Betrachtungen über das zweite Buch Mose
Das Lied der Erlösung
Ein Loblied für den HERRN
Dieses Kapitel beginnt mit dem herrlichen Triumphgesang der Kinder Israel am Ufer des Roten Meeres, als sie die große Macht sahen, die der HERR an den Ägyptern erwiesen hatte (Kap. 14,31). Sie hatten die Rettung des HERRN gesehen, und darum besangen sie ihn jetzt und erzählten seine mächtigen Taten. „Damals sangen Mose und die Kinder Israel dem HERRN dieses Lied“ (V. 1). Bis dahin haben wir kein Lob aus dem Mund der Israeliten vernommen. Wir hörten ihren Notschrei, als sie sich abmühten bei den Ziegelhütten Ägyptens; wir vernahmen ihr ungläubiges Rufen, als sie sich von scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten umringt sahen; aber von einem Loblied wird bis zu diesem Augenblick nichts erwähnt. Erst als die Rettung sichtbar und vollendet war, stimmte die ganze erlöste Versammlung den Triumphgesang an. Als sie aus ihrer Taufe „in der Wolke und in dem Meer“ hervorgegangen waren und der herrliche Sieg ihnen bewusst wurde, fühlten sechshunderttausend Männer das Verlangen, ein Siegeslied zu singen. Die Wasser des Roten Meeres waren zwischen ihnen und Ägypten und als ein völlig befreites Volk standen sie am Ufer. Darum waren sie fähig, den HERRN zu loben.
In dieser und in anderer Hinsicht sind sie „Vorbilder für uns“. Auch wir müssen uns durch Tod und Auferstehung gerettet wissen, bevor wir zu einer klaren und einsichtsvollen Anbetung fähig sind. Fehlt jemandem dieses Bewusstsein, so bleibt immer ein Vorbehalt und ein Zögern in seiner Seele, weil er den Wert der in Jesus Christus vollbrachten Erlösung noch nicht erkannt hat. Man mag überzeugt sein, dass in Christus und in keinem anderen das Heil ist; aber den Charakter und den Grund dieses Heils im Glauben ergreifen und sich praktisch zu eigen machen ist eine ganz andere Sache. Der Geist Gottes offenbart uns in der Heiligen Schrift mit unmissverständlicher Klarheit, dass die Versammlung mit Christus in Tod und Auferstehung vereinigt und dass der auferstandene Christus zur Rechten Gottes die Gewähr ihrer Annahme ist. Sobald ein Christ das versteht, hat er den Zweifel und die Ungewissheit überwunden; denn wie könnte er zweifeln, wenn er weiß, dass ein Sachwalter, und zwar „Jesus Christus, der Gerechte“, ihn beständig vor dem Thron Gottes vertritt? (1. Joh 2,1). Das schwächste Glied der Versammlung Gottes kann wissen, dass es durch Christus am Kreuz vertreten wurde und dass dort alle seine Sünden bekannt, getragen, gerichtet und gesühnt worden sind. Das ist eine göttliche Realität, die, wenn sie durch den Glauben erfasst wird, Frieden geben muss. Aber auch nichts weniger als das kann Frieden geben. Man mag aufrichtig und ernst nach Gott verlangen; man mag fromm und ergeben alle Vorschriften, Pflichten und Formen der Religion beobachten; aber um das Bewusstsein zu erhalten, dass das Gewissen vollständig von der Sünde befreit ist, gibt es kein anderes Mittel, als die Sünde gerichtet zu sehen, und zwar in der Person Jesu Christi, der als ein Schlachtopfer für die Sünde am Fluchholz litt und starb (Heb 9,26; 10,1–18). Wenn die Sünde dort „ein für alle Mal“ gerichtet wurde, so darf der Gläubige sie jetzt als eine göttlich und deshalb für immer erledigte Sache betrachten. Und dass sie dort gerichtet wurde, ist durch die Auferstehung des Bürgen erwiesen. „Ich habe erkannt, dass alles, was Gott tut, für ewig sein wird: Es ist ihm nichts hinzuzufügen und nichts davon wegzunehmen; und Gott hat es so gemacht, damit man sich vor ihm fürchte“ (Pred 3,14).
Es wird nun zwar im Allgemeinen eingeräumt, dass dies alles in Bezug auf die Versammlung in ihrer Gesamtheit wahr ist, aber vielen fällt es doch außerordentlich schwer, es auf sich persönlich anzuwenden. Sie sind bereit, mit dem Psalmisten zu sagen: „Fürwahr, Gott ist Israel gut, denen, die reinen Herzens sind. Ich aber …“ (Ps 73,1.2). Anstatt auf Christus als den Gestorbenen und Auferstandenen zu schauen, richten sie ihre Blicke auf sich selbst. Sie beschäftigen sich mehr mit ihrer eigenen Zuneigung zu Christus als mit Christus selbst. Sie denken mehr an ihre Fähigkeit als an ihre Stellung vor Gott. Auf diese Weise bleiben sie in trostloser Ungewissheit und können infolgedessen nie den Platz eines verständigen und glücklichen Anbeters einnehmen. Sie hoffen auf Errettung, anstatt sich der längst geschehenen Errettung zu erfreuen. Sie sehen ihre unvollkommenen Werke, anstatt auf die vollkommene Versöhnung Christi.
Gott wird verherrlicht
Wenn wir jetzt den Gesang der Israeliten im Einzelnen betrachten, so finden wir in ihm keine Silbe, die auf das Ich, auf seine Handlungen, Worte oder Gefühle Bezug nimmt, sondern er handelt von Anfang bis Ende nur von dem HERRN. Das Lied beginnt mit den Worten: „Singen will ich dem HERRN, denn hoch erhaben ist er; das Pferd und seinen Reiter hat er ins Meer gestürzt“ (V. 1). Hier wird schon der Inhalt des ganzen Liedes angedeutet; vom Anfang bis zum Schluss redet es von den Eigenschaften und Taten Gottes. Im 14. Kapitel war das Volk durch den übermäßigen Druck der Umstände wie gelähmt, hier in Kapitel 15 aber ist der Druck weggenommen und sie sind frei und ungehindert, um Gott zu loben. Das Ich ist vergessen. Die Probleme liegen hinter ihnen. Nur der HERR selbst, sein Charakter und seine Wege stehen vor ihren Blicken. Sie konnten sagen: „Du, HERR, hast mich erfreut durch dein Tun; über die Werke deiner Hände will ich jubeln“ (Ps 92,5). Das ist wahre Anbetung. Nur wenn das wertlose Ich, mit allem, was ihm angehört, nicht mehr in unserem Blickfeld existiert und Christus allein unsere Herzen ausfüllt, sind wir fähig, in der rechten Weise Gottesdienst zu üben. Dann ist keine fleischliche Frömmigkeit nötig, um Gefühle der Andacht wachzurufen. Auch die äußeren Hilfsmittel einer weltlichen Religion, die zum Gelingen eines wohlgefälligen Gottesdienstes mitwirken sollen, erübrigen sich dann völlig. Wenn ein Gläubiger nur mit der Person Christi beschäftigt ist, werden Lobgesänge die natürliche Folge sein. Man kann nicht mit aufgedecktem Angesicht den Herrn anschauen, ohne sich in Anbetung niederzubeugen. Wenn wir z. B. in der Offenbarung die Anbetung der zahllosen Erlösten betrachten, so finden wir, dass sie immer durch die Darstellung irgendeines besonderen Zuges der Wesensart Gottes hervorgerufen wird. So sollte es auch in der Versammlung sein, solange sie noch auf der Erde ist. Wenn es aber nicht so ist, dann deshalb, weil wir uns von Dingen beanspruchen lassen, die angesichts der Herrlichkeit Gottes keinen Bestand haben. Gott selbst ist das Ziel, der Gegenstand und die Kraft wahrer Anbetung.
Wir sehen in diesem Kapitel ein schönes Beispiel davon, wie Gott durch ein Lied geehrt werden kann. Es ist die Sprache eines erlösten Volkes, das seinen Erlöser lobt: „Meine Stärke und mein Gesang ist Jah, denn er ist mir zur Rettung geworden; dieser ist mein Gott, und ich will ihn verherrlichen, meines Vaters Gott, und ich will ihn erheben. Der HERR ist ein Kriegsmann, HERR ist sein Name … Deine Rechte, HERR, ist herrlich in Macht; deine Rechte, HERR, hat zerschmettert den Feind … Wer ist dir gleich unter den Göttern, HERR! Wer ist dir gleich, herrlich in Heiligkeit, furchtbar an Ruhm, Wunder tuend! …Du hast durch deine Güte geleitet das Volk, das du erlöst hast, hast es durch deine Stärke geführt zu deiner heiligen Wohnung … Der HERR wird König sein immer und ewig“ (V. 2.3.6.11.13.18). Der Rahmen dieses Gesangs ist sehr weit gefasst. Er beginnt mit der Erlösung und endet mit der Herrlichkeit. Er beginnt mit dem Kreuz und endet mit dem Königreich, er reicht – neutestamentlich gesprochen – von den „Leiden“ bis zu den „Herrlichkeiten danach“ (1. Pet 1,11). Und bei allem ist Gott allein das Thema. Ein solcher Gesang kann nur durch das Anschauen Gottes und seiner herrlichen Taten hervorgerufen werden.
Überdies wird in diesem Gesang die Erfüllung der Ratschlüsse Gottes vorweggenommen, indem wir lesen: „Du hast durch deine Güte geleitet das Volk, das du erlöst hast, hast es durch deine Stärke geführt zu deiner heiligen Wohnung“ (V. 13). Die Kinder Israel konnten so sprechen, obwohl sie eben erst die Wüste betreten hatten. Es war nicht der Ausdruck einer unbestimmten Hoffnung oder eines möglichen Zufalls. Wenn ein Gläubiger mit Gott allein beschäftigt ist, so wird er die Fülle seiner Gnade immer tiefer erkennen und sich immer mehr erfreuen an den Schätzen seiner Barmherzigkeit und Güte. Und in diesem Bewusstsein, mit dem auferstandenen Christus in die himmlischen Örter versetzt zu sein, kann nichts den Gläubigen hindern, die unergründlichen Pläne Gottes zu erforschen und seine Freude zu haben an der Herrlichkeit, die Gott nach seinem ewigen Ratschluss für alle bereitet hat, deren Kleider in dem Blut des Lammes gewaschen sind.
Dies erklärt den unvergleichlichen Charakter aller Lobgesänge, die wir in der Heiligen Schrift finden. Nicht ein Geschöpf, sondern Gott ist das Thema, von dem der Gläubige erfüllt ist. Der Mensch, seine Gefühle oder seine Erfahrungen würden das Lob Gottes nur unterbrechen; sie werden deshalb gar nicht erwähnt. Darum sind diese Gesänge so verschieden von solchen Liedern, die immer wieder Ausdrücke unserer Schwächen und Unzulänglichkeiten enthalten; und gerade solche Lieder sind so oft in christlichen Versammlungen zu hören. Tatsache ist, dass wir nie mit geistlicher Kraft und Einsicht singen können, wenn wir auf uns selbst blicken. Denn in uns selbst werden wir immer etwas entdecken, das unser Lob und unsere Anbetung hemmt. Manche scheinen es allerdings beinahe als eine Gnade zu betrachten, wenn sie ständig in Zweifel und Ungewissheit sind; an ihren Liedern ist das allerdings auch zu erkennen. Solche Personen haben, so treu und aufrichtig sie es auch meinen, noch nicht verstanden, was Gottesdienst eigentlich ist. Sie sind noch nicht mit sich selbst zum Abschluss gekommen. Sie haben noch nicht das Rote Meer durchschritten und als ein geistlich getauftes Volk in der Kraft der Auferstehung am anderen Ufer ihren Platz eingenommen. Sie sind in der einen oder anderen Weise noch mit sich selbst beschäftigt und betrachten das Ich, mit dem Gott für immer ein Ende gemacht hat, nicht als gekreuzigt.
Möge der Heilige Geist in allen Kindern Gottes bewirken, dass sie ihren Platz und ihre Vorrechte klar verstehen und erkennen, dass sie, gewaschen von ihren Sünden in dem Blut Christi, in derselben unendlichen und vollkommenen Annehmlichkeit vor Gott stehen wie Christus selbst, das auferstandene und verherrlichte Haupt seiner Versammlung! Zweifel und Befürchtungen stehen den Kindern Gottes nicht gut an, denn ihr göttlicher Bürge hat jede nur denkbare Ursache von Zweifel und Furcht beseitigt. Ihr Platz ist innerhalb des Vorhangs. Sie haben Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu (Heb 10,19). Gibt es etwa Zweifel und Befürchtungen im Heiligtum? Ist es nicht deutlich, dass jeder Zweifel die Vollkommenheit des Werkes Christi infrage stellt, eines Werkes, von dem Gott angesichts aller Geschöpfe durch die Auferweckung Christi aus den Toten Zeugnis gegeben hat? Christus hätte nicht das Grab verlassen können, wenn nicht jeder Grund zum Zweifeln und Fürchten für sein Volk weggeräumt gewesen wäre. Deswegen kann ein Christ sich ständig eines vollkommenen Heils erfreuen. Gott selbst ist sein Heil geworden und seine Aufgabe ist, die Früchte des Werkes, das Gott für ihn gewirkt hat, zu genießen und zu seiner Verherrlichung zu leben, solange er auf die Zeit wartet, da „der HERR König sein wird immer und ewig“ (V. 18).
Der Weg durch die Wüste
„Und Mose ließ Israel vom Schilfmeer aufbrechen, und sie zogen aus in die Wüste Sur; und sie wanderten drei Tage in der Wüste und fanden kein Wasser“ (V. 22). Wenn unser Erfahrungsleben in der Wüste begonnen hat, dann erweist es sich, inwieweit wir Gott und unsere eigenen Herzen kennen. Am Anfang unserer christlichen Laufbahn haben wir gewöhnlich noch sehr viel Frische und ein Übermaß von Freude, die aber sehr bald durch den schneidenden Wind der Wüste beeinträchtigt werden; und wenn dann nicht das tiefe Bewusstsein dessen, was Gott für uns ist, alles andere beherrscht, so besteht die Gefahr, dass wir zusammenbrechen und uns in unseren Herzen „nach Ägypten zurückwenden“ (Apg 7,39). Die Zucht der Wüste ist nötig, allerdings nicht, damit wir ein Anrecht auf das Land Kanaan erhalten, sondern damit wir Gott und unsere eigenen Herzen besser kennenlernen. Auch die Kraft unseres Verhältnisses zu Gott erleben wir nur in der Wüste, und schließlich – wenn wir Kanaan erreicht haben – wird aufgrund unserer Erfahrungen in der Wüste auch unsere Freude an dem Land vermehrt werden (vgl. 5. Mo 8,2–5).
Die Frische und der Zauber des Frühlings verschwinden bald vor der Hitze des Sommers; aber gerade diese Hitze bringt die gereiften Früchte des Herbstes hervor. So ist es auch im Leben des Christen. Überhaupt gibt es eine auffallende Übereinstimmung zwischen den Grundsätzen der Natur und denen des Reiches Gottes; wie könnte es auch anders sein, da die einen wie die anderen das Werk desselben Gottes sind?
Es gibt drei verschiedene Bereiche, in denen wir die Israeliten betrachten können: Ägypten, die Wüste und das Land Kanaan. In jedem dieser Bereiche sind sie ein Bild von uns; nur befinden wir uns in allen dreien gleichzeitig. Das mag seltsam klingen, aber es ist die Wahrheit. Tatsächlich sind wir in Ägypten, und zwar umringt von natürlichen Dingen, die dem natürlichen Herzen ganz und gar entsprechen. Aber weil Gott uns durch seine Gnade in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus berufen hat, haben wir eine neue Natur mit neuen Neigungen und Wünschen bekommen und damit zugleich auch einen Platz außerhalb Ägyptens 1, d. h. der Welt in ihrem natürlichen Zustand. Und für unsere praktische Erfahrung bedeutet das ein Leben in der Wüste. Die göttliche Natur in uns verlangt nach einer anderen Ordnung der Dinge, nach einer reineren Atmosphäre als die, von der wir umgeben sind, und dadurch lässt sie uns fühlen, dass Ägypten seinem Wesen nach eine Wüste ist.
Schließlich aber sind wir in den Augen Gottes auch auf ewig mit Christus vereinigt, der in die Himmel eingegangen ist und dort zur Rechten der Majestät Platz genommen hat, und deshalb dürfen wir durch den Glauben wissen, dass Er auch uns in ihm hat mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern (Eph 2,6). So sind wir nun dem Leib nach in Ägypten, hinsichtlich unserer Erfahrungen in der Wüste und können doch gleichzeitig durch den Glauben in Kanaan eintreten und uns von „dem Getreide des Landes“, d. h. von Christus nähren; nicht nur von Christus, der auf die Erde herabgestiegen ist, sondern von Christus, der in den Himmel zurückgekehrt ist und jetzt dort in Herrlichkeit thront (vgl. 1. Tim 3,16).
Die letzten Verse des Kapitels zeigen uns die Kinder Israel in der Wüste. Bis dahin war es glücklich gelaufen. Schreckliche Gerichte waren über Ägypten hereingebrochen, Israel aber war völlig verschont geblieben; das ägyptische Heer lag tot am Ufer, Israel aber triumphierte. Alles war nach Wunsch gegangen. Aber wie schnell änderte sich die Lage. Die Lobgesänge verstummten und Murren trat an ihre Stelle.
Mara, das bittere Wasser
„Und sie kamen nach Mara, aber sie konnten das Wasser von Mara nicht trinken, denn es war bitter: Darum gab man ihm den Namen Mara. Und das Volk murrte gegen Mose und sprach: Was sollen wir trinken?“ (V. 23.24). Und weiter: „Und die ganze Gemeinde der Kinder Israel murrte gegen Mose und gegen Aaron in der Wüste. Und die Kinder Israel sprachen zu ihnen: Wären wir doch im Land Ägypten durch die Hand des HERRN gestorben, als wir bei den Fleischtöpfen saßen, als wir Brot aßen bis zur Sättigung! Denn ihr habt uns in diese Wüste herausgeführt, um diese ganze Versammlung vor Hunger sterben zu lassen“ (Kap. 16,2.3).
Das waren die Prüfungen der Wüste: „Was sollen wir essen?“, und „Was sollen wir trinken?“ Das Wasser von Mara stellte das Herz des Volkes Israel auf die Probe und offenbarte seinen unzufriedenen Geist; aber der Herr zeigt ihm, dass es keine Bitterkeit gab, die Er nicht versüßen konnte. „Und der HERR wies ihm ein Holz; und er warf es in das Wasser, und das Wasser wurde süß. Dort gab er ihm Satzung und Recht, und dort prüfte er es“ (V. 25). Ein wunderbares Bild von dem, der in die bitteren Wasser des Todes geworfen wurde, damit ihnen die Bitterkeit um unsertwillen für ewig genommen würde.
Der 26. Vers stellt uns den Ernst dieser ersten Station der Erlösten Gottes in der Wüste vor Augen. Gerade dann sind wir in Gefahr, unruhig und ungeduldig zu werden. Nur das beständige „Hinschauen auf Jesus“ (Heb 12,2) kann uns vor diesem Geist schützen. Der Herr offenbart sich immer in einer Weise, die den jeweiligen Bedürfnissen seines Volkes angemessen ist; und die Kinder Gottes sollten, anstatt sich über die Umstände zu beklagen, diese zum Anlass nehmen, sich immer von neuem auf ihn zu stützen. Auf diese Weise dient die Wüste dazu, uns erfahren zu lassen, wer Gott ist. Sie ist eine Schule, in der wir seine Geduld, seine Treue und Hilfe kennenlernen. „Und eine Zeit von etwa vierzig Jahren pflegte er sie in der Wüste“ (Apg 13,18). Wer geistlich gesinnt ist, weiß, dass es der Mühe wert ist, bitteren Wassern zu begegnen, damit Gott sie versüßen kann. „Wir rühmen uns auch der Trübsale, da wir wissen, dass die Trübsal Ausharren bewirkt, das Ausharren aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung; die Hoffnung aber beschämt nicht, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist“ (Röm 5,3–5).
Elim, Wasserquellen und Palmen
Allerdings gibt es in der Wüste auch Orte wie „Elim“, nicht nur solche wie „Mara“; es gibt Wasserquellen und Palmen ebenso wie bittere Wasser. „Und sie kamen nach Elim, und dort waren zwölf Wasserquellen und siebzig Palmbäume; und sie lagerten sich dort am Wasser“ (V. 27). Der Herr bereitet in seiner Gnade und Sorgfalt grüne Plätze für sein Volk in der Wüste; und wenn es auch nur Oasen sind, so wirken sie doch erfrischend und belebend. Der Aufenthalt in Elim ließ das Murren der Israeliten verstummen. Der Schatten der Palmen und die Quellen Elims kamen zur gelegenen Zeit nach den Prüfungen Maras und zeigen uns, wie vollkommen Gott seinem Volk auf der Erde dient. Die Zahlen zwölf und siebzig stehen in Verbindung mit dem Dienst (vgl. Lk 10,1–17; 6,13).
Doch Elim war nicht Kanaan. Die Wasserquellen und Palmen Elims waren nur ein Vorgeschmack von dem Land, das jenseits der Wüste lag. Ohne Zweifel fand Israel hier eine Erfrischung; aber es war eine Erfrischung der Wüste, und sie reichte nur für eine kurze Zeit aus, um das Volk zu ermutigen und für seinen weiteren Weg nach Kanaan zu stärken. Den gleichen Sinn hat der Dienst in der Versammlung. Er ist eine gnädige Vorsorge für unsere Bedürfnisse und dazu bestimmt, unsere Herzen zu stärken und zu ermutigen, „bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes“ (Eph 4,13).
Fußnoten
- 1 Zwischen Ägypten und Babylon besteht ein wichtiger moralischer Unterschied. Ägypten war der Ort, von dem die Israeliten auszogen, und Babylon das Land, in das sie später geführt wurden (vgl. Amos 5,25-27 mit Apg 7,42.43). Ägypten ist der Ausdruck dessen, was der Mensch aus der Welt gemacht hat; Babylon der Ausdruck dessen, was Satan aus der bekennenden Christenheit gemacht hat oder noch machen wird. Wir sind deshalb nicht nur von den Verhältnissen Ägyptens, sondern auch von den moralischen Grundsätzen Babylons umgeben. Das macht unsere Tage zu „schweren Zeiten“, wie der Heilige Geist sich ausdrückt (2. Tim 3,1). Man braucht die Energie des Geistes Gottes und vorbehaltlose Unterwerfung unter die Autorität der Heiligen Schrift, um den Verlockungen Ägyptens und zugleich dem Geist und den Grundsätzen Babylons widerstehen zu können. Das Erste entspricht den Wünschen des natürlichen Herzens, während das Zweite sich an die natürliche Religiosität richtet und einen großen Einfluss auf das Herz erlangt. Der Mensch ist ein religiöses Wesen und besonders empfänglich für die Eindrücke der Musik, der Baukunst, der Malerei und der Prachtentfaltung religiöser Gebräuche und Zeremonien. Wenn diese Dinge auch noch die Erfüllung seiner natürlichen Wünsche und äußeres Wohlleben mit sich bringen, dann kann nur die Kraft des Wortes und Geistes Gottes jemanden in der Treue für Christus bewahren. Beachten wir auch, dass es zwischen dem Endschicksal Ägyptens und Babylons einen großen Unterschied gibt. In Jesaja 19 werden uns die Segnungen vor Augen gestellt, die für Ägypten aufbewahrt sind. Wir lesen am Schluss des Kapitels: „Und der HERR wird die Ägypter schlagen, schlagen und heilen; und sie werden sich zu dem HERRN wenden, und er wird sich von ihnen erbitten lassen und sie heilen … An jenem Tag wird Israel das Dritte sein mit Ägypten und mit Assyrien, ein Segen inmitten der Erde; denn der HERR der Heerscharen segnet es und spr icht: Gesegnet sein mein Volk Ägypten, und Assyrien, meiner Hände Werk, Israel, mein Erbteil“ (Jes 19,22-25). Ganz anders ist das Ende der Geschichte Babylons, mag man nun buchstäblich an eine Stadt oder an ein geistliches System denken. „Und ich werde es zum Besitztum der Igel machen und zu Wassersümpfen, und ich werde es ausfegen mit dem Besen der Vertilgung, spricht der HERR der Heerscharen“ (Jes 14,23). „Es wird niemals bewohnt werden und keine Niederlassung mehr sein von Geschlecht zu Geschlecht“ (Jes 13,20). Das ist das Schicksal Babylons, wenn wir es als Stadt betrachten. Sehen wir es aber in seiner geistlichen Bedeutung, so finden wir in Offenbarung 18 sein Endurteil; das ganze Kapitel handelt von Babylon und schließt mit den Worten: „Und ein starker Engel hob einen Stein auf wie einen großen Mühlstein und warf ihn ins Meer und sprach: So wird Babylon, die große Stadt, mit Wucht niedergeworfen werden und nie mehr gefunden werden …“ Wie sollte sich jeder von diesen Worten getroffen fühlen, der irgendwie mit Babylon und seinen Grundsätzen verbunden ist! „Geht aus ihr hinaus, mein Volk, damit ihr nicht ihrer Sünden teilhaftig werdet, und damit ihr nicht empfangt von ihren Plagen!“ (Off 18,4). Die „Kraft“ des Heiligen Geistes kann sich nur in einer bestimmten „Form“ äußern aber es ist immer das Ziel des Feindes gewesen, die bekennende Christenheit der Kraft zu berauben, gleichzeitig aber zu bewirken, dass sie die Form beibehielt, auch wenn der Geist und das Leben längst verschwunden waren. In dieser Weise baut er das geistliche Babylon auf. Die Steine, aus denen diese Stadt besteht, sind leblose Bekenner; und der Mörtel, wodurch Satan die Steine verbindet, ist „eine Form der Gottseligkeit ohne Kraft“ (2. Tim 3,5).