Betrachtungen über das vierte Buch Mose
Wie Gott sein Volk leitet
Die beiden silbernen Trompeten
Die schöne Verordnung über die silbernen Trompeten (V. 1–10) wird auf bemerkenswerte Weise mit der ganzen vergangenen und zukünftigen Geschichte Israels verbunden. Der Ton der Trompete war jedem Israeliten bekannt. Er war sozusagen die Mitteilung der Gedanken Gottes in einer so deutlichen und einfachen Form, dass er von jedem Glied der Gemeinde verstanden werden konnte, wie weit es auch von dem Ort entfernt sein mochte, von dem das Zeugnis ausging. Gott sorgte dafür, dass jeder Einzelne in dieser großen Versammlung die Töne der silbernen Trompete des Zeugnisses hören konnte.
Jede Trompete musste aus einem Stück gemacht werden, und sie diente einem zweifachen Zweck. Mit anderen Worten, es gab nur eine Quelle des Zeugnisses, obwohl der Zweck und das praktische Ergebnis verschiedenartig sein mochten. Jede Bewegung im Lager sollte allein durch den Ton der Trompete ausgelöst werden. Mochte die Gemeinde zu festlicher Freude und zur Anbetung zusammengerufen, mochten die Stämme in Schlachtreihen aufgestellt werden, immer geschah es durch den Ton der Trompete. Die feierliche Versammlung und das zum Krieg ausziehende Heer, der Gebrauch der Musikinstrumente und der Griff zu den Waffen – alles wurde durch die silberne Trompete geregelt. Jede Handlung, ob festlich, religiös oder kriegerisch, die nicht durch den bekannten Ton hervorgerufen wurde, konnte deshalb nur die Frucht eines unruhigen und nicht unterworfenen Willens sein, die der HERR in keiner Weise anerkennen konnte. Das Volk Israel in der Wüste war von dem Ton der Trompete ebenso abhängig wie von der Wolke. Der Wille Gottes, der in dieser besonderen Weise mitgeteilt wurde, hatte jede Bewegung der Tausende Israels zu leiten und zu beherrschen.
Abhängigkeit und Unterordnung
Es war Aufgabe der Söhne Aarons, der Priester, die Trompeten zu blasen; denn es war die Nähe Gottes und Gemeinschaft mit ihm erforderlich, um seine Gedanken erkennen und mitteilen zu können. Es war das hohe Vorrecht der priesterlichen Familie, sich um das Heiligtum Gottes zu scharen, dort die erste Bewegung der Wolke zu beobachten und sie dann den entferntesten Teilen des Lagers bekannt zu machen. Die Priester waren verantwortlich, mit den Trompeten einen ganz bestimmten, unverwechselbaren Ton erschallen zu lassen, und jedes Glied des Volkes war verantwortlich, sofort und bedingungslos zu gehorchen. Es wäre Empörung gewesen, wenn jemand es gewagt hätte, ohne Befehl aufzubrechen oder wenn er sich geweigert hätte, aufzubrechen, nachdem die Anweisung einmal gegeben war. Alle hatten auf das Zeichen Gottes zu warten, und wenn es gegeben wurde, mussten sie sich augenblicklich danach richten. Wenn sie ohne das Zeichen aufgebrochen wären, so wären sie in der Finsternis gewesen, und hätten sie sich, nachdem das Zeichen gegeben war, geweigert, aufzubrechen, so wären sie in der Finsternis geblieben.
Das ist sehr einfach und für die Praxis sehr wertvoll. Es ist nicht schwer, die Bedeutung dieser Wahrheit für die Gemeinde in der Wüste zu erkennen. Aber lasst uns bedenken, dass alle diese Dinge zu unserer Belehrung geschrieben sind! Wir sind berufen, die Belehrung, die in dieser schönen Verordnung über die silbernen Trompeten enthalten ist, aufzunehmen und zu bewahren. Diese Verordnung ist gerade für unsere Zeit wichtig. Sie stellt in klarer Weise dar, dass das Volk Gottes in allem, was es tut, gänzlich von dem Zeugnis Gottes abhängig und ihm vollkommen untergeordnet sein muss. Es handelte sich nicht darum, was die Einzelnen gern hatten oder nicht, es ging nicht um ihre Gedanken, Meinungen und Urteile, sondern einfach und allein um einen entschiedenen Gehorsam. Der Gesang des Anbeters und das Kampfgeschrei des Kriegers waren beide nur die Frucht des Zeugnisses Gottes.
Wie gut und wie lehrreich, wie praktisch gerade für diese Zeit, in der wir leben! Wenn es einen Zug gibt, der mehr als irgendein anderer die gegenwärtige Zeit kennzeichnet, so ist es der Mangel an Unterwerfung unter die Autorität Gottes und der Widerstand gegen die Wahrheit, wenn sie Gehorsam und Selbstverleugnung verlangt. Es geht alles gut, so lange es sich um Wahrheiten handelt, die unsere Vergebung, unsere Annahme, unser Leben, unsere Gerechtigkeit, unsere ewige Sicherheit in Christus betreffen. Man hört sie gern und freut sich darüber. Aber sobald man die Rechte und die Autorität dessen hervorhebt, der sein Leben hingab, um uns vor der Hölle zu retten und uns die ewige Freude des Himmels zu geben, so entstehen viele Schwierigkeiten, es werden allerlei Schlüsse gezogen, alle Arten von Fragen erhoben. Der Wahrheit wird ihre Schärfe genommen, oder man schiebt sie ganz beiseite. Man wartet nicht auf den Ton der Trompete. Selbst wenn sie in einem Ton erklingt, der so klar ist, wie nur Gott ihn geben kann, erfolgt keine Antwort auf den Ruf. Wir gehen, wenn wir stillstehen sollten, und wir stehen still, wenn wir gehen sollten.
Was muss die Folge davon sein? Entweder gar kein Fortschritt oder ein Schritt in die verkehrte Richtung – was noch schlimmer ist, als gar keiner. Wir können unmöglich im göttlichen Leben Fortschritte machen, wenn wir uns nicht rückhaltlos dem Wort des Herrn unterordnen. Wir mögen durch die Gnade Gottes und die Sühnungskraft des Blutes Jesu errettet sein. Aber sollten wir uns damit begnügen? Sollten wir nicht danach streben, nun auch mit ihm und für ihn zu leben? Sollten wir das Heil annehmen, das sein Werk für uns erworben hat, und uns nicht nach einer völligen Unterordnung unter seine Autorität in allen Dingen sehnen?
Gott kümmert sich um die Einzelheiten unseres Lebens
Ein Christ hat nicht das Recht, ohne einen göttlichen Befehl etwas zu tun. Er hat auf das Wort seines Herrn zu warten. Bis er es kennt, muss er stillstehen, und wenn er es erhalten hat, muss er vorwärts gehen. Gott kann heute seinem streitenden Volk seine Gedanken ebenso bestimmt mitteilen wie früher seinem irdischen Volk. Allerdings geschieht es jetzt nicht durch den Ton einer Trompete oder durch die Bewegung einer Wolke, sondern durch sein Wort und seinen Geist. Unser Vater leitet uns nicht durch Einwirkungen auf die Sinne, durch äußere Gegebenheiten, sondern durch das, was das Herz, das Gewissen und das Verständnis berührt. Er teilt uns seine Gedanken und seinen Willen nicht durch das, was natürlich ist, mit, sondern durch das, was geistlich ist.
Sollten wir annehmen, der Versammlung Gottes sei eine Leitung, die ebenso klar ist wie die Leitung des Lagers in der Wüste, versagt? Unmöglich! Woher kommt es aber, dass man so oft Christen trifft, die überhaupt nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen? Es muss daher kommen, dass das „beschnittene Ohr“ fehlt, das den Ton der silbernen Trompete vernimmt, und der unterwürfige Wille, der gleich gehorcht. Wer ein offenes Ohr und ein unterwürfiges Herz besitzt, wird gewiss auch über alles, was er zu tun hat, all die Sicherheit erlangen, die Gott uns geben kann. Unser gnädiger Gott kann und will uns in allen Dingen Klarheit und Entschiedenheit geben. Wenn Er sie nicht gibt, dann kann es niemand. Wenn Er sie gibt, so haben wir niemanden sonst nötig.
Das Lager bereit zum Aufbruch
Wir sind in unseren Betrachtungen jetzt bei dem Zeitpunkt angelangt, wo das Lager den Befehl zum Aufbruch erhält. Alles ist vollkommen geordnet nach dieser großen Richtschnur, dem „Befehl des HERRN“. Jeder Israelit steht nach seiner Abstammung und jeder Stamm nach seinem Banner an dem ihm von Gott angewiesenen Platz. Die Leviten sind auf ihrem Posten. Jeder hat sein genau bestimmtes Werk. Für die Reinigung des Lagers von jeder Art von Unreinigkeit ist reichlich Vorsorge getroffen. Wir sehen hier außerdem den goldenen Leuchter mit seinen sieben Lampen, die ihr reines Licht geben, die Feuer- und Wolkensäule und endlich das zweifache Zeugnis der silbernen Trompeten. Nichts fehlt dem wandernden Volk. Ein wachsames Auge, eine mächtige Hand und ein liebendes Herz hatten für alle Vorkommnisse Sorge getragen, und so war die Versammlung in der Wüste insgesamt und jedes Glied für sich reichlich versorgt.
Die Bundeslade zieht vor dem Volk her
So ist denn das Lager zum Aufbruch bereit. Aber merkwürdigerweise begegnen wir gleich einer Abweichung von der am Anfang des Buches vorgeschriebenen Ordnung. Die Lade des Zeugnisses bleibt nicht in der Mitte des Lagers, sondern sie zieht an der Spitze. Mit anderen Worten: Statt in der Mitte der Gemeinde zu bleiben, um dort bedient zu werden, lässt sich der HERR in seiner wunderbaren, unbegrenzten Gnade herab, für sein Volk den Dienst eines „Vorpostens“ zu übernehmen.
Doch hören wir, was diesen Beweis der Gnade veranlasst hatte: „Und Mose sprach zu Hobab, dem Sohn Reghuels, des Midianiters, des Schwiegervaters Moses: Wir brechen auf zu dem Ort, von dem der HERR gesagt hat: Ich will ihn euch geben. Zieh mit uns, so werden wir dir Gutes tun; denn der HERR hat Gutes über Israel geredet. Und er sprach zu ihm: Ich will nicht mitziehen, sondern in mein Land und zu meiner Verwandtschaft will ich gehen. Und er sprach: Verlass uns doch nicht! Denn du weißt ja, wo wir in der Wüste lagern sollen; und du wirst unser Auge sein“ (V. 29–31).
Wenn wir nicht die Neigung unserer eigenen Herzen kennen würden, sich lieber auf das Geschöpf zu stützen, als auf den lebendigen Gott, so könnten wir uns über diese Begebenheit wohl wundern. Wir würden fragen: Wozu brauchte Mose die Augen Hobabs? War der HERR nicht genug? Kannte Er die Wüste nicht? Hätte Er je zugelassen, dass sie sich verirrten? Wozu waren die Wolke und die silbernen Trompeten da? Waren sie nicht weit besser als Hobabs Augen? Warum also suchte Mose menschliche Hilfe? Wir können den Grund leider nur zu gut verstehen. Wir alle kennen die Veranlagung unseres Herzens, sich auf etwas Sichtbares zu stützen. Wir sind nicht gern für jeden Schritt der Reise völlig von Gott abhängig. Es fällt uns schwer, uns auf eine unsichtbare Kraft zu stützen. Ein Hobab, den wir sehen können, flößt uns mehr Vertrauen ein, als der lebendige Gott, den wir nicht sehen können. Wir sind beruhigt, wenn irgendein armseliger Sterblicher uns seine Hilfe zusichert; aber wir zögern und verzagen leicht, wenn wir berufen werden, in einfachem Glauben an Gott zu leben. Wir alle sind so sehr geneigt, uns auf einen „fleischlichen Arm“ zu stützen – trotz der tausend Beispiele, die uns zeigen, wie dumm das ist. Wir haben oft genug erfahren, dass alles Vertrauen auf das Geschöpf enttäuscht, aber wir wollen es dennoch nicht aufgeben. Andererseits haben wir wieder und wieder erlebt, dass man auf das Wort und die Hilfe des lebendigen Gottes fest vertrauen kann. Wir haben erfahren, dass Er uns nie versäumt, nie enttäuscht hat, dass Er im Gegenteil weit mehr getan hat, als wir erbitten oder erdenken können, und dennoch sind wir immer bereit, ihm zu misstrauen, uns auf zerbrochenes Schilfrohr zu stützen und uns zu löcherigen Brunnen zu wenden.
So ist es mit uns – aber gepriesen sei Gott, dass seine Gnade für uns so überströmend ist, wie sie es für Israel bei der oben erwähnten Gelegenheit war. Wenn Mose auf Hobab sah, um von ihm geführt zu werden, so belehrte der HERR seinen Knecht, dass Er selbst als Führer vollkommen genügte. „Und sie brachen vom Berg des HERRN auf, drei Tagereisen weit, und die Lade des Bundes des HERRN zog drei Tagereisen vor ihnen her, um ihnen einen Ruheort zu erkunden“ (Vers 33).
So ist unser Gott, immer geduldig, barmherzig, mächtig und treu. In der Majestät seiner Gnade stellt Er sich immer über unseren Unglauben und unsere Fehltritte und zeigt sich in seiner Liebe über alle Schranken erhaben, die unsere Untreue aufstellen möchte. Er zeigte Mose und dem ganzen Volk Israel, dass Er als Führer weit besser war als zehntausend Hobabs. Wir wissen nicht, ob Hobab mitging oder nicht. Er schlug die erste Einladung aus und vielleicht auch die zweite; aber es wird uns gesagt, dass der Herr mit ihnen ging. „Und die Wolke des HERRN war über ihnen bei Tag, wenn sie aus dem Lager zogen“ (V. 34). Was für ein Schutz in der Wüste! Unerschöpfliche Quelle der Hilfe in allen Dingen! Er ging vor seinem Volk her, um ihm einen Ruheplatz zu suchen. Wenn Er eine Stelle gefunden hatte, die dem entsprach, was sie brauchten, so machte Er Halt mit ihnen und breitete seine schützenden Hände über sie aus, um sie vor jedem Feind zu bewahren. „Er fand ihn im Land der Wüste und in der Öde, dem Geheul der Wildnis; er umgab ihn, gab auf ihn Acht, er behütete ihn wie seinen Augapfel. Wie der Adler sein Nest aufstört, über seinen Jungen schwebt, seine Flügel ausbreitet, sie aufnimmt, sie auf seinen Schwingen trägt; so leitete ihn der HERR allein, und kein fremder Gott war mit ihm“ (5. Mo 32,10–12). „Er breitete eine Wolke aus zur Decke, und ein Feuer, die Nacht zu erleuchten“ (Ps 105,39).
So war denn für alles Vorsorge getroffen nach der Weisheit, Macht und Güte Gottes. Nichts mangelte – nichts konnte mangeln, da Gott selbst da war. „Und es geschah, wenn die Lade aufbrach, so sprach Mose: Stehe auf, HERR, dass deine Feinde sich zerstreuen und deine Hasser vor dir fliehen! Und wenn sie ruhte, so sprach er: Kehre wieder, HERR, zu den Myriaden der Tausende Israels!“ (V. 35.36).