Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus
Der Zustand der Welt nach der Aufnahme der Braut
Die Aufnahme der Braut Christi und ihre Einführung ins Vaterhaus wird von der Welt nicht gesehen werden. In einem Augenblick, in einem Nu werden die Gläubigen von der Erde verschwinden, ohne dass jemand ihr Weggehen bemerkte oder sagen könnte, wohin sie gegangen, und auf welche Weise sie weggenommen worden sind. Es ist indes selbstredend, dass ein solch außergewöhnliches Ereignis nicht unbeachtet bleiben wird. Wie man einst Henoch vermisste, so wird man dann auch die Gläubigen vermissen, und man kann sich bei einigem Nachdenken leicht eine Vorstellung davon machen, was für eine gewaltige Erschütterung das für uns so herrliche Ereignis hervorrufen wird. Tausende von Menschen werden auf einmal spurlos verschwunden sein. Mancher Mann wird seine Frau, manche Frau ihren Mann vermissen. Eltern werden ihre Kinder und Kinder ihre Eltern vergeblich suchen. Einige Stunden oder gar wenige Minuten vorher waren sie noch beieinander, und nun sind die einen nicht mehr da, und die anderen irren klagend und jammernd umher. Geschäftsleute werden vergeblich auf ihre Arbeiter und Angestellten, Herrschaften vergeblich auf ihre Dienstboten warten, oder umgekehrt. Ja, ganze Häuser werden leer stehen. Die Bewohner sind mit Hinterlassung von all ihrem Hab und Gut verschwunden. Ganze Familien sind wie vom Erdboden weggefegt. Kein Glied ist zurückgeblieben, um Kunde von den übrigen zu geben oder ihr Erbe anzutreten. Welch eine allgemeine Bestürzung und Verwirrung wird das hervorrufen! Es wird sicherlich in den ersten Tagen und Wochen über nichts anderes gesprochen werden. Die Zeitungen werden voll davon sein, und man wird wahrscheinlich zu Vermutungen kommen, die noch ungereimter sind, als die der Prophetensöhne zur Zeit des Elias. Und diese Dinge werden nicht nur in einem Land oder in einem Erdteil stattfinden, sondern in allen Ländern der Welt, überall, wo Gläubige wohnen.
Doch wie es zu allen Zeiten in der Welt gegangen ist, so wird es auch dann gehen: man wird, nachdem man lange an das sonderbare, nie dagewesene Ereignis gedacht, allerlei Vermutungen darüber ausgesprochen und wahrscheinlich viel darüber gespottet hat, die Sache vergessen. Zugleich werden andere, ernste Ereignisse sehr bald die Aufmerksamkeit so völlig in Anspruch nehmen und die Herzen so beschäftigen, dass man keine Zeit mehr haben wird, an das Verschwinden der Christen zu denken. Nach der Aufnahme der Kirche Christi werden die Gerichte mit überraschender Schnelligkeit über die Welt hereinbrechen. Die durch die Propheten zuvor angekündigten Ereignisse werden einander so schnell folgen, die Kriege und Seuchen werden so schrecklich sein, dass man alles andere schnell vergessen wird. Ja, nach der Kenntnis, die wir von dem menschlichen Herzen haben, können wir noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass die Welt sich schließlich freuen wird, von den lästigen Warnungen und Ermahnungen der „Frommen“ befreit zu sein.
Von einer Bekehrung der Welt wird auch dann ebenso wenig die Rede sein wie heute. Vielleicht werden einzelne, die mit der Schrift und den Prophezeiungen betreffs der zukünftigen Dinge bekannt sind und daher wissen, was geschehen ist, sich bekehren1; und sicher werden viele aus den Juden und den übrigen Nationen infolge der dann wieder aufgenommenen Predigt des „Evangeliums des Reiches“ den Messias Israels aus dem Himmel erwarten. Doch die große Masse wird unbekehrt bleiben, ja an Gottlosigkeit zunehmen. Es wird voll und ganz so werden, wie es in den Tagen Noahs und in Sodom und Gomorra zur Zeit Lots war (Lk 17,26–30). Die Erde wird mit Bosheit und Gewalttat erfüllt werden, und die Gottlosigkeit wird ihren Gipfelpunkt erreichen. Der Geist des Umsturzes wird sich überall in völlig ungezügelter Weise geltend machen, und der Unglaube wird herrschen. Throne und Mächte werden wanken, die von Gott eingesetzten Herrschaften und Gewalten werden gestürzt werden, und schließlich wird die ganze Welt vor dem Menschen der Sünde, dem Sohn des Verderbens, willig das Knie beugen. Eine schreckliche Zeit wird anbrechen, eine „große Drangsal, wie sie seit Anfang der Welt bis jetzt nicht gewesen ist, und auch nicht wieder sein wird“ (Mt 24,21). Schon jetzt ist es wahr, wird sich aber dann noch furchtbarer bewahrheiten, was der Apostel über die letzten Zeiten an sein Kind Timotheus schreibt: „Die Menschen werden selbstsüchtig sein, geldliebend, prahlerisch, hochmütig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, unheilig, ohne natürliche Liebe, unversöhnlich, Verleumder, unenthaltsam, grausam, das Gute nicht liebend, Verräter, verwegen, aufgeblasen, mehr das Vergnügen liebend als Gott“ (2. Tim 3,1–4; siehe auch 1. Tim 4,1; 2. Pet 2 u. 3 und Judas).
Wie entsetzlich böse ist doch der Mensch! Er ist durch nichts zu verbessern. Weder die Bannflüche des Gesetzes, noch die Predigt der Gnade, noch die erschütterndsten Ereignisse sind imstande, irgendeine Veränderung in seinem Zustand hervorzubringen. Er ist und bleibt stets gleich böse, gleich feindselig gegen Gott. Wie man einst die Auferstehung Jesu wider besseres Wissen geleugnet hat, so wird man am Ende auch die Aufnahme der Seinigen leugnen. Selbst die schrecklichen Gerichte, von denen das Buch der Offenbarung uns in so ergreifender Weise Mitteilung macht – die Siegel, Posaunen und Zornschalen – werden keine Veränderung bewirken. Wenn die Gerichte einen solchen Grad erreichen werden, dass die Menschen verzweiflungsvoll den Tod suchen, werden sie sich trotzdem nicht von ihren bösen, gottlosen Werken abwenden, sie werden nicht zu Gott rufen, sondern in bitterer Feindschaft gegen Ihn fortfahren, die Dämonen anzubeten; sie werden „nicht Buße tun von ihren Mordtaten, noch von ihren Zaubereien, noch von ihrer Hurerei, noch von ihren Diebstählen“ (Off 9,20.21). Sie werden ihre Zungen zerbeißen vor Pein, aber anstatt sich zu Gott zu bekehren, werden sie erst recht den Gott des Himmels lästern (Off 16,10.11).
Das ist der Mensch! In demselben schrecklichen Zustand befanden auch wir uns, geliebter christlicher Leser, und würden darin geblieben sein, wenn nicht die unergründliche Gnade Gottes, „das ewige Erbarmen, das alles Denken übersteigt“, uns herausgerissen hätte. Ewig sei deshalb der Name unseres Gottes und Vaters und unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus gepriesen!
Dass die Gottlosigkeit sich so unverhüllt offenbaren wird, kann uns nicht Wunder nehmen, wenn wir bedenken, was in jenen Tagen geschehen wird. Gleichzeitig mit der Entrückung der Kirche Christi wird ja auch der Heilige Geist die Erde verlassen: Er führt die Braut dem Bräutigam entgegen. Dann ist das Licht der Welt und das Salz der Erde verschwunden. Alles ist finster geworden und dem Verderben preisgegeben. Die Versammlung, die wahre Kirche, in der der Heilige Geist wohnt, und die der Gegenstand der zärtlichen Fürsorge Gottes ist, bildet heute noch einen Damm gegenüber dem Strom der Ungerechtigkeit (2. Thes 2). So lange sie hienieden weilt, hält Gott in seiner Macht, die in den von Ihm verordneten Obrigkeiten wirksam ist, die völlige Entwicklung des Bösen, des zügellosen, aller Autorität spottenden Eigenwillens des Menschen zurück. Gott hat der Offenbarung des Menschen der Sünde, des Gesetzlosen, eine Schranke gesetzt. Sobald aber die Kirche von der Erde weggenommen ist, zieht Gott seine Hand zurück und lässt dem Bösen freien Lauf. Dann ist nichts mehr da, was zurückhält, und die Bosheit der Menschen wird sich in einer Schrecklichkeit offenbaren wie nie zuvor. Wir brauchen nur die Welt um uns her zu betrachten, um heute schon überall die Keime wahrzunehmen, die dann zu ihrer vollen Entwicklung kommen werden. Die Gottlosigkeit nimmt von Jahr zu Jahr zu. Das Abweichen von Gottes Geboten wird stets größer. Der Geist der Unzufriedenheit mit der bestehenden Ordnung, der Geist der Empörung gegen alle Obrigkeit und Gewalt wächst lawinenartig an. Der Unglaube erhebt immer verwegener sein Haupt und erkühnt sich, das zu leugnen, was er noch vor wenigen Jahren nicht zu verneinen wagte. Vergegenwärtigen wir uns einmal, dass die wahren Christen von dieser Erde verschwunden sind, dass das Licht weggenommen ist und das Zeugnis der Wahrheit aufgehört hat, ja, dass Gott selbst das Böse nicht länger im Zaum hält, so werden wir leicht verstehen können, dass das Verderben unaufhaltsam und reißend schnell zunehmen wird. Der Mensch, sich selbst überlassen und völlig der Macht des Teufels preisgegeben, der dann aus dem Himmel auf die Erde geworfen ist (Off 12, 9), wird sich in seiner ganzen Bosheit und Feindschaft gegen Gott offenbaren. Unglaube, Ungerechtigkeit und Eigenwille werden wie ein Strom die Erde überfluten und in der Anbetung des Antichrists ihren Höhepunkt erreichen. Aber dann wird auch der Herr kommen inmitten seiner heiligen Tausende, in flammendem Feuer, um an den Bösen Vergeltung zu üben und „den Gesetzlosen zu verzehren durch den Hauch seines Mundes“.
Welch ein entsetzliches Los steht daher den Kindern dieser Welt bevor! Sollten wir kalt und gleichgültig bleiben bei dem Gedanken an das unsagbar schreckliche Gericht, das über sie ausgegossen werden wird? Wahrlich nicht! Sondern so wie einst Jesus über Jerusalem weinte und ausrief: „Wenn du doch erkannt hättest – und wenigstens an diesem deinem Tag – was zu deinem Frieden dient!“, so sollten auch unsere Herzen mit Schmerz und Trauer erfüllt sein bei dem Anblick einer Welt, die sich immer rückhaltloser der Sünde und Ungerechtigkeit ergibt, und die mit raschen Schritten dem ewigen Verderben entgegeneilt. Und wir sollten nicht bei der Betrübnis darüber stehen bleiben. Nein, lasst uns mit Ernst und Eifer, mit Herzen, die von der Liebe Christi gedrungen werden, den Verlorenen nachgehen und ihnen die frohe Botschaft der Gnade verkündigen, damit noch viele von dem kommenden Zorn errettet werden! Die Stunde des Gerichts, wie nahe sie auch sein mag, hat noch nicht geschlagen. Die Tür der Gnade ist noch geöffnet, und noch kann ein jeder Anteil erlangen an den himmlischen Segnungen, die Gott für alle an Jesus Glaubenden bereitet hat.
Brüder, die Zeit ist kurz! Die Stunden eilen schnell dahin! Bald werden wir keine Gelegenheit mehr haben, in einer verlorenen Welt für unseren Herrn und Heiland Zeugnis abzulegen und Seelen für Ihn zu gewinnen. Lasst uns deshalb unserer Berufung treu sein, damit es einmal vor dem Thron Gottes offenbar werden möge, dass wir vielen Sündern als Wegweiser zu Jesus gedient haben!
Fußnoten
- 1 Indes dürfen wir nicht vergessen, dass nach den bestimmten Erklärungen der neutestamentlichen Schreiber gerade über die christlichen Völker und Länder, die so lange unter dem Schall des Evangeliums gestanden haben, das Gericht der Verblendung und Verhärtung kommen wird. Gott selbst wird denen, „die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gefunden haben an der Ungerechtigkeit, eine wirksame Kraft des Irrwahns senden, dass sie der Lüge glauben“ (2. Thes 2,11.12). Die Tür der Gnade, die so lange für diese Völker weit offen stand, wird für sie geschlossen werden. Das ist ein sehr ernster Gedanke, besonders für die vielen Angehörigen von Gläubigen, die so viel gehört haben und so oft eingeladen worden sind, aber ihr Herz verhärten.