Betrachtungen über das vierte Buch Mose
Kades: Die Weigerung, in das Land Kanaan zu ziehen
Entmutigung und Unglaube
„Da erhob die ganze Gemeinde ihre Stimme und schrie, und das Volk weinte in jener Nacht“ (14,1). Kann uns das wundern? Was anders konnte von einem Volk erwartet werden, das nichts als mächtige Riesen, hohe Mauern und große Städte vor sich sah? Nur Tränen und Seufzer konnte eine Gemeinde haben, die sich angesichts solch unüberwindlicher Schwierigkeiten als „Heuschrecken“ sah und kein Gefühl von der Macht Gottes hatte, die sie siegreich durch alles hindurchführen konnte. Die ganze Gemeinde war dem Unglauben preisgegeben. Gott war ausgeschlossen. Da war nicht ein einziger Lichtstrahl, der die Finsternis, mit der sie sich selbst umgaben, erhellt hätte. Sie waren mit sich und ihren Schwierigkeiten beschäftigt, anstatt mit Gott und seinen Hilfsmitteln. Was konnten sie deshalb tun, außer weinen und klagen?
Was für ein Gegensatz zwischen den ersten Versen dieses Kapitels und dem Anfang von 2. Mose 15! Dort waren ihre Augen nur auf den HERRN gerichtet gewesen, und darum konnten sie den Siegesgesang anstimmen: „Du hast durch deine Güte geleitet das Volk, das du erlöst hast, hast es durch dein Stärke geführt zu deiner heiligen Wohnung. Die Völker hörten es, sie bebten; Angst ergriff die Bewohner Philistäas. Da wurden bestürzt die Fürsten Edoms; die Starken Moabs, sie ergriff Beben; alle Bewohner Kanaans verzagten. Schrecken und Furcht überfiel sie“ (V. 13–16). Stattdessen war jetzt Israel verzagt und bestürzt, voller Furcht und Schrecken. Und warum? Weil der, auf den dort ihr Blick gerichtet gewesen war, jetzt völlig außerhalb ihrer Gedanken war. Im ersten Fall hatte der Glaube die Oberhand, im zweiten der Unglaube.
In 2. Mose 15 steht der HERR weit über allem. Es ist nur von seiner rechten Hand die Rede, von seinem mächtigen Arm, seiner Macht, seinem Erbe, seinem Heiligtum, seinen Taten zugunsten seines erlösten Volkes. Und wenn die Bewohner Kanaans erwähnt werden, so wird an sie nur als solche gedacht, die bestürzt und von Zittern ergriffen sind, die vor Furcht beben und verstummen.
Wie ganz anders ist es in 4. Mose 14! Welch eine traurige Veränderung hat stattgefunden! Die Söhne Enaks werden plötzlich bedeutungsvoll; die turmhohen Mauern, die Riesenstädte füllen allein den Blick des Volkes aus, und wir hören kein Wort von dem allmächtigen Befreier. Unwillkürlich fragt man: „Wie ist es möglich, dass aus den triumphierenden Sängern am Roten Meer so ungläubige Weinende in Kades werden konnten?“
Wir finden hier eine tiefe und heilige Lehre. Erinnern wir uns nur immer wieder an die Worte: „Alle diese Dinge aber widerfuhren jenen als Vorbilder und sind geschrieben worden zu unserer Ermahnung, auf die das Ende der Zeitalter gekommen ist!“ (1. Kor 10,11). Sind nicht auch wir genau wie Israel, weit mehr bereit, auf die uns umgebenden Schwierigkeiten zu sehen als auf den Einen, der es übernommen hat, uns wohlbehalten durch alles hindurchzuführen und uns sicher in sein ewiges Reich zu bringen? Warum sind wir oft so niedergeschlagen? Warum hört man unter uns mehr Worte der Unzufriedenheit und der Ungeduld als Lob- und Dankgesänge? Einfach deshalb, weil wir den Umständen erlauben, Gott aus unseren Gedanken auszuschließen, statt dass wir Gott allein im Herzen haben.
Und fragen wir ferner: Warum versagen wir oft so kläglich, wenn es darum geht, unsere Stellung als himmlische Menschen (1. Kor 15,58) zu behaupten, von dem Besitz zu nehmen, was uns als Christen gehört, nämlich das geistliche und himmlische Erbe, das Christus für uns erworben hat und wohin Er als unser Vorläufer gegangen ist? Ein einziges Wort genügt, diese Frage zu beantworten: Unglaube.
Das Wort Gottes erklärt im Blick auf Israel, „dass sie nicht [in Kanaan] eingehen konnten wegen des Unglaubens“ (Heb 3,19). So ist es auch mit uns. Wir versagen darin, in unser himmlisches Erbe einzutreten, praktisch von unserem wahren und eigentlichen Teil Besitz zu ergreifen und Tag für Tag als ein himmlisches Volk zu leben, das keinen Platz, keinen Namen, kein Teil auf der Erde hat, das nur insofern mit dieser Welt zu tun hat, als es sie als Pilger und Fremde durchwandert, indem es den Spuren dessen folgt, der vorausgegangen ist und seinen Platz im Himmel eingenommen hat. Und warum unterlassen wir es? Wegen unseres Unglaubens. Der Glaube fehlt, und darum haben die sichtbaren Dinge mehr Macht über unsere Herzen als die unsichtbaren. Möchte der Heilige Geist unseren Glauben stärken, unseren Seelen Kraft geben und uns aufwärts leiten, so dass wir nicht nur von einem himmlischen Leben sprechen, sondern es leben – zum Preis dessen, der uns in seiner unendlichen Gnade dazu berufen hat!
Zurück nach Ägypten
Die Geschichte Israels in der Wüste enthält zwei traurige Phasen, die in besonderer Weise durch Unglauben charakterisiert sind: die eine am Horeb, die andere in Kades. Am Horeb machten sie ein Kalb und sagten: „Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben“ (2. Mo 32,4). In Kades schlugen sie vor, einen Führer zu bestimmen, der sie nach Ägypten zurückführen sollte (V. 2–4). Am Horeb zeigt sich der abergläubische Unglaube, in Kades die eigenwillige Unabhängigkeit des Unglaubens. Wir brauchen uns gewiss nicht zu wundern, wenn die, die gemeint hatten, ein Kalb habe sie aus Ägypten geführt, einen Führer suchten, der sie wieder dorthin zurückbrächte. Kaleb steht in einem wunderbaren Gegensatz zu alledem. Für ihn handelte es sich weder darum, in der Wüste zu sterben, noch darum, nach Ägypten zurückzukehren, sondern für ihn handelte es sich um einen „reichlichen Eingang“ in das verheißene Land unter dem Schild des HERRN.
Josua und Kaleb, zwei treue Zeugen
„Und Josua, der Sohn Nuns, und Kaleb, der Sohn Jephunnes, von denen, die das Land ausgekundschaftet hatten, zerrissen ihre Kleider, und sie sprachen zu der ganzen Gemeinde der Kinder Israel und sagten: Das Land, das wir durchzogen haben, um es auszukundschaften, das Land ist sehr, sehr gut. Wenn der HERR Gefallen an uns hat, so wird er uns in dieses Land bringen und es uns geben, ein Land, das von Milch und Honig fließt. Nur empört euch nicht gegen den HERRN; und fürchtet ja nicht das Volk des Landes, denn unser Brot werden sie sein. Ihr Schirm ist von ihnen gewichen, und der HERR ist mit uns; fürchtet sie nicht! Und die ganze Gemeinde sagte, dass man sie steinigen solle“ (V. 6–10).
Und warum sollten sie gesteinigt werden? Weil sie Lügen geredet, weil sie gelästert oder Böses getan hatten? Nein, sondern wegen ihres mutigen und ernsten Zeugnisses, das sie für die Wahrheit ablegten. Sie waren in das Land gesandt worden, um es auszukundschaften und dann eingehend und wahrheitsgetreu über ihre Beobachtungen zu berichten. Das taten sie, und deshalb sagte die ganze Gemeinde, „dass man sie steinigen solle“. Das Volk liebte die Wahrheit damals nicht stärker, als der Mensch sie heute liebt. Die Wahrheit ist nie volkstümlich. Für sie gibt es weder in der Welt noch im Herzen des Menschen einen Platz. Lügen und Irrtümer in allen Formen werden angenommen, die Wahrheit aber niemals. Josua und Kaleb mussten zu ihrer Zeit erfahren, was die wahren Zeugen aller Zeiten erfahren haben und erwarten müssen, nämlich den Hass und den Widerstand ihrer Mitmenschen. Sechshunderttausend Stimmen erhoben sich gegen zwei Männer, die einfach die Wahrheit sagten und auf Gott vertrauten. So war es damals, so ist es heute, und so wird es sein bis zu jenem herrlichen Augenblick, da „die Erde wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken“ (Jes 11,9).
Wie wichtig ist es, wie Josua und Kaleb fähig zu sein, für die Wahrheit Gottes ein klares und unerschütterliches Zeugnis abzulegen! Wie wichtig ist es, die Wahrheit über das Teil und das Erbe der Heiligen aufrechtzuhalten! Immer ist das Bestreben vorhanden, die Wahrheit zu verderben, zu zerstückeln und aufzugeben und den göttlichen Maßstab zu verringern. Daher ist es so dringend nötig, dass wir die Wahrheit in der Kraft Gottes in unserer Seele haben, dass wir, wenn auch nur wenig, fähig sind zu sagen: „Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben“ (Joh 3,11). Kaleb und Josua waren nicht nur im Land gewesen, sondern sie hatten es auch von dem Standpunkt des Glaubens aus betrachtet. Sie wussten, dass das Land nach den Vorsätzen Gottes ihnen gehörte, dass es – als die Gabe Gottes – wert sei, es zu besitzen, und dass sie es durch die Macht Gottes gewiss einmal haben würden. Sie waren Männer voll Glauben, Mut und Kraft.
Glückliche Männer! Sie lebten im Licht der Gegenwart Gottes, während sich die ganze Gemeinde in dunklem Unglauben befand. So wird man immer solche finden, die zweifellos Kinder Gottes sind, die aber bezüglich ihrer Stellung und ihres Teils als Heilige Gottes sich niemals auf die Höhe der göttlichen Offenbarung zu erheben vermögen. Sie sind immer voll von Zweifeln und Befürchtungen. Sie sehen stets die finstere Seite der Dinge. Sie schauen auf sich selbst, auf ihre Umstände und auf ihre Schwierigkeiten. Sie sind nie glücklich und sind nie fähig, das freudige Vertrauen und den Mut zu offenbaren, die einem Christen ziemen und Gott verherrlichen.
Wie schade ist das! Der Christ sollte immer friedevoll und glücklich sein, immer Gott preisen können, was auch kommen möge. Seine Freuden haben ihren Ursprung weder in ihm selbst noch in dem Schauplatz, auf dem er lebt; sie haben ihre Quelle in dem lebendigen Gott und stehen deshalb über jedem irdischen Einfluss. Ein Christ kann sagen: „Mein Gott, die Quelle aller meiner Freuden.“ Das ist das große Vorrecht selbst des schwächsten Gotteskindes. Aber gerade hierin versagen wir so vielfach. Wir wenden unsere Augen von Gott ab und richten sie auf uns selbst, auf unsere Umstände, Kümmernisse und Schwierigkeiten, und dadurch kann nur Unzufriedenheit, Murren und Klagen entstehen. Aber das ist kein wahres Christentum. Es ist Unglaube, der Gott entehrt und uns selbst niederdrückt. „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Furchtsamkeit gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Tim 1,7). Das ist die Sprache eines wirklich geistlichen „Kaleb“; eine Sprache, die an einen Menschen gerichtet wurde, dessen Herz die Last der Schwierigkeiten und Gefahren um sich her sehr wohl fühlte. Der Geist Gottes erfüllt die Seele des wahren Gläubigen mit heiligem Mut. Er verleiht ihr Erhabenheit über die kalte und düstere Atmosphäre, die uns umgibt, und erhebt die Seele in den glänzenden Sonnenschein jener Region, wo Stürme und Fluten sich nie erheben.
Gott ist bereit, Gericht zu üben
„Da erschien die Herrlichkeit des HERRN am Zelt der Zusammenkunft allen Kindern Israel. Und der HERR sprach zu Mose: Wie lange will mich dieses Volk verachten, und wie lange wollen sie mir nicht glauben bei all den Zeichen, die ich in ihrer Mitte getan habe? Ich will es mit der Pest schlagen und es vertilgen; und ich will dich zu einer Nation machen, größer und stärker als sie“ (V. 10–12).
Was für ein Augenblick im Leben Moses! Hier gab es etwas, was die alte Natur für eine ausgezeichnete Gelegenheit hätte halten können. Der Feind konnte sagen: „Jetzt ist eine günstige Zeit für dich. Dir wird das Anerbieten gemacht, das Haupt und der Gründer einer großen und mächtigen Nation zu werden, und zwar von dem HERRN selbst. Du hast es nie gesucht. Es wird dir von dem lebendigen Gott angeboten, und es wäre die größte Torheit, es abzuweisen.“ Aber Mose war kein selbstsüchtiger Mensch. Er war zu sehr vom Geist Christi durchdrungen, als dass er etwas hätte sein wollen. Da war kein unheiliger Ehrgeiz, kein selbstsüchtiges Trachten. Er suchte nur die Ehre Gottes und das Wohl seines Volkes, und um dieser Zwecke willen war er durch die Gnade bereit, sich selbst und seine Interessen zu opfern. Hören wir seine wunderbare Antwort! Anstatt sich auf das Anerbieten zu stürzen, das ihm in den Worten gemacht wird: „Ich will dich zu einer Nation machen, größer und stärker als sie“, – anstatt gierig die günstige Gelegenheit zu ergreifen, die ihm geboten wird, um den Grund zu seinem persönlichen Ruhm und Glück zu legen, lässt er seine Person vollkommen beiseite und antwortet mit schöner Uneigennützigkeit: „So werden die Ägypter es hören; denn durch deine Macht hast du dieses Volk aus ihrer Mitte heraufgeführt; und man wird es den Bewohnern dieses Landes sagen, die gehört haben, dass du, HERR, in der Mitte dieses Volkes bist, dass du, HERR, Auge in Auge dich sehen lässt, und dass deine Wolke über ihnen steht, und du in einer Wolkensäule vor ihnen hergehst bei Tag und in einer Feuersäule bei Nacht. Und tötest du dieses Volk wie einen Mann, so werden die Nationen, die deinen Ruf gehört haben, sprechen und sagen: Weil der HERR nicht vermochte, dieses Volk in das Land zu bringen, das er ihnen zugeschworen hatte, so hat er sie in der Wüste hingeschlachtet“ (V. 13–16).
Moses Fürbitte
Hier nimmt Mose den höchsten Standpunkt ein, der möglich ist. Er ist einzig und allein mit der Ehre des Herrn beschäftigt. Er kann den Gedanken nicht ertragen, dass der Glanz dieser Ehre in den Augen der unbeschnittenen Nationen irgendwie getrübt werde. Was lag daran, ob er das Haupt eines Volkes wurde? Was lag daran, ob Millionen ihn in Zukunft als ihren berühmtesten Stammvater betrachten würden? Wenn diese persönliche Herrlichkeit und Größe nur durch die Aufopferung eines Strahls der göttlichen Herrlichkeit erreicht werden konnte, dann weg mit allem! Der Name Mose mag auf immer ausgelöscht werden, nicht aber das Volk. Mose hatte Ähnliches in den Tagen des goldenen Kalbes gesagt, und er war bereit, es jetzt zu wiederholen. Angesichts des Aberglaubens und angesichts der Unabhängigkeit einer ungläubigen Nation schlug das Herz Moses nur für die Ehre Gottes. Sie musste um jeden Preis gewahrt bleiben. Mochte kommen, was da wollte, und mochte es kosten, was es wollte, die Ehre des Herrn musste erhalten werden. Mose fühlte, dass es nur dann richtig um eine Sache stehen konnte, wenn deren Grundlage war, dass die Ehre des Gottes Israels unbedingt aufrechterhalten wurde. Der Gedanke, sich selbst auf Kosten Gottes groß gemacht zu sehen, war dem Herzen dieses Gottesmannes unerträglich. Nein, der Name, den er so sehr liebte, durfte unter den Nationen nicht verlästert werden! Nie sollte jemand sagen können: „Der HERR vermochte nicht das Volk ins Land zu bringen.“
Doch noch etwas anderes war wichtig für das uneigennützige Herz von Mose. Er dachte an das Volk. Er liebte es und sorgte für sein Wohl. Die Ehre des Herrn stand ohne Zweifel an erster Stelle, sodann aber folgte das Wohl Israels. „Und nun“, fügte er hinzu, „möge doch die Macht des Herrn sich groß erweisen, so wie du geredet hast, indem du sprachst: Der HERR ist langsam zum Zorn und groß an Güte, der Ungerechtigkeit und Übertretung vergibt – aber keineswegs hält er für schuldlos den Schuldigen –, der die Ungerechtigkeit der Väter heimsucht an den Kindern an der dritten und an der vierten Generation. Vergib doch die Ungerechtigkeit dieses Volkes nach der Größe deiner Güte, und so wie du diesem Volk verziehen hast von Ägypten an bis hierher“ (V. 17–19).
Die Reihenfolge, der Ton und der Geist in dieser ganzen Bitte sind kostbar. Da ist zunächst und hauptsächlich die eifersüchtige Sorge für die Ehre des Herrn. Aber dann wird auf eben dieser Grundlage der Aufrechterhaltung der Ehre Gottes – Vergebung für das Volk erbeten. „Möge sich doch die Macht des Herrn groß erweisen.“ Wozu? Zum Gericht und zur Vernichtung? Nein, sondern „der HERR ist langsam zum Zorn“. Welch ein Gedanke: die Macht Gottes in Langmut und Vergebung! Wie unaussprechlich herrlich! In welch inniger Gemeinschaft mit dem Herzen und den Gedanken Gottes musste Mose stehen, wenn er in solcher Weise reden konnte! Und welch einen Gegensatz bildet er zu Elia, als dieser am Berg Horeb gegen Israel auftrat! Es ist leicht zu erkennen, welcher von diesen beiden geehrten Männern mehr in Übereinstimmung mit den Gedanken und dem Geist Christi war. „Vergib doch die Ungerechtigkeit dieses Volkes nach der Größe deiner Güte!“ Diese Worte waren angenehm für den HERRN, dessen Freude es ist, zu vergeben. „Und der HERR sprach: Ich habe vergeben nach deinem Wort.“ Aber dann fügte Er hinzu: „Jedoch, so wahr ich lebe, soll die ganze Erde von der Herrlichkeit des HERRN erfüllt werden“ (V. 20.21).
Gnade und Regierung
Beachten wir diese beiden Worte sorgfältig: „Ich habe vergeben“, und: „soll die ganze Erde von der Herrlichkeit des HERRN erfüllt werden.“ Die Vergebung ist zugesichert, und die Herrlichkeit wird noch über die ganze Erde ihren Glanz verbreiten. Keine Macht der Erde oder der Hölle kann je die göttliche Unangreifbarkeit dieser beiden kostbaren Feststellungen zerstören. Und Israel wird sich einst der völligen Vergebung seines Gottes erfreuen, und die ganze Erde wird sich einmal an den hellen Strahlen seiner Herrlichkeit freuen. Dann aber begegnen wir hier sowohl der Regierung Gottes als auch seiner Gnade. Diese Begriffe dürfen nie durcheinandergebracht werden. Das ganze Buch Gottes zeigt den Unterschied zwischen Gnade und Regierung, und vielleicht tut es keine andere Stelle stärker als der hier betrachtete Abschnitt. Die Gnade vergibt und wird die Erde mit den Strahlen der göttlichen Herrlichkeit erfüllen. Aber beachten wir das erschreckende Walten der Regierung, wie es sich in den folgenden Worten kundgibt: „Denn alle Männer, die meine Herrlichkeit und meine Zeichen gesehen haben, die ich in Ägypten und in der Wüste getan habe, und mich nun zehnmal versucht und nicht gehört haben auf meine Stimme – wenn sie das Land sehen werden, das ich ihren Vätern zugeschworen habe! Ja, alle, die mich verachtet haben, sollen es nicht sehen. Aber meinen Knecht Kaleb – weil ein anderer Geist in ihm gewesen und er mir völlig nachgefolgt ist –, ihn werde ich in das Land bringen, in das er gekommen ist; und seine Nachkommenschaft soll es besitzen. Die Amalekiter aber und die Kanaaniter wohnen in der Talebene; morgen wendet euch und brecht auf nach der Wüste, den Weg zum Schilfmeer“ (V. 22–25).
Das ist sehr ernst. Anstatt Gott zu vertrauen und in einfacher Abhängigkeit von seiner Allmacht mutig in das Land der Verheißung zu gehen, fordert das Volk ihn durch seinen Ungehorsam heraus, verachtet das angenehme Land und wurde gezwungen, wieder in die große und schreckliche Wüste zurückzukehren (V. 26–35).
Es ist äußerst wichtig, hier zu erkennen, dass es der Unglaube war, der Israel außerhalb des Landes Kanaan hielt. Die göttliche Erklärung in Hebräer 3,19 stellt dies außer Zweifel: „Und wir sehen, dass sie nicht eingehen konnten wegen des Unglaubens.“ Vielleicht mag jemand einwenden, dass die Zeit zum Eintritt Israels in das Land Kanaan noch nicht gekommen war, weil die Gottlosigkeit der Amoriter noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte. Aber das war nicht der Grund, weshalb Israel sich weigerte, den Jordan zu überschreiten. Sie wussten nichts von der Gottlosigkeit der Amoriter und dachten auch gar nicht daran. Die Schrift spricht klar und eindeutig: „Sie konnten nicht eingehen.“ Und es wird nicht hinzugefügt: wegen der Amoriter, oder: weil die Zeit noch nicht gekommen war, sondern gewiss: „wegen des Unglaubens“.
Sie hätten hineingehen sollen. Das war ihre Pflicht, und weil sie es unterließen, wurden sie gerichtet. Der Weg lag offen vor ihnen. Das Urteil des Glaubens war klar und bestimmt: „Lasst uns nur hinaufziehen und es in Besitz nehmen, denn wir werden es gewiss überwältigen.“ Sie waren damals ebenso gut wie zu irgendeinem anderen Zeitpunkt fähig, das Land in Besitz zu nehmen, weil der, welcher ihnen das Land gegeben hatte, die Ursache ihrer Fähigkeit war.
Es ist gut, das zu beachten und sorgfältig darüber nachzudenken. Es gibt eine Art, von den Ratschlüssen, Plänen und Anordnungen Gottes zu sprechen, von den Handlungen seiner Regierung, und von den Zeiten und Stunden, die Er seiner Macht vorbehalten hat – eine Art, die darauf abzielt, die Grundlagen menschlicher Verantwortlichkeit umzustoßen. Wir müssen davor sorgfältig auf der Hut sein. Nie dürfen wir vergessen, dass die Verantwortlichkeit des Menschen auf dem beruht, was offenbart ist, nicht auf dem, was verborgen ist. Die Israeliten waren verantwortlich, sofort zu gehen und das Land in Besitz zu nehmen, und sie wurden gerichtet, weil sie es nicht taten. Sie starben in der Wüste, weil sie keinen Glauben hatten, das Land zu betreten.
Die bildliche Bedeutung des Einzugs in Kanaan
Enthält das nicht eine ernste Lehre für uns? Ganz gewiss! Woher kommt es, dass wir als Christen so wenig unsere himmlische Stellung praktisch verwirklichen? Wir sind durch das Blut des Lammes vom Gericht und durch den Tod Christi von dieser gegenwärtigen Welt befreit; aber wir gehen nicht im Geist und durch den Glauben über den Jordan und nehmen nicht Besitz von unserem himmlischen Erbe. Man deutet gewöhnlich den Jordan als Bild des Todes, als das Ende unseres natürlichen Lebens in dieser Welt. Das ist in gewissem Sinn richtig. Aber wie kommt es, dass die Israeliten, als sie endlich den Jordan überschritten hatten, anfangen mussten zu kämpfen? Gewiss werden wir keinen Kampf mehr haben, sobald wir wirklich im Himmel sind! Die Seelen derer, die im Glauben an Christus heimgegangen sind, kämpfen nicht mehr. Sie sind da, wo es keinen Kampf und keinen Streit mehr gibt. Sie sind in der Ruhe. Sie warten auf den Auferstehungsmorgen; aber sie warten in Ruhe, ohne Kampf.
Es ist daher im Jordan mehr als nur das Ende unseres natürlichen Lebens in dieser Welt bildlich dargestellt. Wir müssen den Jordan als Bild des Todes Christi betrachten, ebenso wie das Rote Meer und das Blut des Passahlammes Bilder dieses Todes waren, obwohl von anderen Gesichtspunkten aus betrachtet. Das Blut des Lammes war Israels Schutz vor dem Gericht Gottes über Ägypten. Die Wasser des Roten Meeres befreiten Israel von Ägypten selbst und von seiner Macht. Aber es musste noch über den Jordan gehen. Es musste seine Fußsohle auf das Land der Verheißung setzen und dort seinen Platz trotz aller Feinde behaupten. Israel musste jeden Zentimeter Boden in Kanaan erkämpfen.
Aber haben wir uns denn den Himmel noch zu erkämpfen? Wenn ein Christ entschläft und seine Seele hingeht, um mit Christus im Paradies zu sein, steht ihm dann noch ein Kampf bevor? Gewiss nicht! Was aber bedeutet dann der Übergang über den Jordan und der Kampf in Kanaan selbst? Einfach dies: Jesus ist gestorben. Er hat diese Welt verlassen. Er ist nicht nur für unsere Sünden gestorben, sondern Er hat auch jedes Band zerrissen, das uns mit dieser Welt verknüpfte, so dass wir der Welt gestorben sind, so wie wir auch der Sünde und dem Gesetz gestorben sind. Wir haben in den Augen Gottes und nach dem Urteil des Glaubens so wenig mit dieser Welt zu tun wie ein Toter. Wir sind berufen, uns hier für tot zu halten und Gott zu leben durch Christus Jesus, unseren Herrn. Wir leben in der Kraft des neuen Lebens, das wir in der Vereinigung mit einem auferstandenen Christus besitzen. Wir gehören dem Himmel an, und indem wir unsere Stellung als himmlische Menschen auch praktisch wahr machen, haben wir mit den geistlichen Mächten der Bosheit in den himmlischen Örtern zu kämpfen (Eph 6) – gerade in dem Gebiet, das uns gehört und aus dem diese Mächte noch nicht vertrieben sind. Wenn wir uns allerdings damit begnügen, „nach Menschenweise zu wandeln“ (vgl. 1. Kor 3,3), als solche zu leben, die zu dieser Welt gehören, beim Jordan stehen zu bleiben; wenn wir uns damit begnügen, „als solche, die auf der Erde wohnen“, zu leben, wenn wir nicht nach dem uns gehörenden himmlischen Teil und Platz streben, dann allerdings werden wir den Kampf nicht kennen, der in Epheser 6,12 beschrieben wird. Dadurch, dass wir jetzt auf dieser Erde als himmlische Menschen zu leben suchen, erfahren wir die Bedeutung dieses Kampfes, der das Gegenbild der Kriege Israels in Kanaan ist. Wir werden nicht mehr zu kämpfen haben, wenn wir in den Himmel eingehen. Aber wenn wir auf der Erde ein himmlisches Leben zu führen wünschen, wenn wir uns als solche betragen wollen, die der Welt gestorben sind und in dem leben, der für uns in die kalten Fluten des Jordan hinabgestiegen ist, dann wird uns der Kampf nicht erspart bleiben. Satan wird nichts unversucht lassen, uns daran zu hindern, in der Kraft unseres himmlischen Lebens zu leben.
Daher rührt der Kampf. Der Teufel wird uns so weit bringen, dass wir wie diejenigen leben, die als Bürger dieser Welt eine irdische Stellung haben und sich für ihre Rechte einsetzen, so dass wir auf diese Weise praktisch die große christliche Grundwahrheit, dass wir in und mit Christus gestorben und auferstanden sind, verleugnen.
Wenden wir uns einen Augenblick Epheser 6 zu, um zu sehen, wie dieses interessante Thema dort von dem inspirierten Schreiber dargestellt wird! „Im Übrigen, Brüder, seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. Zieht die ganze Waffenrüstung Gottes an, damit ihr zu bestehen vermögt gegen die Listen des Teufels. Denn unser Kampf ist nicht gegen Fleisch und Blut [wie er es für Israel war], sondern gegen die Fürstentümer, gegen die Gewalten, gegen die Weltbeherrscher dieser Finsternis, gegen die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern. Deshalb nehmt die ganze Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag zu widerstehen und, nachdem ihr alles ausgerichtet habt, zu stehen vermögt“ (V. 10–13).
Das ist der eigentlich christliche Kampf. Es handelt sich hier nicht um die Lüste des Fleisches oder um die Lockungen der Welt (obschon wir gewiss auch gegen diese zu wachen haben), sondern um „die Listen des Teufels“. Es geht auch nicht um die Macht des Teufels – die ist für immer gebrochen –, sondern um die schlau gelegten Schlingen und Fallstricke, durch die er die Christen daran zu hindern sucht, ihre himmlische Stellung praktisch wahr zu machen und ihr himmlisches Erbe zu genießen. Und gerade in diesem Kampf versagen wir leider so außerordentlich. Wir streben nicht danach, das zu ergreifen, wozu wir von Christus ergriffen worden sind. Viele begnügen sich mit dem Wissen, dass sie durch das Blut des Lammes vor dem Gericht geschützt sind. Sie dringen nicht ein in die tiefe geistliche Bedeutung des Roten Meeres und des Jordan. Sie leben nach Menschenweise, tun also gerade das, wofür der Apostel die Korinther so ernst tadelt. Sie leben und handeln, als gehörten sie noch dieser Welt an, während die Schrift uns lehrt und unsere Taufe es ausdrückt, dass wir der Welt ebenso gestorben sind, wie auch Jesus ihr gestorben ist, und dass wir durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat, mit ihm auferweckt sind (Kol 2,12).
Möge der Heilige Geist uns mehr in die Wirklichkeit dieser Dinge leiten! Möge Er uns die köstlichen Früchte des himmlischen Landes, das in Christus unser ist, so darbieten und uns durch seine Kraft an dem inneren Menschen so stärken, dass wir mutig über den Jordan und in das geistliche Kanaan gehen! Gewöhnlich nehmen wir unsere Vorrechte als Christen bei Weitem nicht voll in Anspruch. Wir erlauben den sichtbaren Dingen, uns den Genuss der unsichtbaren zu rauben. Hätten wir doch einen stärkeren Glauben, um alles das in Besitz zu nehmen, was Gott uns in Christus aus freier Gnade gegeben hat!
Glaube und Unglaube
Wir kehren jetzt zu unserer Erzählung zurück. „Und die Männer, die Mose ausgesandt hatte, um das Land auszukundschaften, und die zurückkehrten und die ganze Gemeinde gegen ihn murren machten, indem sie ein böses Gerücht über das Land verbreiteten, jene Männer, die ein böses Gerücht über das Land verbreitet hatten, starben durch eine Plage vor dem HERRN. Aber Josua, der Sohn Nuns, und Kaleb, der Sohn Jephunnes, blieben am Leben von jenen Männern, die gegangen waren, um das Land auszukundschaften“ (V. 36–38).
Ist es nicht erstaunlich, dass es in dieser großen Gemeinde von sechshunderttausend Männern – also ohne Frauen und Kinder gezählt – nur zwei gab, die Glauben hatten an den lebendigen Gott? (Es ist hier selbstverständlich nicht von Mose und Aaron die Rede, sondern nur von der Gemeinde.) Die ganze Versammlung wurde von dem Geist des Unglaubens beherrscht. Sie trauten es Gott nicht zu, dass Er sie in das Land bringen werde, sondern dachten im Gegenteil, Er habe sie in die Wüste geführt, um sie hier sterben zu lassen. Sie ernteten die Frucht ihres traurigen Unglaubens. Die zehn falschen Zeugen starben durch die Plage, und die vielen Tausende, die ihr falsches Zeugnis angenommen hatten, wurden gezwungen, in die Wüste zurückzukehren, vierzig Jahre lang in ihr hin und her zu wandern, um dann in der Wüste zu sterben und begraben zu werden.
Nur Josua und Kaleb standen auf dem gesegneten Boden des Glaubens an den lebendigen Gott, des Glaubens, der die Seele mit frohem Vertrauen und mit Mut erfüllt. Und sie ernteten nach ihrem Glauben. Gott ehrt stets den Glauben, den Er in eine Seele gepflanzt hat. Dieser Glaube ist seine eigene Gabe, und, mit Ehrerbietung sei es gesagt, Er kann nicht anders, als ihn anerkennen, wo er sich findet. Josua und Kaleb waren fähig, in der Kraft eines einfachen Glaubens dem gewaltigen Strom des Unglaubens zu widerstehen. Sie bewahrten angesichts aller Schwierigkeiten ihr Vertrauen auf Gott, und Er ehrte ihren Glauben schließlich in herrlicher Weise. Während die Leiber ihrer Brüder im Staub der Wüste zerfielen, betraten sie die rebenbedeckten Hügel und fruchtbaren Täler des Landes Kanaan. Die einen hatten gesagt, dass Gott sie aus Ägypten geführt habe, um sie in der Wüste sterben zu lassen; die anderen hatten erklärt, dass Gott sie in das Land zu bringen vermöge – beiden geschah nach ihren Worten.
Das ist ein sehr wichtiger Grundsatz: „Euch geschehe nach eurem Glauben“ (Mt 9,29). Beherzigen wir ihn gut! Gott hat Wohlgefallen an Glauben. Er liebt es, wenn man ihm vertraut, und Er wird diejenigen immer ehren, die ihr Vertrauen auf ihn setzen. Der Unglaube dagegen betrübt ihn. Er verunehrt ihn und bringt Finsternis und Tod über die Seele. Es ist eine schreckliche Sünde, an dem lebendigen Gott, der nicht lügen kann, zu zweifeln, und Fragen zu erheben, wenn Er gesprochen hat. Der Teufel ist der Urheber aller zweifelnden Fragen. Er hat seine Freude daran, das Vertrauen der Seele zu erschüttern; aber er hat gar keine Macht über eine Seele, die einfach auf Gott vertraut. Seine feurigen Pfeile können niemals einen Menschen erreichen, der hinter dem Schild des Glaubens geborgen ist. Wie wundervoll ist es, ein Leben in kindlichem Vertrauen auf Gott zu führen! Es macht das Herz so froh und bringt Lob und Danksagung auf die Lippen. Ein solches Vertrauen vertreibt jede Wolke und jeden Nebel und erhellt unseren Weg mit den Strahlen des Angesichts unseres Vaters. Der Unglaube dagegen erfüllt das Herz mit Zweifeln, verdunkelt unseren Weg und macht uns ganz elend. Kalebs Herz war voll von frohem Vertrauen, während das Herz seiner Brüder von bitteren Klagen und Murren erfüllt war. So wird es immer sein. Wenn wir glücklich sein wollen, müssen wir uns mit Gott und mit dem, was ihn umgibt, beschäftigen. Um elend zu sein, brauchen wir uns nur mit uns selbst und unserer Umgebung zu beschäftigen. Werfen wir einen Blick in das 1. Kapitel des Lukasevangeliums. Was war es, was den Zacharias verstummen machte? Der Unglaube. Und was erfüllte das Herz der Maria und der Elisabeth und ließ sie Gott loben? Der Glaube. Zacharias hätte in die Lobgesänge jener frommen Frauen einstimmen können, wenn nicht der Unglaube seine Lippen verschlossen hätte. Welch eine Lehre! Möchten wir lernen, einfacher auf Gott zu vertrauen! Möchten wir in einer ungläubigen Welt stark sein im Glauben und dadurch Gott die Ehre geben!
Vertrauen auf eigene Kraft
Der letzte Abschnitt unseres Kapitels (V. 39–45) gibt uns eine andere wichtige Belehrung. Als die Israeliten aufgefordert wurden, in der Kraft des Glaubens hinaufzuziehen und das Land in Besitz zu nehmen, schraken sie zurück und weigerten sich, zu ziehen. Sie fielen nieder und weinten, als sie hinaufziehen und erobern sollten. Vergebens versicherte ihnen der gläubige Kaleb, der Herr werde sie führen und auf dem Berg seines Erbteils wohnen lassen. Sie wollten nicht hinaufziehen, weil sie nicht auf Gott vertrauen konnten. Und jetzt wollten sie in Anmaßung und Selbstvertrauen hinaufziehen, anstatt ihr Haupt zu beugen und die Regierungswege Gottes anzunehmen.
Aber, wie vergeblich war es, aufzubrechen, ohne dass der lebendige Gott in ihrer Mitte war! Ohne ihn konnten sie nichts tun. Und doch – als Er mit ihnen sein wollte, fürchteten sie sich vor den Amalekitern, und jetzt maßen sie sich an, eben diesem Volk ohne Gott entgegenzutreten! „Hier sind wir und wollen zu dem Ort hinaufziehen, von dem der HERR geredet hat“ (V. 40). Es ist sehr merkwürdig, dass Mose ihnen jetzt dieselben Schwierigkeiten vorstellt, auf die sie hingewiesen hatten, als sie sich weigerten, in der Kraft des Glaubens zu handeln. Er sagte ihnen: „Die Amalekiter und die Kanaaniter sind dort vor euch.“
Das ist sehr lehrreich. Sie hatten durch ihren Unglauben Gott ausgeschlossen, und daher handelte es sich jetzt lediglich um eine Frage zwischen Israel und den Kanaanitern, während der Glaube die Sache zu einer Frage zwischen Gott und den Kanaanitern gemacht hätte. Das war gerade die Art und Weise, in der Josua und Kaleb die Sache betrachtet hatten, als sie sagten: „Wenn der HERR Gefallen an uns hat, so wird er uns in dieses Land bringen und es uns geben, ein Land, das von Milch und Honig fließt. Nur empört euch nicht gegen den HERRN; und fürchtet ja nicht das Volk des Landes, denn unser Brot werden sie sein. Ihr Schirm ist von ihnen gewichen, und der HERR ist mit uns; fürchtet sie nicht!“ (V. 9).
Hier lag das große Geheimnis verborgen. Die Gegenwart des Herrn bei seinem Volk sicherte ihm den Sieg über alle seine Feinde. Aber wenn Er nicht mit dem Volk war, so waren sie wie Wasser, das auf den Boden geschüttet ist. Die zehn ungläubigen Kundschafter hatten erklärt, sie seien vor den Riesen wie Heuschrecken gewesen. Indem Mose sie nun beim Wort nimmt, sagt er ihnen gewissermaßen, dass Heuschrecken es mit Riesen nicht aufnehmen können. Wenn es einerseits wahr ist: „Euch geschehe nach eurem Glauben“, so ist andererseits auch wahr: „Euch geschehe nach eurem Unglauben.“
Das Volk aber war jetzt voller Anmaßung. Sie meinten, etwas zu sein, da sie doch nichts waren. Israel verließ Gott in seinem Unglauben, und Er verließ sie in ihrer Anmaßung. Sie wollten nicht im Glauben mit ihm gehen, und Er konnte nicht in ihrem Unglauben mit ihnen ziehen. „Die Lade des Bundes des HERRN und Mose wichen nicht aus der Mitte des Lagers“ (V. 44). Die Israeliten gingen ohne Gott, und deshalb flohen sie vor ihren Feinden.
So wird es immer sein. Es ist völlig nutzlos, Kraft zur Schau zu tragen und zu meinen, man sei etwas. Wenn Gott nicht mit uns ist, so sind wir wie die Morgenwolke vor der aufgehenden Sonne. Aber das müssen wir praktisch lernen. Wir müssen bis auf den Grund alles dessen kommen, was in uns selbst ist, um zu erfahren, wie gänzlich wertlos es alles ist. Die Wüste mit all ihren verschiedenen Situationen und ihren zahlreichen Übungen führt uns zu diesem Ergebnis, zu dieser praktischen Erfahrung. Da lernen wir, was das Fleisch ist. Da zeigt sich die Natur in all ihren Formen, zuweilen voll zaghaften Unglaubens, zu anderen Zeiten voll von falschem Vertrauen. Heute weigert sie sich, zu gehen, wenn sie dazu aufgefordert wird, und morgen besteht sie darauf, es zu tun, wenn ihr das Gegenteil befohlen wird.
Doch gibt es hier eine besondere Belehrung, die wir zu begreifen versuchen sollten, bevor wir Horma verlassen: dass es nämlich außerordentlich schwer ist, demütig und geduldig den Weg zu gehen, den uns unser eigenes Versagen eingebracht hat. Der Unglaube Israels, der sich in seiner Weigerung, in das Land zu ziehen, kundgab, führte nach den Regierungswegen Gottes dazu, dass sie wieder umkehrten und vierzig Jahre lang in der Wüste umherziehen mussten. Jedoch, sie wollten sich diesem Ausspruch nicht unterwerfen. Sie leisteten Widerstand. Sie konnten ihren Nacken nicht unter das Joch beugen, das so nötig für sie war.
Sich beugen unter die Hand Gottes
Wie oft verfallen wir in denselben Fehler! Wir straucheln, machen irgendwelche Fehltritte und kommen dadurch in schwierige Umstände, und dann werden wir widerspenstig, anstatt uns demütig unter die Hand Gottes zu beugen und mit ihm in Demut und mit einem gebrochenen Geist unseren Weg zu gehen. Wir hadern mit den Umständen, anstatt uns selbst zu richten, und suchen in unserem Eigenwillen diesen Umständen zu entfliehen, anstatt sie als die gerechte und nötige Folge unseres Betragens anzunehmen. Aber ein stolzer Geist muss früher oder später gebeugt werden, und alle angemaßte Kraft muss zusammenbrechen. Wenn kein Glaube da ist, um das verheißene Land in Besitz zu nehmen, dann bleibt nichts anderes übrig, als in Sanftmut und Demut durch die Wüste zu gehen.
Und Gott sei gepriesen, Er wird auf dieser Reise durch die Wüste immer mit uns gehen, während das auf unserem selbstgewählten Weg des Stolzes und der Anmaßung nicht der Fall sein kann. Der HERR weigerte sich, Israel auf das Gebirge der Amoriter zu begleiten; aber Er war in seiner Geduld und Gnade bereit, mit ihnen umzukehren und sie auf allen ihren Wanderungen durch die Wüste zu begleiten. Wenn Israel nicht mit dem HERRN in das Land Kanaan einziehen wollte, so wollte Er mit Israel in die Wüste zurückkehren. Welch eine Gnade! Hätte Gott mit ihnen nach Verdienst gehandelt, so hätten sie zum wenigsten allein in der Wüste umherziehen müssen. Aber sein großer Name sei ewig gepriesen, Er handelt nicht mit uns nach unseren Sünden und vergilt uns nicht nach unseren Ungerechtigkeiten. Seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken und seine Wege nicht unsere Wege. Trotz all des Unglaubens, des Undanks und der Herausforderung seitens der Kinder Israel und obwohl ihre Rückkehr in die Wüste die Folge ihres eigenen Verhaltens war, kehrte der HERR dennoch in seiner herablassenden Gnade und geduldigen Liebe mit ihnen zurück, um während vierzig langer und trüber Jahre ihr Reisebegleiter in der Wüste zu sein.
Wenn daher die Wüste zeigt, was der Mensch ist, so zeigt sie aber auch, was Gott ist, und außerdem offenbart sie, was der Glaube ist. Josua und Kaleb mussten mit der ganzen Gemeinde ihrer ungläubigen Brüder zurückkehren und vierzig Jahre lang außerhalb ihres Erbes bleiben, obwohl sie selbst durch die Gnade völlig bereit waren, in das Land hinaufzuziehen. Der Natur mag es als ein großes Unrecht erscheinen, dass zwei Männer des Glaubens um des Unglaubens anderer willen leiden mussten. Aber der Glaube kann geduldig warten. Und überdies, wie konnten sich Josua und Kaleb über die verlängerte Reise beklagen, wenn sie sahen, dass der HERR im Begriff war, mit ihnen zu ziehen? Unmöglich! Sie waren bereit, auf die von Gott bestimmte Zeit zu warten; denn der Glaube hat es niemals eilig. Der Glaube der Knechte konnte durch die Gnade des Meisters gestärkt werden.