Betrachtungen über das vierte Buch Mose
Das beständige und die wiederkehrenden Brandopfer
Die Gott wohlgefälligsten Opfer
Diese beiden Kapitel bilden eine Einheit, einen besonderen Abschnitt unseres Buches. Der 2. Vers des 28. Kapitels gibt kurz den Inhalt des ganzen Abschnittes wieder. „Und der HERR redete zu Mose und sprach: Gebiete den Kindern Israel und sprich zu ihnen: Ihr sollt darauf achten, dass ihr mir meine Opfergabe, meine Speise zu meinen Feueropfern, mir zum lieblichen Geruch, zu ihrer bestimmten Zeit darbringt“ (Kap. 28,1.2).
Diese Worte geben den Schlüssel zu diesem Teil des vierten Buches Mose. „Meine Opfergabe“, „meine Speise“, „mein Feueropfer“, „mir zum lieblichen Geruch“, alles das ist stark betont, und wir können daraus leicht den großen Grundgedanken erkennen: Es ist Christus in seiner Beziehung zu Gott; nicht so sehr Christus, wie Er dem entspricht, was wir brauchen – obwohl Er das in segensreicher Weise tut –, sondern vielmehr Christus, wie Er das Herz Gottes erfreut. Er ist die Speise Gottes – ein wirklich wunderbarer Ausdruck, an den wir selten denken und den wir nur wenig verstehen. Wir alle sind so sehr geneigt Christus nur als den Urheber unseres Heils zu betrachten, als den, durch den wir Vergebung empfangen haben und vor der Hölle gerettet wurden, als den Kanal, durch den alle Segnungen uns zufließen. Das alles ist Er, sein Name sei ewig dafür gepriesen! Er ist der Urheber ewigen Heils für alle, die ihm gehorchen. Er trug unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz. Er starb, der Gerechte für die Ungerechten, damit Er uns zu Gott führe. Er errettete uns von unseren Sünden, von ihrer gegenwärtigen Macht und von ihren zukünftigen Folgen.
Alles das ist wahr, und daher wird auch in den vor uns liegenden beiden Kapiteln in jedem Abschnitt das Sündopfer eingeführt (siehe Kap. 28,15.22.30; 29,5.11.16.19.22.25.28.31.34.38). Mehr als dreizehnmal wird das Sündopfer erwähnt, und dennoch bleibt es wahr, dass die Sünde oder die Sühnung der Sünde nicht das wichtigste Thema dieser Kapitel ist. In dem eingangs genannten Vers wird das Sündopfer nicht erwähnt, obwohl dieser Vers offensichtlich den Hauptinhalt der beiden Kapitel angibt. Vor dem 15. Vers wird das Sündopfer überhaupt nicht genannt.
Es ist kaum nötig, darauf hinzuweisen, dass das Sündopfer insofern wesentlich ist, als es sich um den Menschen handelt und der Mensch ein Sünder ist. Man kann unmöglich von einem Hinzunahen des Menschen zu Gott, von seinem Gottesdienst oder von seiner Gemeinschaft mit Gott reden, ohne den Versöhnungstod Christi als die notwendige Grundlage alles dessen zu nennen. Aber ist in Christus und seinem Opfertod nicht mehr enthalten als nur das Aufsichnehmen unserer Sünden? Geht es dabei nicht um mehr als darum, dass Er allem entspricht, was wir bedürfen? Ganz gewiss! Von den siebzig Versen des vorliegenden Abschnitts erwähnen nur dreizehn das Sündopfer, während die übrigen siebenundfünfzig sich ausschließlich mit den „Opfern lieblichen Geruchs“ beschäftigen.
Das besondere Thema dieses Abschnitts ist also das Wohlgefallen Gottes an Christus. Morgens und abends, Tag für Tag, Woche für Woche, von einem Neumond zum anderen, vom Anfang bis zum Schluss des Jahres ist es Christus in seinem Wohlgeruch und in seiner Kostbarkeit vor Gott. Dass unsere Sünde gesühnt, gerichtet und für immer weggetan ist, dass unsere Übertretungen vergeben sind und unsere Schuld vernichtet ist, ist die eine Wahrheit. Doch außer und über diesem wird das Herz Gottes durch Christus erquickt und erfreut. Was war das Lamm, das am Morgen und am Abend geopfert wurde? War es ein Sündopfer oder ein Brandopfer? Hören wir die Antwort in Gottes eigenen Worten: „Und sprich zu ihnen: Dies ist das Feueropfer, das ihr dem HERRN darbringen sollt: zwei einjährige Lämmer ohne Fehl, täglich, als beständiges Brandopfer. Das eine Lamm sollst du am Morgen opfern, und das zweite Lamm sollst du zwischen den zwei Abenden opfern; und zum Speisopfer ein zehntel Epha Feinmehl, gemengt mit einem viertel Hin zerstoßenen Öl (ein beständiges Brandopfer, das am Berg Sinai eingesetzt wurde, zum lieblichen Geruch, ein Feueropfer dem HERRN)“ (V. 3–6).
Waren ferner die zwei Lämmer, die am Sabbat dargebracht werden mussten, ein Sündopfer oder ein Brandopfer? „Es ist das Brandopfer des Sabbats an jedem Sabbat“ (V. 10). Es musste ein doppeltes Brandopfer sein, weil der Sabbat ein Bild von der Ruhe war, die für das Volk Gottes noch übrig bleibt und in der Christus doppelt gewürdigt werden wird. Doch der Charakter des Opfers ist klar: es stellt dar, was Christus für Gott ist. Das ist der Hauptgedanke im Brandopfer. Das Sündopfer stellt dar, was Christus für uns ist. In dem einen handelt es sich um die Hässlichkeit der Sünde, in dem anderen um die Kostbarkeit und Vortrefflichkeit Christi.
Auch am Anfang ihrer Monate sollten sie ein Brandopfer bringen (V. 11), beim Fest der Erstlinge (V. 26–31), beim Fest des Posaunenhalls (Kap. 29,1–6), beim Laubhüttenfest (V. 7–38). Kurz, die ganze Reihe der Feste steht unter dem Leitgedanken: Christus, ein Wohlgeruch. Das Sündopfer fehlt nicht; aber den „Opfern zum lieblichen Geruch“ ist der erste Platz angewiesen. Unmöglich kann man diesen bemerkenswerten Teil der Schrift mit Aufmerksamkeit lesen, ohne den Gegensatz zwischen dem Platz des Sündopfers und dem des Brandopfers zu bemerken. Bei dem Ersteren wird nur von „einem Ziegenbock“ gesprochen, wogegen uns das Letztere in „vierzehn Lämmern“, „dreizehn junge Stiere“ und dergleichen vorgestellt wird. So hervorragend also ist der Platz, den die „Opfer zum lieblichen Geruch“ in diesen Schriftstellen einnehmen.
Der christliche Gottesdienst
Aber es könnte gefragt werden, warum man dieser Tatsache so viel Gewicht beilegen soll. Deshalb, weil sie den wahren Charakter des Gottesdienstes zeigt, den Gott sucht und an dem Er sein Wohlgefallen hat. Das ganze Wohlgefallen Gottes ruht auf Christus, und daher sollte es unser beständiges Streben sein, Gott das zu bringen, woran Er sein Wohlgefallen hat. Christus sollte immer der Inhalt unseres Gottesdienstes sein, und dies wird in dem Maß der Fall sein, in dem wir durch den Geist Gottes geleitet werden. Wie oft ist es so ganz anders! Wie oft ist in der Versammlung wie auch, wenn man allein vor Gott ist, das Herz niedergedrückt und der Geist trübe und beschwert! Wir sind nicht mit Christus, sondern mit uns selbst beschäftigt, und statt dass der Heilige Geist von den Dingen Christi nehmen und sie uns verkünden könnte, muss Er uns im Selbstgericht mit uns selbst beschäftigen, weil unser Wandel nicht gut war.
Alles das ist sehr traurig und verlangt unsere Beachtung. Warum ist das geistliche Niveau in unseren Zusammenkünften häufig so niedrig? Warum ist so viel Schwachheit, Dürre und Zerstreutheit vorhanden? Warum sind die Lieder und die Gebete so weit vom Thema entfernt? Warum ist so wenig von dem vorhanden, was den Namen „Gottesdienst“ wirklich verdient? Warum bringen wir so wenig von dem dar, was das Herz Gottes erquickt, was Er wirklich nennen kann: „Meine Speise zu meinen Feueropfern, mir zum lieblichen Geruch“? (Kap. 28,2). Wir sind mit uns selbst beschäftigt und mit dem, was uns umgibt, mit dem, was wir bedürfen, mit unserer Schwachheit, unseren Prüfungen und Schwierigkeiten, und so lassen wir Gott ohne die Speise seines Opfers. Wir rauben ihm in Wirklichkeit das, was ihm gebührt und was sein liebendes Herz wünscht.
Sollen wir denn unsere Prüfungen, Schwierigkeiten und Schwachheiten ganz unbeachtet lassen? Gewiss nicht! Aber wir können sie ihm übergeben. Er fordert uns auf, alle unsere Sorgen auf ihn zu werfen, indem Er uns zugleich die beruhigende Zusicherung gibt, dass Er für uns sorgen will. Er lädt uns ein, unsere Last in der Zuversicht, dass Er uns unterstützen wird, auf ihn zu werfen. Er denkt immer an uns. Ist das nicht genug? Sollten wir nicht, wenn wir uns in seiner Gegenwart versammeln, so weit von uns absehen können, dass wir ihm etwas anderes als unsere eigenen Angelegenheiten darzubringen vermögen? Er hat für uns Vorsorge getroffen. Er hat für uns alles gut gemacht. Allen unseren Sünden und unseren Sorgen ist in göttlicher Weise begegnet. Wir sollen nicht denken, dass diese Dinge die Speise des Opfers Gottes seien. Er hat sie zu Gegenständen seiner Sorge gemacht, aber sie können nicht seine Speise genannt werden.
Sollten wir nicht an diese Dinge denken, sowohl in Bezug auf die Versammlung als auch hinsichtlich unserer persönlichen Gemeinschaft mit ihm im Gebet? Sollten wir nicht nach einem Seelenzustand streben, der uns befähigt, Gott das darzubringen, was Er nach seinem Wohlgefallen „seine Speise“ genannt hat? Wir haben in Wahrheit nötig, dass sich unsere Herzen mehr mit Christus als einem Wohlgeruch für Gott beschäftigen. Das heißt nicht, dass wir das Sündopfer weniger schätzen sollten. Doch lasst uns daran denken, dass es in Jesus Christus, unserem teuren Herrn, mehr gibt als die Vergebung unserer Sünden und das Heil unserer Seelen. Was stellen das Brandopfer, das Speisopfer und das Trankopfer dar? Christus als einen lieblichen Geruch, als die Speise der Opfer Gottes, als die Wonne seines Herzens. Aber sind wir nicht zu sehr geneigt, unsere Gedanken über Christus auf das zu beschränken, was Er für uns getan hat, und somit mehr oder weniger auszuschließen, was Er für Gott ist? Darüber sollten wir trauern und es richten. Wir sollten versuchen, es zu ändern, und ich glaube, dass ein sorgfältiges Erforschen der vorliegenden Kapitel ein gutes Hilfsmittel dafür ist.
Da ich in den „Gedanken zum dritten Buch Mose“ schon geschrieben habe, was Gott uns an Licht über die Opfer und Feste geschenkt hat, glaube ich, hier nicht länger bei diesem Thema stehen bleiben zu müssen.