Betrachtungen über das vierte Buch Mose
Die Gelübde
Die Bedeutung dieses kurzen Abschnitts steht in Verbindung mit der damaligen Haushaltung Gottes. Er bezieht sich auf Israel und behandelt die Frage der Gelübde und Eide. Der Mann und die Frau nehmen im Hinblick auf dieses Thema eine unterschiedliche Stellung ein. „Wenn ein Mann dem HERRN ein Gelübde tut oder einen Eid schwört, eine Verpflichtung auf seine Seele zu nehmen, so soll er sein Wort nicht brechen: Nach allem, was aus seinem Mund hervorgegangen ist, soll er tun“ (V. 3).
Hinsichtlich der Frau war die Sache anders. „Und wenn eine Frau dem HERRN ein Gelübde tut oder eine Verpflichtung auf sich nimmt im Haus ihres Vaters, in ihrer Jugend, und ihr Vater hört ihr Gelübde oder ihre Verpflichtung, die sie auf ihre Seele genommen hat, und ihr Vater schweigt ihr gegenüber, so sollen alle ihre Gelübde bestehen, und jede Verpflichtung, die sie auf ihre Seele genommen hat, soll bestehen. Wenn aber ihr Vater ihr gewehrt hat an dem Tag, als er es hörte, so sollen alle ihre Gelübde und alle ihre Verpflichtungen, die sie auf ihre Seele genommen hat, nicht bestehen; und der HERR wird ihr vergeben, weil ihr Vater ihr gewehrt hat“ (V. 4–6). Dasselbe galt, wenn es sich um eine verheiratete Frau handelte. Ihr Mann konnte alle ihre Gelübde entweder bestätigen oder aufheben.
So lautete das Gesetz hinsichtlich der Gelübde. Der Mann durfte sein Gelübde nicht aufheben. Er war verpflichtet, alles zu tun, was er gesagt hatte. Was er sich auch zu tun vornahm, er war feierlich und unwiderruflich gehalten, es auszuführen. Für ihn gab es keine „Hintertür“, kein Ausweichen.
Nun, wir wissen, wer in vollkommener Gnade diese Stelle einnahm und sich freiwillig verpflichtete, den Willen Gottes zu erfüllen, ganz gleich, worin er bestehen mochte. Wir wissen, wer es ist, der da sagt: „Ich will dem HERRN meine Gelübde bezahlen, ja, in der Gegenwart seines ganzen Volkes“ (Ps 116,14). Es ist „der Mensch Jesus Christus“, der, nachdem Er die Gelübde auf sich genommen hatte, sie zur Ehre Gottes und zur ewigen Glückseligkeit seines Volkes vollkommen erfüllte. Es gab keine Möglichkeit des Zurückweichens für ihn. Wir hören ihn in der tiefen Angst seiner Seele im Garten Gethsemane rufen: „Wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber!“ (Mth 26,39). Aber es war nicht möglich. Er hatte das Werk der Errettung des Menschen auf sich genommen und musste deshalb durch die tiefen und finsteren Wasser des Todes, des Gerichts und des Zorns Gottes gehen und alle Folgen des Zustandes der Menschen erfahren. Er musste mit einer Taufe getauft werden und war beengt, bis sie vollbracht war. Mit anderen Worten: Er musste sterben, um durch den Tod die Schleusen öffnen und den mächtigen und göttlichen Strom der ewigen Liebe in seiner ganzen Fülle auf sein Volk fließen lassen zu können.
Was nun die Frau betrifft, mochte es eine Jungfrau oder eine Ehefrau sein, so ist sie das Bild des Volkes Israel, und zwar in zweierlei Hinsicht: unter der Regierung und unter der Gnade. Vom Gesichtspunkt der Regierung aus betrachtet, hat der HERR, der zugleich Vater und Ehemann des Volkes Israel ist, zu den Worten des Volkes geschwiegen, so dass seine Gelübde bestehen und das Volk bis auf diesen Tag die Folgen trägt und die Bedeutung der Worte fühlen muss – „Besser, dass du nicht gelobst, als dass du gelobst und nicht bezahlst“ (Pred 5,4).
Betrachten wir aber die Sache von dem Gesichtspunkt der Gnade aus, so sehen wir, dass der Vater und Ehemann alles auf sich selbst genommen hat, so dass Israel Vergebung erlangen und später den vollen Segen erfahren kann; nicht aufgrund erfüllter Gelübde und bestätigter Verpflichtungen, sondern aufgrund der unumschränkten Gnade und Barmherzigkeit Gottes und durch das Blut des ewigen Bundes.
Ich glaube, dass hiermit der Hauptgedanke dieses Kapitels genannt ist. Zweifellos kann es in zweiter Linie auch auf einzelne Personen angewendet werden, denn es ist wie alle Schrift zu unserer Belehrung geschrieben. Es ist für einen aufrichtigen Christen immer eine Freude, die Wege Gottes, sei es in Gericht oder in Gnade, zu erforschen. Das gilt für seine Wege mit Israel, für die mit der Versammlung sowie für die Wege mit allen insgesamt und mit jedem Einzelnen persönlich. Möchten wir mit weitem Herzen und erleuchtetem Verständnis in der Heiligen Schrift forschen!