Betrachtungen über das zweite Buch Mose
Ankündigung der 10. Plage und des Auszugs Israels
Das Herz des Pharaos wird verstockt
„Und der HERR sprach zu Mose: Noch eine Plage will ich über den Pharao und über Ägypten bringen; danach wird er euch von hier wegziehen lassen. Wenn er euch vollends ziehen lassen wird, so wird er euch sogar von hier wegtreiben“ (Kap. 11,1). Noch ein heftiger Schlag musste diesen hartnäckigen Herrscher und sein Land treffen, um ihn zu zwingen, die Gegenstände der unumschränkten Gnade Gottes ziehen zu lassen.
Wie sinnlos ist es für den Menschen, sich gegen Gott zu verhärten und zu erheben! Gott kann das härteste Herz zermalmen und den hochmütigsten Geist in den Staub beugen. Er vermag die zu erniedrigen, „die in Stolz einhergehen“ (Dan 4,34). Der Mensch mag sich einbilden, etwas zu sein; er mag in törichtem Stolz und in Selbstverherrlichung sein Haupt erheben, als ob er sein eigener Herr und Meister sei; aber wie wenig kennt er seinen wirklichen Zustand und Charakter! Er ist nur ein Werkzeug in der Hand Satans, von ihm benutzt, um den Absichten Gottes entgegenzuwirken. Der glänzendste Verstand, das hervorragendste Talent, die größte Tatkraft sind, wenn sie nicht unter der unmittelbaren Leitung des Geistes Gottes stehen, nur Mittel in der Hand Satans, um seine finsteren Pläne zu verwirklichen. Kein Mensch ist sein eigener Herr; er steht entweder unter der Herrschaft Christi oder unter der Herrschaft Satans. Der König von Ägypten mochte sich für unabhängig halten; in Wirklichkeit aber war er ein Werkzeug in der Hand eines anderen. Satan stand hinter dem Thron; und infolge des Widerstandes, den der Pharao gegen die Pläne Gottes erhob, wurde er dem verblendenden und verhärtenden Einfluss seines selbst gewählten Gebieters ausgeliefert.
Dieser Gedanke macht uns einen Ausdruck verständlich, dem wir in den ersten Kapiteln dieses Buches häufiger begegnen: „Und der HERR verhärtete das Herz des Pharaos.“ Es wäre unvernünftig, dem vollständigen Sinn dieses Wortes ausweichen zu wollen. Wenn der Mensch sich dem göttlichen Zeugnis widersetzt, wird er dem Gericht der Verblendung und Verhärtung überliefert. Gott überlässt ihn sich selbst, und dann kommt Satan und führt ihn ins Verderben. Es hätte dem Pharao völlig klar sein können, dass es nichts als Torheit war, das Volk zurückzuhalten, das er nach dem Befehl Gottes freilassen sollte. Aber sein Widerstand gegen Gott entsprach dem Zustand und der Gesinnung seines Herzens; und darum gab Gott ihn dahin und machte ihn zu einem Mahnmal für die Entfaltung seiner Herrlichkeit „auf der ganzen Erde“.
Gott gibt manchmal der Neigung oder dem Verlangen der Menschen nach; so lesen wir z. B.: „Und deshalb sendet ihnen Gott eine wirksame Kraft des Irrwahns, dass sie der Lüge glauben, damit alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gefunden haben an der Ungerechtigkeit“ (2. Thes 2,11.12). Wenn die Menschen die Wahrheit nicht annehmen wollen, wenn sie ihnen vorgestellt wird, so werden sie sicher einer Lüge zum Opfer fallen. Wollen sie Christus nicht, so erhalten sie Satan; schlagen sie den Himmel aus, so bleibt ihnen nur die Hölle.1Will der Geist des Unglaubens daran etwas tadeln? Ehe er es tut, mag er den Beweis liefern, dass alle, die in dieser Weise gerichtet werden, ihrer Verantwortlichkeit entsprochen haben; mag er z. B. beweisen, dass der Pharao auch nur annähernd dem Licht gemäß gehandelt hat, das er besaß. Und dasselbe gilt für jeden anderen Fall. Ohne Zweifel liegt die Mühe des Beweises bei denen, die die Wege Gottes tadeln wollen. Der einfältige Gläubige wird Gott in seinen Anforderungen rechtfertigen; und kann er auch nicht alle schwierigen Fragen eines zweifelnden Geistes lösen, so findet er doch seine Ruhe in den Worten: „Sollte der Richter der ganzen Erde nicht Recht üben?“ (1. Mo 18,25). In dieser Art eine Schwierigkeit zu beseitigen, liegt mehr Weisheit als in einem noch so gründlich durchdachten Beweis; denn wer sich nicht scheut, gegen Gott das Wort zu nehmen (Röm 9,20), der wird auch durch menschliche Beweisgründe nicht zu überzeugen sein.
Der Tod der Erstgeburt
Gott aber beantwortet alle stolzen Überlegungen des Menschen und macht hochmütige menschliche Pläne zunichte. Er hat über die Natur, selbst in ihren besten Formen, das Todesurteil geschrieben. Es ist den Menschen gesetzt, einmal zu sterben (Heb 9,27). Niemand kann diesem Urteil entrinnen. Der Mensch mag mit allen Mitteln versuchen, seine Erniedrigung zu verbergen, seine Todverfallenheit durch Heldenmut zu verdecken und die letzten demütigenden Tage seiner Laufbahn mit ehrenvollen Titeln zu belegen; er mag sich anstrengen, das Sterbebett mit einem falschen Schimmer zu umgeben, die Bestattung und das Grab so aufwendig und wirkungsvoll wie möglich zu gestalten; er mag über dem verwesenden Leichnam ein Denkmal errichten und die Tugenden des Verstorbenen in goldenen Buchstaben darin eingraben lassen – und doch vermag nichts etwas anderes aus dem Tod zu machen, als was er ist: „der Lohn der Sünde“ (Röm 6,23).
Die Eingangsworte des 11. Kapitels haben diese Gedanken mit sich gebracht. „Noch eine Plage!“, sagt der Herr. Damit war das Todesurteil über die Erstgeborenen Ägyptens, über „die Erstlinge all ihrer Kraft“ (Ps 105,36) besiegelt. „Und Mose sprach: So spricht der HERR: Um Mitternacht will ich ausgehen mitten durch Ägypten; und alle Erstgeburt im Land Ägypten soll sterben, vom Erstgeborenen des Pharaos, der auf seinem Thron sitzt, bis zum Erstgeborenen der Magd, die hinter der Mühle ist, und alle Erstgeburt des Viehs. Und es wird ein großes Geschrei sein im ganzen Land Ägypten, wie nie gewesen ist und wie nicht mehr sein wird“ (Kap. 11,4–6). Das sollte die Schlussplage sein: der Tod in jedem Haus! „Aber gegen alle Kinder Israel wird nicht ein Hund seine Zunge spitzen, weder gegen Menschen noch gegen Vieh; damit ihr wisst, dass der HERR einen Unterschied macht zwischen den Ägyptern und den Israeliten“ (V. 7). Nur der Herr kann einen Unterschied machen zwischen denen, die sein sind, und denen, die es nicht sind. Es geziemt uns nicht, zu irgendjemandem zu sagen: „Bleib für dich und nahe mir nicht, denn ich bin heilig“ (Jes 65,5). Das wäre die Sprache eines Pharisäers. Aber wenn Gott „einen Unterschied macht“, so ist es unsere Pflicht, zu untersuchen, worin dieser Unterschied besteht; und in dem vorliegenden Fall sehen wir, dass es sich um den Gegensatz von Leben und Tod handelte. Das ist der große Unterschied, den Gott macht. Er zieht eine Grenzlinie; auf der einen Seite dieser Linie ist das Leben, auf der anderen der Tod. Viele der Erstgeborenen Ägyptens mochten ebenso schön oder vielleicht noch sympathischer sein als diejenigen von Israel; aber Israel besaß Leben und Licht, und zwar aufgrund der erlösenden Liebe Gottes und bestätigt durch das Blut des Lammes. Das war die gesegnete Stellung Israels, während man in ganz Ägypten, von dem Fürsten auf dem Thron bis zu der Magd hinter der Mühle, nur Tod und Verzweiflung sehen konnte. Gott kann den stolzen Geist des Menschen in den Staub beugen. Er kann bewirken, dass der Grimm des Menschen ihn preist; und mit dem Rest des Grimms gürtet Er sich (Ps 76,11). „Und alle diese deine Knechte werden zu mir herabkommen und sich vor mir niederbeugen und sagen: Zieh aus, du und alles Volk, das dir folgt! Und danach werde ich ausziehen“ (V. 8). Gott wird seine Ratschlüsse erfüllen. Seine Gnadenabsichten müssen um jeden Preis ausgeführt werden; und wer sich ihm widersetzt, wird beschämt werden. „Preist den HERRN! Denn er ist gut, denn seine Güte währt ewig … den, der Ägypten schlug an seinen Erstgeborenen, denn seine Güte währt ewig, und Israel herausführte aus ihrer Mitte, denn seine Güte währt ewig, mit starker Hand und mit ausgestrecktem Arm, denn seine Güte währt ewig!“ (Ps 136,1.10–12).
Fußnoten
- 1 Es besteht ein großer Unterschied zwischen der Handlungsweise Gottes mit den Heiden (Röm 1) und seinem Verhalten gegenüber denen, die das Evangelium verwerfen (2. Thes 2,10). Bezüglich der Erstgenannten lesen wir: „Und weil sie es nicht für gut befanden, Gott in Erkenntnis zu haben, hat Gott sie hingegeben in einen verworfenen Sinn, zu tun, was sich nicht geziemt“ (Röm 1,28), – während das Wort bezüglich der Letzteren lehrt: „… darum, dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen, damit sie errettet würden. Und deshalb sendet ihnen Gott eine wirksame Kraft des Irrwahns, dass sie der Lüge glauben, damit alle gerichtet werden“. Die Heiden nehmen das Zeugnis der Schöpfung nicht an und werden deshalb sich selbst überlassen. Die Verwerfer des Evangeliums aber weisen das Licht des Kreuzes zurück, und de shalb wird ihnen Gott b ald „eine wirksame Kraft des Irrwahns“ senden. Wie ernst ist das für die heutige Zeit, die so reich ist an Licht und Bekenntnis!]