Das Evangelium nach Matthäus
Kapitel 13
Am Anfang des Kapitels fällt auf, wie der Herr damit fortfährt, Seinen Worten Taten folgen zu lassen. Er verlässt die Enge des Hauses und geht hinaus ins Freie und an den See, der symbolisch die Nationen abbildet. Dort beginnt Er die Volksmenge von einem Schiff aus zu lehren, indem Er in Gleichnissen zu ihnen spricht. Dieses Kapitel enthält sieben Gleichnisse. Beginnen wir damit, dass wir einen Ausdruck beachten, den Er in Vers 52 gebraucht, „Neues und Altes“. Das wird uns helfen, dem Gedankengang der Gleichnisse zu folgen. Altes wird erwähnt, das Reich der Himmel zum Beispiel, das im Buch Daniel vorausgesagt war, doch Neues ist vorherrschend. Wir wollen auf vier neue Dinge hinweisen, bevor wir die Gleichnisse Punkt für Punkt betrachten. Erstens bedient Er sich einer neuen, und zwar der gleichnishaften Form der Unterweisung. Diese neue Methode fiel den Jüngern auf, wie Vers 10 zeigt. Zweitens zeigte Er in dem ersten Gleichnis eine neue Art göttlichen Wirkens an. Statt nach Frucht auszuschauen, durch Gesetz und Propheten auf dem Ackerfeld Gottes gewirkt, schickte Er sich an, das Wort zu säen, um dadurch Frucht hervorzubringen. Drittens macht Er Entwicklungen deutlich, die dem Ausdruck „Reich der Himmel“ eine neue Bedeutung geben. Viertens verkündet Er neue Offenbarungen, indem Er Seinen Mund öffnet, um auszusprechen, „was von Grundlegung der Welt an verborgen war“ wie es Vers 35 sagt.
Das erste Gleichnis steht für sich, und wenn wir dies nicht verstehen, werden wir die anderen auch nicht verstehen. Das große Werk war nun, das „Wort vom Reich“ in die Herzen der Menschen zu säen. Dabei wird dem Juden keine besondere Stellung mehr eingeräumt. Jesus sagt in Vers 19: „So oft ,jemand... hört“ – das öffnete die Tür für jeden Hörer des Wortes, wer er auch sein mochte. Doch es war nötig, mit Verständnis zu hören. Sich dagegenstellen – dahinter stehen die Rührigkeit des Teufels, die Wankelmütigkeit des Fleisches und die Sorgen und Reichtümer der Welt. Doch von einigen Menschen wird das Wort aufgenommen, und sie bringen in unterschiedlichem Maße Frucht. Diese Art göttlichen Wirkens dauert noch an. Sie kennzeichnet die Zeit, in der wir leben. Das Christentum ist nicht gegründet auf das, was im Menschen ist, sondern auf das, was es durch Gottes Kraft hervorbringt.
Den Jüngern gab der Übergang zu einem Gleichnis zu denken. Auf ihre Frage hin erklärte Er, dass Er diese Form der Unterweisung gewählt habe, um die Geheimnisse des Reiches der Himmel vor der Masse der Ungläubigen zu verbergen und sie allein denjenigen zu offenbaren, die glaubten. Solche, die den Herrn im Unglauben verwarfen, hatten ihre Augen vor der Wahrheit verschlossen. Nun sprach Er in Gleichnissen zu ihnen und überließ sie ihrem Unglauben. So sollte die Weissagung Jesajas an ihnen erfüllt werden, eine Weissagung, die auch Johannes in seinem Evangelium (12,40) erwähnt und die ein drittes und letztes Mal von Paulus im letzten Kapitel der Apostelgeschichte angeführt wird. Sie bezeugt das Walten Gottes in Seinen Regierungswegen. Für Gläubige sind die Gleichnisse überaus lehrreich und, wie Vers 17 sagt, machten sie die Jünger mit Dingen bekannt, die von Propheten und gerechten Männern früherer Tage längst ersehnt, aber nie gesehen worden waren.
Doch selbst die Jünger bedurften einer Erklärung, wie sie der Herr ihnen auch gab, damit sie das Gleichnis vom Säemann verstünden. Danach verkündete Er vor den Ohren der Volksmenge drei weitere Gleichnisse. Erst nachdem die Volksmenge entlassen war und Er sich mit Seinen Jüngern in ein Haus zurückgezogen hatte, erläuterte Er auch das zweite Gleichnis. Es ist deshalb offensichtlich, dass die ersten vier Gleichnisse öffentlich gesprochen wurden und dass sie sich mit der äußeren Offenbarung des Reiches befassen, wogegen die letzten drei Gleichnisse in vertraulichem Kreis mitgeteilt wurden und von seiner inneren und mehr verborgenen Wirklichkeit handeln.
Wie schon gesagt, gibt uns das erste Gleichnis den Schlüssel zu allen übrigen. Es zeigt uns, dass das Reich aufgerichtet werden wird als Ergebnis davon, dass das „Wort vom Reich“ gesät wird, es ist nicht die Frucht des Gehorsams dem noch bestehenden Gesetz Moses gegenüber. Nachdem diese Tatsache bewiesen ist, sprechen alle anderen Gleichnisse davon, wem das Reich der Himmel gleich ist, und jedes der sechs Ebenbilder stellt Merkmale vor, die im Licht der alttestamentlichen Schriften nicht hatten vorausgesehen werden können. Dort war das Reich in seiner Herrlichkeit geschaut worden, aber hier finden wir, dass es einen neuen Charakter annehmen soll, in dem es zunächst bestehen wird, bevor es zu seiner Herrlichkeit kommt.
Das zweite Gleichnis handelt vom Unkraut unter dem Weizen. Während das Reich dadurch besteht, dass der Sohn des Menschen den guten Samen sät, tritt auch der Teufel als ein Säemann auf, und seine Söhne werden mitten unter den Söhnen des Reiches gefunden. Damit wird die Tatsache deutlich, dass bis zur Stunde des Gerichts, wenn der Herr alles Böse aus dem Reich verbannen wird, eine Vermischung besteht, um es mit einem Wort zu sagen. Es sei daran erinnert, dass in diesem Gleichnis der Acker „die Welt“ (V. 38) ist. So ist hier durchaus nicht an die Kirche zu denken, als wäre sie ein Bereich, wo die Söhne des Bösen notwendigerweise geduldet werden müssten. „Das Reich“ bezeichnet einen Bereich, der umfassender ist als „die Kirche“, und es ist nicht möglich, die Dinge in der Welt zu entwirren, bis der Herr kommt. Dann, in der Vollendung des Zeitalters, werden durch den Dienst von Engeln die Bösen verbrannt werden.
Der Weizen soll in die Scheune gesammelt werden. In Seiner Erklärung geht der Herr weiter und sagt von den Gerechten, dass sie im Reich ihres Vaters leuchten werden wie die Sonne. Indem der Herr dieses Bild benutzt, versetzt Er die Heiligen in eine himmlische Stellung, und so sind wir nicht überrascht, wenn wir später die himmlische Berufung völlig offenbart finden. Es ist interessant zu beachten, dass der Herr in diesem Gleichnis vom „Reich der Himmel“, vom „Reich des Sohnes des Menschen“ und vom „Reich ihres Vaters“ spricht; Er zeigt dadurch, dass es sich um ein und dasselbe Reich handelt, wie immer es auch bezeichnet werden mag. Es bietet indessen verschiedene Seiten, wenn wir so sagen dürfen, die darum auch unterschiedlich betrachtet werden können.
Das dritte Gleichnis handelt vom Senfkorn und stellt vor, dass das Reich durch eine Entwicklung gekennzeichnet ist. Es wird wachsen und vor den Augen der Menschen eindrucksvoll in Erscheinung treten, aber auch bösen Werkzeugen Unterschlupf gewähren – denn wenn der Herr „die Vögel“ aus dem ersten Gleichnis erklärt, sagt Er, „dann kommt der Böse“, und wir wissen, wie Satan durch menschliche Werkzeuge wirkt.
Das vierte Gleichnis ist in einem Vers (33) zusammengefasst und zeigt – wir hätten es nach dem vorangegangenen erwarten können –, dass das Reich nach und nach von Verderben durchdrungen werden wird. Der Sauerteig wird in der Schrift durchweg als ein Bild für etwas gebraucht, das eine verderbliche Wirkung hat. Hier ist die einzige Stelle, wo einige Ausleger möchten, dass er etwas Gutes bedeutet. Nun, das kommt daher, weil sie ein Auslegungssystem vertreten, das eine solche Sinngebung erfordert. Sie glauben nämlich, dass das Evangelium die Welt allmählich mit dem Guten durchsetzen wird. Dass sie hier der Bedeutung von Sauerteig plötzlich Gewalt antun, hätte sie dahingehend warnen sollen, dass ihre Gedanken, die das verlangen, falsch sind.
Der Herr belehrt uns hier also, dass das Reich, vom Menschen aus betrachtet, eine Form annehmen wird, deren Merkmale Vermischung und Entwicklung sind, bis zu einer eindrucksvollen Institution auf der Erde, in der böse Werkzeuge zu Hause sind, und als Folge davon wird es in einem fortschreitenden Prozess vom Bösen völlig durchsetzt werden. Er sprach in der Tat als Prophet, denn genau das, was Er voraussagte, ist in jenem Teilgebiet der Erde geschehen, wo dem Bekenntnis nach anerkannt,wird, dass die Himmel herrschen.
In der Zurückgezogenheit des Hauses teilt der Herr den Jüngern drei weitere Gleichnisse mit. Darin haben wir das Reich, wie es von göttlicher Warte aus gesehen wird, und wenn unsere Augen gesalbt sind, werden auch wir darin sehen, was Gott sieht. Zuerst werden wir sehen, dass es da etwas von verborgenem Wert gibt. Der „Acker“ ist auch hier noch die Welt, und der Herr hat ihn gekauft in der Absicht, den darin verborgenen Schatz zu erlangen. Dieser Kauf ist nicht dasselbe wie Erlösung, denn böse Menschen mögen so weit gehen, dass sie „den Gebieter verleugnen, der sie erkauft hat“ (2. Pet 2,1). Sie waren erkauft, aber nicht erlöst, sonst würden sie sich nicht „schnelles Verderben“ zuziehen. Das Reich wird aufgerichtet, um den in der Welt verborgenen Schatz sicherzustellen.
Es folgt das Gleichnis von der einen sehr kostbaren Perle. In dem Reich, wie es heute existiert, kann sie gefunden und gekauft werden, und in den Augen Gottes besitzt sie eine einzigartige Vollkommenheit. Ohne Zweifel haben wir hier in einem Bild das, wovon der Herr in Kapitel 16 als von „meiner Versammlung“ sprechen wird. Es ist wahr, Er hat den Acker gekauft, aber Er hat auch die Perle gekauft, und um das zu tun, stellt Er sich selbst in beiden Fällen als der vor, der alles verkaufte, was Er hatte. Im Geist von 2. Korinther 8,9 gab Er alles auf, um Sein Ziel zu erreichen. Wir können Christus nicht kaufen, indem wir „alles“ verkaufen, denn unser „alles“ hat keinen Wert. Aber es geht um das, was Er für uns getan hat, was Er erringen wird in dem Reich der Himmel in seiner gegenwärtigen geheimnisvollen Form.
Schließlich ist das Reich gleich einem Netz, in dem Fische aus dem Meer der Nationen gesammelt werden. Von jeder Gattung werden sie zusammengebracht, aber dann findet eine sorgfältige Auswahl statt. Es besteht eine Ähnlichkeit mit dem Gleichnis vom Weizen und dem Unkraut, insofern, als Aussonderung ein Werk der Engel in der Vollendung des Zeitalters ist. Die Bösen werden von den Gerechten getrennt und in den Feuerofen geworden. Aber es besteht auch ein auffälliger Unterschied, denn in dem früheren Gleichnis waren die Bösen in der Welt, weil der Feind dort gesät hatte, während hier das „Wort vom Reich“, einem Netz gleich, unter die Nationen ausgeht, und Menschen aller Art bekennen, es angenommen zu haben. Doch am Ende des Zeitalters wird eine Unterscheidung durchgeführt werden. Die wahrhaft Auserwählten Gottes werden eingebracht und die Bösen verworfen werden.
Es ist wichtig, und wir sollten es uns immer vor Augen halten, wie das Reich in göttlicher Sicht erscheint. Als Ergebnis der Verwerfung des wahren Sohnes Davids und Seiner darauf folgenden Abwesenheit, indem Er im Himmel ist, hat es diesen besonderen Charakter angenommen. Trotz der Vermischung und des Verderbens, die es äußerlich kennzeichnen werden, geht das eigentliche Werk Gottes weiter und wird dazu führen, dass dem Herrn der verborgene Schatz, die sehr kostbare Perle und all die guten Fische aus dem Netz gehören werden. Haben wir das alles begriffen? Die Jünger meinten, dass sie gut verstanden hätten; doch später, als sie den Geist empfangen hatten, mögen sie entdeckt haben, wie wenig es anfänglich war. Auch wir merken zweifellos, wie wenig wir verstanden haben, denn das Reich in seiner gegenwärtigen Form wird nicht so leicht erfasst, wie es einmal bei seiner unverhüllten, öffentlichen Darstellung der Fall sein wird. Es herrschen jene Dinge vor, die in alttestamentlicher Sicht gänzlich neu sind, deshalb lesen wir „Neues und Altes“, nicht „Altes und Neues“. Der Nachdruck liegt auf dem „Neuen'.
Am Schluss des Kapitels finden wir Jesus zurückgekehrt in Seine Vaterstadt in Galiläa, aber Er fand dort zu der Zeit keinen Glauben. Sie sahen in Ihm weder Emmanuel noch den Sohn Abrahams, noch den Sohn Davids. Für sie war Er nur der Sohn des Zimmermanns, dessen Verwandten sie so gut kannten. Ihr ungläubiges Bekanntsein mit Ihm ließ sie sich an Ihm ärgern. Seine Macht war unvermindert, doch ihr Unglaube schränkte ihre Ausübung ein, ebenso wie der Unglaube Joas', des Königs von Israel, seine Siege begrenzte (siehe 2. Kön 13,14–19).