Der Prophet Habakuk
Kapitel 2
Die Antwort Gottes
Auch wenn er bestürzt ist wegen des scheinbaren Triumphs des Bösen und der Aussicht auf das, was sein Volk durchmachen wird, zieht Habakuk sich nicht in sich selbst zurück. Er versinkt nicht in Skepsis, sondern er naht sich Gott. Sein Vertrauen auf seinen Gott ist stärker, weil er gelernt hat, es besser zu wissen. Auch kann er geduldig auf die göttliche Antwort auf seine zweite Frage warten: „Warum […] schweigst (du), wenn der Gottlose den verschlingt, der gerechter ist als er?“ (Hab 1,13). Wie bei dem Herrn Jesus in seiner letzten Stunde fällt dieses „Warum?“ nicht ins Leere. Der Prophet wendet sich an den, welcher sogar in den dunkelsten und schrecklichsten Stunden „mein Gott“ bleibt!
1. Warteposition: V. 1
Habakuk ist sicher, dass Gott antworten wird. Sein Verhalten ist beispielhaft: Er hält sich aus dem bösen Treiben heraus und stellt sich über die Dinge. Der Prophet wacht im Gebet und wartet darauf, dass Gott sich äußert. Dies ist eine schöne Haltung eines Gläubigen, die ihn von Gott abhängig macht, sodass er fähig ist, Gottes Mitteilungen zu empfangen. Um sich auf einer Warte aufhalten zu können, muss man diese zuerst einmal erklimmen. Wie viele Male lädt Gott uns ein, uns in seiner Gegenwart und seiner Gemeinschaft aufzuhalten, um die Dinge dann besser gemäß seiner Sicht zu betrachten.
2. Die Antwort Gottes: V. 2-20
Habakuk erwartete eine Antwort, Gott gibt sie ihm und sie übersteigt alle Erwartungen des Propheten. Er zeigt ihm, dass sich die Bosheit der Chaldäer unerbittlich gegen sie umwenden wird, auch wenn sie das Instrument zur Züchtigung Israels sind. Der Tyrann wird selbst gerichtet werden. Die Vision soll bewahrt werden, weil sie gewiss ist, auch wenn sie zeitlich versetzt eintreten wird. Sie wird folglich gemäß der damaligen Gewohnheit im Orient mit einem Metallmeißel in Ton eingraviert (Jes 8,1). Es war eine gute Nachricht, da sie doch die Vernichtung des Feindes ankündigte. Ihre festgesetzte Erfüllung liegt zeitlich aber so weit entfernt, dass Ausharren und Glauben erforderlich sein werden. Wir Gläubigen benötigen keine Tontafeln, um „den vor uns liegenden Wettlauf“ laufen zu können. Wir haben den, der uns vorausgeht, „den Anfänger und Vollender des Glaubens“ (Heb 12,1.2). Wir erwarten auch nicht die Verwirklichung einer Vision, sondern das Kommen einer Person, nämlich unseres Herrn. Uns steht auch das prophetische Wort der Heiligen Schrift zur Verfügung.
In seiner Antwort an Habakuk (V. 4) zeigt Gott ihm, wie der Hochmut der Chaldäer sie zu Fall bringen wird, während der Gerechte fortfahren soll, seine Blicke auf den HERRN zu richten, um zu leben. Dies ist der Schlüsselvers des Buches, ja sogar der gesamten Schrift, die Botschaft Gottes an die Menschen zu allen Zeiten. Der Talmud sagt, dass diese Bibelstelle die 613 Gebote, die Gott Mose auf dem Berg Sinai gab, zusammenfasst (ohne jedoch denselben Sinn zu besitzen). Es ist die einzige Stelle im Alten Testament, in der das Wort „Glauben“ mit dem Wort „gerecht“ verbunden ist. (Das Wort „Glauben“ wird nur hier und in Psalm 119,66 erwähnt.) Der Ausdruck „Der Gerechte wird durch seinen Glauben leben“ findet sich dreimal im Neuen Testament wieder:
- Römer 1,16.17 erklärt, auf welche Weise der Mensch gerechtfertigt werden kann (Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben).
- Galater 3,11 beweist, dass die Beobachtung des Gesetzes nicht das Heil bringt. Aber der Gerechte wird für Gott durch den Glauben leben, weil er so vom Gesetz befreit ist. (Das Gesetz bedeutet nicht „glauben“, sondern „tun“.)
- Hebräer 10,38 unterstreicht, dass der Gläubige all seine Hilfsquellen im Glauben besitzt, der lebendigen Grundlage jeder Beziehung mit Gott.
Welch eine Ankündigung, etwa 600 Jahre vor dem Werk am Kreuz! Welch eine Prägnanz in dieser Erklärung Gottes an Habakuk, eine Erklärung, die auch für uns und für alle Gläubigen aller Zeitalter Gültigkeit besitzt. Gerecht wird der genannt, welcher durch einen anderen gerechtfertigt worden ist. Er lebt ein neues Leben durch den Glauben an ein einzigartiges Evangelium.
Der Treue soll die Erfüllung der Prophetie erwarten - die Frage nach der Zeit kehrt in diesem Buch oft wieder. Aber die Stunde wird kommen, in der die Chaldäer, deren leidenschaftlicher Eifer von Gott benutzt wurde, um Israel zu züchtigen, selbst bestraft werden.
Gegen sie wird ein fünffaches Wehe ausgesprochen (V. 6-19), und alle Völker (V. 5.17), welche die Grausamkeiten dieses unersättlichen Eroberers erduldet haben, werden ihrerseits gegenüber den Chaldäern auf dieselbe Weise handeln. Könnten sich diese schlimmen Warnungen in unserer Zeit nicht an jene richten, die ihr Vertrauen auf materielle Dinge setzen (V. 9.19), aus denen sie sich ihre Götter machen oder die ihre Macht über die sozialen Ungerechtigkeiten begründen (V. 6.12.15)?
- Das erste Wehe (V. 6) offenbart die Verlockung des unanständigen, ja ungerechten Gewinns dieses Volkes. Aber eines Tages wird der Plünderer auf plötzliche Weise geplündert und seinerseits vollständig ausgeraubt werden.
- Das zweite Wehe (V. 9): Wie ein Adler, so glaubten auch sie, sich selbst in Sicherheit bringen zu können. Der Gottlose mag seine Stellung für uneinnehmbar halten. Aber selbst sein leblos Erschaffenes, seine Bauwerke, vereinigen ihre Schreie, um ihn wegen des vergossenen Blutes anzuklagen.
- Das dritte Wehe (V. 12) enthüllt die Tyrannei des chaldäischen Bedrückers über die Völker, die er gefangen genommen hat. Alles, was er durch seine Gefangenen erbauen ließ, wird verschwinden, und es wird nichts von der Pracht Babylons übrig bleiben.
- Das vierte Wehe (V. 15) ist gegen die gerichtet, welche ihren Nächsten betrunken machen, um ihn besser ausrauben zu können. Diese schändliche Trunkenheit wird der Erkenntnis Gottes, der sie für die Verwüstung des Landes Palästina richten wird, entgegengestellt.
- Das fünfte und letzte Wehe (V. 19) bringt die schwerwiegendste Sünde von allen zur Sprache: den Götzendienst. Es ist immer das Ziel Satans, den leichtgläubigen Menschen, der bereit ist, an alles außer an das Wort Gottes zu glauben, von Gott abzulenken.
Der Christ weiß durch das prophetische Wort, dass schwere Gerichte die Erde treffen müssen. Aber er gehört dem an, der siegen und seine Herrschaft auf der ganzen Erde etablieren wird (V. 14). Der Herr befindet sich im Himmel als der heilige und gerechte Richter, der gemäß seiner eigenen Maßstäbe richten und belohnen wird (V. 20; Off 15,4; 2. Tim 4,8). Das letzte Wort gehört ihm! Denn die Herrlichkeit des Herrn steht am Ende von allem. Und damit diese Herrlichkeit die Erde erfüllen kann, muss die menschliche Ehre, also alles das, wessen sich die Menschen rühmen, verschwinden, ja vernichtet werden. Lasst uns dies niemals vergessen! Und diese Herrlichkeit wird von allen Wesen anerkannt werden, welche bekennen werden, „dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“ (Phil 2,11).