Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus
Der Unterschied zwischen der Ankunft Christi...
Der Unterschied zwischen der Ankunft Christi zur Aufnahme seiner Heiligen und seiner Erscheinung mit ihnen in Herrlichkeit
Das Kommen Christi als der glänzende Morgenstern zur Aufnahme seiner Heiligen und seine Erscheinung mit ihnen in Macht und Herrlichkeit, um seine Herrschaft anzutreten und Gericht zu üben, sind zwei Ereignisse, die sowohl ihrem Charakter als auch der Zeit ihrer Erfüllung nach ganz verschieden und von einander getrennt sind. Das Wort Gottes liefert uns deutliche Beweise für diese Verschiedenheit, teils in bestimmten Erklärungen, teils in berechtigten Schlussfolgerungen. Zum Teil geht der Unterschied auch aus Vergleichungen und aus dem ganzen Zusammenhang der Heiligen Schrift hervor. Die Frage selbst ist von der größten Bedeutung, da ihre Beantwortung für die Stellung und Berufung der Kirche oder Versammlung entscheidend ist. Denn wenn die Seele weiß und im Glauben verwirklicht, dass ihr abwesender Herr jeden Augenblick zurückkommen kann, so wird sie nüchtern sein und wachen. Wenn sie aber glaubt, dass diese oder jene Ereignisse noch vor seiner Ankunft stattfinden müssen, so ist der Herr nicht mehr der Gegenstand ihrer Erwartung, sondern ihr Blick ist auf jene Ereignisse gerichtet. Seine Ankunft ist dann in unbestimmte Ferne gerückt, und der gesegnete Einfluss der täglichen Erwartung des Herrn wird geschwächt, wenn nicht gar gänzlich vernichtet. Müssen noch sieben oder mehr Jahre vor dem Kommen des Herrn verfließen, müssen vorher noch allerlei Prophezeiungen in Erfüllung gehen, so hat die Ermahnung: „Seid nun bereit!“ selbstverständlich nicht dieselbe Kraft und Bedeutung für mich, als wenn die Überzeugung in meiner Seele lebt, dass der Herr noch vor dem Anbruch des morgenden Tages kommen kann.
Mit welch liebevollem Ernst ermahnt der Herr Jesus seine Jünger, zu wachen und seine Ankunft beständig zu erwarten! Immer wieder stellt Er ihnen vor, dass sie „Menschen gleich sein möchten, die auf ihren Herrn warten, wann irgend er aufbrechen mag von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich öffnen. Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend finden wird! … Und wenn er in der zweiten und wenn er in der dritten Wache kommt und sie so findet – glückselig sind sie!“ (Lk 12,36–38; Mt 25,1–13). Sobald der Knecht anfängt zu sagen: „Mein Herr zögert sein Kommen hinaus“, tritt unfehlbar Pflichtvergessenheit und Untreue ein (Lk 12; Mt 24,42–51). In Übereinstimmung mit jener Ermahnung an die Knechte, auf der Hut zu stehen und zu wachen, erwarteten die Gläubigen der ersten Tage, wie wir dies aus den Briefen der Apostel ersehen, fortwährend die Ankunft ihres Herrn. „Ihr habt euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt“, schreibt Paulus an die Thessalonicher, „um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten“ (1. Thes 1,9.10). Und an die Philipper: „Denn unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten“ (Phil 3,20). Und den Korinthern ruft er zu: „Denn in diesem Haus (d. i. in diesem Leib) freilich seufzen wir und sehnen uns, mit unserer Behausung, die aus dem Himmel ist, überkleidet zu werden; … Denn wir freilich, die in der Hütte sind, seufzen beschwert, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben“ (2. Kor 5). Das Verlangen des Apostels ging also nicht dahin, entkleidet zu werden, d. h. den Leib abzulegen, zu sterben, sondern überkleidet zu werden, d. h. ohne zu sterben den neuen Leib zu empfangen, was bei der Ankunft des Herrn zur Aufnahme der Seinigen mit allen Gläubigen geschehen wird, die dann noch im Leib sind. Würde Paulus wohl Grund zu der Hoffnung gehabt haben, dieser Überkleidung teilhaftig zu werden, wenn vor der Aufnahme der Versammlung noch eine ganze Reihe von Ereignissen hätte stattfinden müssen? Keineswegs. Es würden dann diese Ereignisse, nicht aber die Ankunft des Herrn den Gegenstand seiner Erwartung gebildet haben. – Doch lasst uns einige Stellen der Schrift untersuchen, die in besonderer Weise über diesen Punkt Licht verbreiten.
In 1. Thessalonicher 4,13–18, wo uns die Ankunft des Herrn zur Aufnahme der Seinigen beschrieben wird, sehen wir, dass Er nicht auf diese Erde herabkommt, sondern dass die erlöste Schar, nachdem „die Toten in Christus“ auferweckt und die lebend übrig gebliebenen Heiligen verwandelt sind, Ihm entgegengerückt wird in die Luft. Und was dann? Wird der Herr dann sofort mit ihnen zurückkommen, um sein Reich auf Erden aufzurichten und seine Herrschaft anzutreten? Nein, sein Kommen hat einen ganz anderen Zweck. Er bringt die Seinigen vor dem kommenden Zorn in Sicherheit, Er führt sie in den Himmel ein. Er bringt seine teuer erkaufte Braut ins Vaterhaus, wo Er für sie eine Stätte bereitet hat. „Und so werden wir allezeit bei dem Herrn sein.“
An dieser Stelle wird also keinerlei Ereignis erwähnt, das auf diese Erde Bezug hätte. Auch handelt es sich nur um Erlöste: einerseits um die Toten in Christus, die durch Jesus Entschlafenen, und andererseits um uns, die bis zur Ankunft des Herrn übrig bleibenden Gläubigen. Von anderen Personen ist gar keine Rede. Erst nachdem der Apostel von der herrlichen Hoffnung der Gläubigen gesprochen hat, fährt er in völlig verändertem Ton fort: „Was aber die Zeiten und die Zeitpunkte betrifft, Brüder, so habt ihr nicht nötig, dass euch geschrieben wird.“ Warum nicht? Hatte nicht der Herr Jesus selbst, als er auf Erden war, seinen Jüngern geboten, auf die Zeichen der Zeit zu achten? Hatte Er nicht über „Zeiten und Zeitpunkte“, über zukünftige Kriege, über die Gräuel der Verwüstung, über die Zeit der großen Drangsal, über Zeichen in dem Himmel und über viele andere Ereignisse gesprochen, damit die Jünger inmitten dieser Drangsale wissen möchten, dass die Zeit der Offenbarung des Sohnes des Menschen nahe sei? Allerdings. Dennoch will der Apostel hier nicht bei diesen Dingen verweilen. Es war nicht nötig, darüber an die Thessalonicher zu schreiben. Weshalb nicht? Weil alle diese Dinge mit der besonderen Erwartung der Kirche Christi, der Braut des Lammes, nichts zu tun haben. Die Thessalonicher wussten genau, dass der Tag des Herrn wie ein Dieb in der Nacht über die Gottlosen kommen würde: „wenn sie (die Gottlosen) sagen: Frieden und Sicherheit!, dann kommt ein plötzliches Verderben über sie.“ Die Gläubigen aber sind Söhne des Lichts und des Tages. Sie sind nicht von der Finsternis, dass der Tag sie wie ein Dieb ergreifen könnte. Als Kinder des Lichts stehen sie in Verbindung mit Christus, der Sonne der Gerechtigkeit, und werden, wenn Er in diesem Charakter erscheint, mit Ihm leuchten (vgl. Mt 13,43). Als Kinder des Tages warten sie auf den Morgenstern, dessen Erscheinen den Tag einleiten und dem Aufgang der Sonne der Gerechtigkeit vorangehen wird. Zugleich gehören die Gläubigen, als die Braut und der Leib Christi, als „die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt“, so völlig zu Christus, sind so innig mit Ihm verbunden, dass sie in derselben Stellung sein müssen wie Er, zu Ihm versammelt, ehe Er sich der Welt gegenüber in Herrlichkeit offenbaren kann.
Es sind den Gläubigen der Jetztzeit also weder „Zeiten und Zeitpunkte“, noch Zeichen und Wunder zur Beobachtung angewiesen. (Auf die Worte des Herrn in Mt 24 usw., und für wen sie bestimmt sind, werden wir später zurückkommen.) Der Herr Jesus kann jeden Augenblick kommen, um die Seinen in die Herrlichkeit aufzunehmen. Nichts steht diesem Kommen im Weg. Keine einzige, diese Erde betreffende Prophezeiung muss vorher erfüllt werden. Wenn es sich dagegen um das Kommen Christi auf die Erde, zur Aufrichtung seines Reiches, handelt, so muss vieles vorher geschehen, denn dieses Reich kann nicht errichtet werden, bevor der Antichrist überwunden und eine ganze Reihe von prophetisch angekündigten Ereignissen in Erfüllung gegangen ist.
So lange die wahre Kirche sich noch auf der Erde befindet, werden die Gerichte, über die die Propheten des Alten Testamentes geweissagt haben, nicht hereinbrechen. Wohl mögen die Gläubigen heute durch Trübsale und Züchtigung gehen und auch an den Leiden teilhaben, die die Welt im Allgemeinen treffen, aber die Gerichte, von denen wir reden, tragen einen ganz anderen Charakter, als die Leiden und Prüfungen der Gegenwart. Für die Gläubigen sind die Kriege, Krankheiten usw., die jetzt fortwährend auf der Erde herrschen, nicht Strafgerichte, sondern Züchtigungen von der Hand eines liebenden Vaters. Für die Welt sind sie ein Mahnruf des Gottes der Gnade, der will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Die Plagen und Drangsale aber, die dereinst über die Welt kommen werden, sind die Zornesergüsse und gerechten Gerichte des heiligen Gottes, der von der Welt Rechenschaft fordern wird wegen der Ermordung und Verwerfung seines geliebten Sohnes. Und da Gott alles Gericht dem Sohn übergeben hat, so ist es zugleich der Zorn des Lammes, der dann über die Welt ausgegossen werden wird. Wie könnte nun die Braut des Lammes, die so teuer durch sein Blut erkauft und aus der Welt erlöst worden ist, dann noch auf der Erde sein, wenn die Welt für die Verwerfung Christi gestraft wird? Unmöglich!
Doch wir sind in dieser Beziehung nicht etwa auf eine bloße Schlussfolgerung, so berechtigt diese auch sein mag, beschränkt. Der Apostel Paulus lehrt in dem 2. Brief an die Thessalonicher genau dieselbe Wahrheit. Wie wir früher schon bemerkten, hatten einige falsche Lehrer versucht, die Gläubigen in Thessalonich in Verwirrung zu bringen, indem sie ihnen sagten, dass die Verfolgungen und Leiden, die sie erdulden mussten, ein Beweis seien, dass der Tag des Herrn schon da sei. Gegen diese Lehrer tritt Paulus in der schärfsten Weise auf, indem er den Thessalonichern beweist, dass ihre Leiden einen ganz anderen Charakter trugen, als die Gerichte, die dem Tag Christi vorangehen werden. Er ruft ihnen zu: „So dass wir selbst uns euer rühmen in den Versammlungen Gottes wegen eures Ausharrens und Glaubens in allen euren Verfolgungen und den Drangsalen, die ihr erduldet; ein offenbares Zeichen des gerechten Gerichts Gottes, dass ihr für würdig erachtet werdet des Reiches Gottes, um dessentwillen ihr auch leidet“. Die Drangsale, die sie erduldeten, kamen also über sie, weil sie an Jesus glaubten, während die Plagen und Gerichte, die den Tag Christi kennzeichnen, die Welt treffen werden, weil sie die Christen verfolgt und Christus verworfen hat, – also gerade aus dem entgegengesetzten Grund. „Wenn es denn bei Gott gerecht ist, denen, die euch bedrängen, mit Drangsal zu vergelten.“ Der Gegensatz könnte nicht schärfer ausgeprägt sein. Überdies wird, gleichzeitig mit der Androhung des Gerichts hinsichtlich der Welt, den Christen die Verheißung gegeben: „Und euch, die ihr bedrängt werdet, Ruhe mit uns zu geben bei der Offenbarung des Herrn Jesus vom Himmel her, mit den Engeln seiner Macht, in flammendem Feuer, wenn er Vergeltung gibt denen, die Gott nicht kennen, und denen, die dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen“ usw. (Verse 7–10). Wenn also die Gerichte über die Welt kommen und der Herr an denen, die Gott nicht kennen, Vergeltung üben wird, dann werden wir Ruhe haben. Dies wird auch ausdrücklich in dem Sendschreiben an die Versammlung zu Philadelphia verheißen, wo der Herr sagt: „Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, die auf der Erde wohnen“ (Off 3,10). Die Aufnahme der Versammlung muss also vor den Gerichten stattfinden. Anders würde sie mit der Welt „in der Stunde der Versuchung“ sein, während der Herr ihr gerade verheißt, dass das nicht der Fall sein soll.
Aus 2. Thessalonicher 2,3–10 geht ferner hervor, dass auch der Antichrist nicht offenbart werden kann, so lange die Versammlung oder die Braut Christi noch auf der Erde ist. Wir lesen dort: „Lasst euch von niemand auf irgend eine Weise verführen, denn dieser Tag (nämlich der Tag des Herrn, von dem im vorhergehenden Vers die Rede ist) kommt nicht, es sei denn, dass zuerst der Abfall komme und offenbart werde der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, der widersteht und sich erhöht über alles, was Gott heißt oder verehrungswürdig ist, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, dass er Gott sei … Und jetzt wisst ihr, was zurückhält, damit er (der Sohn der Verderbens) zu seiner Zeit offenbart wird. Denn schon ist das Geheimnis der Gesetzlosigkeit wirksam; nur ist jetzt der da, der zurückhält, bis er aus dem Weg ist.“ Die Offenbarung des Antichristen geht dem Tag des Herrn, d. h. dem Kommen Christi als König auf diese Erde, voran. Indes steht dieser Offenbarung jetzt noch ein Hindernis im Weg, und sie wird nicht eher stattfinden, bis jenes Hindernis aus dem Weg geräumt ist. Die Frage ist nun, worin dieses Hindernis besteht. Nach meiner Meinung ist es der Heilige Geist, der in der Versammlung als in seinem Tempel wohnt, und dessen Gegenwart auf der Erde der vollen Offenbarung des Verderbens im Weg steht und die völlige Entfaltung des Bösen zurückhält. Mit der Entrückung der Braut wird dieses Hindernis verschwinden. Der Heilige Geist ist dann nicht mehr hienieden, die Bosheit kann sich ungehindert entfalten, und der Antichrist wird erscheinen.
Das 19. Kapitel des Buches der Offenbarung macht jedem Zweifel bezüglich der Frage, ob die Versammlung vor den Gerichten in den Himmel aufgenommen werden wird, ein Ende. Wir haben diesen Abschnitt schon früher ausführlich behandelt. Der Herr Jesus kommt dort, auf einem weißen Pferd sitzend, aus dem Himmel, um seine Feinde zu vertilgen und sein Königreich aufzurichten. „Und die Kriegsheere, die in dem Himmel sind, folgten ihm auf weißen Pferden, angetan mit feiner Leinwand, weiß und rein.“ Diese himmlischen Kriegsheere können nicht Engel sein, wie einige meinen, weil sie mit weißer, reiner Leinwand bekleidet erscheinen, und „die feine Leinwand die Gerechtigkeiten der Heiligen sind“ (V. 8). Es ist die Frau des Lammes, die kurz vorher im Himmel die Hochzeit mit dem Lamm gefeiert hat (Verse 6–9). Es sind die himmlischen Heiligen. Wenn diese nun, herrlich geschmückt, mit Christus aus dem Himmel auf die Erde herabkommen, so ist es offenbar, dass sie vorher von der Erde in den Himmel versetzt und dort mit Christus verbunden worden sein müssen. Auch haben wir ja in einem früheren Abschnitt unserer Betrachtung gesehen, dass diese himmlischen Heiligen bereits im 4. und 5. Kapitel der Offenbarung, unter dem Bild der vierundzwanzig Ältesten, als im Himmel befindlich, erscheinen, angetan mit den Zeichen priesterlicher und königlicher Würde. Im 6. Kapitel beginnt dann die Beschreibung der Gerichte, die über die Erde kommen werden. Diese Beschreibung setzt sich fort bis zum Anfang des 19. Kapitels. Während all dieser Zeit befinden sich die vierundzwanzig Ältesten oder die himmlischen Heiligen droben, geschart um den Thron des allmächtigen Gottes. Die Beschreibung der Gerichte wird immer wieder unterbrochen, um uns die Ältesten im Himmel zu zeigen, wie sie, auf Thronen sitzend, sich in vollkommener Ruhe der unendlichen Liebe Gottes und des Lammes erfreuen (Kapitel 7. 11. 14 und 19). Und wenn dann endlich, nach Vollziehung aller Gerichte, das große Mahl Gottes gekommen ist, verlässt der Herr mit seiner erlösten Schar den Himmel, um seine Feinde zu vernichten und sein Königtum auf Erden anzutreten. So sehen wir denn, dass zwischen der Aufnahme der Versammlung in den Himmel und ihrem Kommen mit Jesu aus dem Himmel ein Zeitraum liegt, in dem die vorlaufenden, das Erscheinen der Herrlichkeit des Herrn einleitenden Gerichte und die damit in Verbindung stehenden ernsten Ereignisse sich vollziehen werden.
Die Meinung vieler Erklärer der Offenbarung, dass der größte Teil dieses Buches bereits erfüllt sei, fällt somit von selbst dahin. Denn bevor die in den Kapiteln 6–19 angekündigten Ereignisse sich erfüllen können, muss die Braut Christi, die Versammlung des lebendigen Gottes, die jetzt noch auf der Erde weilt, in den Himmel aufgenommen sein. Damit fallen dann auch jene wunderlichen, sich gegenseitig widersprechenden und aufhebenden Erklärungen zu Boden, die über den Inhalt der genannten Kapitel aufgestellt worden sind, ohne dass man der Tatsache Rechnung getragen hat, dass die Entrückung der Kirche allem vorangehen muss. Um ihre Behauptungen aufrecht zu erhalten, haben jene Ausleger oft die unbedeutendsten Ereignisse der Vergangenheit für die Erfüllung wichtiger prophetischer Mitteilungen erklären müssen.
Beachtenswert ist ferner der große Unterschied zwischen den Stellen, in denen über das Kommen des Herrn auf die Erde, und denen, in welchen über seine Ankunft zur Aufnahme der Seinigen die Rede ist. In Offenbarung 1,7 lesen wir: „Siehe, er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird ihn sehen, auch die, die ihn durchstochen haben, und wehklagen werden seinetwegen alle Stämme des Landes“. Und in Mt 24,27 und 30: „Denn ebenso wie der Blitz ausfährt vom Osten und leuchtet bis zum Westen, so wird die Ankunft des Sohnes des Menschen sein … und sie werden den Sohn des Menschen kommen sehen auf den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit“. Das Kommen des Sohnes des Menschen auf den Wolken trägt also einen erschreckenden Charakter. Es ist dem Blitz gleich, überall Furcht und Entsetzen verbreitend. Jedes Auge wird Ihn dann sehen. Die Ankunft Christi für seine Heiligen dagegen wird nicht von allen Menschen geschaut werden. Nur Gläubige werden dann die Stimme des Sohnes Gottes hören, und keinerlei Schrecken wird ihre Herzen erfüllen. Sie werden Ihn schauen, an den sie geglaubt und dessen Ankunft sie so lange herbeigesehnt haben. Von Gericht wird dann keine Rede sein. Nein, Christus kommt als Heiland, als Freund und Bräutigam, um seine geliebte Braut in ihre ewige Heimat einzuführen und sie dem Vater darzustellen, gleichsam sagen: „Siehe, ich und die Kinder, die du mir gegeben hast“. Welch ein Unterschied besteht daher zwischen diesem und jenem Kommen! Die Erscheinung des Herrn auf den Wolken wird mit der Sündflut und mit dem Untergang von Sodom und Gomorra verglichen (Mt 24,38.39; Lk 17,28–31). Wären aber wohl eine große, alles vernichtende Flut und ein Feuer- und Schwefelregen passende Bilder für die Ankunft Christi zur Aufnahme seiner Braut? Wird Er für seine Heiligen kommen wie ein plötzlich aufflammender erschreckender Blitzstrahl? Wird Er seiner Braut begegnen als Richter, mit einem scharfen, zweischneidigen Schwert, oder mit einer eisernen Rute in der Hand, oder gar angetan mit einem in Blut getauchten Gewande, wie Er in Off 19 dargestellt wird? Der Leser möge selbst antworten.
Doch nun entsteht die Frage: Wenn die Versammlung oder Gemeinde wirklich vor den Gerichten aufgenommen wird, wer sind dann die Heiligen, die sich während der Gerichte auf der Erde befinden werden? Das Buch der Offenbarung und Mt 24 geben uns Antwort auf diese Frage. Die Kapitel 6–18 der Offenbarung reden mit keinem Wort von der Gemeinde oder der wahren Kirche, als auf der Erde befindlich. Dagegen tritt der Unterschied zwischen Juden und Nationen wieder scharf und deutlich in den Vordergrund. So lange die Versammlung hienieden weilt, kann aber von einem solchen Unterschied keine Rede sein, denn in der Versammlung ist „weder Jude noch Grieche“. Da sind alle eins in Christus. Gott kennt jetzt kein anderes Volk auf der Erde, als dasjenige, welches Er aus allen Völkern beruft, um es als eine Braut Christus zu geben. Doch sobald die Versammlung von der Erde weggenommen ist, tritt der Unterschied zwischen Juden und Nationen wieder klar hervor, und der Zustand der Dinge, wie er im Alten Testament bestand, kehrt zurück. Die Versiegelten in Kapitel 7 sind aus den Stämmen Israels, und die Schar, die niemand zählen kann, aus den Nationen. Die Heiligen in Kapitel 11, die in dem Tempel anbeten, sind Juden. Der Tempel und der Altar werden gemessen, und der Vorhof wird den Nationen gegeben, die das wieder als „heilige Stadt“ erscheinende Jerusalem zertreten, während die Frau (das jüdische Volk) und ihr Same die besonderen Gegenstände des prophetischen Zeugnisses bilden (Kap. 12). Aber nicht allein das. Auch der Charakter der Heiligen, die während der Gerichte hienieden sind und um ihres Zeugnisses willen leiden, beweist, dass sie nicht zu der Versammlung gehören. In Kapitel 6 rufen sie zu Gott um Rache an ihren Feinden. Es ist der Heilige Geist, der ihnen diese Worte in den Mund legt, denn ihre Bitte wird erhört. Dieser Schrei um Rache steht aber in unmittelbarem Widerspruch mit dem Charakter der Versammlung, die berufen ist, ihre Feinde zu lieben, zu segnen, die ihr fluchen, und für diejenigen zu bitten, die sie hassen und verfolgen. Auch das Zeugnis der beiden Zeugen in Kapitel 11 ist mit Gerichten verbunden: Feuer geht aus ihrem Mund hervor und verzehrt ihre Feinde. Sie verschließen den Himmel und schlagen die Erde mit allerlei Plagen, während der Herr Jesus zu Jakobus und Johannes, als sie Feuer vom Himmel herabfallen lassen wollten, um die Samariter zu vertilgen, sagte: „Ihr wisst nicht, wes Geistes ihr seid“.
Dasselbe finden wir in Mt 24, wo der Herr, wie aus den Versen 29 und 30 hervorgeht, nicht über die Zerstörung Jerusalems durch Titus 1 spricht, sondern über die Ereignisse, die seinem Kommen auf den Wolken des Himmels unmittelbar vorhergehen werden. „Alsbald nach der Drangsal jener Tage“ wird der Sohn des Menschen kommen auf den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit. Die Heiligen, die während dieser Ereignisse auf der Erde sind, werden ermahnt, sich nicht verführen zu lassen. Es wird ihnen gesagt, dass falsche Propheten und falsche Christi aufstehen und viele verführen werden. Alle, die in Judäa sind, werden aufgefordert zu fliehen, wenn sie den Gräuel der Verwüstung an heiligem Ort stehen sehen werden, und zu beten, dass ihre Flucht nicht im Winter noch an einem Sabbat geschehen möge. Sie werden ermahnt, nicht auf solche zu hören, die da sagen werden: „“Siehe, hier ist der Christus!“, oder: „Hier!“ „Siehe, er ist in der Wüste!“ „Siehe, in den Gemächern!““ (Verse 13–26). Es liegt klar auf der Hand, dass diese Ermahnungen nur an jüdische Heilige, keineswegs aber an Glieder der Versammlung (Gemeinde) gerichtet sein können. Wie könnte überhaupt die Versammlung zu jener Zeit in Judäa sein? Wie sollte sie den Tempel in Jerusalem als das Heiligtum (Heb 9,24), und den jüdischen Sabbat oder den Samstag als den heiligen Tag betrachten können? Wie sollte sie sich durch Betrüger, die sich für den Messias ausgeben, oder durch andere, die da sagen, dass Er in den Gemächern sei, verführen lassen können, da sie doch weiß, dass ihr Herr im Himmel ist? Für die gläubigen Juden dagegen, die, in ihr Land zurückgekehrt, den Messias erwarten werden, sind diese Ermahnungen und Warnungen durchaus am Platz. Der Tempel wird für sie wieder das Heiligtum bilden, der Sabbat wird von ihnen gehalten werden, und da sie ihren Messias auf Erden erwarten, um mit Ihm an seinem Reich teilzunehmen, wird es für sie eine große Versuchung sein, wenn die Botschaft an sie gelangt: Der Messias ist erschienen! Die „Auserwählten“, um derentwillen jene Tage verkürzt werden sollen (V. 22), sind daher gläubige Juden, und an sie richtet der Herr die mahnende Verheißung: „Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird errettet werden“ (V. 13).
Zum Schluss noch ein Wort über Offenbarung 20,4. Dort wird von den himmlischen Kriegsheeren, die mit Jesus aus dem Himmel gekommen sind, gesagt: „Und ich sah Throne, und sie saßen darauf, und es wurde ihnen gegeben, Gericht zu halten“; und dann heißt es weiter: „und ich sah die Seelen derer, die um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen enthauptet worden waren, und die, die das Tier nicht angebetet hatten noch sein Bild, und das Malzeichen nicht angenommen hatten an ihre Stirn und an ihre Hand. Und sie wurden lebendig und herrschten mit dem Christus tausend Jahre“. Während also die himmlischen Heiligen verherrlicht mit Jesus aus dem Himmel kommen, werden die Gläubigen, die in der Zeit der Gerichte den Tod erleiden – sowohl die, die in Kapitel 6 unter dem Altar gesehen werden, als auch ihre Brüder, die später getötet werden, – aus den Toten auferweckt, um an der 1000-jährigen Herrschaft Christi teilzunehmen.
Doch wie werden diese Gläubigen aus Israel und aus den Nationen, die während der großen Drangsal hienieden sind, zum Glauben gelangen? Wird nicht nach der Entrückung der Braut und der Rückkehr des Heiligen Geistes in den Himmel jedes Gnadenzeugnis hienieden verstummen? Nein; wir lesen vielmehr in Mt 24: „Und dieses Evangelium des Reiches wird auf dem ganzen Erdkreis gepredigt werden, allen Nationen zum Zeugnis, und dann wird das Ende kommen“ (V. 14). Und in Offenbarung 14,6.7: „Und ich sah einen anderen Engel inmitten des Himmels fliegen, der das ewige Evangelium hatte, um es denen zu verkündigen, die auf der Erde ansässig sind, und jeder Nation und jedem Stamm und jeder Sprache und jedem Volk, indem er mit lauter Stimme sprach: Fürchtet Gott und gebt ihm Ehre, denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen; und betet den an, der den Himmel und die Erde gemacht hat und das Meer und die Wasserquellen.“ Der Herr wird also nach der Aufnahme der Versammlung aufs Neue eine gute Botschaft verkündigen lassen. Es wird jedoch nicht mehr dasselbe Evangelium sein wie heute, nicht das Evangelium der Gnade und „der Herrlichkeit des Christus“ (2. Kor 4,4), das den Glaubenden mit dem zur Rechten Gottes verherrlichten Menschensohn verbindet und ihm dort einen Platz gibt, sondern das Evangelium des Reiches. Bei dem ersten Kommen des Herrn Jesus auf die Erde predigte Johannes der Täufer: „Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen“. Diese Predigt wurde später von den Jüngern Jesu fortgesetzt (vgl. Mt 10). Ihren Inhalt nennt der Herr das Evangelium des Reiches, und dieses Evangelium wird vor dem zweiten Kommen Christi auf die Erde aufs Neue nicht allein den Juden, sondern auch allen Völkern der Erde gepredigt werden. Jesus selbst sagte zu den Zwölfen, als Er sie mit der Predigt dieses Evangeliums betraute: „Wahrlich, ich sage euch, ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende sein, bis der Sohn des Menschen gekommen ist“ (Mt 10,23). Alle nun, die dieses Evangelium des Reiches annehmen werden, gehören zu den Gläubigen, von welchen wir soeben gesprochen haben. Sie werden sich von der Welt und ihrer Gottlosigkeit absondern, sie werden sich weigern, den Antichrist anzubeten und das Malzeichen des Tieres anzunehmen, sie werden Babylon, die große Hure (Off 18), verlassen und an die bevorstehende Ankunft des Königs Israels glauben. Diese Ankunft wird den schrecklichen Leiden, denen sie um ihres Glaubens und treuen Zeugnisses willen ausgesetzt sein werden, ein Ende machen und alle ihre Feinde vertilgen, sie selbst aber in die Ruhe und die Segnungen des 1000-jährigen Friedensreiches einführen.
Indem ich hiermit diesen Abschnitt beschließe, kann ich nicht umhin, noch einmal auf unsere kostbare, gesegnete Hoffnung aufmerksam zu machen. Nichts steht ihrer Erfüllung im Weg. Heute noch kann der Morgenstern erscheinen und uns aus dieser armen Welt, von dem Schauplatz der Sünde und des Todes, abholen in die ewigen Wohnungen des Friedens droben. Darum aufgeschaut, geliebter Mitpilger! Nur noch eine kleine Weile, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen.
Fußnoten
- 1 Wenn man Mt 24 mit Lukas 21 vergleicht, wird man zwischen diesen beiden Prophezeiungen einen großen Unterschied entdecken. In Lukas kündigt der Herr zunächst die Zerstörung Jerusalems an (siehe V. 20) und das, was ihr vorangehen sollte. In Matthäus dagegen beschäftigt Er sich sofort mit den Ereignissen der letzten Tage, in Übereinstimmung mit der Frage der Jünger: „Was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?“ (Vergl. damit die Frage in Lk 21,7). Trotzdem besteht zwischen beiden Prophezeiungen eine große Übereinstimmung, da die Ereignisse, die der Zerstörung Jerusalems vorangingen, denen der letzten Tage gleichen und eine vorläufige Erfüllung derselben bilden.