Betrachtungen über das zweite Buch Mose
Der Bund wird geschlossen
Dieses Kapitel beginnt mit einer Aussage, die in beachtenswerter Weise die ganze mosaische Haushaltung kennzeichnet. „Und er sprach zu Mose: Steige zu dem HERRN herauf, du und Aaron, Nadab und Abihu und 70 von den Ältesten Israels, und betet an von fern. Und Mose allein soll sich dem HERRN nahen; sie aber sollen sich nicht nahen, und das Volk soll nicht mit ihm heraufsteigen“ (V. 1.2). In keiner Vorschrift des Gesetzes finden wir eine Aufforderung an das Volk, Gott zu nahen. Solche Worte waren mit dem Gesetz vom Sinai nicht vereinbar. Sie sind erst durch den Tod und die Auferstehung Jesu möglich geworden. Die Worte „von fern“ sind ebenso charakteristisch für das Gesetz wie die Aufforderung, Gott zu nahen für das Evangelium. Unter dem Gesetz ist nie ein Werk vollbracht worden, das dem Sünder die Freiheit gab, vor Gott zu erscheinen. Der Mensch hatte sein Versprechen, zu gehorchen, nicht gehalten, und das Blut von Stieren und Böcken konnte weder seine Sünden wegnehmen noch seinem Gewissen Frieden geben. Darum musste er „von fern“ anbeten. Er hatte sein Gelübde gebrochen, und seine Sünden waren nicht abgewaschen – wie hätte er vor Gott hintreten können? Das Blut von zehntausend Stieren vermochte keinen einzigen Flecken von seinem Gewissen wegzuwischen, noch konnte es ihm das sichere Bewusstsein geben, als ein versöhnter Sünder Gott nahe gebracht zu sein.
Dennoch wird hier der „erste Bund“ mit Blut eingeweiht. Am Fuß des Berges wird ein Altar mit zwölf Denksteinen, nach den zwölf Stämmen Israels errichtet (V. 4; vgl. Jos 4 und 1. Kön 18,31). „Und er sandte Jünglinge der Kinder Israel hin, und sie opferten Brandopfer und schlachteten Friedensopfer von Stieren dem HERRN. Und Mose nahm die Hälfte des Blutes und tat es in Schalen, und die Hälfte des Blutes sprengte er an den Altar. Und er nahm das Buch des Bundes und las es vor den Ohren des Volkes; und sie sprachen: Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun und gehorchen. Und Mose nahm das Blut und sprengte es auf das Volk und sprach: Siehe, das Blut des Bundes, den der HERR mit euch geschlossen hat aufgrund aller dieser Worte“ (V. 5–8). Obwohl, wie der Apostel uns belehrt, Blut von Stieren und Böcken unmöglich Sünden wegnehmen konnte (Heb 10,4), heiligte es dennoch zur Reinheit des Fleisches (Heb 9,13); und als Schatten der „zukünftigen Güter“ reichte es aus, die Beziehungen des Volkes zum HERRN aufrecht zu erhalten.
„Und Mose und Aaron, Nadab und Abihu und siebzig von den Ältesten Israels stiegen hinauf; und sie sahen den Gott Israels; und unter seinen Füßen war es wie ein Werk von Saphirplatten und wie der Himmel selbst an Klarheit. Und er streckte seine Hand nicht aus gegen die Edlen der Kinder Israel; und sie schauten Gott und aßen und tranken“ (V. 9–11). Das war die Offenbarung des Gottes Israels in Licht und Reinheit, in Majestät und Heiligkeit. Es war nicht die Entfaltung der Liebe des Vaters, die dem Herzen Frieden und Vertrauen gibt. Die „Saphirplatten“ offenbarten die Heiligkeit Gottes, das unzugängliche Licht, und geboten dem Sünder, Abstand zu halten. Dennoch „schauten sie Gott und aßen und tranken“ – ein Beweis für die Nachsicht und Barmherzigkeit Gottes und die Kraft des Blutes!
Wenn wir uns diese ganze Szene bildlich vorstellen, erkennen wir einige Besonderheiten, die für den Gläubigen von Bedeutung sind. Da ist das verunreinigte Lager unten im Tal und der durchsichtige Saphir oben; aber der Altar am Fuß des Berges redet zu uns von dem Weg, auf dem der Sünder der Unreinheit seines Zustandes entfliehen und in die Gegenwart Gottes hinaufsteigen kann, um dort ein Fest zu feiern und in vollkommenem Frieden anzubeten. Nur das Blut auf dem Altar konnte dem Menschen ein Recht geben, in die Gegenwart der Herrlichkeit Gottes zu treten, deren Ansehen war „wie ein verzehrendes Feuer … vor den Augen der Kinder Israel“ (V. 17).
„Und Mose ging mitten in die Wolke hinein und stieg auf den Berg; und Mose war auf dem Berg vierzig Tage und vierzig Nächte“ (V. 18). Das war in der Tat eine erhabene und heilige Stellung für Mose. Er wurde weggerufen von der Erde und ihren Dingen. Getrennt von allen natürlichen Einflüssen, ist er allein mit Gott, um von ihm die tiefen Geheimnisse der Person und des Werkes Christi zu erfahren; denn diese Geheimnisse sind es, die uns in der Stiftshütte und ihrer Einrichtung, den „Abbildern der Dinge in den Himmeln“ (Heb 9,23), vorgestellt werden. Gott wusste sehr wohl, was das Ende dieses Bündnisses der Werke sein würde; aber Er zeigt Mose in Bildern und Schatten seine eigenen wunderbaren Gedanken der Liebe und seine Gnadenratschlüsse, die in Christus offenbart und durch ihn für ewig gesichert worden sind.
Wie können wir Gott danken, dass Er uns nicht unter dem ersten Bund der Werke gelassen hat, sondern dass Er durch das Blut des ewigen Bundes (Heb 13,20) den Donner des Gesetzes zum Schweigen gebracht, das Feuer des Berges Sinai ausgelöscht und uns einen Frieden geschenkt hat, den keine Macht der Erde und der Hölle zu erschüttern vermag! „Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blut und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater: Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen“ (Off 1,5.6).