Betrachtungen über das dritte Buch Mose
Der Leuchter im Heiligtum
Dieser kurze Abschnitt enthält viel Interessantes. Wir haben im vorigen Kapitel die Wege und Handlungen Gottes mit Israel verfolgt, von der Darbringung des wahren Passahlammes bis zur Ruhe und Herrlichkeit des Tausendjährigen Reiches. In diesem Kapitel werden uns zwei große Gedanken vor Augen gestellt: zunächst das nie fehlende Zeugnis und Gedächtnis bezüglich der zwölf Stämme, das vor Gott aufrechterhalten wird durch die Kraft des Heiligen Geistes und die Wirksamkeit des Priestertums Christi und dann der Abfall Israels nach dem Fleisch und das Gericht Gottes.
Der Leuchter – ein kontinuierliches Licht
„Und der HERR redete zu Mose und sprach: Gebiete den Kindern Israel, dass sie dir reines, zerstoßenes Olivenöl bringen zum Licht, um die Lampen anzuzünden beständig. Außerhalb des Vorhangs des Zeugnisses, im Zelt der Zusammenkunft, soll Aaron sie zurichten, vom Abend bis zum Morgen, vor dem HERRN beständig: eine ewige Satzung bei euren Geschlechtern. Auf dem reinen Leuchter soll er die Lampen beständig vor dem HERRN zurichten“ (V. 1–4). Das „reine Olivenöl“ stellt die Gnadengabe des Heiligen Geistes dar, gegründet auf das Werk Christi (der Leuchter war von „Gold in getriebener Arbeit“). Die „Oliven“ wurden „zerstoßen“, um das „Öl“ zu gewinnen, und das Gold wurde „getrieben“ oder geschlagen, um den Leuchter daraus zu formen. Mit anderen Worten, die Gnade und das Licht des Heiligen Geistes sind auf den Tod Christi gegründet und werden durch das Priestertum Christi in Klarheit und Kraft erhalten. Die goldene Lampe verbreitete im Heiligtum ihr Licht. In allem finden wir eine lebendige Darstellung der Treue Gottes gegenüber seinem Volk, was auch immer dessen äußerer Zustand sein mochte. Dunkelheit und Schlaf mochten sich auf dieses Volk legen, aber die Lampe musste „beständig“ brennen. Der Hohepriester war dafür verantwortlich, dass das Licht des Zeugnisses während der langen Nacht stets brannte (V. 3). Die Aufrechterhaltung des Lichtes wurde nicht von Israel abhängig gemacht. Gott hatte jemand bestimmt, der dafür zu sorgen und es beständig in Ordnung zu halten hatte.
Die 12 Brote und die Einheit des Volkes
Doch wir lesen weiter: „Und du sollst Feinmehl nehmen und daraus zwölf Kuchen backen: Von zwei Zehnteln soll ein Kuchen sein. Und du sollst sie in zwei Schichten legen, sechs in eine Schicht, auf den reinen Tisch vor dem HERRN. Und du sollst auf jede Schicht reinen Weihrauch legen, und er soll dem Brot zum Gedächtnis sein, ein Feueropfer dem HERRN. Sabbattag für Sabbattag soll er es beständig vor dem HERRN zurichten: ein ewiger Bund von Seiten der Kinder Israel. Und es soll Aaron und seinen Söhnen gehören, und sie sollen es essen an heiligem Ort; denn als ein Hochheiliges von den Feueropfern des HERRN soll es ihm gehören: eine ewige Satzung“ (V. 5–9). Bei diesen Broten ist von Sauerteig keine Rede. Sie stellen zweifellos Christus in unmittelbarer Verbindung mit den „zwölf Stämmen Israels“ dar. Sie wurden im Heiligtum auf den reinen Tisch vor dem HERRN aufgelegt, und zwar sieben Tage lang; danach dienten sie Aaron und seinen Söhnen zur Speise. Sie liefern uns in dieser Weise ein anderes treffendes Bild von der Stellung Israels in den Augen des HERRN, welchen Anblick das Volk auch äußerlich bieten mochte. Die zwölf Stämme sind stets vor ihm. Ihr Gedächtnis kann nie verloren gehen. Sie befinden sich im Heiligtum in göttlicher Ordnung. Sie sind mit dem wohlriechenden Weihrauch Christi bedeckt und werfen von dem reinen Tisch, auf dem sie ruhen, die glänzenden Strahlen jenes goldenen Leuchters zurück, der sein Licht während der finsteren Stunden der moralischen Nacht der Nationen in ungetrübtem Glanz leuchten lässt.
Es ist gut und notwendig, zu erkennen, dass wir nicht den Eingebungen unserer Fantasie folgen, wenn wir es wagen, die geheimnisvollen Geräte des Heiligtums in dieser Weise zu erklären. In Hebräer 9,23 werden wir belehrt, dass diese Dinge „Abbilder der Dinge in den Himmeln“, und in Hebräer 10,1, dass sie „Schatten der zukünftigen Güter“ waren. Wir sind daher berechtigt zu glauben, dass es „Dinge in den Himmeln“ gibt, die jenen „Bildern“ entsprechen, dass eine Wirklichkeit besteht, die dem „Schatten“ entspricht. Mit einem Satz, wir sind zu dem Glauben berechtigt, dass „in den Himmeln“ das vorhanden ist, was den „sieben Lampen“, dem „reinen Tisch“ und den „zwölf Broten“ entspricht. Das ist nicht menschliche Einbildung, sondern göttliche Wahrheit, die der Glaube sich zu allen Zeiten zu eigen gemacht hat. Was bedeutete der aus „zwölf Steinen“ errichtete Altar Elias auf dem Berg Karmel? Er war nichts anderes als der Ausdruck seines Glaubens an jene Wahrheit, von der die „zwölf Brote“ die Abbilder und Schatten waren. Er glaubte an die unverbrüchliche Einheit des Volkes, die vor Gott aufrechterhalten wurde in der Unwandelbarkeit der dem Abraham, Isaak und Jakob gemachten Verheißung, wie traurig auch der äußere Zustand des Volkes sein mochte. Mochte der Mensch auch nichts von dieser Einheit der zwölf Stämme sehen, der Glaube erblickte sie dennoch im Heiligtum und sah dort die mit reinem Weihrauch bedeckten und in göttlicher Ordnung aufgeschichteten zwölf Brote auf dem reinen Tisch liegen. Und mochte auch äußerlich alles in Finsternis gehüllt sein, der Glaube erkannte dennoch im Licht der sieben goldenen Lampen dieselbe große Wahrheit, die unauflösliche Einheit der zwölf Stämme Israels.
So war es damals und so ist es jetzt. Die Nacht ist traurig und finster. Es gibt in dieser armen Welt keinen einzigen Lichtstrahl, durch den man die Einheit der zwölf Stämme wahrnehmen könnte. Sie sind unter die Nationen zerstreut und dem Blick des Menschen entschwunden. Aber ihr Gedächtnis ist vor dem HERRN. Der Glaube erkennt dies an, weil er weiß, dass „so viele der Verheißungen Gottes sind, in ihm das Ja ist und darum auch durch ihn das Amen, Gott zur Herrlichkeit durch uns“ (2. Kor 1,20). Er sieht im Heiligtum droben, in dem vollkommenen Licht des Heiligen Geistes, wie treu Gott der zwölf Stämme gedenkt (vgl. Apg 26,6.7). Wenn der König Agrippa Paulus gefragt hätte: „Wo sind die zwölf Stämme?“, hätte er sie ihm zeigen können? Nein. Weshalb nicht? Weil sie nicht zu sehen waren? Nein, weil dem König Agrippa das Auge des Glaubens fehlte, um sie zu sehen. Das Glaubensauge und das Licht des Geistes Gottes sind erforderlich, um die zwölf Brote wahrzunehmen, die im Heiligtum Gottes wohl geordnet auf dem reinen Tisch lagen. Dort waren sie und Paulus sah sie dort, obgleich der Augenblick, in dem er seiner Überzeugung Ausdruck gab, so dunkel wie möglich war. Der Glaube wird nicht durch die Umstände beherrscht. Er wählt den erhabenen Felsen des ewigen Wortes Gottes zu seinem Standpunkt, und in der Ruhe und Sicherheit dieser heiligen Höhe nährt er sich von dem unwandelbaren Wort dessen, der nicht lügen kann. Der Unglaube mag in seiner Torheit rings um sich her schauen und fragen: „Wo sind die zwölf Stämme?“, oder: „Wie können sie gefunden und wiederhergestellt werden?“ Es ist unmöglich, solche Fragen zu beantworten. Nicht weil es keine Antwort gibt, sondern weil der Unglaube unfähig ist, sich zu dem Standpunkt zu erheben, von dem aus die Antwort verstanden werden kann. Es ist ebenso sicher, dass das Gedächtnis der zwölf Stämme Israels vor dem Auge Gottes ist, wie die Tatsache, dass die zwölf Brote an jedem Sabbat auf den goldenen Tisch gelegt wurden. Aber wer kann den Zweifler oder den Ungläubigen hiervon überzeugen? Wer ist imstande, von der Glaubwürdigkeit einer solchen Wahrheit diejenigen zu überzeugen, die in allen Dingen durch die Vernunft oder den Verstand beherrscht werden und nicht wissen, was es heißt, gegen Hoffnung auf Hoffnung zu glauben? Der Glaube findet dort göttliche Gewissheit und ewige Wirklichkeit, wo Vernunft und Verstand nichts finden. O wäre unser Glaube doch tiefer! Möchten wir doch mit größerem Ernst jedes Wort auffassen, das aus dem Mund des Herrn hervorgeht, und in der ungekünstelten Einfalt eines Kindes darauf bauen!
Der Gotteslästerer
Wenden wir uns jetzt dem zweiten Teil unseres Kapitels zu, dem Abfall Israels und dem darauf folgenden göttlichen Gericht.
„Und der Sohn einer israelitischen Frau, – er war aber der Sohn eines ägyptischen Mannes – ging aus unter die Kinder Israel; und der Sohn der Israelitin und ein israelitischer Mann zankten sich im Lager. Und der Sohn der israelitischen Frau lästerte den Namen des HERRN und fluchte ihm; und sie brachten ihn zu Mose. ... Und der HERR redete zu Mose und sprach: Führe den Flucher außerhalb des Lagers; und alle, die es gehört haben, sollen ihre Hände auf seinen Kopf legen, und die ganze Gemeinde soll ihn steinigen. … Und Mose redete zu den Kindern Israel, und sie führten den Flucher vor das Lager hinaus und steinigten ihn; und die Kinder Israel taten, wie der HERR Mose geboten hatte“ (V. 10–23).
Der besondere Platz, den Gott diesem Ereignis anweist, ist treffend und wichtig. Ohne Zweifel soll uns die Kehrseite des Gemäldes gezeigt werden, das wir im ersten Teil des Kapitels gesehen haben. Israel hat schwer gegen den HERRN gesündigt. Der Name des HERRN ist unter den Heiden verlästert worden. Der Zorn ist über das Volk gekommen. Aber der Tag naht, an dem die finstere und schwere Wolke des Gerichts vorüberziehen wird, und dann werden die zwölf Stämme in ihrer unverletzten Einheit vor dem Auge aller Nationen dastehen als das bewundernswerte Denkmal der Treue und Güte des HERRN (vgl. Jes 12; Röm 11,25–36).
Wohl steht Israel wegen seiner Sünde unter dem Gericht Gottes, aber „die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar“ (Röm 11,29). Die Propheten rufen es aus, und die Apostel lassen es wie ein Echo nachhallen, dass „ganz Israel errettet werden wird“ (Röm 11,26), nicht weil es nicht gesündigt hat, sondern weil die „Gnadengaben und die Berufung Gottes unbereubar sind“. Mögen sich die Christen daher wohl hüten, an „den Verheißungen der Väter“ (Röm 15,8) zu rütteln! Wenn diese Verheißungen wegerklärt oder falsch angewandt werden, muss unbedingt unser Gefühl von der göttlichen Unverletzlichkeit und Genauigkeit der Heiligen Schrift als eines Ganzen geschwächt werden. Der Herr hat gesprochen, das ist das Fundament unserer Ruhe.