Betrachtungen über das dritte Buch Mose
Die Opfer – Einleitung
Gott spricht aus dem Zelt der Zusammenkunft
Bevor wir auf die Einzelheiten des ersten Kapitels näher eingehen, wollen wir kurz zwei Dinge betrachten, nämlich einmal die Stellung des HERRN und dann die Reihenfolge, in der die Opfer dargestellt sind.
„Und der HERR rief Mose, und er redete zu ihm aus dem Zelt der Zusammenkunft“ (V. 1). Das war die Stellung, von der aus der HERR die in diesem Buch enthaltenen Mitteilungen machte. Er hatte früher vom Berg Sinai aus gesprochen, und dieser Platz verlieh diesen Mitteilungen einen besonderen Charakter. Von dem brennenden Berg ging ein brennendes Gesetz aus, aber hier redet Er „aus dem Zelt der Zusammenkunft“. Er nimmt also eine ganz andere Stellung ein. Im vorhergehenden Buch haben wir Mose das Zelt der Zusammenkunft aufrichten sehen (vgl. 2. Mo 40,33–38).
Das Zelt der Zusammenkunft war die Wohnstätte Gottes in Gnade. Dort konnte Er seine Wohnung aufschlagen, weil Er von allen Seiten von dem umringt war, was die Grundlage seiner Verbindung mit dem Volk lebendig darstellte. Wäre Er in der völligen Entfaltung des auf dem Berg Sinai offenbarten Charakters in ihre Mitte getreten, so hätte dies die augenblickliche Vernichtung Israels als „eines halsstarrigen Volkes“ zur Folge gehabt. Aber Er zog sich hinter den Vorhang, ein Bild des Fleisches Christi (Heb 10,20), zurück und nahm seinen Platz auf dem Gnadenstuhl ein, wo das Blut der Versöhnung und nicht die Halsstarrigkeit Israels seinem Blick begegnete und den Forderungen seiner Natur genügte. Das Blut, das der Hohepriester ins Heiligtum brachte, war ein Bild jenes kostbaren Blutes Jesu Christi, das von aller Sünde reinigt, und obwohl Israel nichts davon sah, so rechtfertigte es dennoch Gottes Wohnen unter ihnen – es „heiligte die Verunreinigten zur Reinheit des Fleisches“ (Heb 9,13).
So viel zum besseren Verständnis über die Stellung des HERRN in diesem Buch. Wir werden eine unbeugsame Heiligkeit mit der reinsten Gnade vereinigt finden. Gott ist heilig, von welcher Stätte aus Er auch reden mag. Er war heilig auf dem Berg Sinai und heilig über dem Gnadenstuhl, aber im ersten Fall war seine Heiligkeit mit „einem verzehrenden Feuer“, im letzten mit einer geduldigen Gnade verbunden. Gerade diese Verbindung vollkommener Heiligkeit mit vollkommener Gnade ist es, was die Erlösung in Christus charakterisiert, und diese Erlösung wird in verschiedener Weise im dritten Buch Mose bildlich dargestellt. Gott ist heilig; das muss sich sogar in der ewigen Verdammung unbußfertiger Sünder zeigen; aber die völlige Entfaltung seiner Heiligkeit in der Erlösung der Sünder ruft das erhabenste Lob des Himmels wach. „Herrlichkeit Gott in der Höhe und Friede auf der Erde, an den Menschen ein Wohlgefallen!“ (Lk 2,14). Dieser Lobpreis konnte nicht mit dem „brennenden Gesetz“ in Verbindung stehen. Wohl gab es dort ein „Herrlichkeit Gott in der Höhe“, aber weder ein „Friede auf der Erde“ noch ein „Wohlgefallen an den Menschen“, weil das Gesetz erklärte, was der Mensch sein muss, bevor Gott sein Wohlgefallen an ihm haben kann. Doch als „der Sohn“ seinen Platz als Mensch auf der Erde nahm, da konnte der Himmel seine ganze Wonne ausdrücken an ihm, dessen Person und Werk die Verherrlichung Gottes mit der Segnung der Menschheit in vollkommener Weise verband.
Die Reihenfolge der verschiedenen Opfer
Und jetzt noch ein Wort über die Reihenfolge der Opfer in den ersten Kapiteln des dritten Buches Mose. Der Herr beginnt mit dem Brandopfer und endet mit dem Schuldopfer. Das bedeutet, Er hört da auf, wo wir beginnen. Diese Anordnung ist bemerkenswert und belehrend. Wenn der erste Pfeil der Überführung in die Seele dringt, dann finden tiefe Übungen des Gewissens bezüglich wirklich begangener Sünden statt. Die Erinnerung lässt ihr erleuchtetes Auge über das vergangene Leben hingehen und sieht es besudelt mit zahllosen Vergehungen gegen Gott und Menschen. Auf dieser Stufe ihrer Geschichte beschäftigt sich die Seele nicht so sehr mit der Wurzel, aus der jene Vergehungen hervorkamen, als vielmehr mit der ernsten Tatsache, dass diese und jene Sünden wirklich von ihr begangen worden sind. Sie muss daher wissen, dass Gott ein Opfer vorgesehen hat, durch das „alle Vergehungen umsonst vergeben“ werden können. Das wird uns im Schuldopfer dargestellt.
Wenn aber jemand im göttlichen Leben Fortschritte macht, so wird er sich bewusst, dass die Sünden, die er begangen, nur Zweige einer Wurzel, Ausflüsse einer Quelle sind, und weiter, dass die Sünde in seiner Natur jene Quelle, jene Wurzel ist. Dies leitet zu einer weit tieferen Übung, der nur mit einer tieferen Einsicht in das Werk am Kreuz begegnet werden kann. Es muss, mit einem Wort, das Kreuz als das erkannt werden, wodurch Gott selbst „die Sünde im Fleisch verurteilt hat“ (Röm 8,3). Der Leser beachte, dass in der angeführten Stelle nicht von den im Leben begangenen Sünden die Rede ist, sondern von der „Sünde im Fleisch“ als der Wurzel, aus der die einzelnen Sünden entsprossen sind. Das ist eine überaus wichtige Wahrheit. Nicht nur „ist Christus für unsere Sünden gestorben nach den Schriften“, sondern Er „wurde auch für uns zur Sünde gemacht“ (2. Kor 5,21). Das ist die Lehre vom Sündopfer.
Nachdem auf diese Weise Herz und Gewissen durch die Erkenntnis des Werkes Christi zur Ruhe gebracht sind, nähren wir uns von ihm selbst als der Grundlage unseres Friedens und unserer Freude, in der Gegenwart Gottes. Unmöglich könnte von Friede oder Freude die Rede sein, bevor wir alle unsere Vergehungen vergeben und unsere Sünden gerichtet sehen. Beide, Schuld- und Sündopfer, müssen von uns gekannt sein, ehe wir das Friedens- oder Dankopfer zu würdigen verstehen. Der Platz, den das Friedensopfer in der Reihe der Opfer einnimmt, steht daher in Übereinstimmung mit der Entwicklung unseres geistlichen Verständnisses von Christus.
Dieselbe vollkommene Anordnung ist bezüglich des Speisopfers bemerkbar. Ist die Seele dahin geleitet worden, die Freude der Gemeinschaft mit Christus zu genießen, sich von ihm in Frieden und Dankbarkeit in der Gegenwart Gottes zu nähren, so erwacht in ihr das ernstliche Verlangen, noch mehr von den Geheimnissen seiner Person kennenzulernen. Diesem Verlangen wird in dem Speisopfer, als dem Bild von Christus als dem vollkommenen Menschen, auf schöne Weise entsprochen.
Schließlich werden wir in dem Brandopfer zu dem Werk am Kreuz geführt, als erfüllt unter dem unmittelbaren Auge Gottes, und als dem Ausdruck der unwandelbaren Ergebenheit des Herzens Christi. Alle diese Dinge werden wir im Lauf unserer Betrachtungen in ihren schönen Einzelheiten sehen. Hier betrachten wir nur die Reihenfolge der Opfer, die, welchen Weg wir auch einschlagen mögen, ob von innen nach außen, von Gott zu uns, oder von außen nach innen, von uns zu Gott, wunderbar ist. In jedem Fall beginnen und enden wir mit dem Kreuz. Beginnen wir mit dem Brandopfer, so sehen wir Christus am Kreuz den Willen Gottes erfüllen, indem Er die Versöhnung bewirkte, und zwar nach dem Maß seiner vollkommenen Hingabe an Gott.
Beginnen wir mit dem Schuldopfer, so sehen wir Christus am Kreuz unsere Sünden tragen und sie, nach der Vollkommenheit seines versöhnenden Opfers, hinwegtun. In allem erblicken wir die Vortrefflichkeit und Schönheit seiner göttlichen und anbetungswürdigen Person. Möge der Heilige Geist, der Verfasser des dritten Buches Mose, seinen Inhalt in lebendiger Kraft unseren Herzen klarmachen, damit wir hinterher reichlich Ursache haben, den Namen Gottes zu preisen für die vielen herzbelebenden Blicke auf die Person und das Werk unseres hochgelobten Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Herrlichkeit sei, jetzt und bis in Ewigkeit!