner Pläne hochmütig geworden, wird er sich erheben und groß machen über jeden Gott. Durch seinen Einfluss werden Zeiten und Gesetz verändert und das tägliche Opfer abgeschafft werden (Dan 7,25; 9,27; 11,36). Jeder Gottesdienst, sowohl christlichen wie jüdischen Charakters, wird aufhören, und schließlich wird sich der Antichrist selbst als Gott in den Tempel Gottes zu Jerusalem setzen, und die ganze Welt wird ihn anbeten (2. Thes 2,3.4).
„Aber wie ist das möglich?“, ruft der Leser vielleicht verwundert aus. Werden denn die glaubenslosen Massen, die heute schon keinen Gott und keine Autorität über sich anerkennen wollen, sich wirklich vor einem Menschen niederbeugen und ihm göttliche Verehrung darbringen?
Vergessen wir nicht, dass in jenen Tagen einerseits der Teufel auf die Erde geworfen ist und seine Macht und List in einer Weise entfalten wird wie nie zuvor, und andererseits, dass Gott selbst allen denen, die verloren gehen, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, „eine wirksame Kraft des Irrwahns“ senden wird, dass sie der Lüge glauben (2. Thes 2,10.11). Und diese Lüge wird verführerisch genug sein, ist doch die Erscheinung des Antichrists „nach der Wirksamkeit des Satans, in aller Macht und allen Zeichen und Wundern der Lüge“ (2. Thes 2,9). Wir haben schon weiter oben gesagt, dass er Feuer vom Himmel auf die Erde herabkommen lassen wird. Ja, der Teufel wird ihm sogar die Macht verleihen, dem Bild des Tieres, das er errichtet, Odem zu geben, „damit das Bild des Tieres sogar redete“ (Off 13,14.15). Die Macht der Verführung wird daher überaus groß sein, und wir wissen ja, dass der Mensch, wenn Gott ihn dahingibt, zu den schrecklichsten und unglaublichsten Dingen fähig ist; wie viel mehr, wenn Gott in richterlicher Weise sein Herz verhärtet und seine Augen verblendet! Indes gibt es noch einen anderen Grund, weshalb die Menschen sich allgemein vor dem Antichrist in den Staub beugen werden. Wer irgend nämlich sich weigern wird, das Bild des Tieres anzubeten, wird getötet werden, und alle, Kleine und Große, Arme und Reiche, werden sich ein Malzeichen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn machen müssen, da niemand kaufen oder verkaufen kann, der nicht dieses Zeichen, den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens, trägt (Off 13,15–17). So wie es zur Zeit Nebukadnezars, als das goldene Bild aufgerichtet war, nur einige wenige gab, die Mut und Glauben genug hatten, um dem gottlosen Befehl des Königs den Gehorsam zu verweigern, so wird auch dann die große Masse der Menschen sich willig dem Antichrist unterwerfen und seinen Willen tun.
Nur ein kleiner Überrest wird treu an seinem Gott hangen und sich standhaft weigern, den Antichrist anzuerkennen und das Bild des Tieres anzubeten. Er wird infolge dessen auf die schrecklichste Weise verfolgt werden. Wie zur Zeit der Makkabäer, so werden auch dann wieder die Gläubigen fallen „durch Schwert und Flamme, durch Gefangenschaft und Raub, eine Zeit lang“ (Vergl. Dan 11,33). „Hier ist das Ausharren der Heiligen, die die Gebote Gottes und den Glauben Jesu bewahren“ (Off 14,12). In Mt 24,15–22 beschreibt der Herr Jesus diese schreckliche Zeit, und in Off 12 sahen wir bereits die Frau, durch den Antichrist verfolgt, in die Wüste fliehen, wo sie durch Gott dreieinhalb Jahre bewahrt wird. Viele dieser treuen Bekenner werden ihr Zeugnis mit dem Tod besiegeln. Die beiden Hauptmächte jener Tage, das Haupt des römischen Reiches und der Antichrist, werden sie mit grausamer Wut verfolgen. Von dem Ersteren lesen wir in Offenbarung 13, dass es Gewalt empfängt, „mit den Heiligen Krieg zu führen und sie zu überwinden“, und in Offenbarung 20 sehen wir diejenigen, „die um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen enthauptet worden waren, und die, die das Tier nicht angebetet hatten usw.“, aus den Toten auferstehen. So wird denn der Herr einen Teil seiner Zeugen während dieser schrecklichen Verfolgungen bewahren, wie Er einst Noah mit den Seinigen in der Arche erhielt. Viele aber werden ins Gefängnis geworfen, gemartert und getötet werden.
5. Sein Ende
Wenn die Macht des Antichrists ihren Gipfelpunkt erreicht hat, wird ein jähes Ende ihn ereilen. Er wird mit allen denen, die gegen den Herrn und seinen Gesalbten aufgestanden sind, gerichtet werden. Wegen des verwüstenden Gräuels, der im Tempel zu Jerusalem stehen wird, und weil die Masse der Juden mit dem Tod einen Bund gemacht und mit dem Scheol einen Vertrag geschlossen (Jes 28) und sich dem abscheulichsten Götzendienst rückhaltlos hingegeben hat, wird der Herr einen Verwüster in das Land senden, „und zwar bis Vernichtung und Festbeschlossenes über das Verwüstete ausgegossen werden“ (Dan 9,27). Auf welche Weise dies geschehen wird, darüber belehren uns verschiedene Prophezeiungen. So finden wir z. B. in dem letzten Teil von Dan 11 wichtige Einzelheiten betreffs dieser Zeit: „Und zur Zeit des Endes wird der König des Südens mit ihm (dem Antichrist) zusammenstoßen, und der König des Nordens wird gegen ihn anstürmen mit Wagen und mit Reitern und mit vielen Schiffen; und er wird in die Länder eindringen und wird sie überschwemmen und überfluten“ (V. 40). Der König des Südens ist der König von Ägypten, und der König des Nordens ist der Assyrer, das kleine Horn von Daniel 8, oder die „überflutende Geißel“ von Jesaja 28, die durch das Land hindurchfahren und alles zertreten wird. Diese beiden Mächte werden gegen den König von Kanaan heraufziehen, doch der König des Nordens wird die Oberhand behalten. Er wird in das Land der Zierde, d. i. in das jüdische Land, kommen und dieses, mit Ausnahme von Edom, Moab und Ammon, in Besitz nehmen. Die Stadt wird eingenommen, die Häuser werden geplündert und die Frauen geschändet werden. Die Hälfte der Stadt wird von ihm gefangen genommen und auf seinem weiteren Zug mitgeführt werden (Sach 14,2). Denn anstatt in sein Land zurückzukehren, wird er weiter nach Ägypten ziehen und auch dieses Land zu erobern trachten (Dan 11,42.43). Doch während er damit beschäftigt ist, wird er durch Gerüchte von Osten und von Norden erschreckt und zur Umkehr genötigt werden. In großem Grimm macht er sich auf, mit dem Vorsatz, viele zu vernichten und zu vertilgen; doch dies wird ihm nicht gelingen. In das Land der Zierde (Palästina) zurückgekehrt, wird er zu seinem Ende kommen, und niemand wird ihm helfen.
Doch woher kommen jene Gerüchte? Etwas Bestimmtes hierüber zu sagen ist schwer, wenn nicht unmöglich. Ich gebe deshalb in dem Folgenden nur eine Meinung. Wir werden uns erinnern, dass der König von Kanaan, der Antichrist, mit dem Kaiser des römischen Reiches verbündet ist. Der Assyrer hat ihn geplündert und ist dann nach Ägypten gezogen. Während seines Aufenthaltes dort wird wohl der Kaiser des römischen Reiches seine Heere sammeln und nach Jerusalem ziehen, um dem Antichrist, seinem Verbündeten, zu Hilfe zu kommen und zugleich seine eigene Macht geltend zu machen. Zugleich mögen die Völker, die der König des Nordens auf seinem Siegeszug unterworfen hat, sich wieder empören. Die Gerüchte hiervon veranlassen ihn, schleunigst aus Ägypten zurückzukehren. Auf diese Weise werden sich die Völker nach Palästina hin versammeln, und die Weissagung Joels wird sich erfüllen:„Dann werde ich alle Nationen versammeln und sie in die Talebene Josaphat hinabführen; und ich werde dort mit ihnen rechten über mein Volk und mein Erbteil Israel“ (Joel 4,2). Oder wie es in Offenbarung 16,14 heißt: Die Könige des ganzen Erdkreises werden sich mit ihren Heeren „versammeln zu dem Krieg des großen Tages Gottes, des Allmächtigen“. In ihrer Mitte befinden sich die gefangenen Juden. Die große Schlacht bei Harmagedon wird geschlagen, und das Blut fließt in Strömen rings um Jerusalem her. Dann erscheint der Herr mit seinen himmlischen Heerscharen, und nun wenden sich die streitenden Heere gegen Ihn, der auf dem weißen Pferd sitzt, und gegen die, die Ihm folgen. „Und ich sah das Tier und die Könige der Erde und ihre Heere versammelt, um den Krieg zu führen mit dem, der auf dem Pferd sag, und mit seinem Heer“ (Off 19,19). Törichte Vermessenheit! Nicht lange, und die ganze gewaltige Menge liegt niedergeschmettert am Boden. Er, der auf seinem Gewand den Namen trägt: „König der Könige und Herr der Herren“, wird die Nationen „weiden mit eiserner Rute, und er tritt die Kelter des Weines des Grimmes des Zornes Gottes, des Allmächtigen“ (Off 19,15).
In Sach 14,3–5 lesen wir: „Und der Herr wird ausziehen und gegen jene Nationen kämpfen, wie an dem Tag, da er kämpft, an dem Tag der Schlacht. Und seine Füße werden an jenem Tag auf dem Ölberg stehen, der vor Jerusalem im Osten liegt; und der Ölberg wird sich in der Mitte spalten, nach Osten und nach Westen hin, zu einem sehr großen Tal … Und ihr (d. h. die gläubigen Juden, der treue Überrest) werdet in das Tal meiner Berge fliehen … Und kommen wird der Herr, mein Gott, und alle Heiligen mit dir.“ Der Herr selbst wird für sein Volk streiten und alle seine Feinde vernichten. Von dem König des Nordens wird in Dan 11,45 gesagt: „Und er wird zu seinem Ende kommen, und niemand wird ihm helfen.“ Und in Off 19,20 heißt es bezüglich der beiden Hauptmächte des Bösen in jenen Tagen: „Und das Tier wurde ergriffen und der falsche Prophet, der mit ihm war, der die Zeichen vor ihm tat, womit er die verführte, die das Malzeichen des Tieres annehmen und die sein Bild anbeteten – lebendig wurden die zwei in den Feuersee geworfen, der mit Schwefel brennt“, während bezüglich ihrer Nachfolger gesagt wird: „Und die Übrigen wurden getötet mit dem Schwert dessen, der auf dem Pferd saß, dem Schwert, das aus seinem Mund hervorging; und alle Vögel wurden von ihrem Fleisch gesättigt“ (V. 21). Schreckliches Ende! In dem Feuersee, der mit Feuer und Schwefel brennt, werden Verführer und Verführte ihr ewiges Teil finden. „Und der Rauch ihrer Qual steigt auf von Ewigkeit zu Ewigkeit; und sie haben keine Ruhe Tag und Nacht“ (Off 14,11). Das Herz zittert bei dem Gedanken daran, aber es stimmt auch ein in den Ruf der Volksmenge in dem Himmel: „Halleluja! Das Heil und die Herrlichkeit und die Macht unseres Gottes! Denn wahrhaftig und gerecht sind seine Gerichte.“
Bezüglich des Endes des Antichrists lesen wir noch in 2. Thes 2,8, dass „der Herr Jesus ihn verzehren wird durch den Hauch seines Mundes und vernichten wird durch die Erscheinung seiner Ankunft“.