Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus
Die erste und die zweite Auferstehung
Die in früheren Jahrhunderten allgemein angenommene und selbst heute noch vielfach unter den Gläubigen verbreitete Meinung, dass nur eine Auferstehung der Gerechten und Ungerechten zugleich, stattfinden werde, steht, wie sich aus unseren bisherigen Betrachtungen bereits ergeben hat, im Widerspruch mit der Schrift. Wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes möchten wir jedoch noch etwas näher auf ihn eingehen und die Einwendungen, die man gegen unsere Behauptung macht, zu widerlegen suchen.
Zunächst wolle der Leser den Unterschied zwischen dem Ausdruck „Auferstehung aus den Toten“ (Apg 4,2; Lk 20,35; Phl 3,11) und „Auferstehung der Toten“ wohl beachten. Offenbar können diese beiden Ausdrücke nicht dasselbe bezeichnen. Der Ausdruck „Auferstehung der Toten“ bedeutet die Auferstehung aller Gestorbenen, und in engerem Sinn die Auferstehung der geistlich Toten. „Die Auferstehung aus den Toten“ bildet dagegen nur einen Teil, einen besonderen Abschnitt der „Auferstehung der Toten“. Schon der Ausdruck „aus den Toten“ deutet klar darauf hin, dass, während alle Toten sich in ihren Gräbern befinden, einige aus ihrer Mitte auferstehen werden. So geschah es mit Jesu: Er stand auf aus den Toten (1. Kor 15,12). Und so wird es auch mit den Heiligen geschehen (Lk 20,35).
Wenden wir uns jetzt zu 1. Korinther 15,1–28. Es gab damals schon in dem Schoß der korinthischen Gemeinde falsche Lehrer, die die Auferstehung der Toten leugneten. In dem genannten Kapitel nun beweist der Apostel in schlagender Weise, dass ganz gewiss eine Auferstehung der Toten stattfinden wird. Zunächst führt er einige unleugbare Beweise für die Auferstehung Jesu an (Verse 1–11), Beweise, denen niemand, auch jene falschen Lehrer nicht, widersprechen konnte. War aber Christus aus den Toten auferstanden, so musste es eine Auferstehung der Toten geben (Verse 12–19). Die Auferstehung eines Menschen, und zwar eines wirklich Gestorbenen, beweist die Auferstehung aller Gestorbenen. Indem der Apostel dann erst im 29. Vers seine Beweisführung fortsetzt, gibt er in einem Zwischensatz (Verse 20–28) eine allgemeine Darstellung der Ereignisse, die mit der Auferstehung verbunden sind. Er beginnt mit den einfachen, aber so eindrucksvollen Worten: „Nun aber ist Christus aus den Toten auferweckt, der Erstling der Entschlafenen“. Was folgt daraus? Dass, wenn Christus, der aus den Toten Auferstandene, der Erstling der Entschlafenen ist, diese Entschlafenen gleich Ihm aus den Toten auferstehen müssen. Sie müssen, wie Er, nicht nur den Tod, sondern auch die Toten verlassen. Diese Wahrheit wird im 23. Vers noch deutlicher ausgesprochen: „Jeder aber in seiner eigenen Ordnung: der Erstling, Christus; dann die, die des Christus sind bei seiner Ankunft“. Merkwürdige Worte! Mit Christus hat die erste Auferstehung, die Auferstehung aus den Toten, begonnen. Allerdings sind vor der Auferstehung Jesu schon Tote auferweckt worden, sowohl im Alten Testament, als auch während des Wandelns des Herrn auf dieser Erde, aber das war eine Auferweckung ganz anderer Art, indem die Seelen dieser Gestorbenen wieder in denselben Leib zurückkehrten, den sie verlassen hatten, um nun, wie vor ihrem Tod, hienieden zu leben und zum zweiten Mal zu sterben. Die Auferstehung Jesu dagegen war der Anfang eines ganz neuen Zustandes, der Beginn der neuen Schöpfung. Deshalb wird Er auch der Erstling der Entschlafenen genannt, und alle, die des Christus sind bei seiner Ankunft, werden dann, gleich Ihm, aus den Toten auferstehen mit einem neuen, verherrlichten Leib, um fortan ewig mit Ihm zu leben.
Christus hat in der Kraft des in Ihm wohnenden Lebens den Tod überwunden. Wir ziehen Nutzen aus seinem Sieg. Er trägt deshalb mit Recht den Titel: „Erstling“ und ist als solcher aus der Mitte der Toten auferstanden. „Der Erstling, Christus; dann die, die des Christus sind bei seiner Ankunft.“ Es wäre indes verkehrt, aus diesen Worten den Schluss ziehen zu wollen, dass alle, die des Christus sind, zugleich auferstehen werden. Der Ausdruck „seine Ankunft“ umfasst hier den ganzen Zeitraum von seinem ersten Kommen zur Einholung seiner Braut bis zu seiner Erscheinung mit ihr in Herrlichkeit. Die erste Auferstehung vollzieht sich in verschiedenen Perioden. So wird uns denn auch in Offenbarung 20 berichtet, dass erst, nachdem der Herr mit seiner Frau vom Himmel gekommen ist, um sein Reich aufzurichten, und nachdem der Teufel für tausend Jahre gebunden ist, die während der Gerichte getöteten Gläubigen aus den Toten auferstehen werden. Die „Toten in Christus“, alle, die zu jener Zeit bereits durch Jesus entschlafen sind, werden auferweckt, wenn der Herr in die Luft kommt, die Gläubigen aber, die in der Zeit der Gerichte um ihres treuen Zeugnisses willen den Märtyrertod erlitten haben, werden erst bei seinem Kommen auf die Erde auferstehen. Beide Klassen gehören indes, wie ihr Herr und Heiland selbst, zur ersten Auferstehung.
„Dann das Ende“, sagt Paulus. Welches Ende? Die Übergabe aller Gewalt und Herrschaft seitens Christi in die Hände des Vaters, „damit Gott alles in allem sei“ (V. 28). Wird dieses Ende sogleich auf die Ankunft Christi folgen? Nein, denn zwischen der Auferstehung der Gläubigen und dem „Ende“ muss Christus als König herrschen. „Dann das Ende, wenn er das Reich dem Gott und Vater übergibt, wenn er weggetan haben wird alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht. Denn er muss herrschen, bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. Als letzter Feind wird der Tod weggetan.“ Das sind deutliche und bestimmte Worte. Christus wird, nachdem Er alle, die sein sind, aus den Toten auferweckt und mit sich in Herrlichkeit vereinigt hat, als König herrschen. Alle Feinde werden unter seine Füße gelegt werden, und schließlich wird Er auch den Tod, den letzten Feind, zunichte machen, indem Er alle Toten (d. h. alle, die nicht der ersten Auferstehung angehören) aus ihren Gräbern zum Vorschein ruft. Dann wird das herrliche Ende kommen: ein neuer Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt (2. Pet 3,13), der ewige Zustand, in dem Gott alles in allem sein wird.
Doch wir müssen noch einen Augenblick bei Offenbarung 20 verweilen. Nachdem die himmlischen Heiligen ihre Herrschaft mit Christus angetreten haben, und die während der Gerichte getöteten Gläubigen auferweckt sind, lesen wir: „Die Übrigen der Toten wurden nicht lebendig, bis die tausend Jahre vollendet waren. Dies ist die erste Auferstehung. Glückselig und heilig, wer teil hat an der ersten Auferstehung! Über diese hat der zweite Tod keine Gewalt, sondern sie werden Priester Gottes und des Christus sein und mit ihm herrschen tausend Jahre“ (Verse 5 und 6). Hier wird uns also in einfachen, nicht mißzuverstehenden Worten gesagt, dass eine erste und eine zweite Auferstehung stattfinden wird. Die erste Auferstehung ist, wie es sich auch hier wieder deutlich zeigt, eine Auferstehung aus den Toten, denn „die Übrigen der Toten wurden nicht lebendig“. Sie umfasst in ihren verschiedenen Abschnitten alle, die des Christus sind. Alle Gläubigen, die von Anfang der Welt an bis zur Errichtung des 1000-jährigen Reiches gestorben sind, gehören zu der ersten Auferstehung. Diese erste Auferstehung findet vor Beginn, beziehungsweise ganz im Anfang des 1000-jährigen Reiches statt. Doch wenn die tausend Jahre vorüber sind, werden alle, die in den Gräbern sind, durch Jesus auferweckt und vor seinen Richterstuhl gestellt werden. „Und ich sah einen großen weißen Thron und den, der darauf saß, vor dessen Angesicht die Erde entfloh und der Himmel, und keine Stätte wurde für sie gefunden. Und ich sah die Toten, die Großen und die Kleinen, vor dem Thron stehen, und Bücher wurden geöffnet; und ein anderes Buch wurde geöffnet, welches das des Lebens ist. Und die Toten wurden gerichtet nach dem, was in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken. Und das Meer gab die Toten, die in ihm waren, und der Tod und der Hades gaben die Toten, die in ihnen waren, und sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken. Und der Tod und der Hades wurden in den Feuersee geworfen. Dies ist der zweite Tod, der Feuersee“ (Verse 11–14). Hier haben wir die zweite Auferstehung.
Obwohl der Ausdruck „erste Auferstehung“ nur in Offenbarung 20 vorkommt, so ist dies doch keineswegs die einzige Stelle, in der die Lehre von zwei verschiedenen Auferstehungen behandelt wird. Schon in 1. Korinther 15 fanden wir einen deutlichen Hinweis auf diese Lehre. Doch es gibt noch andere Stellen, die dieselbe Wahrheit enthalten. In Lukas 14,14 z. B. sagt der Herr Jesus: „Glückselig wirst du sein, weil sie nichts haben, um dir zu vergelten; denn dir wird vergolten werden in der Auferstehung der Gerechten“. Dieser Ausdruck: „Auferstehung der Gerechten“ würde keinen Sinn haben, wenn damit nicht eine besondere, von der Auferstehung der Ungerechten oder Gottlosen unterschiedene Sache bezeichnet werden sollte. Ferner lesen wir in Lukas 20,35.36: „Die aber für würdig erachtet werden, jener Welt teilhaftig zu sein und der Auferstehung aus den Toten, heiraten nicht, noch werden sie verheiratet; denn sie können auch nicht mehr sterben, denn sie sind Engeln gleich und sind Söhne Gottes, da sie Söhne der Auferstehung sind“. Hier kann man wieder nicht an eine gemeinsame Auferstehung aller Toten denken, denn zunächst ist es eine Auferstehung aus den Toten, ferner werden nur einige dieser Auferstehung und der zukünftigen Welt für würdig erachtet werden, und zum Dritten werden diese Wenigen den Engeln gleich sein, Söhne Gottes, da sie Söhne der Auferstehung sind, ähnlich wie Jesus selbst durch seine Auferstehung in Kraft als Sohn Gottes erwiesen worden ist (Rö 1,4). Es ist also ganz unmöglich, aus dieser Stelle auf eine allgemeine Auferstehung zu schließen. Sie beweist gerade das Gegenteil. – In Philipper 3,11 endlich ruft Paulus aus: „ob ich auf irgend eine Weise hingelangen möge zur Auferstehung aus den Toten“. Wie hätte der Apostel so reden können, wenn es nur eine Auferstehung gäbe, zu der alle, ob gerecht oder ungerecht, notwendigerweise hingelangen müssten? Es hätte dann wahrlich eines so ernsten Trachtens und Nachjagens seinerseits nicht bedurft.
Eine weitere, für unseren Gegenstand sehr wichtige Stelle ist Johannes 5,19–29, da man sie sehr oft als beweiskräftig für die Annahme einer allgemeinen Auferstehung anführen hört. Betrachten wir sie denn etwas näher. Jesus, von den Juden der Gotteslästerung beschuldigt, weil Er sich selbst Gottes Sohn nannte, rechtfertigt sich durch den Hinweis darauf, dass der Vater dem Sohn Macht gegeben habe, alles zu tun, was Er selbst tue. Der Vater und der Sohn sind eins, und es ist der Wille des Vaters, dass alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Diese Ehre wird nun dem Sohn auf zweierlei Weise zugesichert: 1) Er macht lebendig, und 2) Er übt Gericht. „Denn wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, die er will“ (V. 21). Das ist der erste Beweis seiner göttlichen Macht: Er gibt das Leben, und Er gibt es, wem Er will. Aber als der Mensch gewordene Gottessohn ist Er von Seiten der Menschen verunehrt, verkannt und verworfen worden, und darum ist Ihm das ganze Gericht gegeben: „denn der Vater richtet auch niemand, sondern das ganze Gericht hat er dem Sohn gegeben, damit alle – auch die, die den Sohn verworfen haben – den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren“. Wollen sie Ihn jetzt nicht ehren, wo noch Gnade zu erlangen ist, so werden sie Ihn dereinst im Gericht ehren müssen (vgl. Phil 2,9–11). Diejenigen aber, die durch den Vater und den Sohn lebendig gemacht sind, kommen nicht ins Gericht, sondern sind aus dem Tod in das Leben übergegangen.
Doch wie gelangen sie in dieses Leben? Die Antwort finden wir in Vers 25: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist jetzt, da die Toten (d. h. die geistlich Toten, die in Vergehungen und Sünden tot sind) die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben“ – nicht auferstehen, sondern geistliches Leben empfangen. Die Stunde hat damals schon begonnen und währt fort bis zum Schluss der Gnadenzeit. Im Blick auf alle aber, die dem Sohn ungehorsam sind und auf seine Stimme nicht hören wollen, hat der Vater dem Sohn Gewalt gegeben, auch Gericht zu halten. „Wundert euch darüber nicht“, sagt der Herr, „denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, (d. h. also alle Gestorbenen, nicht etwa geistlich Tote wie in V. 25), seine Stimme hören und hervorkommen werden: die das Gute getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber das Böse verübt haben, zur Auferstehung des Gerichts“ (Verse 28 und 29). Es gibt also eine Auferstehung des Lebens für diejenigen, die vor dem Gericht lebendig gemacht worden sind, und eine Auferstehung des Gerichts für alle übrigen.
Doch man wendet ein: „Diese Stelle redet allerdings von zweierlei Klassen von Menschen und auch von zweierlei Enden derselben, allein es geht zu weit, daraus auch auf zwei verschiedene Auferstehungen schließen zu wollen. Deutet nicht vielmehr der Ausdruck „Stunde“ gerade darauf hin, dass die Auferstehung beider Klassen zu derselben Zeit stattfinden wird?“ Mit Recht mögen wir uns darüber wundern, dass dieser Einwand für viele so großen Wert hat. Der Herr sagt allerdings: „Die Stunde kommt, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören und hervorkommen werden“; aber Er hat auch gerade vorher gesagt: „Es kommt die Stunde und ist jetzt, da die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben“. Und wir haben bereits gesehen, dass diese letzte Stunde schon mehr als 1800 Jahre gedauert hat. Warum sollte also die Stunde, von der in Vers 28 die Rede ist, nicht auch 1000 Jahre oder mehr dauern können? (Das Wort „Stunde“ bedeutet in der Schrift oft einen Jahrhunderte langen Zeitraum. So sagt auch z. B. Johannes: „Kinder, es ist die letzte Stunde“.) Die Sache ist so einfach wie möglich, wenn man die Stelle nur in Verbindung mit allen übrigen betrachtet.
Noch einmal denn: Die Ansicht, dass es nur eine einzige, gleichzeitige Auferstehung der Gerechten und der Gottlosen gebe, kann bei einer einigermaßen sorgfältigen Untersuchung der Schrift nicht aufrechterhalten werden. Die göttlichen Aussprüche beweisen klar und deutlich, dass es zwei Auferstehungen gibt, die zu verschiedenen Zeiten stattfinden werden: eine Auferstehung der Gerechten und eine Auferstehung der Gottlosen, eine Auferstehung des Lebens, auch „erste“ Auferstehung genannt, und eine Auferstehung des Gerichts oder der „übrigen der Toten“ (Joh 5,29; Off 20). Was den Charakter derer betrifft, die auferstehen werden, so gibt es auch nur zwei Klassen: Gerechte und Gottlose, oder solche, die zum Leben, und solche, die zum Gericht auferstehen. Die Gerechten werden bei der Ankunft des Herrn – in dem allgemeinen Sinn des Wortes, ohne sein Kommen für die Kirche und für Israel zu unterscheiden – auferstehen: das ist die erste Auferstehung; und die Gottlosen werden nach Beendigung der 1000-jährigen Regierung Christi aus ihren Gräbern auferweckt werden: das ist die zweite Auferstehung, oder die Auferstehung „der Übrigen der Toten“. Wir haben bereits weiter oben bemerkt, dass man in der ersten Auferstehung verschiedene Abschnitte oder Unterabteilungen unterscheiden kann, aber hierdurch wird das eben Gesagte in keiner Weise berührt.