Betrachtungen über das vierte Buch Mose
Das Passah in der Wüste
Noch manche andere Beispiele könnten aus der Apostelgeschichte angeführt werden, aber die erwähnten werden genügen, um uns die wichtige Lehre klarzumachen, die uns der goldene Leuchter mit seinen sieben Lampen gibt. Es besteht immer die Gefahr, dass das Werk und der Arbeiter mehr im Mittelpunkt stehen als der Meister. Lasst uns davor auf der Hut sein! Es ist ein trauriges Übel. Es betrübt den Heiligen Geist, der immer damit beschäftigt ist, den Namen Jesu zu erheben. Es kränkt den Vater, der will, dass die Worte, die auf dem Berg der Verklärung aus dem geöffneten Himmel gehört wurden, immer in uns widerklingen und tief in unseren Herzen wohnen möchten: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe; ihn hört“ (Mt 17,5)! Es steht auch in unmittelbarem Gegensatz zu dem, was im Himmel ist, wo jedes Auge auf Jesus gerichtet, jedes Herz mit ihm beschäftigt ist und wo der ewige und einmütige Ruf heißen wird: „Du bist würdig!“ (Off 5,9).
Der Rest des 8. Kapitels enthält den Bericht über die Weihung der Leviten, mit der wir uns schon bei der Betrachtung des 3. und 4. Kapitels beschäftigt haben.
Es gibt drei verschiedene Orte, an denen wir das Passah, dieses große Erlösungsfest, gefeiert sehen: in Ägypten (2. Mo 12), in der Wüste (4. Mo 9) und im Land Kanaan (Jos 5). Die Erlösung bildet die Grundlage von allem, was mit der Geschichte des Volkes Gottes in Verbindung steht. Soll es aus der Knechtschaft, vom Tod und aus der Finsternis Ägyptens befreit werden – es geschieht durch die Erlösung. Soll es durch alle Schwierigkeiten und Gefahren der Wüste hindurchgetragen werden – es geschieht aufgrund der Erlösung. Soll es durch die Trümmer der drohenden Mauern Jerichos gehen und seinen Fuß auf den Nacken der Könige Kanaans setzen – es geschieht kraft der Erlösung.
So begegnete das Blut des Passahlammes dem Gottesvolk Israel in der tiefen Erniedrigung in Ägypten und befreite es daraus. Es begegnete ihm in der öden Wüste und führte es hindurch. Es begegnete ihm bei der Ankunft in Kanaan und ließ es dort festen Fuß fassen. Es bildete also die Grundlage aller Taten Gottes in dem Volk, mit dem Volk und für das Volk. Handelte es sich um das Gericht Gottes über Ägypten – das Blut des Lammes bewahrte sie davor. Handelte es sich um die zahllosen Bedürfnisse in der Wüste – das Blut des Lammes sicherte ihnen völlige Vorsorge. Handelte es sich um die furchtbare Macht der sieben Nationen Kanaans – das Blut des Lammes war das sichere Unterpfand eines vollständigen und herrlichen Sieges. Von dem Augenblick an, da wir den HERRN erscheinen sehen, um aufgrund des Blutes des Lammes für sein Volk zu handeln, ist sein Weg von Anfang bis Ende unfehlbar gesichert. Die ganze geheimnisvolle, wunderbare Reise von den Ziegelhütten Ägyptens bis zu den Rebenhügeln und honigreichen Ebenen Palästinas diente nur dazu, die Kraft und den Wert des Blutes des Lammes zu beweisen und ans Licht zu bringen.
Ein Problem
Das vorliegende Kapitel stellt uns das Passah ganz und gar vom Standpunkt der Wüste aus dar, und das erklärt, warum der folgende Umstand erwähnt wird: „Und es waren Männer da, die wegen der Leiche eines Menschen unrein waren und an jenem Tag das Passah nicht feiern konnten; und sie traten an jenem Tag vor Mose und vor Aaron“ (V. 6).
Hier trat eine Schwierigkeit auf, etwas Regelwidriges, etwas Unvorhergesehenes, und daher wurde die Frage vor Mose und Aaron gebracht. „Und sie traten vor Mose“, den Vertreter der Ansprüche Gottes, „und vor Aaron“, den Vertreter der Hilfsquellen, die in der Gnade Gottes sind. Es scheint etwas Besonderes und Nachdrückliches in der Art zu liegen, in der diese Männer sich an Mose und Aaron wandten. Die beiden Bereiche, die Mose und Aaron vertraten, wurden für die Lösung einer Schwierigkeit, wie sie hier auftrat, für wesentlich gehalten.
„Und diese Männer sprachen zu ihm: Wir sind unrein wegen der Leiche eines Menschen; warum sollen wir verkürzt werden, dass wir die Opfergabe des HERRN nicht zur bestimmten Zeit in der Mitte der Kinder Israel darbringen?“ (V. 7). Das war ein offenes Bekenntnis ihrer Verunreinigung. Die Frage, um die es sich jetzt handelte, war: Sollten sie von dem heiligen Vorrecht, auf die von Gott verordnete Weise vor ihn zu treten, ausgeschlossen werden? Gab es für einen solchen Fall keine Vorsorge, keinen Ausweg?
Das war durchaus eine wichtige Frage, auf die bis dahin noch keine Antwort gegeben worden war. Bei der ursprünglichen Einsetzung in 2. Mose 12 war ein solcher Fall nicht vorgesehen worden, obwohl wir dort an sich eine vollständige Darstellung aller Gebräuche und Zeremonien des Festes finden. Diese neue Sache wurde jedoch erst in der Wüste klar gemacht. Erst im praktischen Wandel des Volkes, in den Einzelheiten des Wüstenlebens ergab sich diese Schwierigkeit, für die eine Lösung bereitgestellt werden musste. So finden wir den Bericht über diese ganze Angelegenheit auch erst im vierten Buch Mose, dem Buch der Wüste.
„Und Mose sprach zu ihnen: Bleibt stehen, und ich will hören, was der HERR euretwegen gebieten wird“ (V. 8). Welch eine schöne Haltung! Mose wusste keine Antwort zu geben; aber er wusste, wer es tun konnte, und er wartete auf ihn. Er maßte sich nicht an, selbst eine Antwort zu geben. Er schämte sich nicht, zu sagen: „Ich weiß es nicht.“ Trotz seiner Weisheit und Erkenntnis zögerte er nicht, seine Unwissenheit einzugestehen. Das ist wahre Erkenntnis, wahre Weisheit. Für jemanden in der Stellung Moses könnte es demütigend sein, vor der Versammlung oder vor einigen ihrer Glieder hinsichtlich irgendeiner Frage als unwissend zu erscheinen. Er, der das Volk aus Ägypten geführt, der es durch das Rote Meer geleitet, der mit dem HERRN gesprochen und seine Sendung von dem großen „Ich bin“ empfangen hatte – sollte ein solcher Mann unfähig sein, eine Schwierigkeit zu lösen, die aus einem so einfachen Fall wie dem vorliegenden entstanden war? War es wirklich wahr, dass ein Mann wie Mose nicht wusste, was zu tun sei hinsichtlich von Leuten, die durch einen Toten verunreinigt waren?
Wie manche, die nicht eine so hohe Stellung innehaben wie Mose, hätten versucht, ihnen irgendeine Antwort auf diese Frage zu geben! Aber Mose war der sanftmütigste Mann auf der Erde. Er kannte etwas Besseres als die Anmaßung, zu reden, wenn er nichts zu sagen hatte. Möchten wir in dieser Hinsicht seinem Beispiel treuer folgen! Es würde uns vor mancher betrübenden Erfahrung, vor manchem Fehler und vor manchem falschen Versuch bewahren. Außerdem würde es uns wahrheitsgetreuer, einfacher, natürlicher machen. Wir sind oft so töricht, dass wir uns schämen, unsere Unwissenheit zu zeigen. Wir bilden uns ein, der Ruf unserer Einsicht und Erkenntnis werde leiden, wenn wir die Worte aussprechen, die doch so viel sittliche Größe ausdrücken: „Ich weiß es nicht.“ Das ist ein großer Irrtum. Wir legen den Worten eines Mannes, der sich niemals ein Wissen anmaßt, das er nicht hat, in der Regel viel Gewicht und Bedeutung bei, während wir kaum bereit sind, auf einen Mann zu hören, der immer in leichtfertigem Selbstvertrauen seine Meinung von sich gibt.
Das Passah im zweiten Monat
„Und der HERR redete zu Mose und sprach: Rede zu den Kindern Israel und sprich: Wenn irgendjemand von euch oder von euren Geschlechtern unrein ist wegen einer Leiche oder auf einem fernen Weg ist, so soll er dem HERRN das Passah feiern; im zweiten Monat, am vierzehnten Tag, zwischen den zwei Abenden, sollen sie es feiern; mit Ungesäuertem und bitteren Kräutern sollen sie es essen“ (V. 9–11).
Es gibt zwei große Grundwahrheiten, die in dem Passah dargestellt werden: die Erlösung und die Einheit des Volkes Gottes. Diese Wahrheiten sind unveränderlich. Nichts kann sie jemals ungültig machen. Darum war die eindrucksvolle Verordnung, die diese Wahrheiten so deutlich lebhaft abbildete, immer verbindlich. Die Umstände durften nicht stören. Todesfälle oder große Entfernungen sollten sie nicht unterbrechen. Jedes Glied der Versammlung hatte die Feier dieses Festes so dringend nötig, dass eine besondere Vorsorge für die getroffen wurde, die nicht imstande waren, es nach der vorgeschriebenen Ordnung zu halten. Solche Personen sollten es feiern „am vierzehnten Tag des zweiten Monats“. Das war die Vorsorge der Gnade für alle Fälle unvermeidlicher Verunreinigung oder für den Fall großer Entfernung.
In 2. Chronika 30 lesen wir, dass Hiskia und die Gemeinde von dieser gnadenreichen Vorsorge Gebrauch machten. „Und viel Volk versammelte sich nach Jerusalem, um das Fest der ungesäuerten Brote im zweiten Monat zu feiern, eine sehr große Versammlung … Und man schlachtete das Passah am Vierzehnten des zweiten Monats“ (V. 13.15).
Die Gnade Gottes kann uns in unserer größten Schwachheit begegnen, wenn diese Schwachheit nur gefühlt und bekannt wird 1. Aber möge diese wertvolle und trostreiche Wahrheit uns nicht verleiten, mit Sünde oder Verunreinigung zu spielen! Obwohl die Gnade statt des ersten Monats den zweiten gestattete, erlaubte sie deswegen doch keinerlei Leichtfertigkeit hinsichtlich der Gebräuche und Zeremonien des Festes. „Das ungesäuerte Brot und die bitteren Kräuter“ mussten immer da sein; von dem Opferlamm durfte nichts übrig gelassen werden bis an den Morgen, noch durfte ein Bein an ihm zerbrochen werden. Gott kann nicht zulassen, dass der Maßstab der Wahrheit oder der Heiligkeit irgendwie herabgesetzt wird. Aus Schwachheit, aus Mangel oder infolge der Macht der Umstände mag der Mensch, was die Zeit angeht, zurückgeblieben sein; aber er darf nicht hinter dem göttlichen Maßstab zurückbleiben. Die Gnade gestattete das Erste, die Heiligkeit verbietet das Zweite; und wenn irgendjemand sich angemaßt hätte, auf Grund der Gnade mit der Heiligkeit nach Belieben zu schalten, so wäre er aus der Gemeinde ausgerottet worden.
Gnade vermindert niemals den göttlichen Maßstab
Doch was können wir aus den Verordnungen über die Feier des Passah im zweiten Monat lernen? Warum wurde Israel so ausdrücklich eingeschärft, bei dieser Feier nichts, keine einzige Zeremonie, wegzulassen? Warum gehen in 4. Mose 9 die Anweisungen für den zweiten Monat viel mehr ins Einzelne als die für den ersten? Gewiss nicht deshalb, weil die Verordnung in dem einen Fall wichtiger gewesen wäre als in dem anderen, und auch nicht, weil die Ordnung in beiden Fällen irgendwie verschieden gewesen wäre! Vielmehr lehrt diese Tatsache uns ganz deutlich, dass wir in den Dingen Gottes niemals wegen der Fehler und Schwachheiten des Volkes Gottes einen geringeren Maßstab anlegen dürfen, dass wir vielmehr – gerade wegen dieser Fehler und Schwachheiten – besondere Sorge zu tragen haben, den Maßstab in seiner ganzen göttlichen Vollkommenheit zu wahren. Zweifellos sollte ein tiefes Empfinden für den Mangel da sein – je tiefer, umso besser; aber die Wahrheit Gottes darf nicht aufgegeben werden. Wir können immer zuversichtlich auf die Hilfsmittel der Gnade Gottes rechnen, solange wir mit unerschütterlicher Festigkeit den Maßstab der Wahrheit Gottes zu wahren suchen.
Lasst uns dies immer beherzigen! Wir sind einerseits in Gefahr, die Tatsache zu vergessen, dass der Verfall eingetreten, ja, dass große Untreue, dass Sünde vorhanden ist, und andererseits sind wir geneigt, angesichts des Verfalls die unfehlbare Treue Gottes zu vergessen, die trotz allem bleibt. Die Versammlung hat gefehlt und befindet sich in vollständigem Verfall, und wir haben persönlich gefehlt und zu dem Verfall beigetragen. Wir sollten vor unserem Gott immer das tiefe Bewusstsein davon haben, wie traurig und schändlich wir uns in dem Haus Gottes betragen haben. Wir würden unser Versagen noch weit verschlimmern, wenn wir je vergessen würden, dass wir gefehlt haben. Tiefe Demut und ein völlig gebrochener Geist geziemen uns, wenn wir hieran denken. Solche inneren Gefühle und Übungen werden in einem bescheidenen und demütigen Betragen ihren Ausdruck finden.
„Doch der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt, die sein sind; und: Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit“ (2. Tim 2,19). Hier ist die Hilfsquelle des Gläubigen mitten im Verfall der Christenheit. Gott macht nie einen Fehler, verändert sich nie; wir aber haben einfach von der Ungerechtigkeit abzustehen und uns an ihn zu klammern. Wir sollen tun, was recht ist, und die Folgen ihm überlassen.
Nachlässigkeit gegenüber dem Passah
Das sind in erster Linie Belehrungen für die Wüste, Belehrungen für die heutigen Tage, Belehrungen für uns. In der Wüste tritt die Schwachheit des Menschen so besonders deutlich zutage; hier aber werden auch die unendlichen Hilfsquellen der Gnade Gottes entfaltet. Wiederholen wir es jedoch noch einmal – und möchte es sich tief und unauslöschlich in unsere Herzen einprägen: Die reiche Vorsorge der Gnade und Barmherzigkeit Gottes gibt durchaus keinerlei Befugnis, den Maßstab der göttlichen Wahrheit herabzusetzen. Hätte ein Israelit eine Verunreinigung oder zu große räumliche Entfernung als Entschuldigung dafür vorgebracht, das Passah nicht oder anders zu feiern, als Gott es verordnet hatte, dann wäre er sicherlich aus der Gemeinde ausgerottet worden. Und so ist es auch mit uns. Wenn wir irgendeine Wahrheit Gottes vernachlässigen, weil der Verfall eingetreten ist, wenn wir aus lauter Unglauben des Herzens den Maßstab Gottes aufgeben und den göttlichen Boden verlassen, wenn wir den Zustand der Dinge um uns her zum Vorwand nehmen, um uns der Autorität der göttlichen Wahrheit über das Gewissen oder ihres bildenden Einflusses auf unser Betragen und unseren Charakter zu entziehen, so ist es offensichtlich, dass unsere Gemeinschaft unterbrochen sein muss. 2
Zum Schluss noch ein Wort über den 13. und 14. Vers unseres Kapitels. „Der Mann aber, der rein und nicht auf dem Weg ist, und es unterlässt, das Passah zu feiern, diese Seele soll ausgerottet werden aus ihren Völkern; denn er hat die Opfergabe des HERRN nicht zur bestimmten Zeit dargebracht; dieser Mann soll seine Sünde tragen. Und wenn ein Fremder bei euch weilt und dem HERRN das Passah feiern will, so soll er es feiern nach der Satzung des Passah und nach seiner Vorschrift. Eine Satzung soll für euch sein, sowohl für den Fremden als auch für den Einheimischen des Landes“ (V. 13.14).
Wenn jemand willentlich das Passah vernachlässigt hätte, dann hätte diese Tatsache bewiesen, dass dem betreffenden Israeliten die Wohltaten und Segnungen, die aus seiner Erlösung und Befreiung aus Ägypten folgten, überhaupt nichts wert waren. Je tiefer jemand in die göttliche Wirklichkeit dessen eindrang, was in jener denkwürdigen Nacht geschehen war, als die Versammlung Israels unter dem Schutz des Blutes Zuflucht und Ruhe fand, umso mehr musste er sich nach der Wiederkehr „des vierzehnten Tages des ersten Monats“ sehnen, wo er Gelegenheit erhielt, das Gedächtnis jenes großen Ereignisses zu feiern; und wenn ihn irgendetwas hinderte, der Verordnung „im ersten Monat“ mit Freuden zu entsprechen, so hätte er umso froher und dankbarer die Gelegenheit im „zweiten Monat“ wahrnehmen müssen. Ein Mensch aber, der von Jahr zu Jahr zufrieden dahinleben konnte, ohne das Passah zu feiern, bewies nur, dass sein Herz von dem Gott Israels weit entfernt war. Es wäre mehr als eitles Geschwätz gewesen, wenn jemand davon gesprochen hätte, er liebe den Gott seiner Väter und genieße die Segnungen der Erlösung, während er ausgerechnet diejenige Verordnung Jahr für Jahr vernachlässigte, die Gott gegeben hatte, um die Erlösung darzustellen.
Können wir nicht diese Erwägungen bis zu einem gewissen Grad im Hinblick auf das Abendmahl des Herrn auf uns selbst anwenden? Ohne Zweifel, und zwar mit großem Nutzen für unsere Seelen! Zwischen dem Passah und dem Abendmahl des Herrn besteht folgender Zusammenhang: Das Erste war ein Bild, das Letztere ist das Gedächtnismahl des Todes des Herrn. So lesen wir in 1. Korinther 5,7: „Denn auch unser Passah, Christus, ist geschlachtet worden.“ Dieser Ausspruch zeigt die Verbindung. Das Passah war das Gedächtnismahl an die Erlösung Israels aus der Knechtschaft Ägyptens; das Abendmahl des Herrn ist das Gedächtnismahl an die Erlösung der Versammlung aus der weit schwereren und finsteren Knechtschaft der Sünde und Satans. Wie daher jeder wahre und gläubige Israelit das Passah zur bestimmten Zeit entsprechend all den Satzungen und Vorschriften feierte, so wird auch jeder wahre und gläubige Christ das Abendmahl des Herrn an seinem bestimmten Tag und nach den Grundsätzen des Neuen Testaments feiern. Wenn ein Israelit nur bei einer einzigen Gelegenheit das Passah vernachlässigt hätte, so wäre er aus der Versammlung ausgestoßen worden.
Sollten wir angesichts dieser ernsten Tatsache nicht fragen: Ist es heute eine bedeutungslose Sache für einen Christen, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat das Abendmahl seines Herrn zu vernachlässigen? Dürfen wir annehmen, dass der Gott, der in 4. Mose 9 sein ernstes Urteil über jeden Israeliten aussprach, der das Passah vernachlässigt, es nicht beachtet, wenn jemand den Tisch des Herrn vernachlässigt? Ganz gewiss nicht! Dürfen wir in dieser Hinsicht nachlässig sein – wenn es sich auch nicht darum handelt, von der Versammlung Gottes, dem Leib Christi, abgeschnitten zu werden? Fern sei uns ein solcher Gedanke! Vielmehr sollte es uns zu größerer Sorgfalt in der Feier dieses Festes ermuntern, in welchem wir den Tod des Herrn verkünden, bis er kommt (vgl. 1. Kor 11,26).
Der Wert des Mahles des Herrn
Für einen frommen Israeliten gab es nichts, was dem Passah gleichgekommen wäre; denn es erinnerte ihn an seine Erlösung. Und für einen frommen Christen kommt nichts dem Abendmahl des Herrn gleich, weil es das Gedächtnismahl seiner Erlösung und des Todes seines Herrn ist. Für einen Christen gibt es nichts Kostbareres, nichts Ausdrucksvolleres, nichts, das Christum mehr vor sein Herz stellt als das Abendmahl des Herrn. Er kann den Tod des Herrn besingen, er kann im Blick auf ihn wegen seines Todes ihm danken und über diesen Tod lesen oder hören; aber nur im Abendmahl „verkündigt“ er diesen Tod.
„Und er nahm Brot, dankte, brach und gab es ihnen und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird; dies tut zu meinem Gedächtnis! Ebenso auch den Kelch nach dem Mahl und sagte: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird“ (Lk 22,19.20). Hier finden wir die Einsetzung des Festes. Weiter lesen wir dann in der Apostelgeschichte, dass am ersten Tag der Woche die Jünger „versammelt waren, um Brot zu brechen“ (Kap. 20,7). Das ist die Feier des Festes. Und wenn wir uns endlich zu den Briefen wenden, so lesen wir: „Der Kelch der Segnung, den wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des Christus? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus? Denn ein Brot, ein Leib, sind wir, die Vielen, denn wir alle nehmen teil an dem einen Brot“ (1. Kor 10,16.17). Und ferner: „Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich auch euch überliefert habe, dass der Herr Jesus in der Nacht, in der er überliefert wurde, Brot nahm, und als er gedankt hatte, es brach und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch ist; dies tut zu meinem Gedächtnis. Ebenso auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; dies tut, so oft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn so oft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“ (1. Kor 11,23–26).
Hier haben wir die Erklärung des Festes. Können wir nicht sagen, dass wir in der Einsetzung, in der Feier und in der Erklärung gleichsam ein dreifaches Band haben, das unsere Seelen an dieses wunderbare Fest bindet?
Wie kommt es nun, dass trotz dieser heiligen Gebote so mancher Christ den Tisch des Herrn vernachlässigt? Wie kommt es, dass so manche Glieder Christi Wochen und Monate – manche sogar ihr ganzes Leben – verstreichen lassen können, ohne dass sie sich je ihres Herrn in der Weise erinnern, wie es doch sein bestimmtes und ausdrückliches Gebot ist? Wir wissen, dass es sogar solche gibt, die sich Christen nennen und die die Feier des Abendmahls als ein Zurückkehren zu jüdischen Verordnungen und als ein Herabsteigen von der hohen Stellung der Versammlung betrachten. Sie halten das Abendmahl und die Taufe für geistliche Geheimnisse und meinen, dass man von wahrer Geistlichkeit abweicht, wenn man auf der buchstäblichen Befolgung dieser Verordnungen besteht.
Auf all das kann man nur erwidern, dass Gott weiser ist als wir. Wenn der Herr Jesus das Abendmahl einsetzte; wenn der Heilige Geist die Versammlung in der ersten Zeit anleitete, es zu feiern; und wenn Er auch uns es erklärt hat: Wer sind dann wir, dass wir unsere Gedanken Gott entgegensetzen? Ohne Zweifel soll das Abendmahl des Herrn für alle, die daran teilnehmen, ein inneres geistliches Geheimnis sein, aber es ist auch eine äußerliche, buchstäbliche, greifbare Sache. Es ist wirkliches Brot, wirklicher Wein – ein wirkliches Essen und Trinken.
Hierbei handelt es sich jedoch nicht nur um eine Frage der Unterwerfung unter die Autorität der Schrift – wenn es das auch ganz gewiss ist. Aber es handelt sich um mehr als das. Es gibt in dem Herzen des Christen so etwas wie eine Antwort der Liebe, die der Liebe des Herzens Christi entspricht. Sollten wir nicht – wenn es auch nur in Schwachheit geschehen kann – der Liebe eines solchen Herzens zu entsprechen suchen? Wenn unser Herr im Abendmahl tatsächlich Brot und Wein als die Erinnerungszeichen seines für uns gegebenen Leibes und seines vergossenen Blutes einsetzte, wenn Er befohlen hat, dass wir zu seinem Gedächtnis von diesem Brot essen und von diesem Kelch trinken sollen – sollten wir dann nicht in der Kraft einer Zuneigung, die seiner Liebe antwortet, dem Wunsch seines Herzens entsprechen? Gewiss wird kein ernster Christ das infrage stellen! Es sollte immer die Freude unserer Herzen sein, uns um den Tisch unseres liebenden Herrn zu versammeln und nach seiner Anordnung uns seiner zu erinnern, seinen Tod zu verkünden, bis Er kommt. Ist es nicht ein wunderbarer Gedanke, dass Er im Gedächtnis unserer Herzen einen Platz gesucht hat? Und wäre es nicht traurig, wenn wir aus irgendeinem Grund dieses Fest vernachlässigen, mit dem Er seinen kostbaren Namen verbunden hat?
Beachten der Wolke und ihrer Bewegungen
Doch wir müssen jetzt das Passah in der Wüste mit seinen Belehrungen verlassen, um uns noch kurz dem letzten Abschnitt unseres Kapitels zuzuwenden. Wir sehen da ein zahlreiches Heer von Männern, Frauen und Kindern, das durch eine Wüste zog, „wo es keinen Weg gab“, ein Volk, das ohne Kompass und ohne menschlichen Führer eine traurige, öde, ungeheure Wüste durchwanderte. Da waren Millionen von Menschen, die ohne Kenntnis des Weges, den sie einzuschlagen hatten, vorwärts gingen und die im Blick auf ihre Leitung, ihre Nahrung und alles andere völlig von Gott abhängig waren – ein hilfloses Heer von Pilgern. Sie konnten für den nächsten Tag keine Pläne machen. Wenn sie lagerten, wussten sie nicht, wann sie wieder aufbrechen sollten, und wenn sie wanderten, wussten sie nicht, wann oder wo sie Halt machen sollten. Ihr Leben trug das Kennzeichen täglicher und stündlicher Abhängigkeit. Leitung und Führung mussten sie von oben erwarten.
Es wäre unmöglich, sich ein schöneres Bild völliger Abhängigkeit von der göttlichen Leitung und von der Unterwerfung unter diese Leitung zu denken, als das, was uns in diesen Versen vor Augen gestellt wird. Es gab keine Fußspuren, keinen Grenzstein in dieser „großen und schrecklichen Wüste“. Es war daher unnütz, eine Leitung bei denen zu suchen, die die Wüste früher schon durchzogen hatten. Für jeden Schritt des Weges waren sie auf Gott angewiesen. Sie mussten beständig auf ihn warten. Für ein nicht unterworfenes Gemüt, für einen ungebrochenen Willen ist so etwas unerträglich; für eine Seele aber, die Gott kennt, die ihn liebt, ihm vertraut, in ihm sich freut, kann nichts segensreicher sein.
Hier liegt der Kern der ganzen Sache. Wenn Gott gekannt und geliebt wird, wenn man ihm vertraut, dann hat das Herz an der völligen Abhängigkeit von ihm seine Freude; wenn aber nicht, so wird diese Abhängigkeit unerträglich sein.
Knechtschaft und Freiheit
Der nicht wiedergeborene Mensch hält sich gern für unabhängig und frei. Er glaubt gern, er könnte tun, was er wolle, gehen, wohin er wolle, und sagen, was er wolle. Aber welche Täuschung! Der Mensch ist nicht frei. Er ist der Sklave Satans, der den natürlichen Menschen, den unbekehrten, unbußfertigen Menschen, in schrecklicher Knechtschaft hält. Er hat ihm Hände und Füße mit Ketten und Fesseln gebunden, die allerdings wegen der Vergoldung, mit der er sie so kunstvoll zu bedecken versteht, nicht in ihrem eigenen Charakter erkannt werden. Satan regiert den Menschen durch seine Lüste, Leidenschaften und Vergnügungen. Er erzeugt in dem Herzen Wünsche, die er dann durch die Dinge dieser Welt befriedigt, und der Mensch bildet sich ein, er sei frei, weil er seine Wünsche befriedigen kann. Welch eine traurige Täuschung! Früher oder später wird sie sich als solche erweisen. Es gibt keine Freiheit, außer derjenigen, mit der Christus seine Erlösten frei macht. Er konnte sagen: „Und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Und weiter: „Wenn nun der Sohn euch frei macht, werdet ihr wirklich frei sein“ (Joh 8,32.36).
Das ist wahre Freiheit. Es ist die Freiheit, die die neue Natur findet, indem sie im Geist wandelt und das tut, was Gott wohlgefällig ist. Der Dienst des Herrn ist vollkommene Freiheit; aber dieser Dienst schließt einfältige Abhängigkeit von dem lebendigen Gott ein. So war es mit dem einzigen wahren und vollkommenen Diener, der auf dieser Erde gelebt hat. Er war immer abhängig. Jede Bewegung, jedes Wort, alles, was Er tat, und alles, was Er unterließ, war die Frucht völliger Abhängigkeit von Gott und unbedingter Unterwerfung unter Gott. Er ging, wenn Gott ihn gehen hieß, und Er stand still, wenn Gott es so wollte. Er sprach oder schwieg, je nachdem es der Wille Gottes erforderte.
So war Jesus, als Er in dieser Welt lebte; und wir als Teilhaber seiner Natur und seines Lebens, als solche, die seinen Geist in sich tragen, sind berufen, zu leben, wie Er gelebt hat, von Tag zu Tag ein Leben einfacher Abhängigkeit von Gott zu führen. Von einer ganz bestimmten Seite dieses Lebens der Abhängigkeit finden wir ein schönes Bild am Schluss unseres Kapitels: Das Gottesvolk Israel, das Lager in der Wüste, das Heer von Pilgern, folgte treu den Bewegungen der Wolke. Um sich leiten lassen zu können, hatten sie nur nach oben zu blicken. Und gerade das ist es, was der Mensch zu tun hat. Er wurde so gebildet, dass er sein Angesicht aufwärts wenden kann – im Gegensatz zum Tier, das so geschaffen ist, dass es nach unten sieht 3. Israel konnte sich nichts selber vornehmen. Nie konnten sie sagen: „Morgen wollen wir an diesen oder jenen Ort gehen.“ Sie waren völlig von der Bewegung der Wolke abhängig.
Ebenso sollte es mit uns sein. Wir gehen durch eine öde Wüste, durch eine Wildnis in geistlichem Sinn. Es ist kein einziger Weg da. Wir wüssten nicht, wie wir leben oder wohin wir gehen sollten, wenn wir nicht den wichtigen und weit greifenden Ausspruch unseres Herrn hätten: „Ich bin der Weg“ (Joh 14,6). Das ist die göttliche, unfehlbare Leitung. Wir haben ihm nachzufolgen. „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh 8,12). Das ist eine lebendige Leitung. Es geht nicht darum, nach gewissen Regeln und Verordnungen zu handeln. Es geht darum, einem lebendigen Christus nachzufolgen, zu wandeln, wie Er gewandelt hat, zu tun, was Er tat, sein Beispiel in allen Dingen nachzuahmen. Das ist christliches Leben, christliches Handeln. Es besteht darin, dass wir unsere Augen fest auf Jesus gerichtet halten, dass die Züge seines Charakters unserer neuen Natur aufgedrückt sind und dass wir sie in unserem täglichen Leben widerspiegeln.
Das schließt allerdings die vollständige Aufgabe unseres eigenen Willens und unserer eigenen Pläne ein. Wir müssen der Wolke folgen. Wir müssen immer warten, allein auf Gott warten. Wir können nicht sagen: „Morgen oder in der nächsten Woche werden wir da oder dorthin gehen, dies oder das tun.“ Alle unsere Handlungen müssen unter die ordnende Kraft dieses einen gebietenden Ausspruchs gestellt werden, der leider von uns oft so leichtfertig geschrieben oder ausgesprochen wird: „Wenn der Herr will.“
Gottes Wille – oder unser Eigenwille
Möchten wir dies alles besser verstehen! Wie oft bilden wir uns ein und behaupten zuversichtlich, dass die Wolke sich gerade in der Richtung bewege, die unserer Neigung entspricht! Wir wünschen etwas zu tun oder einen bestimmten Weg einzuschlagen und suchen uns dann zu überzeugen, dass unser Wille der Wille Gottes sei. Anstatt von Gott geleitet zu werden, verführen wir uns auf diese Weise selbst. Unser Wille ist ungebrochen, und daher können wir nicht geleitet werden; denn das wahre Geheimnis, recht geführt, von Gott geführt zu werden, besteht darin, dass wir ihm unseren Willen vollständig unterwerfen. „Er leitet die Sanftmütigen im Recht und lehrt die Sanftmütigen seinen Weg“ (Ps 25,9). Und ferner: „Mein Auge auf dich richtend, will ich dir raten“ (Ps 32,8). Möchten wir besonders über die Ermahnung nachdenken: „Seid nicht wie ein Ross, wie ein Maultier, das keinen Verstand hat; mit Zaum und Zügel, ihrem Schmuck, musst du sie bändigen, sonst nahen sie dir nicht“ (Ps 32,9). Wenn wir nach oben sehen, um auf das „Auge Gottes“ zu achten, so werden wir „Zaum und Zügel“ nicht nötig haben. Aber hier liegt der entscheidende Grund dafür, dass wir so traurig versagen. Wir leben nicht genug in der Nähe Gottes, um den Wink seiner Augen zu erkennen. Unser eigener Wille handelt. Wir wünschen, unsere eigenen Wege zu gehen, und darum müssen wir die bitteren Früchte davon ernten.
Aber unser Gott ist so gnädig und so geduldig. Er will seine schwachen, irrenden Kinder lehren und führen. Ihm wird die Sorge für uns nicht zu viel. Er beschäftigt sich ständig mit uns, damit wir vor unseren eigenen Wegen, die voller Dornen und Disteln sind, bewahrt werden, und damit wir seine Wege gehen, die voll Lieblichkeit und Frieden sind (Spr 3,17).
Es gibt in dieser ganzen Welt nichts Gesegneteres als ein Leben in ständiger Abhängigkeit von Gott, nichts Gesegneteres, als in allem auf ihn zu warten und sich an ihn zu halten. Alle unsere Quellen in ihm zu haben, ist das wahre Geheimnis des Friedens und einer wirklichen, heiligen Unabhängigkeit von jedem Geschöpf. Die Seele, die wirklich sagen kann: „Alle meine Quellen sind in dir“ (Ps 87,7), ist über alles Vertrauen auf das Geschaffene, über menschliche Hoffnungen und irdische Erwartungen erhaben. Wir wollen damit nicht sagen, dass Gott sich nicht seiner Geschöpfe bedient, um uns beizustehen. Aber wenn wir uns auf das Geschöpf und nicht auf ihn stützen, dann werden wir sehr schnell Dürre und Mangel spüren. Es ist ein sehr großer Unterschied, ob Gott ein Geschöpf gebraucht, um uns zu segnen, oder ob wir uns auf das Geschöpf stützen und somit Gott ausschließen. In dem einen Fall werden wir gesegnet, und Er wird verherrlicht; in dem anderen Fall werden wir enttäuscht, und Er wird verunehrt.
Es ist gut, wenn wir diesen Unterschied tief und ernst erwägen. Wir bilden uns oft ein, dass wir uns auf Gott stützen und auf ihn sehen, während wir in Wirklichkeit, wenn wir den Dingen nur auf den Grund gehen und uns in der Gegenwart Gottes richten, in uns erschreckend viel von dem „Sauerteig“ des Vertrauens auf das Geschöpf finden würden. Wir reden oft davon, dass wir durch den Glauben leben und einzig auf Gott vertrauen, während wir gleichzeitig – wenn wir uns aufrichtig prüfen würden – ein großes Maß an Abhängigkeit von bestimmten Umständen, von Rücksicht auf in Wirklichkeit unwichtige Dinge bei uns finden würden.
Seien wir da sehr aufmerksam! Achten wir darauf, dass wir allein auf den lebendigen Gott sehen, und nicht auf Menschen! Warten wir geduldig und beständig auf ihn! Sind wir wegen irgendetwas in Verlegenheit, dann lasst uns einfach auf ihn blicken! Wenn wir nicht wissen, welchen Weg wir einschlagen sollen, dann lasst uns daran denken, dass Er gesagt hat: „Ich bin der Weg.“ Lasst uns ihm folgen. Er wird alles klar und gewiss machen. Es kann keine Finsternis, keine Verwirrung, keine Ungewissheit geben, wenn wir ihm nachfolgen; denn Er hat gesagt: „Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln.“ Wenn wir daher in Finsternis sind, so ist das nur ein Beweis, dass wir ihm nicht nachfolgen.
Doch könnte jemand, der diese Zeilen liest, sagen: „Ganz gut! Aber dennoch weiß ich nicht, welchen Weg ich zu gehen habe. Ich weiß wirklich nicht, wohin ich mich wenden oder welchen Schritt ich tun soll.“ Den, der so redet, möchte ich fragen: „Folgst du Jesu nach?“ Wenn du es tust, kannst du nicht unsicher und verwirrt sein. Folgst du der Wolke nach? Dann ist dein Weg so klar, wie Gott ihn nur machen kann. Verlegenheit oder Ungewissheit ist sehr oft das Ergebnis der Wirksamkeit des eigenen Willens. Wir sind geneigt, etwas zu tun, was durchaus nicht nach dem Willen Gottes ist, irgendwohin zu gehen, wohin wir nach dem Willen Gottes nicht gehen sollten. Wir beten deswegen und erhalten keine Antwort. Woher kommt das? Einfach daher, weil Gott will, dass wir still sein und da bleiben sollen, wo wir gerade sind. Anstatt uns über das, was wir tun sollen, den Kopf zu zerbrechen und unsere Seele zu quälen, lasst uns nichts tun und einfach auf Gott warten. Das ist das Geheimnis des Friedens und der ruhigen Erhabenheit. Wenn ein Israelit in der Wüste es sich nicht in den Kopf gesetzt hätte, einen Schritt unabhängig von dem HERRN zu tun, wenn er sich vorgenommen hätte, aufzubrechen, solange die Wolke ruhte, oder stillzustehen, während die Wolke sich bewegte – wir können uns die Folgen leicht denken. Aber so wird es auch immer mit uns sein. Wenn wir gehen, während wir ruhen sollten, dann werden wir Gottes Gegenwart nicht haben. „Nach dem Befehl des HERRN brachen die Kinder Israel auf, und nach dem Befehl des HERRN lagerten sie“ (V. 18). Sie mussten fortwährend auf Gott warten – und das ist die gesegnetste Stellung, die ein Mensch einnehmen kann; aber diese muss eingenommen werden, bevor man ihren Segen genießen kann. Es ist eine Wirklichkeit, die man kennen muss, nicht nur eine Theorie, über die man spricht.
Fußnoten
- 1 Der Gegensatz zwischen der Handlungsweise Hiskias in 2. Chronika 30 und Jerobeams in 1. Könige 12,32 ist bemerkenswert. Der eine bediente sich der Vorsorge der Gnade Gottes, der andere folgte seinen eigenen Einfällen. Der zweite Monat wurde von Gott erlaubt, der achte wurde vom Menschen erfunden. Die Vorsorge Gottes, die den Bedürfnissen des Menschen entspricht, und menschliche Erfindungen, die sich dem Wort Gottes entgegenstellen, sind zwei gänzlich verschiedene Dinge.
- 2 Es sei hier bemerkt, dass das Ausrotten eines Gliedes aus der Versammlung Israels der zeitweiligen Aufhebung der Gemeinschaft mit einem Gläubigen infolge nicht gerichteter Sünde entspricht.
- 3 Das griechische Wort für Mensch (anthropos) ist von einem Zeitwort abgeleitet, das bedeutet: aufblicken, das Gesicht aufwärts wenden.