Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus

Das Reich der Himmel und die Kirche Christi

Die Propheten des Alten Testamentes hatten „die Leiden, die auf Christus kommen sollten, und die Herrlichkeiten danach“ zuvor angekündigt. Anfangs hinter einem geheimnisvollen Schleier verborgen, wurde diese Verheißung allmählich immer deutlicher und trat in ein stets heller werdendes Licht. Ganz im Allgemeinen dem Abraham mitgeteilt, dem Isaak und Jakob wiederholt, wurden die Umstände, die die Erfüllung dieser Verheißung begleiten sollten, Mose, David und den Propheten mit stets zunehmender Genauigkeit vorgestellt, bis der HERR endlich Daniel auch die Zeit der Erfüllung mitteilte.

„70 Wochen (d. h. Jahrwochen) sind über dein Volk und über deine heilige Stadt bestimmt“ (Dan 9,24), sagt der Engel zu dem Propheten und zerlegt dann diesen Zeitraum in drei Teile: in 7 Wochen, 62 Wochen und eine Woche. In 7 Wochen, oder 49 Jahren, von dem Befehl Artasastas, Jerusalem wieder aufzubauen, an gerechnet (siehe Neh 2), wurden die Straßen und Gräben wiederhergestellt, und zwar in drangsalsvollen Zeiten. 1

Während dieser Zeiten weissagten Haggai, Sacharja und Maleachi inmitten des aus Babylon zurückgekehrten Überrestes, aber danach traten keine Propheten mehr in Palästina auf. Die Heilige Schrift teilt uns auch nichts von dem mit, was in den folgenden 62 Wochen geschehen ist, bis das Neue Testament bei dem letzten Teil dieses Zeitabschnitts den abgebrochenen Faden wieder aufnimmt.

Die Fülle der Zeiten war gekommen. Der Messias, der Fürst, sollte erscheinen, um den Verheißungen gemäß als der Sohn des Menschen ein Königreich auf der Erde aufzurichten, das über alles herrschen sollte. Schon die Worte, die der Engel Gabriel an Maria richtete, zeigen dies deutlich. „Du wirst einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen Jesus nennen. Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seinen Vaters David geben; und Er wird über das Haus Jakobs herrschen in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.“ (Lk 1,31–33). Als König der Juden wurde der Herr Jesus geboren und von einigen auch als solcher aufgenommen. Simeon und Anna im Tempel, die Hirten auf dem Feld zu Bethlehem und die Weisen aus dem Morgenland huldigten Ihm alle als dem geborenen König Israels.

Man könnte hier vielleicht einwenden, der Sohn des Menschen habe doch diese Erde wieder verlassen; auch könne Er keineswegs die Absicht gehabt haben, ein Reich auf dieser Erde aufzurichten, da Er ja, als man Ihn zum König machen wollte, sich dessen weigerte und sich verbarg (Joh 6,15). Die Aufrichtung seines Reiches sei deshalb in geistlichem Sinn, als in den Herzen seines Volkes geschehen, aufzufassen. Dieser Einwand scheint auf den ersten Blick berechtigt zu sein. Allein wenn wir die Sache näher untersuchen, so werden wir finden, dass jene Absicht der Volksmenge, Ihn zum König zu machen, keineswegs die Annahme des Messias als König Israels genannt werden kann. Im 26. Vers des angeführten Kapitels sagt der Herr zu der Volksmenge: „Ihr sucht mich, nicht weil ihr Zeichen gesehen, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und gesättigt worden seid“. Er las in ihren Herzen und kannte die niedrigen Beweggründe, von denen sie geleitet wurden. Es blieb Ihm deshalb nichts anderes übrig, als sich zu verbergen. Er konnte unmöglich auf diesem fleischlichen Weg das Königtum annehmen. Und in Wirklichkeit wollte Israel Ihn nicht zum König haben, ja, hatte Ihn bereits als solchen verworfen, wie dies aus vielen anderen Stellen deutlich hervorgeht. „Er kam in das seine, und die seinen nahmen Ihn nicht an.“ (Joh 1,11). „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche.“ (Lk 19,14). „Wir haben keinen König als nur den Kaiser.“ (Joh 19,15). „Hinweg mit diesem! Kreuzige Ihn!“ usw. Wenn deshalb auch einige, (weil sie von den Broten gegessen hatten, nicht aber weil sie an Ihn als ihren Messias glaubten) Ihn zum König machen wollten, so war dies nur eine  vorübergehende Regung ihrer fleischlichen, selbstsüchtigen Herzen. Tatsächlich hassten sie Ihn, und es bedurfte nur eines Anlasses, um diesen Hass in seiner ganzen Bitterkeit ans Licht zu bringen.

Ein Blick auf den Gang der geschichtlichen Ereignisse wird uns völlige Klarheit über diesen Punkt geben. Bevor der Messias öffentlich auftrat, musste die Prophezeiung von Jes 40,3 erfüllt  werden: „Stimme eines Rufenden: In der Wüste bahnt den Weg des Herrn; ebnet in der Steppe eine Strasse für unsern Gott!“ Johannes der Täufer erschien. Nach seinem eigenen Zeugnis war er der Vorläufer des Herrn, auf den Jesaja in der angeführten Stelle hingewiesen hatte. Und was war der Inhalt seiner Predigt? „Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen.“ (Mt 3,2). Sollte er wohl bei der Verkündigung dieses Reiches an ein geistliches Reich in den Herzen der an seine Botschaft Glaubenden gedacht haben? Unmöglich, denn Jesaja lässt auf jene Ankündigung des Vorläufers Christi sofort die Worte folgen: „Jedes Tal soll erhöht und jeder Berg und Hügel erniedrigt werden; und das Höckerige soll zur Ebene werden, und das Hügelige zur Talebene! Und die Herrlichkeit des Herrn wird sich offenbaren, und alles Fleisch miteinander wird sie sehen; denn der Mund des Herrn hat geredet.“

Aber hat der Herr Jesus selbst nicht anders gesprochen als der Täufer? Nein, in dieser Beziehung unterschied sich seine Predigt, so lange das Reich noch nicht endgültig von den Juden verworfen worden war, gar nicht von der des Johannes. Er verkündigte überall: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe gekommen (Mk 1,15; Mt 4,17). Dies tritt besonders deutlich bei dem Aufenthalt des Herrn in Nazareth hervor. In der dortigen Synagoge ließ Er sich die Rolle des Propheten Jesaja reichen, öffnete sie und las: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil Er mich gesalbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen; Er hat mich gesandt, Gefangenen Befreiung auszurufen und Blinden das Augenlicht, Zerschlagene in Freiheit hinzusenden, auszurufen das angenehme Jahr des Herrn“ (Lk 4,18.19). Das 61. Kapitel des Propheten Jesaja, dem diese Stelle entnommen ist, kündigt aber in ergreifender Sprache die Wiederkehr der Gnade Gottes über Israel an, sowie alle jene Segnungen, die das Sabbat- oder Jubeljahr kennzeichnen. Jesus bot also, indem Er die angeführte Stelle vorlas und seinen Zuhörern sagte; „Heute ist diese Schrift vor euren Ohren erfüllt“, Israel das wahre Jubeljahr, nämlich das Reich mit allen seinen Segnungen an. Johannes der Täufer und Jesus hatten bereits den großen Versöhnungstag verkündigt, indem sie dem Volk zuriefen: „Tut Buße!“ Und jetzt wurde dem Volk, gleichsam nach dem Versöhnungstag, das Jubeljahr, d. h. nach der Bekehrung das Reich mit allen seinen Segnungen angekündigt.

Warum aber hörte der Herr mitten im Satz auf, und las nicht auch die Worte: „und den Tag der Rache unseres Gottes“? Weil Er nicht die Rache, sondern den Segen brachte. Hätte Israel seinen Messias damals angenommen, so würden die Verheißungen erfüllt worden sein. Dies geschah aber nicht, und darum ist die Erfüllung der Prophezeiung für eine spätere Zeit aufgeschoben worden. Zwischen der Verkündigung des angenehmen Jahres des Herrn und dem Anbruch des Tages der Rache unseres Gottes liegt daher heute schon ein Zeitabschnitt von beinahe 1900 Jahren. Der große und schreckliche Tag des Herrn ist noch nicht angebrochen. Doch wie lange er auch noch hinausgeschoben werden mag, er wird sicher und gewiss kommen. Und dann, nachdem Israel den Versöhnungstag angenommen haben wird, wird das wahre Jubeljahr kommen. „Dann werden sie die uralten Trümmer aufbauen und die verödeten Städte erneuern.“

Was der Herr in Nazareth gepredigt hatte, verkündigte Er von Stadt zu Stadt, denn „Er zog umher durch alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Reiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen“ (Mt 9,35). Im 10. Kapitel beauftragt Er seine zwölf Jünger mit der Predigt des Evangeliums des Reiches unter dem ausdrücklichen Befehl: „Geht nicht auf einen Weg der Nationen, und geht nicht in eine Stadt der Samariter“. Das Reich war nur den Juden verheißen und musste darum auch ihnen allein gepredigt werden, während die Nationen erst dann gesegnet werden sollten, wenn Israel dieses Reich angenommen haben würde. Der Inhalt der Predigt der Jünger war einfach und kurz. Sie lautete: „Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen!“ Sie war, wie die des Herrn, von den Kräften des Reiches begleitet. Die Jünger heilten Kranke und weckten Tote auf, denn das waren „die Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters“ (Heb 6,5). Derselbe Auftrag wurde später den Siebzig gegeben, und wenn man sie in einer Stadt nicht aufnehmen wollte, so sollten sie sagen: „Auch den Staub, der uns aus eurer Stadt an den Füßen haftet, schütteln wir gegen euch ab; doch dieses wisst, dass das Reich Gottes nahe gekommen ist“ (Lk 10,11).

Das Reich der Himmel 2 war also sowohl durch Johannes, als auch durch Jesus und seine Jünger durch ganz Palästina hin gepredigt worden, und die Predigt war von einer solchen Menge von Zeichen und Wundern begleitet gewesen, dass niemand mehr darüber in Unwissenheit sein konnte, dass der König der Juden gekommen war. Wir können deshalb mit vollem Recht sagen: Das Reich war offenbart.

Untersuchen wir jetzt, wie das offenbarte Reich von den Juden aufgenommen wurde. In Maleachi 3,1 lesen wir: „Siehe, ich sende meinen Boten, damit er den Weg vor mir her bereite“; und in Vers 23: „Siehe, ich sende euch Elia, den Propheten, ehe der Tag des Herrn kommt, der große und furchtbare“. Der Engel Gabriel sagt in Lk 1,17 über Johannes den Täufer: „Und er wird vor ihm hergehen in dem Geist und der Kraft Elias, um die Herzen der Väter zu den Kindern zu bekehren … um dem Herrn ein zugerüstetes Volk zu bereiten“. Daraus sollte man schließen, dass in Johannes dem Täufer die Prophezeiung Maleachis erfüllt worden sei. Doch der Herr sagt: „Und wenn ihr es annehmen wollt: Er ist Elia, der kommen soll“ (Mt 11,14), d. h. wenn ihr mich als euren König annehmt, so werdet ihr auch Johannes annehmen, da er mein Herold ist, und dann würde er der verheißene Elia sein. Doch die Juden nahmen Ihn nicht an; und als man Johannes fragte: „Bist du Elia?“ antwortete er: „Ich bin es nicht“ (Joh 1,21). Mochten auch viele mit dem Bekenntnis ihrer Sünden zu Johannes kommen, um getauft zu werden (Mt 3,6), so dürfen wir doch nicht vergessen, dass er selbst den Pharisäern und Sadducäern zurief: „Ihr Otternbrut! Wer hat euch gewiesen, dem kommenden Zorn zu entfliehen?“ und dass Jesus in Bezug auf ihn sagen musste: „Denn Johannes ist gekommen, der weder aß noch trank, und sie sagen: Er hat einen Dämon“ (Mt 11,18); und wiederum: „Elia zwar kommt und wird alle Dinge wiederherstellen; ich sage euch aber, dass Elia schon gekommen ist, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern an ihm getan, was irgend sie wollten. Ebenso wird auch der Sohn des Menschen von ihnen leiden. Da verstanden die Jünger, dass er von Johannes dem Täufer zu ihnen sprach.“ (Mt 17,11–13). So stehen wir denn vor einer zweifachen Erfüllung der Prophezeiung, einer vorläufigen und einer der Zukunft noch vorbehaltenen. Johannes der Täufer war der verheißene Elia, und wenn die Juden ihn angenommen hätten, so hätte kein anderer Elia zu kommen brauchen. Da sie ihn aber verworfen haben, wird die Prophezeiung Maleachis vor der zweiten Ankunft Christi auf Erden in Erfüllung gehen: „Siehe, ich sende euch Elia, den Propheten, ehe der Tag des Herrn kommt, der große und furchtbare“.

Wie Johannes der Täufer, so wurde auch der Herr selbst von den Juden verworfen. Die Verwerfung begann schon sehr bald. Bei der Verkündigung des angenehmen Jahres des Herrn in der Synagoge zu Nazareth wurden die Juden von Wut erfüllt, stießen Ihn zur Stadt hinaus und führten Ihn bis an den Rand des Berges, um Ihn von der Höhe hinabzustürzen. Die Geschichte seiner Verwerfung wird uns am deutlichsten von Matthäus beschrieben. Sie beginnt im 9. Kapitel seines Evangeliums. Der Herr hatte einen Dämon ausgetrieben, und statt dass nun die Obersten in Anbetung vor Ihm niedergesunken wären, schrieben sie seine Macht, die der Beweis seines Königtums war, der Wirkung des Teufels zu. In Verbindung mit diesem Ereignis, das deutlich zeigte, dass die Juden Ihn nicht als König anerkennen wollten, sprach Jesus die ernsten Worte zu ihnen: „Wem aber soll ich dieses Geschlecht vergleichen? Es ist Kindern gleich, die auf den Märkten sitzen und den anderen zurufen und sagen: Wir haben euch auf der Flöte gespielt, und ihr habt nicht getanzt; wir haben Klagelieder gesungen, und ihr habt nicht gewehklagt“ usw. (Mt 11,16–19). Dann fing Jesus an, den Städten Chorazin, Bethsaida und Kapernaum, in denen Er die meisten Wunderwerke getan hatte, und wo daher sein Königtum am deutlichsten offenbart worden war, ihren Unglauben vorzuhalten und ihnen das Gericht anzukündigen, weil sie nicht Buße getan und also den König verworfen hatten.

Weiter lesen wir in Mt 12,14, dass die Pharisäer miteinander Rat hielten, wie sie Jesus umbringen könnten, und zwar weil Er am Sabbat den Menschen mit der dürren Hand geheilt hatte. Als Er dann aus einem Besessenen, der blind und stumm war, den bösen Geist austrieb, zeigte sich von neuem ihre Bosheit, indem sie diese Heilung wiederum dem Teufel zuschrieben. Sie gaben zu, dass der böse Geist ausgetrieben worden sei, aber aus reiner Bosheit und mit voller Überlegung, aus Hass gegen Gott und mit offenen Augen schrieben sie diese Tat dem Teufel zu. Diese Lästerung konnte nicht vergeben werden, weder in dem Zeitalter des Gesetzes, noch in dem des Messias. Ein schreckliches Gericht wird ihnen darum auch angekündigt: selbst Heiden sollten sie verurteilen und den Messias erkennen, während sie in ihrem hartnäckigen Unglauben verharren würden. Hierdurch war es offenbar geworden, dass sie ihren König verwarfen, und darum bricht Jesus nun auch öffentlich das Band, das dem Fleisch nach durch seine Geburt zwischen Ihm und dem Volk bestand (Mt 12,47–50). Von diesem Augenblick an hört die Predigt des Reiches auf: Jesus verlässt das Haus und setzt sich an den See, um sich auf eine andere Weise zu offenbaren (Mt 13,1).

Allerdings schienen die Juden später noch einen Augenblick bereit zu sein, ihren König anzunehmen, als sie Ihm mit dem „Hosanna dem Sohn Davids! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Mt 21,8–16) einen triumphierenden Einzug in Jerusalem bereiteten. Doch es schien nur so, denn sehr bald gelang es den Obersten des Volkes, diese äußerliche gute Stimmung wieder zu unterdrücken. Die Herzen und Gewissen waren nicht erreicht. Darauf kündigt der Herr den Leitern des Volkes nochmals ihre Verwerfung an, zwingt sie durch das Gleichnis von dem Weinberg, ihr eigenes Urteil auszusprechen, und sagt dann zu ihnen: „Habt ihr nie in den Schriften gelesen: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden; von dem Herr her ist er dies geworden, und er ist wunderbar in unseren Augen.“? Deswegen sage ich euch: Das Reich Gottes wird von euch weggenommen und einer Nation gegeben werden, die dessen Früchte bringen wird. Und wer auf diesen Stein fällt, wird zerschmettert werden; auf wen irgend er aber fällt, den wird er zermalmen.“ (V. 42–44). Der Herr Jesus war bei seinem ersten Kommen für Israel ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses. Israel fiel auf diesen Stein und wurde zerschmettert. Nach seiner Verwerfung wurde der Herr in den Himmel aufgenommen, und bald wird Er als der Stein, der sich ohne Hände losreißt und das Bild Nebukadnezars zermalmt (Dan 2), in Herrlichkeit wiederkommen, um nach der Vernichtung seiner Feinde sein Reich aufzurichten. „Auf wen irgend er aber fällt, den wird er zermalmen.“ Durch seine Verwerfung ist der Stein (Jesus), den die Bauleute (die Juden) verworfen haben, zum Eckstein der Kirche geworden. Die Kirche, „die Behausung Gottes im Geist“, ist gebaut auf „den lebendigen Stein, von Menschen zwar verworfen, bei Gott aber auserwählt, kostbar“ (Vergl. Mt 16,18 mit 1. Pet 2,4–10). „Von dem Herrn her ist er dies geworden, und er ist wunderbar in unseren Augen.“

Was Israel schließlich mit seinem König getan hat, ist ja bekannt genug. Durch Judas verraten, wurde Er von den Obersten den Heiden überliefert, und das ganze Volk rief über Ihn: „Kreuzige Ihn!“ Und als Pilatus fragte: „Euren König soll ich kreuzigen?“ antworteten sie: „Wir haben keinen König als nur den Kaiser“. Sein Haupt schmückte man mit einer Dornenkrone. Als Zepter gab man Ihm einen Stab und als Thron ein Kreuz, über das man, zum Verdruss seiner Feinde, in griechischer, lateinischer und hebräischer Sprache die Überschrift setzte: „Jesus, der Nazaräer, der König der Juden“, um so gleichsam der ganzen Welt kundzutun, dass, wenn Israel von da ab ohne König sei, dies nicht daran liege, dass der König seinem Volk untreu geworden sei, sondern daran, dass das Volk seinen König verworfen habe.

So ist also das offenbarte Reich durch die Juden verworfen worden. Wird das für immer so bleiben? Nein! Man höre nur die Worte Jesu, mit denen Er von Jerusalem Abschied nahm: „Denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!““ (Mt 23,39). Es war kein Abschied für immer, sondern: „Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht“.  Die Zeit wird kommen, in der Israel zu seinem König und Gott umkehren und Ihn, wenn Er wiederkommt, aufs Neue mit dem: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ begrüßen wird. (Hos 3,5; Ps 118,26). Dann werden alle Verheißungen des Alten Testamentes erfüllt werden, dann wird Israel unter der herrlichen und glücklichen Regierung des wahren Melchisedek gesegnet, und die ganze Erde wird voll sein der Erkenntnis des Herrn, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken.

Unsere Untersuchung hat uns also gezeigt, dass der Sohn des Menschen, der Messias, der Fürst, auf die Erde gekommen ist, um das Reich der Himmel in seiner verheißenen Herrlichkeit aufzurichten, dass aber die Aufrichtung dieses Reiches in Herrlichkeit infolge der Verwerfung von Seiten Israels und der Kreuzigung des Messias auf eine spätere Zeit verschoben worden, so dass der Charakter dieses Reiches für die jetzige Zeit völlig verändert ist. Es ist eine Art von Zwischenregierung eingetreten. Der König wird jetzt mit einem hochgeborenen Mann verglichen, der „in ein fernes Land zog, um ein Reich für sich zu empfangen und wiederzukommen“ (Lk 19,12). In dieser Zwischenzeit hat das Reich eine besondere Form angenommen. Die Untertanen warten auf dessen Herrlichkeit und auf die Rückkehr ihres Königs. Diese besondere Form, die das Reich jetzt während der Abwesenheit des Königs angenommen hat, nennt die Schrift ein Geheimnis, das der Herr jedoch seinen Jüngern erklärt hat: „Weil es euch gegeben ist, die Geheimnisse des Reiches der Himmel zu erkennen“ (Mt 13,11).

Wie wir schon bemerkten, hörte die Predigt des Evangeliums des Reiches auf, nachdem der Herr in Matthäus 12 von den Juden verworfen worden war, und Er das Gericht über das Volk ausgesprochen hatte. Von da an offenbarte Er sich auf eine ganz andere Weise. „Siehe, der Säemann ging aus zu säen“, war das erste, was Jesus sagte, nachdem Er das Haus (Israel) verlassen hatte. Vergeblich hatte Er an dem Weinstock Israel Frucht gesucht, und darum musste Er nun selbst den Samen ausstreuen, aus dem Frucht entstehen konnte. Hätte Israel seinen König angenommen, so hätte Jesus nicht als Säemann auszugehen brauchen, denn dann hätte Er als König seine Herrlichkeit offenbaren können. 3 Da er jedoch verworfen wurde und dadurch das Band zwischen Ihm und dem Volk gebrochen war, wendet der Herr sich an alle, die das Evangelium hören würden, und beschreibt die Wirkung, die das Evangelium in der Welt hervorbringen würde. Von den dann folgenden sechs Gleichnissen zeigen die drei ersten die äußere Form, die das Reich der Himmel während seiner Abwesenheit in der Welt annehmen würde, und die drei übrigen den inneren Kern, den das Reich enthält, und der für sein Herz so köstlich ist.

Lasst uns jetzt unter der Leitung des Heiligen Geistes die Gleichnisse von dem Reich der Himmel zu verstehen suchen.

1. Das Unkraut im Acker – Dieses Gleichnis zeigt uns die Folgen der Übergabe des Reiches in die Hände des Menschen. Das Reich trägt nicht mehr das Aussehen eines Werkes des Herrn. Der Sohn des Menschen hat guten Samen gesät. Der Same ist das Wort (Verse 1–23). Aus dieser Aussaat sind die Kinder des Reiches entstanden. Durch die Untreue und Nachlässigkeit der Menschen aber hat der Teufel Gelegenheit gefunden, Unkraut unter den Weizen zu säen. Das Unkraut ist das Böse, das der Teufel vermittelst schlechter Lehrer und deren Anhänger, durch Ketzer und falsche Brüder, unter die Söhne des Reiches gebracht hat. Weizen und Unkraut müssen zusammen aufwachsen bis zur Ernte. Mit anderen Worten: Das Reich der Himmel, wie es durch die Untreue der Menschen sich gestaltet hat, bleibt bis zur Vollendung des jetzigen Zeitalters ein gemischtes System. Die Diener, die nicht imstande waren, das Eindringen des Bösen zu verhindern, besitzen noch weniger die Fähigkeit, es zu beseitigen. Es fehlt ihnen dazu sowohl das notwendige Unterscheidungsvermögen als auch die Macht. Sie vermögen das Unkraut nicht aus der Welt auszurotten. Sie würden den Weizen mit ausraufen. Aber zur Zeit der Ernte wird der Sohn des Menschen seine Engel aussenden, um das Unkraut in Bündel zu binden und zur Verbrennung aufzubewahren (V. 30), während der Weizen in die Scheune (den Himmel) gesammelt wird – wohl ein Hinweis auf die Entrückung der Gläubigen. Und schließlich erscheint der Sohn des Menschen, um das Unkraut zu vernichten, indem Er es durch die Engel ins Feuer werfen lässt.

Wenn man sich einfach an die Auslegung des Herrn Jesus gehalten hätte, so würde man nie auf den Gedanken gekommen sein, dass in diesem Gleichnis von der Versammlung oder der wahren Kirche die Rede sei. Der Herr sagt: „Lasst es beides (die Kinder des Reiches und die Kinder des Bösen) zusammen wachsen bis zur Ernte“, während Paulus mit Bezug auf die Versammlung sagt: „Tut den Bösen von euch selbst hinaus!“ (1. Kor 5,13). Wenn daher hier von denselben Personen unter denselben Umständen die Rede wäre, so hätte Paulus dem Herrn widersprochen. Die Sache ist indes sehr einfach. Der Herr redet von dem Reich, und der Acker ist die Welt. Böse und Gute sollen auf diesem Acker zusammen aufwachsen bis zur Zeit der Ernte. Paulus dagegen spricht zu der Versammlung (Gemeinde), die zwar in dem Reich, aber nicht das Reich selbst ist, und fordert sie auf, den Bösen aus ihrer Mitte hinauszutun.

2. Das Senfkorn – Das Reich der Himmel hat einen kleinen, unscheinbaren Anfang genommen, aber das, was als ein kleines Senfkorn gesät wurde, ist ein großer Baum geworden. Ein großer Baum ist in der Sprache der Schrift das Sinnbild einer großen Macht auf der Erde. So werden z. B. der Assyrer, der Pharao, und vor allem Nebukadnezar mit großen Bäumen verglichen (Siehe Hes 31,3; 17,23.24; Dan 4,10 u. f.). Das Reich, anfangs klein, sollte in seiner äußeren Gestalt nach und nach zu einer großen, angesehenen Macht auf Erden werden, unter der man, wie die Vögel unter einem Baume, Schutz suchen würde. Das ist geschehen. Das Reich der Himmel ist zu einer gewaltigen Macht geworden. Es ist mit Ehre und Ansehen bekleidet, so dass man in ihm Schutz sucht.

3. Der Sauerteig – Während das Gleichnis von dem Unkraut unter dem Weizen uns zeigt, dass böse Lehrer und ihre Anhänger in dem Reich Eingang finden würden, belehrt uns das Gleichnis vom Sauerteig, dass böse, falsche Lehren eindringen und das Ganze von ihnen durchsäuert werden würde. Gewöhnlich versteht man unter dem Sauerteig die alles durchdringende Kraft des Evangeliums. Man vergisst aber dabei, dass der Sauerteig in der Schrift nie als etwas Gutes, sondern immer als etwas Böses bezeichnet wird. Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, der Heuchelei ist“ (Mt 16,6.11.12; Lk 12,1). Paulus sagt: „Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert? Fegt den alten Sauerteig aus, damit ihr ein neuer Teig seiet, wie ihr ungesäuert seid.“ (1. Kor 5,6–8; Gal 5,9). Im Alten Bund durfte während des Passahfestes kein Sauerteig in allen Grenzen Israels gefunden werden usw. Es wäre daher zum mindesten sehr willkürlich, an dieser einen Stelle den Sauerteig für etwas Gutes erklären zu wollen. Überdies zeigt das Gleichnis selbst, dass jene Erklärung ganz und gar falsch ist. Die Frau verbirgt den Sauerteig. Das Evangelium wird aber wahrlich nicht verborgen, wohl aber die falsche Lehre, die immer auf betrügerische Weise eingeschmuggelt wird und langsam ihre verderbliche Wirkung ausübt.

Wir finden daher in diesen drei Gleichnissen die äußere Form, die das Reich der Himmel während der Abwesenheit seines Königs in der Welt annehmen sollte.

Bis hierhin hat der Herr im Beisein der Volksmenge gesprochen. Sobald Er aber über den inneren Kern des Reiches reden will, entlässt Er die Volksmenge und tritt mit seinen Jüngern in ein Haus.

4. Der Schatz im Acker – Ein Mensch findet einen in einem Acker verborgenen Schatz und kauft voll Freude den Acker, um den Schatz zu besitzen. Nicht der Acker, sondern der Schatz, der sich in ihm befindet, ist das Ziel seiner Wünsche. So betrat Christus den Acker dieser Welt und fand in ihm einen Schatz. Der Schatz ist die Versammlung, die Kirche, die hier nicht in ihrer sittlichen Schönheit vorgestellt wird, sondern als dasjenige, was sein Herz nach den Ratschlüssen und Gedanken Gottes in dieser Welt gefunden hat. Für eine Zeit verbirgt Er sie und geht hin, verkauft alles, was Er hat: Seine Herrlichkeit, seine königlichen Rechte, ja sein eigenes Leben, und kauft die Welt, nicht weil die Welt so schön und begehrenswert für Ihn war, sondern weil der Schatz, die Versammlung, sich in ihr befand.

5. Die kostbare Perle – Ein Kaufmann sucht schöne Perlen. Er kennt ihren Wert und vermag ihre Kostbarkeit zu beurteilen. Sobald er eine Perle gefunden hat, die seinen Wünschen entspricht, ist es für ihn der Mühe wert, für ihren Besitz alles hinzugeben, was er hat. Er kauft die Perle, und zwar sie allein. So hat Christus in der Versammlung eine solche Schönheit, einen solchen inneren Wert gefunden, dass Er dadurch veranlasst worden ist, alles aufzugeben und sie zu kaufen. Es gefiel Ihm, allem zu entsagen, was Er hatte, um sie zu besitzen. Andere Perlen hat Er nicht gekauft. Nichts hätte Ihn auch bewegen können, sein ganzes Eigentum hinzugeben, als nur der Anblick dieser Perle. 4

6. Das ins Meer geworfene Netz – Das Netz ist das Netz des Evangeliums. Die gleichen Personen, die es auswerfen, ziehen es auch wieder auf und treffen dann unter den gefangenen Fischen eine Auswahl. Es sind also nicht Engel, die die Scheidung vollziehen, wie in dem Gleichnis vom Unkraut im Acker. Die Fischer ziehen das Netz ans Ufer herauf und beginnen die Fische auszulesen. Die Guten legen sie in Gefäße, und die Faulen werfen sie fort. Es handelt sich für die Fischer darum, gute Fische zu haben. Sie beschäftigen sich deshalb nur mit diesen. So ist das Netz des Evangeliums in das Meer der Völker geworfen worden und hat allerlei Menschen in sich aufgenommen. Und nun sondern die Arbeiter des Herrn die Guten von den Bösen ab und bringen die ersteren in Sicherheit, während sie sich um die letzteren nicht weiter kümmern. Die Guten werden in Gefäßen vereinigt, und zwar geschieht dies nicht, wie bereits gesagt, durch Vermittlung der Engel, sondern durch die Fischer selbst. Die praktische Folge dieser Arbeit ist also die Absonderung der Guten von den Bösen und Zusammenbringen oder das Sammeln der ersteren vermittelst der Tätigkeit der Arbeiter des Herrn. – Die Vollziehung des Gerichts ist eine ganz andere Sache, mit der die Arbeiter des Herrn nichts zu tun haben. In der Vollendung des Zeitalters werden die Engel ausgehen und die Bösen aus der Mitte der Gerechten aussondern und sie in den Feuerofen werfen, wo das Weinen und das Zähneknirschen sein wird (Verse 49.50). Dies ist aber nicht etwa die Erklärung des Gleichnisses, sondern nur eine Mitteilung darüber, was die Engel mit den Bösen tun werden, die von den Fischern bereits als solche erkannt und deshalb fortgeworfen worden sind.

Das Ergebnis unserer Betrachtung der Gleichnisse vom Reich ist also folgendes:

  1. Durch seine Verwerfung von Seiten der Juden wurde es dem Herrn unmöglich gemacht, sein Reich so aufzurichten, wie es nach den Prophezeiungen hätte geschehen sollen, und Er hat es deshalb den Händen der Menschen übergeben, bis zu der Zeit, wenn Er wiederkommen wird, um selbst die Herrschaft zu übernehmen.
  2. Der Herr hat uns eine Beschreibung gegeben sowohl über die äußere Form, die das Reich während seiner Abwesenheit annehmen würde, als auch über den inneren Kern, den es enthält.
  3. Um diesen kostbaren Kern zu besitzen, hat Er alles, was Er hatte, hingegeben, und obwohl die Bosheit und Feindschaft des Menschen unmittelbar Veranlassung zu seinem Weggang von der Erde gaben, so lag es doch schon bei seinem Herniederkommen in seiner Absicht, alle seine Rechte als Messias und König Israels für eine Zeitlang aufzugeben, um jenen kostbaren Schatz zu kaufen, der jetzt durch seine Diener in dem Reich gesammelt und abgesondert wird.

Hieraus geht zunächst hervor, dass das Reich und die Kirche nicht eine und dieselbe Sache sind. Das Reich war schon offenbart, ehe von der Kirche nur die Rede war. Bis zur Verwerfung des Herrn als Messias seitens seines irdischen Volkes finden wir von der Kirche keine Spur, und wenn der Herr zum ersten Male von ihr redet (obschon noch immer in Gleichnissen), stellt Er den Unterschied zwischen ihr und dem Reich ins hellste Licht. Nach dem Ratschluss Gottes sollte die Kirche als eine Braut Christus gegeben werden. Deshalb musste der König des Reiches verworfen werden, damit Er sich um den Preis seines Blutes den Schatz erkaufe, den Er in der Welt gesehen und gefunden hatte. Um seine himmlische Braut besitzen zu können, gab Christus seine königlichen Rechte auf und überließ das Reich den Händen und der Verantwortlichkeit des Menschen. Einen stärkeren Beweis für den Unterschied zwischen Reich und Kirche kann es wohl nicht geben. Wenn jemand um den Besitz einer Sache willen eine andere preisgibt, so können die beiden Sachen doch nicht einander gleich sein. Wohl haben wir gesehen, dass das Reich heute noch besteht, allein es trägt einen ganz besonderen Charakter und ist von der Kirche völlig verschieden. Die Kirche, d. h. die wahre Kirche, die Versammlung oder Gemeinde Gottes, befindet sich in dem Reich. Sie bildet seinen inneren Kern, seinen himmlischen Bestandteil, aber sie ist nicht das Reich selbst. Die Kirche ist der Leib Christi, Seine Braut, die Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt. Das kann unmöglich von dem Reich gesagt werden. Die Untertanen des Reiches sind als solche nicht mit Christus gestorben und auferstanden und in Ihm in die himmlischen Örter versetzt. Sie sind nicht Kinder Gottes, sondern Kinder des Reiches, Untertanen seines Königs. Auch wird die Kirche, als die Frau des Lammes, dereinst mit Christus über das Reich herrschen.

Ferner geht aus dem oben Gesagten hervor, dass die Meinung vieler Christen, als ob die Kirche Christi die Gläubigen aller Zeiten umfasse, unrichtig ist. Die Schrift belehrt uns auf das Bestimmteste, dass die Kirche bis zur Zeit der Apostel und Propheten des Neuen Testamentes ein Geheimnis war, von den Zeitaltern her in Gott verborgen, und dass ihre Berufung durchaus himmlisch ist.

Schon aus der Antwort, die der Herr auf das Bekenntnis des Petrus gibt: „Du bist Petrus; und auf diesen Felsen werde ich meine Versammlung bauen“ (Mt 16,18), geht klar hervor, dass die Versammlung weder im Alten Bund bestand, noch zur Zeit als Jesus hienieden wandelte. Der Herr sagt nicht: „ich baue“, oder gar: „ich habe gebaut“, sondern: „ich werde bauen“. Die Gründung und Erbauung der Kirche war also damals noch etwas Zukünftiges. Und nichts ist natürlicher als das. Denn was ist die Kirche oder Versammlung? Sie ist der Leib Christi, und zwar nicht der Leib des hienieden lebenden, sondern des auferstandenen und verherrlichten Christus. Ohne den Tod und die Auferstehung war jede Vereinigung mit Jesus eine Unmöglichkeit, wie Er selbst sagt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein“ (Joh 12,24). Vor der Auferstehung Christi konnte die Versammlung nicht vorhanden sein.

Sehr bestimmt erklärt daher auch der Apostel Paulus, dass bis zu seiner Zeit die Versammlung ein Geheimnis gewesen sei. Er schreibt an die Epheser: „(wenn ihr nämlich gehört habt von der Verwaltung der Gnade Gottes, die mir in Bezug auf euch gegeben ist, dass mir durch Offenbarung das Geheimnis kundgetan worden ist, … wie es jetzt offenbart worden ist seinen heiligen Aposteln und Propheten im Geist: dass die aus den Nationen Miterben seien und Miteinverleibte und Mitteilhaber der Verheißung in Christus Jesus durch das Evangelium“. Und einige Verse weiter: „und alle zu erleuchten, welches die Verwaltung des Geheimnisses sei, das von den Zeitaltern her verborgen war in Gott, der alle Dinge geschaffen hat“ (Eph 3,1–10). Das sind unzweideutige, klare Worte. Eine Sache, die von Zeitaltern her in Gott verborgen und in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgetan war, kann unmöglich in jenen Zeitaltern und Geschlechtern gefunden werden. Trotzdem suchen viele Christen die Kirche entweder unter den verschiedenen Namen, die Israel gegeben werden, oder in den Aussprüchen des HERRN über sein Volk, oder endlich in den Prophezeiungen des Alten Bundes. Betrachten wir deshalb diesen Gegenstand noch etwas näher.

Man begegnet vielfach der Meinung, dass das Geheimnis, das der Apostel hier im Auge habe, die Berufung der Nationen zur Kenntnis des Evangeliums sei. Das ist jedoch unmöglich, denn die Berufung der Nationen und ihre Teilnahme an den Segnungen Israels war durchaus nichts Verborgenes, sondern war im Gegenteil immer wieder angekündigt worden (Vergl. z. B. Jes 49,6). Das Geheimnis, von dem der Apostel hier spricht, besteht vielmehr darin, dass die Gläubigen aus den Nationen „Miterben seien und Miteinverleibte und Mitteilhaber der Verheißung in Christus Jesus durch das Evangelium“. Es war im Alten Testament kein Geheimnis, dass die Nationen durch Israel gesegnet werden sollten. Dagegen war es vollständig verborgen, dass die Gläubigen aus den Nationen mit denen aus den Juden Erben derselben Verheißung sein und zusammen mit ihnen einen Leib bilden sollten, so dass der Judenchrist nicht vor dem Heidenchristen bevorzugt war. Im Alten Bund waren die Juden durch das Gesetz von allen anderen Völkern geschieden. Sie wurden bestraft, wenn sie mit ihnen irgendwelche Verbindung eingingen. Sollte deshalb von einem Leib die Rede sein, in dem Juden und Griechen eins sind, so musste zunächst die von Gott selbst errichtete Zwischenwand der Umzäunung, das Gesetz der Gebote in Satzungen, hinweggetan werden. Und durch den Tod Christi auf dem Kreuz wurde diese Zwischenwand beseitigt und wurden beide – die Gläubigen aus den Juden und die aus den Nationen – in einem Leib mit Gott versöhnt, damit Christus die Beiden in sich selbst zu einem neuen Menschen schüfe. Dieser neue Mensch ist Christus und die Versammlung, „wo nicht ist Grieche und Jude, Beschneidung und Vorhaut, Barbar, Skythe, Sklave, Freier, sondern Christus alles und in allen“ (Kol 3,11). Vor Vollendung dieses Werkes konnte daher die Kirche, der Leib des auferweckten und verherrlichten Christus, in dem jeder Unterschied zwischen Volk oder Geschlecht aufgehört hat, nicht anders als in dem Ratschluss Gottes bestehen.

Für die inspirierten Schreiber des Alten Testamentes war darum die Kirche ein Geheimnis. Ja, selbst die Zeit der Kirche, die Zeit, in der wir leben, ist in ihren Prophezeiungen nicht zu finden. Drei Beispiele aus der Menge der vorhandenen werden genügen, um das Gesagte zu beweisen. In Jesaja 11 wird die erste und die zweite Ankunft Christi in einer Weise miteinander verbunden, dass niemand beim Lesen jener Prophezeiung auf den Gedanken kommen kann, dass zwischen beiden Ereignissen viele Jahrhunderte liegen. Und doch ist es so. Bis zur Mitte des 4. Verses ist die Prophezeiung bereits erfüllt, wogegen die zweite Hälfte erst bei der zweiten Ankunft Christi ihre Erfüllung finden wird. Ebenso deutlich ist die bereits angeführte Stelle aus Jesaja 61. Beim Lesen dieser Weissagung wird jeder Israelit gedacht haben, dass die angekündigten Ereignisse in unmittelbarer Aufeinanderfolge, so wie sie von dem Propheten vorhergesagt sind, eintreffen würden. Und doch wissen wir, dass jetzt schon beinahe 1900 Jahre seit der ersten Ankündigung „des Jahres des Wohlgefallens des Herrn“ verflossen sind, und „der Tag der Rache unseres Gottes“ ist noch nicht gekommen. Im 2. Psalm finden wir dasselbe. In Apostelgeschichte 4 wird der Anfang dieses Psalms angeführt und die Verwerfung des Herrn durch Herodes und Pontius Pilatus als seine Erfüllung betrachtet. Man sollte nun erwarten, dass im weiteren Verlauf des Psalms von der Kirche gesprochen werden würde; doch das Gegenteil ist der Fall, indem der folgende Teil eine Beschreibung des Reiches Christi, sowie des Gerichtes Gottes über die Feinde seines Gesalbten enthält.

Die Zeit, in der wir leben, und in der die Kirche Christi gesammelt wird, findet also keinen Raum in den Prophezeiungen des Alten Bundes. Diese Tatsache gibt uns den Schlüssel zum richtigen Verständnis der Prophezeiungen in die Hand. Die zukünftigen Ereignisse folgen in den Propheten immer unmittelbar auf die Ankunft des Messias, ohne irgendwelchen Hinweis auf eine Zwischenzeit. Der durch die Verwerfung des Messias abgebrochene Faden der Geschichte Israels wird erst in den letzten Tagen wieder angeknüpft werden, sobald Israel wieder als Volk auf dem Schauplatz erscheinen wird. Von der dazwischen liegenden Zeit und ihren Ereignissen findet sich im Alten Testament keine Spur. Wohl können wir, in dem vollen Licht des Neuen Testamentes, viele schöne und ausdrucksvolle Vorbilder der Kirche in den Personen und Geschichten des Alten Testamentes entdecken, wie z. B. in Eva, Henoch, Rebekka, der Frau Josephs usw., doch dürfen wir dabei nicht vergessen, dass wir selbst diese Vorbilder nicht in ihrer Schönheit erkennen würden, wenn wir sie nicht durch die dem Paulus gegebenen Offenbarungen als solche kennen gelernt hätten.

Es geht daher sowohl aus den Worten des Herrn selbst, als auch aus den bestimmten Aussprüchen des Heiligen Geistes, sowohl aus der Natur und dem Charakter der Kirche, als auch aus dem Fehlen irgendwelcher Andeutungen in den Propheten, mit völliger Gewissheit hervor, dass man die Kirche nicht im Alten Testament suchen darf, und dass sie ebenso wenig während des Umherwandelns Jesu auf der Erde bestand, dass sie vielmehr erst, nachdem Jesus zur Rechten Gottes erhöht worden und der Heilige Geist auf die Erde hernieder gekommen war, in Erscheinung getreten ist. Das Pfingstfest (Apg 2) war gleichsam der Geburtstag der Kirche, während sie in dem göttlichen Ratschluss bereits vor Grundlegung der Welt bestand.

Lasst uns jetzt noch einen Augenblick bei der Berufung der Kirche verweilen. Dem Apostel Paulus wurde das besondere Vorrecht zuteil, den Charakter, die Natur und die Berufung der Kirche den Gläubigen bekannt zu machen. Er konnte sagen, dass ihm „durch Offenbarung das Geheimnis kundgetan worden sei“ (Eph 3,3). Wohl wurde die Kirche am Pfingsttag gegründet, indem die Gläubigen durch die Ausgießung des Heiligen Geistes zu einem Leib getauft wurden. Allein ihr besonderer und himmlischer Charakter wurde im Anfang von den Jüngern nicht verstanden. Das sehen wir deutlich aus der Weigerung des Petrus, etwas zu essen, was nach jüdischen Begriffen gemein oder unrein war (Apg 10), und aus der Tatsache, dass er in Jerusalem Rechenschaft darüber ablegen musste, dass er bei den Nationen eingekehrt war. (Apg 11). Gott wollte, bevor Er die himmlische Berufung der Kirche offenbarte, als Erhörung des Gebetes Jesu am Kreuz noch einmal das Reich den Juden anbieten lassen. Dies geschah durch den Mund des Petrus, der zu den Juden sagte: „Und jetzt, Brüder, ich weiß, dass ihr in Unwissenheit gehandelt habt, so wie auch eure Obersten… So tut nun Buße und bekehrt euch, damit eure Sünden ausgetilgt werden, damit Zeiten der Erquickung kommen vom Angesicht des Herrn.“ (Apg 3,17–21). Doch wie das Zeugnis Jesu, so wurde auch das Zeugnis des Heiligen Geistes verworfen. Stephanus, der Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, wurde gesteinigt, und von diesem Augenblick an hörte Jerusalem auf, der Mittelpunkt der Predigt des Evangeliums zu sein. Saulus, der Augenzeuge bei dem Tod des Stephanus, der eifrige Verfolger der Versammlung, sozusagen der persönliche Ausdruck des Hasses der Juden gegen Jesus, wurde bekehrt, und er empfing die Offenbarungen über die Natur und die Berufung der Kirche.

Diese Offenbarungen teilt er uns am ausführlichsten im Epheserbrief mit. Schon im Anfang des 1. Kapitels lesen wir: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus,…“ Nach dem Ratschluss Gottes ist also die Segnung der Kirche eine geistliche, und der Ort, wo sie diese Segnung empfängt, ist der Himmel. „…wie Er uns auserwählt hat in ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und untadelig seien vor ihm in Liebe.“ Die Kirche steht ganz außerhalb des Laufes der Geschichte der Welt und der diesbezüglichen Wege Gottes. Sie ist vor Grundlegung der Welt zu einer himmlischen Berufung auserwählt. Sie hat diese Berufung infolge ihrer Vereinigung mit Christus, und ihr Charakter steht in Übereinstimmung mit Gott, der Licht und Liebe ist.

Weiter heißt es: „Der uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens“. Israel wurde als das Volk Gottes auf der Erde auserwählt, wir aber sind nach dem Wohlgefallen des Willens Gottes zu seinen Kindern zuvorbestimmt. Und wie unaussprechlich herrlich sind unsere Beziehungen zu Christus! Nachdem der Apostel von dem Geheimnis Gottes geredet hat, dass Er „alles unter ein Haupt zusammenbringen will in dem Christus, das, was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist“, fügt er hinzu: „in ihm, in dem wir auch ein Erbteil erlangt haben“. Wenn Christus alle Dinge als sein Erbteil besitzen wird, dann wird die Versammlung seine Miterbin sein. Wenn Er, mit Macht und Herrlichkeit bekleidet, als König über die Erde herrschen wird, dann wird sie mit Ihm herrschen. Sein Teil ist das ihrige. Als die Braut Christi genießt sie alle Vorrechte ihres verherrlichten Bräutigams, denn Gott hat Ihn „als Haupt über alles der Versammlung gegeben, die sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt“. Welch eine innige Vereinigung! Wie unser Leib mit dem Haupt ein Ganzes ausmacht, wie der Leib das Haupt vervollständigt und zu einem Menschen macht, so ist die Versammlung mit Christus verbunden. Sie ist die Vervollständigung, die Fülle ihres herrlichen Hauptes.

In dem 2. Kapitel zeigt uns dann der Heilige Geist, dass die Versammlung, weil sie mit ihrem verherrlichten Haupt vereinigt ist, ihren Platz im Himmel hat. „Er hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus.“ (V. 6). Wie könnte da noch von einem Unterschied zwischen Juden und Heiden die Rede sein? Christus hat die zwei, Frieden stiftend, in sich selbst zu einem neuen Menschen geschaffen, da er sie auf dem Kreuz in einem Leib mit Gott versöhnte (Verse 14–16). Dieser Leib, aus Juden und Heiden gebildet, ist die Versammlung Gottes, die aufgebaut auf die Grundlage der Apostel und Propheten des Neuen Testamentes, an Stelle des früher von dem HERRN bewohnten Tempels in Jerusalem, „zu einer Behausung Gottes im Geist“ geworden ist.

Das 3. Kapitel zeigt uns, dass die Versammlung, wie bereits gesagt, ein Geheimnis war, das von den Zeitaltern her in Gott verborgen gewesen ist, aber auch zugleich, dass „jetzt den Fürstentümern und den Gewalten in den himmlischen Örtern durch die Versammlung kundgetan werde die mannigfaltige Weisheit Gottes“. Wohl hatten die Fürstentümer und die Gewalten im Himmel die Größe, Weisheit und Macht, die Gerechtigkeit, Güte und Langmut Gottes, wie sie sich in der Schöpfung und in den Wegen seiner Vorsehung und Regierung offenbart hatten, angeschaut, aber noch niemals hatten sie auf der Erde einen Leib gesehen, der mit dem Sohn Gottes im Himmel vereinigt ist. Das war für sie eine ganz neue Entfaltung der Weisheit Gottes.

Im 4. Kapitel sagt der Apostel, dass es nur einen Leib und einen Geist gebe (V. 4), und spricht dann über die diesem Leib mitgeteilten Gaben (Verse 7–12). Der unausforschliche Reichtum Christi ist die Quelle der Auferbauung der Versammlung, weil jedes Glied, nach der ihm verliehenen Gabe, aus diesen unerschöpflichen Vorräten dem Leib mitteilt. Der Leib entwickelt sich und wächst zu dem „Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus“. Christus selbst ist Ziel und Maßstab für die Versammlung. Nach Christus werden wir gebildet. Ihm werden wir einmal vollkommen gleich sein.

Im 5. Kapitel endlich weist der Apostel auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau hin, als Bild der Beziehung, die zwischen Christus und der Versammlung besteht. Er erinnert einerseits an die unaussprechliche Liebe und zärtliche Sorgfalt Jesus für seinen Leib, die  Versammlung, und andererseits an ihre innige Beziehung und unzertrennliche Verbindung mit Ihm. Wie Eva aus Adam war, so ist die Versammlung aus Christus, dem letzten Adam, denn „wir sind Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinen Gebeinen“ (V. 30). Sie ist ein Teil von Ihm, seine Fülle, seine Miterbin. Köstliche Wahrheit! Möchte diese Einheit stets von uns verstanden und gefühlt werden!

Auch in anderen Briefen des Apostels Paulus finden wir betreffs dieser Wahrheit deutliche Unterweisungen. In dem ersten Brief an die Korinther, in dem der Apostel die genauesten Anweisungen über die Einrichtung einer örtlichen Versammlung gibt, belehrt er uns auch, dass die an einem Ort vereinigten Gläubigen die Einheit des ganzen Leibes darstellen. Sie bilden die Versammlung oder die Gemeinde Gottes an diesem Ort. Deshalb richtete er seinen Brief an „die Versammlung Gottes, die in Korinth ist“. Es gab dort nur eine Versammlung, und sie bestand aus allen denen in Korinth, die „Geheiligte in Christus Jesus, berufene Heilige“ genannt werden konnten. Sie waren durch ihr Bekenntnis und durch ihr gemeinsames Wandeln von der Welt getrennt. Das Abendmahl bildete das äußere Zeichen ihrer Vereinigung (1. Kor 10,16), und der Heilige Geist wohnt in der Versammlung. Sie ist der Tempel des Heiligen Geistes (Kap. 3, 16.17; 6, 19). Dieser Geist vereinigt alle Gläubigen zu einem Leib. „Denn so wie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, ein Leib sind: also auch der Christus. Denn auch in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden, es seien Juden oder Griechen.“ (Kap. 12, 12.13). Die Versammlung ist daher der Leib Christi, und der Heilige Geist vereinigt die Christen zu einem Leib und teilt zugleich jedem Glied Gaben aus zum Nutzen des ganzen Leibes.

Auch der Brief an die Kolosser beschäftigt sich mit diesem Gegenstand, indem er uns sowohl die Herrlichkeit Christi als Haupt über alle Dinge und als Haupt der Versammlung (Kap. 1, 15–18), wie auch sein Wohnen in ihr als „die Hoffnung der Herrlichkeit“ vor Augen stellt. Der Herr sichert auch den Heiden, die ohne Verheißung und ohne Hoffnung waren, die himmlische Herrlichkeit zu, in die Er selbst eingegangen ist. Die Versammlung besitzt in Ihm „die ganze Fülle der Gottheit, die in ihm leibhaftig wohnt“, und sie ist „vollendet in ihm, der das Haupt jedes Fürstentums und jeder Gewalt ist“ (Kap. 2, 9.10).

Welch eine herrliche Stellung für die Versammlung! Sie ist vollkommen eins mit Christus und nimmt an allen seinen Segnungen teil. Wie unendlich groß seine Herrlichkeit auch sein mag – sie ist seine Miterbin. Er hat ihr die schmutzigen Kleider ausgezogen und sie mit seiner Schönheit und Lieblichkeit geschmückt. Er hat sie vor das Angesicht des Vaters hingestellt, „heilig und tadellos in Liebe“. Er bringt sie als seine Braut und Miterbin in die für sie erworbene himmlische Herrlichkeit. Er wird sie als seine Frau auf diese Erde zurückführen, damit sie seine Herrschaft mit Ihm teile, und Er wird stets in ihrer Nähe weilen, um sich an ihrem Lob und ihrer Anbetung, an ihrem Glück und ihrer Freude zu weiden. Welch ein unaussprechliches Vorrecht daher, zu dieser Versammlung zu gehören, die schon jetzt alle Segnungen durch den Glauben genießt und bald seine ganze Fülle in alle Ewigkeit anschauen und genießen wird!

Fußnoten

  • 1 Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass der Zeitraum von 70 Wochen von dem zweiten, durch Nehemia mitgeteilten Befehl Artasastas an gerechnet werden muss, da in dem ersten Befehl desselben Königs an Esra nur von der Wiederherstellung des Tempels die Rede ist (siehe Esra 7).
  • 2 Der Ausdruck „Reich der Himmel“ kommt nur in Matthäus vor, während Markus und besonders Lukas stets vom „Reich Gottes“ reden. In denselben Gleichnissen, in denen Matthäus von dem „Reich der Himmel“ spricht, findet sich bei Lukas der Ausdruck: „Reich Gottes“. Trotzdem wird man nicht überall „Reich der Himmel“ in „Reich Gottes“ verändern können. Es scheint mir, dass „Reich Gottes“ eine allgemeinere und zu allen Zeiten gültige Bezeichnung für das Reich darstellt, während „Reich der Himmel“ mehr begrenzt ist, und da dieser letztere Ausdruck sich nur im Evangelium Matthäus findet, wo Christus vornehmlich in seinem Charakter als der Messias vorgestellt wird, so scheint er unmittelbarer auf Israel Bezug zu haben. Die Juden erwarteten den Messias und die Aufrichtung des Reiches, doch dachten sie dabei an ein irdisches Reich (siehe Apg 1,6); und um diesen irdischen Gedanken entgegen zu treten, sprach der Herr so viel von dem „Reiche der Himmel“. Es sollte zwar, entsprechend den Verheißungen des Alten Testamentes, ein Reich auf Erden sein, trotzdem aber einen himmlischen Charakter tragen; es sollte vom Himmel, der Wohnstätte seines Königs, aus nach himmlischen Grundsätzen regiert werden.
  • 3 Wir reden hier natürlich nur von der Verantwortlichkeit Israels, nicht aber von dem Vorsatz Gottes. Die Verwerfung Christi war die Schuld der Juden, doch zugleich wurde Er nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis Gottes übergeben. (siehe Apg 2,23)
  • 4 Dieses und das vorige Gleichnis werden oft so erklärt, als wenn Christus der im Acker verborgene Schatz und die kostbare Perle wäre, und als wenn der Sünder, um Christus zu gewinnen, alles aufgäbe, was er habe. Aber der Sünder kauft doch nicht den Acker (die Welt), um den Schatz zu besitzen, noch könnte er dadurch, dass er alles aufgäbe, was er an irdischen Gütern, Vorteilen, Ehren usw. besitzt, sich Christus oder die Seligkeit erkaufen. Gott verkauft nicht seine unaussprechliche Gabe, sondern Er gibt sie ganz umsonst, „ohne Geld und ohne Kaufpreis“ (Jes 55,1).
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