Betrachtungen über das erste Buch Mose
Der Sündenfall und dessen Folgen
Dieser Abschnitt unseres Buches schildert uns die Auflösung der ganzen bisherigen Szene. Er ist reich an wichtigen Grundsätzen, und ist deshalb oft als Thema von denen benutzt worden, die sich bemühten, das Verderben des Menschen und das Heilmittel Gottes ans Licht zu stellen. Die Schlange tritt auf mit einer frechen Frage bezüglich der Anordnung Gottes. Diese Frage ist Vorbild und Vorläuferin aller seitdem erhobenen ungläubigen Fragen solcher, die leider nur zu sehr der Sache der Schlange in der Welt gedient haben. Solchen Fragen kann nur durch die unumschränkte Autorität und göttliche Majestät der Heiligen Schrift begegnet werden.
Die Täuschung der Schlange
„Hat Gott wirklich gesagt: Ihr sollt nicht essen von jedem Baum des Gartens?“ (V. 1). So lautete Satans listige Frage, und hätte das Wort Gottes in dem Herzen Evas reichlich gewohnt, so wäre ihre Antwort bestimmt und entschieden gewesen. Der einzig richtige Weg, auf dem wir den Fragen und Einflüsterungen Satans begegnen können, ist der, dass wir sie als von ihm kommend behandeln und durch das Wort zurückweisen. Lassen wir sie auch nur für einen Augenblick dem Herzen nahe kommen, so verlieren wir die Kraft, in der wir sie beantworten können. Der Teufel trieb sein undurchsichtiges Spiel. Er sagte nicht: „Ich bin der Teufel, der Feind Gottes, und bin gekommen, ihn zu verleumden und euch zu verderben“. Das wäre der Schlange nicht ähnlich gewesen. Und dennoch erreichte er das Gleiche, indem er Fragen im Herzen des Geschöpfes wachrief. Wenn ich in dem Bewusstsein, dass Gott gesprochen hat, der Frage: „Sollte Gott gesagt haben?“ einen Platz einräume, so ist das wirklicher Unglaube und zeigt zugleich meine Unfähigkeit, der Schlange entgegentreten zu können. Die Art von Evas Erwiderung bewies klar und deutlich, dass sie die listige Frage der Schlange in ihrem Herzen aufgenommen hatte. Anstatt sich an die klaren Worte Gottes zu klammern, fügte sie in ihrer Erwiderung ihnen etwas hinzu.
Ob ich dem Wort Gottes etwas hinzufüge oder etwas von ihm wegnehme, beides beweist, dass dieses Wort weder in meinem Herzen wohnt, noch mein Gewissen leitet. Wenn ein Mensch seine Freude am Gehorsam findet, wenn das seine Speise und sein Trank ist, wenn er lebt durch jedes Wort, das aus dem Mund des HERRN hervorgeht, so wird er gewiss auch sein Wort kennen und auf das Wort achten. Unmöglich wird er gleichgültig gegen dieses Wort sein können. Der Herr Jesus wandte in seinem Kampf mit Satan das Wort genau an, weil Er darin lebte und es höher schätzte als die Speise, die Er für seinen Leib brauchte. Er konnte es weder falsch anführen oder verkehrt anwenden, noch gleichgültig gegen das Wort sein. Nicht so Eva. Sie fügte dem, was Gott gesagt hatte, etwas hinzu. Sein Gebot lautete einfach. „Ihr sollt nicht davon essen“. Aber Eva fügte ihre eigenen Worte hinzu: „und sie nicht anrühren“ (V. 3). Das waren die Worte Evas und nicht die Worte Gottes. Er hatte nichts von Anrühren gesagt, so dass ihre falsche Anführung (mochte sie nun aus Unwissenheit oder aus Gleichgültigkeit oder aus dem Wunsch, Gott in dem Licht eines Tyrannen darzustellen, oder gar aus allen drei Gründen zugleich hervorgehen) deutlich zeigte, dass sie den Boden des einfältigen Vertrauens auf das heilige Wort Gottes und der Unterwerfung unter das Wort verlassen hatte. „So habe ich mich durch das Wort deiner Lippen bewahrt vor den Wegen des Gewalttätigen“ (Ps 17,4).
Die Autorität des Wortes Gottes
Nichts ist von größerem Interesse als die Art und Weise, wie das Wort und der erforderliche unbedingte Gehorsam gegen dieses Wort überall in den Büchern der Schrift in den Vordergrund gestellt werden. Wir sind dem Wort Gottes einfach darum Gehorsam schuldig, weil es sein Wort ist. Wir nehmen den Platz des Geschöpfes ein. Er ist der Schöpfer. Er kann deshalb mit Recht Gehorsam von uns fordern. Der Unglaube mag das einen „blinden“ Gehorsam nennen, aber der Christ nennt es einen „einsichtsvollen“ Gehorsam, weil er weiß, dass es das Wort Gottes ist, dem er gehorcht. Wenn ein Mensch das Wort Gottes nicht kennt, so kann mit Recht von ihm gesagt werden, dass er sich in Blindheit und Finsternis befindet, denn die einzige Quelle göttlichen Lichtes in dieser dunklen Welt ist das reine und ewige Wort Gottes. Alles, was wir wissen müssen ist, dass Gott gesprochen hat. Dann wird der Gehorsam zur höchsten Art einsichtsvollen Handelns. Wenn die Seele sich zu Gott erhebt, hat sie die höchste Quelle der Autorität erreicht. Kein Mensch oder irgendeine menschliche Gesellschaft kann für ihr Wort Gehorsam fordern, weil es das ihrige ist. Wenn z. B. eine kirchliche Gemeinschaft Gehorsam gegen ihre Verordnungen und Satzungen fordert, so reißt sie dadurch das Vorrecht Gottes an sich, und alle, die ihnen Gehorsam leisten, berauben Gott seiner Rechte. Eine solche Gemeinschaft stellt sich zwischen Gott und das Gewissen, und wer kann dies ungestraft tun? Wenn Gott spricht, ist der Mensch verpflichtet zu gehorchen. Glückselig, wenn er es tut! Wehe ihm, wenn er es versäumt! Der Unglaube fragt, ob Gott überhaupt gesprochen hat, der Aberglaube stellt eine menschliche Autorität zwischen mein Gewissen und das, was Gott gesprochen hat – in beiden Fällen beraube ich mich des Wortes und, als natürliche Folge, des Segens des Gehorsams.
Keine Handlung des Gehorsams bleibt ungesegnet, aber sobald die Seele zögert, gewährt sie dem Feind einen Vorteil, den er ganz bestimmt benutzen wird, um sie weiter und weiter von Gott zu entfernen. Das vor uns liegende Kapitel liefert den Beweis dafür. Auf die Frage: „Hat Gott wirklich gesagt?“ folgte die Zusicherung: „Ihr werdet durchaus nicht sterben“ (V. 4). Das heißt also: Zuerst wurde infrage gestellt, dass Gott gesprochen hatte, und dann folgte offener Widerspruch gegen Gottes Wort. Diese ernste Tatsache zeigt, wie gefährlich es ist, eine Frage bezüglich der Fülle und Echtheit der Aussage Gottes im Herzen aufkommen zu lassen. Ein verfeinerter Rationalismus ist nahe verwandt mit dem offenen Unglauben, und der Unglaube, der das Wort Gottes zu beurteilen wagt, ist nicht weit entfernt vom Atheismus, der die Existenz Gottes leugnet. Eva wäre wohl kaum ruhig stehen geblieben, als die Schlange Gott widersprach, wenn sie nicht vorher der Gleichgültigkeit gegenüber seinem Wort Raum gegeben hätte. Ihr Unglaube machte schnelle Fortschritte, und sie ertrug den Widerspruch eines Geschöpfes gegen Gott aus dem einfachen Grund, weil sein Wort die Autorität über ihr Herz und Gewissen verloren hatte.
Das ist eine ernste Warnung für alle, die in Gefahr sind, von den Schlingen des Rationalismus umstrickt zu werden! Es gibt nirgends wahre Sicherheit, als nur in dem unerschütterlichen Glauben an die göttliche Eingebung und unumschränkte Autorität der ganzen Heiligen Schrift.
„Und es gibt gar nichts Neues unter der Sonne“ (Pred 1,9). Das gleiche Böse, das heute in ganz Europa die Quellen aller religiösen Gedanken und Gefühle verdirbt, führte im Garten Eden das Herz Evas ins Verderben. Der erste Schritt auf ihrer abschüssigen Bahn war ihr Horchen auf die Frage: „Hat Gott wirklich gesagt?“ Und dann ging sie von Stufe zu Stufe weiter, bis sie sich endlich vor der Schlange niederbeugte und sie als ihren Gott und als die Quelle der Wahrheit anerkannte. Ja, die Schlange verdrängte Gott, den Herrn, und die Lüge der Schlange trat an die Stelle der Wahrheit Gottes. So war es mit dem gefallenen Menschen, und so ist es mit den Nachkommen des gefallenen Menschen. In dem Herzen des nicht wiedergeborenen Menschen findet das Wort Gottes keinen Platz, wohl aber die Lüge der Schlange. Man braucht das menschliche Herz nur einer Probe zu unterwerfen, und man wird entdecken, dass es so ist. Daher hat das zu Nikodemus gesprochene Wort so große Bedeutung: „Ihr müsst von neuem geboren werden“ (Joh 3,7).
Misstrauen gegenüber Gottes Liebe
Es ist jedoch wichtig, dass wir beachten, auf welche Weise die Schlange versuchte, das Vertrauen Evas zu der Wahrheit Gottes zu erschüttern und sie unter die Macht der ungläubigen „Vernunft“ zu bringen. Es geschah durch Erschütterung ihres Vertrauens zu der Liebe Gottes, indem die Schlange der Frau erklärte, dass das Zeugnis Gottes nicht auf Liebe gegründet sei. „Sondern“, sagte sie, „Gott weiß, dass, an dem Tag, da ihr davon esst, eure Augen aufgetan werden, und ihr sein werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses“ (V. 5). Das hieß mit anderen Worten: „Ein sicherer Vorteil ist mit dem Essen dieser Frucht verbunden, die Gott euch vorenthalten will. Warum solltet ihr daher dem Zeugnis Gottes glauben? Ihr könnt nicht jemand euer Vertrauen schenken, der euch offensichtlich nicht liebt, denn wenn Gott euch liebt, warum verbietet Er euch dann den Genuss eines Vorrechts?“
Eva wäre vor dem Einfluss dieser Vernunftschlüsse sicher gewesen, wenn sie einfach in der unendlichen Güte Gottes geruht hätte. Sie hätte zu der Schlange sagen sollen: „Ich habe volles Vertrauen in die Güte Gottes und halte es deshalb für unmöglich, dass Er mir irgendetwas Gutes vorenthalten könnte. Wenn diese Frucht gut für mich wäre, würde ich sie zweifellos besitzen, aber das Verbot Gottes beweist, dass ich durch das Essen der Frucht nicht Nutzen, sondern Schaden haben werde. Ich bin von der Liebe und Wahrheit Gottes überzeugt, und ich glaube auch, dass du ein Böser bist. Du bist nur gekommen, um mein Herz von der Quelle der Güte und der Wahrheit abzuziehen. Geh von mir, Satan!“
Das wäre die rechte Antwort gewesen. Aber Eva ließ sich ihr Vertrauen zu der Wahrheit und der Liebe Gottes rauben, und alles war verloren. So finden wir denn, dass es im Herzen des gefallenen Menschen ebenso wenig Raum gibt für die Liebe Gottes wie für die Wahrheit Gottes. Dem Herzen des Menschen ist beides völlig fremd, bis es erneuert wird durch die Macht des Heiligen Geistes.
Wenden wir uns jetzt für einen Augenblick von der Lüge Satans hinsichtlich der Wahrheit und Liebe Gottes ab, um einen Blick auf die Sendung des Herrn Jesus Christus zu werfen, der aus dem Schoß des Vaters kam, um zu offenbaren, was Gott wirklich ist. Er war der „treue Zeuge“ von dem, was Gott ist (Off 1,5). Die Wahrheit offenbart Gott wie Er ist, aber diese Wahrheit ist in Jesus mit der Offenbarung einer vollkommenen Gnade verbunden, und so findet der Sünder zu seiner unaussprechlichen Freude, dass die Offenbarung dessen was Gott ist, nicht zu seiner Verdammnis, sondern zur Grundlage seines ewigen Heils wird. „Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Joh 17,3). Ich kann nicht Gott erkennen, ohne das Leben zu haben. Der Verlust der Erkenntnis Gottes brachte den Tod, aber die Erkenntnis Gottes bringt das Leben. Das macht das Leben zu einer Sache, die vollständig außer uns selbst liegt und die von dem abhängt, was Gott ist. Zu welchem Grad von Selbsterkenntnis ich auch gelange, nirgends wird gesagt, dass dieses „Sicht-Selbst-Erkennen“ das ewige Leben ist, und obwohl zweifellos die Erkenntnis Gottes und die Selbsterkenntnis zum großen Teil Hand in Hand gehen, so steht doch das „ewige Leben“ mit der Erkenntnis Gottes und nicht mit der Selbsterkenntnis in Verbindung. Gott zu kennen, wie Er ist, ist Leben, die aber Gott nicht kennen, „werden Strafe erleiden, ewiges Verderben vom Angesicht des Herrn“ (2. Thes 1,9).
Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass die Unwissenheit über Gott oder die Erkenntnis Gottes den Zustand des Menschen kennzeichnet und sein zukünftiges Schicksal besiegelt. Ist er böse in seinen Gedanken, Worten und Taten, so ist es, weil er Gott nicht kennt. Ist er andererseits rein in seinen Gedanken, sauber und klar im Gespräch, gütig im Handeln, so ist es die Folge seiner Erkenntnis Gottes. So ist es auch im Blick auf die Zukunft. Gott zu kennen ist die unerschütterliche Grundlage endloser Freude und ewiger Herrlichkeit. Ihn nicht zu kennen bedeutet „ewiges Verderben“. So hängt also alles von der Erkenntnis Gottes ab. Sie macht die Seele lebendig, reinigt das Herz, beruhigt das Gewissen, lenkt die Interessen himmelwärts und heiligt Charakter und Lebensweg. Dürfen wir uns daher wundern, dass es Satans großer Plan war, dem Geschöpf die Erkenntnis des allein wahren Gottes zu rauben? Er wagte es, den Worten Gottes eine falsche Auslegung zu geben und ihn als nicht gütig zu bezeichnen. Das war die verborgene Quelle alles Unheils. Es ist bedeutungslos, welche Form die Sünde seitdem angenommen hat und durch welchen Kanal sie geflossen ist, ebenso, unter welches Haupt sie sich gestellt oder in welches Gewand sie sich gekleidet hat, alles ist auf diese eine Ursache zurückzuführen: auf die Unwissenheit über Gott. Der gebildete Sittenlehrer, der andächtige Religionsmensch, der wohltätige Menschenfreund, alle sind, wenn sie Gott nicht kennen, ebenso fern von dem Leben und der wahren Heiligkeit wie der Zöllner und die Hure. Der verlorene Sohn war beim Verlassen des Vaterhauses schon ein ebenso großer Sünder und ebenso von dem Vater entfernt, wie zur Zeit, als er im fernen Land die Schweine hütete (Lk 15,13). So war es auch mit Eva. In demselben Augenblick, als sie sich aus den Händen Gottes, aus der Stellung der unbedingten Abhängigkeit von seinem Wort zurückzog, überließ sie sich der Herrschaft der Vernunft, die von Satan zu ihrem tiefen Sturz benutzt wurde.
Drei Versuchungen
Der sechste Vers stellt drei Dinge dar: „die Lust des Fleisches, die Lust der Augen und den Hochmut des Lebens“. Nach dem Zeugnis des Apostels umfassen sie alles, „was in der Welt ist“ (1. Joh 2,16). Diese Dinge übernahmen die Leitung, sobald Gott ausgeschlossen wurde. Wenn ich nicht in der glücklichen Gewissheit der Liebe und Wahrheit, der Gnade und Treue Gottes bleibe, gerate ich zwangsläufig unter die Herrschaft der oben angeführten Grundsätze, und dies ist nur ein anderer Name für die Herrschaft Satans. Streng genommen hat der Mensch keinen freien Willen. Wenn er sich selbst regiert, so steht er in Wirklichkeit unter der Regierung Satans. Fragt er jedoch nach dem Willen Gottes, so wird er durch Gott regiert.
„Die Lust des Fleisches, die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens“ sind jetzt die drei mächtigsten Triebfedern, durch die Satan tätig ist, Dieselben Dinge stellte er auch dem Herrn Jesus in der Versuchung vor. Er begann damit, den zweiten Menschen zu versuchen, sich der Stellung der unbedingten Abhängigkeit von Gott zu entziehen. „Sprich, dass diese Steine zu Broten werden“. Er forderte ihn zu dieser Handlung auf, nicht um sich (wie bei dem ersten Menschen) zu etwas zu machen, was Er nicht war, sondern um zu beweisen, was Er war. Dann folgte das Angebot der Reiche der Welt mit all ihrer Herrlichkeit, und schließlich, während er ihn auf die Zinne des Tempels führte, die Versuchung, sich durch eine übernatürliche Handlung der Bewunderung des Volkes preiszugeben (vgl. Mt 4,1–11; Lk 4,1–13). Das klare Ziel dieser Versuchungen war, den Herrn zu bewegen, die Stellung der völligen Abhängigkeit von Gott und der vollkommenen Unterwerfung unter seinen Willen zu verlassen. Doch alles war vergeblich. „Es steht geschrieben“, war die gleich bleibende Antwort des vollkommenen Menschen, der allein wahre Abhängigkeit kannte. Andere mochten versuchen, für sich selbst zu handeln und zu sorgen. Für ihn sollte es niemand anders tun als Gott allein.
Ein schönes Beispiel für die Gläubigen in allen ihren Umständen! Jesus hielt sich an die Schrift, und darum überwand Er. Ohne eine andere Waffe als das Schwert des Geistes stand Er im Streit und errang einen herrlichen Sieg. Welch ein Gegensatz zu dem ersten Adam! Dieser besaß alles, was für Gott sprach, und jener alles, was gegen ihn sprach. Der Garten mit seinen Freuden auf der einen Seite, die Wüste mit ihren Entbehrungen auf der anderen, Vertrauen auf Satan in dem einen Fall, Vertrauen auf Gott in dem anderen, eine vollständige Niederlage in dem einen Fall, ein vollständiger Sieg in dem anderen.
Das Gewissen
Wir wollen jetzt untersuchen, wie sich bei Adam und Eva der von der Schlange versprochene Vorteil verwirklichte. Das wird uns zu einem wichtigen Punkt in Verbindung mit dem Fall des Menschen leiten. Nach der Anordnung Gottes des HERRN sollte der Mensch durch den Fall etwas erhalten, was er vorher nicht besaß, nämlich ein Gewissen, die Erkenntnis des Guten und des Bösen. Früher konnte er kein Gewissen haben. Wie hätte er etwas über das Böse wissen können, so lange das Böse nicht vorhanden war? Er befand sich in einem Zustand der Unwissenheit über das Böse. Durch seinen Fall empfing der Mensch ein Gewissen, und wir finden, dass die erste Wirkung dieses Gewissens darin bestand, einen Feigling aus ihm zu machen. Satan hatte die Frau betrogen. Er hatte gesagt: „Eure Augen werden aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott, erkennend Gutes und Böses“ (V. 5). Aber er hatte einen wesentlichen Teil der Wahrheit ausgelassen, nämlich, dass sie das Gute erkennen würden, ohne die Macht zu besitzen, es zu tun, und dass sie das Böse erkennen würden, ohne die Kraft zu haben, es zu lassen. Gerade der Versuch des Menschen, sich selbst zu erheben, schloss den Verlust wahrer Erhabenheit in sich. Sie sanken zu erniedrigten, kraftlosen, von Satan unterjochten und von Gewissensbissen gequälten, furchtsamen Geschöpfen herab. „Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan“ (V. 7). Aber wozu? Nur, um ihre eigene Nacktheit zu entdecken. Ihr geöffnetes Auge erblickte ihren Zustand, und der war elend, jämmerlich, arm und bloß. „Sie erkannten, dass sie nackt waren“. Wie traurig war die Frucht des Baumes der Erkenntnis! Sie hatten keine neue Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes erlangt. Nein, das erste Ergebnis ihres ungehorsamen Strebens nach Erkenntnis war die Entdeckung, dass sie nackt waren.
Es ist gut, dies zu verstehen. Wenn wir wissen, wie das Gewissen wirkt, so sehen wir, dass es uns nur zu Feiglingen machen kann, da es uns bewusst macht, was wir sind. Viele irren sich in dieser Hinsicht, da sie meinen, dass das Gewissen uns zu Gott führt. War das denn seine Wirkung bei Adam und Eva? Keineswegs. Und wir werden dies bei keinem Sünder finden. Wie wäre es auch möglich? Wie könnte mich je das Gefühl von dem, was ich bin, zu Gott bringen, wenn es nicht begleitet ist von dem Glauben an das, was Gott ist? Es wird vielmehr Scham, Selbstanklage, Gewissensangst und Schrecken hervorrufen. Es mag auch gewisse Anstrengungen meinerseits hervorrufen, um den Zustand zu heilen, aber gerade diese Anstrengungen wirken wie eine Blende, anstatt uns zu Gott zu ziehen, sie verbergen ihn vor unseren Blicken. So folgte bei Adam und Eva auf die Entdeckung ihrer Nacktheit der Versuch, die Nacktheit durch eigenes Bemühen zu verbergen. „Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze“ (V. 7). Hier haben wir den ältesten Bericht über den Versuch des Menschen, seinen Zustand durch selbst erfundene Mittel zu ändern, und die aufmerksame Betrachtung dieses Versuchs zeigt uns den wahren Charakter der menschlichen Religiosität zu allen Zeiten. Zunächst sehen wir, dass nicht nur bei Adam, sondern in jedem Fall die Anstrengung des Menschen, seinen Zustand zu heilen, aus der Erkenntnis seiner Nacktheit hervorgeht. Er ist nackt, das ist nicht zu leugnen, und sein ganzes Wirken ist die Folge der Erkenntnis dieses Zustandes. Was aber nützt alle Anstrengung? Bevor ich etwas tun kann, was in den Augen Gottes angenehm ist, muss ich wissen, dass ich bekleidet bin.
Hierin liegt der Unterschied zwischen wahrem Christentum und menschlicher Religiosität. Wahres Christentum ist darauf gegründet, dass Gott den Menschen göttlich bekleidet hat, und hier hat der Christ seinen Ausgangspunkt. Menschliche Religiosität geht von dem nackten Zustand des Menschen aus und ist gekennzeichnet durch sein Bemühen, sich selbst zu bekleiden. Alles, was ein wahrer Christ tut, geschieht, weil er bekleidet ist. Alles, was ein äußerlich religiöser Mensch tut, geschieht, um bekleidet zu werden. Das ist ein großer Unterschied. Je mehr wir den Geist der menschlichen Religion in allen seinen Formen prüfen, umso mehr werden wir erkennen, wie völlig unfähig die Religion ist, den Zustand des Menschen zu heilen oder auch nur seinem Bewusstsein darüber wirksam zu begegnen. Sie mag für eine Zeit genügen und auch so lange befriedigen, wie man den Tod, das Gericht und den Zorn Gottes nur aus der Ferne betrachtet. Sobald aber ein Mensch diesen Dingen in ihrer schrecklichen Wirklichkeit ins Angesicht schaut, wird er spüren, dass seine Religion niemals genügen kann.
In demselben Augenblick, als Adam in Eden die Stimme Gottes vernahm, „fürchtete er sich“, weil er nackt war, wie er selbst bekannte. Ja, er war nackt, obwohl sie sich Schurze aus Feigenblättern umgebunden hatten. Offenbar befriedigte diese Bedeckung nicht einmal Adams eigenes Gewissen. Denn wäre sein Gewissen göttlich befriedigt gewesen, so hätte er sich nicht gefürchtet. „Wenn unser Herz uns nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott“ (1. Joh 3,21). Wenn aber nicht einmal das menschliche Gewissen in den religiösen Anstrengungen des Menschen Ruhe finden kann, wie viel weniger die Heiligkeit Gottes! Adams Schurz genügte nicht in den Augen Gottes, um ihn zu bedecken, und nackt konnte er nicht in seiner Gegenwart erscheinen. Darum floh er, um sich zu verbergen. Das bewirkt das Gewissen zu allen Zeiten. Es veranlasst den Menschen, sich vor Gott zu verbergen. Überhaupt ist alles, was seine eigene Religiosität ihm bietet, nichts anderes als ein Mittel, um sich vor Gott zu verbergen. Wie erbärmlich aber ist ein solcher Schutz, da der Mensch doch einmal vor Gott erscheinen muss! Und wie bestürzt und unglücklich muss er sein, wenn er nichts anderes besitzt als das traurige Bewusstsein seines Zustandes. Nur die Hölle selbst ist noch nötig, um das Elend eines Menschen voll zu machen, der fühlt, dass er Gott begegnen muss, und nur weiß, dass er unfähig ist, ihm begegnen zu können.
Hätte Adam die vollkommene Liebe Gottes erkannt, so hätte er sich nicht gefürchtet, denn „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe“ (1. Joh 4,18). Aber Adam wusste hiervon nichts, weil er der Lüge der Schlange geglaubt hatte. Er dachte, Gott sei alles, aber nicht Liebe, und daher wäre es der letzte Gedanke seines Herzens gewesen, sich in seine Gegenwart zu wagen. Die Sünde war da, und Gott kann sich mit der Sünde niemals vereinigen. Solange die Sünde auf dem Gewissen lastet, muss auch das Gefühl der Entfernung von Gott vorhanden sein. „Du bist zu rein von Augen, um Böses zu sehen, und Mühsal vermagst du nicht anzuschauen“ (Hab 1,13). Heiligkeit und Sünde können nicht zusammen wohnen. Die Sünde kann nur dem Zorn Gottes begegnen.
Wo bist du?
Doch Gott sei gepriesen! Es gibt noch etwas anderes als das Bewusstsein von dem, was ich bin. Es ist die Offenbarung dessen, was Gott ist, und dies ist durch den Fall des Menschen ans Licht gebracht worden. Gott hatte sich in der Schöpfung nicht ganz offenbart. Gott hatte seine „ewige Kraft und Göttlichkeit“ gezeigt, aber Er hatte nicht alle tiefen Geheimnisse seiner Natur und seines Charakters mitgeteilt. Deshalb machte Satan einen großen Fehler, als er kam, um sich in die Schöpfung Gottes einzumischen. Er erwies sich nur als das Werkzeug zu seiner Niederlage und seinem Verderben, und seine Gewalttat wird für immer auf seinen eigenen Kopf zurückkehren. Seine Lüge gab nur den Anlass zur Entfaltung der ganzen Wesensart Gottes. Die Schöpfung hätte nie offenbaren können, was Gott ist. Es gibt unendlich mehr in ihm als Macht und Weisheit. In ihm ist Liebe, Erbarmen, Heiligkeit, Gerechtigkeit, Güte, Zärtlichkeit, Langmut. Wo sonst hätten sich alle diese Eigenschaften entfalten können als in einer Welt von Sündern? Zuerst kam Gott als Schöpfer, und dann, als die Schlange sich anmaßte, sich in die Schöpfung einzumischen, kam Er als Erretter. Dies zeigen uns die ernsten Worte, die Gott der HERR nach dem Fall des Menschen sprach „Und Gott der HERR rief den Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du?“ (V. 9). Diese Frage bewies zwei Dinge. Sie bewies, dass der Mensch verloren war, und dass Gott gekommen war, um zu suchen. Sie bewies die Sünde des Menschen und die Gnade Gottes. „Wo bist du?“ Welch eine Treue und Gnade! Die Treue zeigte sich, da schon durch die Frage selbst der Zustand des Menschen aufgedeckt wurde. Die Gnade lag darin, dass Gott eine solche Frage überhaupt stellte, wodurch sein wahrer Charakter und seine wahre Stellung gegenüber dem gefallenen Menschen offenbart wurde. Der Mensch war verloren, aber Gott war gekommen, um sich nach ihm umzusehen und ihn aus seinem Versteck herauszuführen, damit er in der glücklichen Zuversicht des Glaubens in ihm einen Bergungsort finden möchte. Das war Gnade. Den Menschen aus dem Staub der Erde zu erschaffen, war Macht, aber ihn in seinem verlorenen Zustand zu suchen, war Gnade. Doch wer kann alles das ausdrücken, was in dem Gedanken eingeschlossen liegt, dass Gott ein suchender Gott ist? Gott sucht den Sünder. Was konnte Er im Menschen entdecken, das ihn bewog, ihn zu suchen? Dasselbe, was der Hirte in dem verlorenen Schaf, oder was der Vater in dem verlorenen Sohn entdeckte. Der Sünder ist wertvoll für Gott. Warum? Die Ewigkeit allein wird es klarmachen.
Der Mensch vor Gott
Wie aber beantwortete der Sünder die treue und gnädige Frage Gottes? Die Antwort verdeutlicht nur, wie tief das Böse war, in das er gefallen war. „Und er sprach: Ich hörte deine Stimme im Garten, und ich fürchtete mich, denn ich bin nackt, und ich versteckte mich. Und Er sprach: Wer hat dir mitgeteilt, dass du nackt bist? Hast du gegessen von dem Baum, von dem ich dir geboten habe, nicht davon zu essen? Und der Mensch sagte: Die Frau, die du mir beigegeben hast, sie gab mir von dem Baum, und ich aß“ (V. 10–12). Der Mensch schob also die Schuld seines traurigen Falls auf die Umstände, in die ihn Gott gestellt hatte, und somit indirekt auf Gott selbst. So macht es der gefallene Mensch immer. Er beschuldigt alle und alles, nur nicht sich selbst. Wo Aufrichtigkeit vorhanden ist, zeigt sich das Gegenteil. „Bin ich es nicht, der gesündigt hat?“, fragt eine wirklich demütige Seele. Hätte Adam sich selbst gekannt, so hätte er ganz andere Worte geredet! Aber er kannte weder sich selbst noch Gott, und deshalb warf er die Schuld auf Gott, anstatt sie allein auf sich zu nehmen.
Das war also die schreckliche Lage des Menschen. Er hatte alles verloren. Seine Herrschaft, seine Würde, sein Glück, seine Reinheit, seinen Frieden, alles war für immer dahin, und das Schlimmste war, dass er Gott die Schuld gab. Da stand er, ein verlorener, verdorbener und schuldiger Sünder, der trotzdem sich selbst rechtfertigte und darum Gott anklagte.
(Der Mensch klagt Gott nicht nur als Urheber seines Falls an, sondern er tadelt ihn auch, weil Er ihn nicht wiederhergestellt hat. Wie oft hört man Personen sagen, dass sie nicht glauben könnten, wenn Gott ihnen nicht die Kraft zum Glauben gäbe, und dass sie nicht errettet werden könnten, wenn sie nicht Gegenstände des ewigen Ratschlusses Gottes seien.
Nun kann zwar kein Mensch dem Evangelium glauben, als nur durch die Kraft des Heiligen Geistes, und es ist auch wahr, dass alle, die dem Evangelium glauben, die glücklichen Gegenstände der ewigen Ratschlüsse Gottes sind. Aber setzt dies alles die Verantwortlichkeit des Menschen beiseite, dem einfachen, klaren Zeugnis zu glauben, das ihm das Wort Gottes vor Augen stellt? Nein. Vielmehr zeigt es, dass das Böse im Menschenherzen ihn verleitet, das deutlich offenbarte Zeugnis Gottes zu verwerfen und als Grund dafür den Ratschluss Gottes vorzuschieben, jenes tiefe und nur von ihm selbst gekannte Geheimnis. Doch solche Ausflüchte sind nutzlos, denn wir lesen in 2. Thessalonicher 1,8.9, dass diejenigen, „die dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen, Strafe leiden werden, ewiges Verderben“.
Die Menschen sind verantwortlich, dem Evangelium zu glauben, und sie werden bestraft werden, wenn sie nicht glauben. Sie sind nicht verantwortlich, irgendetwas von den Ratschlüssen Gottes zu wissen, insofern diese nicht offenbart sind, und darum kann ihnen wegen einer Unwissenheit in dieser Hinsicht keine Schuld zur Last gelegt werden. Der Apostel konnte zu den Thessalonichern sagen: „wissend, von Gott geliebte Brüder, eure Auserwählung“. Wie kannte er sie? Hatte er etwa Zutritt zu den Büchern der geheimen und ewigen Ratschlüsse Gottes? Keineswegs. Aber er sagt: „Denn unser Evangelium war nicht bei euch im Wort allein, sondern auch in Kraft“ (1. Thes 1,4.5). Das ist der Weg, zu wissen, ob jemand auserwählt ist. Wo das Evangelium sich in Kraft erweist, da liegt ein klarer Beweis der Auserwählung Gottes vor.
Doch ich zweifle nicht daran, dass diejenigen, die aus den Ratschlüssen Gottes eine Entschuldigung für die Verwerfung des göttlichen Zeugnisses ableiten, nur nach einem Grund suchen, um in der Sünde weiterleben zu können. Sie wollen Gott nicht, und sie wären weit ehrlicher, wenn sie dies klar aussprächen, anstatt ihre Zuflucht zu einer Ausrede zu nehmen, die nicht nur töricht und vergeblich, sondern geradezu gotteslästerlich ist. Eine solche Ausrede wird ihnen inmitten der Schrecken des nahe bevorstehenden Tages des Gerichts nichts nützen.)
Aber gerade jetzt begann Gott, sich selbst und die Absichten seiner erlösenden Liebe zu offenbaren, und darin liegt die wahre Grundlage des Friedens und der Segnung des Menschen. Erst wenn der Mensch mit sich selbst zu Ende gekommen ist, kann Gott zeigen, was Er ist. Der Platz muss von dem Menschen und von allen seinen Anmaßungen, leeren Prahlereien und gotteslästerlichen Vernunftschlüssen gereinigt sein, bevor Gott sich offenbaren kann oder will.
Dass das Gewissen den Menschen nicht in Frieden und mit Vertrauen in die Gegenwart Gottes führen kann, ist bereits bemerkt worden. Das Gewissen trieb Adam hinter die Bäume des Gartens. Die Offenbarung brachte ihn in die Gegenwart Gottes. Das Bewusstsein von dem, was er war, erschreckte ihn, die Offenbarung dessen, was Gott war, beruhigte ihn. Das ist trostreich für ein Sünden beladenes Herz. Die Wirklichkeit dessen, was Gott ist, begegnet der Wirklichkeit dessen, was ich bin, und das ist die Errettung.
Es gibt einen Punkt, wo Gott und der Mensch sich begegnen müssen, sei es in Gnade, sei es im Gericht, und dieser Punkt ist da, wo beide offenbart werden, wie sie sind. Glückselig diejenigen, die diesen Punkt in Gnade, aber wehe denen, die ihn im Gericht erreichen! Gott beschäftigt sich mit dem, was wir sind in Übereinstimmung mit dem, was Er ist. Am Kreuz sehe ich Gott in Gnade in die Tiefen meines Zustandes als Sünder hinabsteigen. Diese Erkenntnis gibt mir völligen Frieden. Wenn Gott mir in meinem tatsächlichen Zustand begegnet ist, indem Er selbst ein angemessenes Heilmittel verordnet hat, so ist alles für ewig in Ordnung gebracht. Aber alle, die Gott nicht auf diese Weise im Glauben am Kreuz erblicken, werden ihm einmal im Gericht begegnen müssen, wo Er gemäß dem, was Er ist, sich mit dem, was sie sind, beschäftigen wird.
Von dem Augenblick an, da ein Mensch seinen wirklichen Zustand erkennt, kann er keine Ruhe finden, bis er Gott am Kreuz gefunden hat, und dann ruht er in Gott selbst. Gott ist, gepriesen sei sein Name, die Ruhe und der Bergungsort der gläubigen Seele. Das stellt alle menschlichen Werke und die menschliche Gerechtigkeit an den ihnen gebührenden Platz. Diejenigen, die auf solche Dinge vertrauen, können unmöglich zu einer wahren Erkenntnis über sich selbst gelangt sein. Es ist unmöglich, dass ein lebendig gemachtes Gewissen in irgendetwas anderem Ruhe findet, als in dem vollkommenen Opfer des Sohnes Gottes. Jede Anstrengung, eine eigene Gerechtigkeit aufzurichten, kann nur aus der Unkenntnis über die Gerechtigkeit Gottes hervorgehen. Adam konnte im Licht des göttlichen Zeugnisses über den „Nachkommen der Frau“ die Wertlosigkeit seines Schurzes aus Feigenblättern erkennen. Die Größe des Werkes, das vollbracht werden musste, erwies die völlige Unfähigkeit des Sünders, es vollbringen zu können. Die Sünde musste weggetan werden. Vermochte das der Mensch, durch den sie gekommen war? Der Kopf der Schlange musste zertreten werden. Vermochte das der Mensch? Nein, er war ein Sklave der Schlange geworden. Die Ansprüche Gottes mussten befriedigt werden. Vermochte das der Mensch? Nein, er hatte sie bereits mit Füßen getreten. Der Tod musste abgeschafft werden. Vermochte das der Mensch? Nein, er hatte ihn durch die Sünde eingeführt und ihm seinen schrecklichen Stachel verliehen.
Von welcher Seite wir diesen Gegenstand auch betrachten, wir sehen immer die völlige Unfähigkeit des Sünders und folglich die törichte Anmaßung derer, die versuchen, Gott in dem Erlösungswerk behilflich zu sein. In dieser Weise sind alle tätig, die auf einem anderen Weg als nur „durch die Gnade, mittels des Glaubens“ (Eph 2,8) errettet zu werden meinen.
Obwohl Adam, durch die Gnade geleitet, erkennen und fühlen mochte, dass er alles das, was geschehen musste, nie erfüllen konnte, so offenbarte Gott sich doch als der, der im Begriff stand, jedes Jota davon durch den Nachkommen der Frau zu vollbringen. Wir sehen, dass Er gnädig die ganze Sache in seine Hand nahm und sie zu einer Frage zwischen sich und der Schlange machte. Denn obwohl beide, Mann und Frau, berufen wurden, auf verschiedene Weise die bitteren Früchte ihrer Sünden zu ernten, so war es dennoch die Schlange, zu der Gott der HERR sagte: „Weil du dieses getan hast“ (V. 14). Die Schlange war die Quelle des Verderbens, und der Nachkomme der Frau sollte die Quelle der Erlösung werden. Adam hörte dieses alles und glaubte es, und in der Kraft dieses Glaubens gab er „seiner Frau den Namen Eva, denn sie war die Mutter aller Lebenden“ (V. 20). Das war eine kostbare Frucht des Glaubens an die Offenbarung Gottes. Von einem natürlichen Gesichtspunkt aus betrachtet, hätte Eva die „Mutter aller Sterblichen“ genannt werden müssen. Aber nach dem Urteil des Glaubens war sie die Mutter aller Lebendigen. „Seine Mutter gab ihm den Namen Benoni (Sohn meiner Not); sein Vater aber nannte ihn Benjamin (Sohn des Glücks oder der Rechten)“ (1. Mo 35,18).
Die erhaltende Kraft des Glaubens befähigte Adam, die schrecklichen Folgen seiner Tat zu ertragen. Das Erbarmen Gottes erlaubte ihm, die an die Schlange gerichteten Worte anzuhören, bevor er darauf achten musste, was Gott selbst ihm zu sagen hatte. Wäre das nicht so gewesen, so hätte er verzweifeln müssen. Es führt zur Verzweiflung, wenn ich aufgefordert werde, mich selbst anzuschauen, ohne die Möglichkeit zu haben, auf Gott zu blicken, wie Er sich am Kreuz offenbart hat, um mich zu erlösen. Kein Nachkomme des gefallenen Adam würde es ertragen können, mit geöffneten Augen die Wirklichkeit dessen zu sehen, was er ist und was er getan hat, wenn er nicht zu dem Kreuz seine Zuflucht nehmen könnte. Deshalb kann bis zu jenem Ort, wo schließlich alle, die Christus verwerfen, ihr Teil finden werden, kein Hoffnungsstrahl dringen. Dort werden die Augen der Menschen geöffnet werden, aber es wird ihnen nicht möglich sein, Hilfe und Zuflucht in Gott zu finden. Dann wird die Erkenntnis dessen, was Gott ist, hoffnungslose Verdammnis bedeuten, während diese Erkenntnis jetzt ewige Seligkeit umfasst. Die Heiligkeit Gottes wird dann ewig gegen jene Verlorenen sein, während jetzt alle Gläubigen berufen sind, sich ihrer zu erfreuen. Je mehr ich die Heiligkeit Gottes jetzt verstehe, desto mehr erkenne ich meine Sicherheit, aber für die Verlorenen wird gerade jene Heiligkeit die Bestätigung ihrer ewigen Pein sein. Ernster Gedanke!
Kleidung aus Fell
Wir wollen noch einen Blick auf die Tatsache werfen, dass Gott für Adam und Eva Röcke machte. „Und Gott der HERR machte Adam und seiner Frau Kleider aus Fell und bekleidete sie“ (V. 21). Hier tritt bildlich die wichtige Lehre von der Gerechtigkeit Gottes vor unsere Augen. Das von Gott gegebene Kleid war deshalb eine ausreichende Bedeckung, weil Er es gab, ebenso musste der Schurz deshalb eine ungenügende Bedeckung sein, weil der Mensch sie gemacht hatte. Außerdem war die Bekleidung Gottes auf Blutvergießung gegründet, der Schurz Adams nicht. So ist es auch heute noch. Die Gerechtigkeit Gottes findet im Kreuz ihre Darstellung, die Gerechtigkeit des Menschen in den sündenbefleckten Werken seiner eigenen Hände. Als Adam mit dem Kleid von Fell bekleidet war, konnte er weder sagen: „Ich bin nackt“, noch hatte er eine Ursache, sich zu verstecken. Der Mensch kann sich vollkommen beruhigt fühlen, wenn er durch den Glauben weiß, dass Gott ihn bekleidet hat, aber eine Ruhe vor dieser Zeit ist nur Anmaßung oder Unwissenheit. Das Bewusstsein, dass das Kleid, das ich trage und in dem ich vor Gott erscheine, von ihm selbst vorgesehen und bereitet ist, muss einfach meinem Herzen vollkommene Ruhe geben. Und in etwas anderem kann man keine wahre, beständige Ruhe finden.
Außerhalb des Gartens
Die Schlussverse dieses Kapitels sind reich an Belehrung. Dem Menschen konnte in seinem gefallenen Zustand nicht erlaubt werden, von den Früchten des Baumes des Lebens zu essen, denn das hätte ein nie endendes Elend in dieser Welt über ihn gebracht. Vom Baum des Lebens kann nur in der Auferstehung gegessen werden. Für immer in einer zerbrechlichen Hütte, in einem Leib der Sünde zu leben, wäre unerträglich. Deshalb „trieb Gott der HERR den Menschen aus“ (V. 24). Er trieb ihn hinaus in eine Welt, die die beklagenswerten Folgen seines Falles kundtat. Die Cherubim und die Flamme des kreisenden Schwertes verwehrten dem gefallenen Menschen den Zutritt zum Baum des Lebens, während die Zusage Gottes seinen Blick auf den Tod und die Auferstehung der Nachkommen der Frau lenkte, wo jenseits der Macht des Todes das Leben gefunden werden konnte.
So war Adam außerhalb des Paradieses glücklicher und weniger in Gefahr als er es drinnen gewesen war, denn im Paradies hing sein Leben von ihm selbst ab, während es außerhalb von einem anderen, von dem verheißenen Christus, abhängig war. Und wenn er „die Cherubim und die Flamme des kreisenden Schwertes“ erblickte, so konnte er den preisen, der sie dahin gestellt hatte, um „den Weg zum Baum des Lebens zu bewachen“ (V. 24), denn Gott hatte gleichzeitig einen sicheren und glücklicheren Weg zu jenem Baum erschlossen. Wenn die Cherubim und die Flamme des kreisenden Schwertes den Weg zum Paradies versperrten, so hat der Herr Jesus Christus „einen neuen und lebendigen Weg“ in das Allerheiligste geöffnet. „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, als nur durch mich“ (vgl. Heb 10,20; Joh 14,6). In dieser Erkenntnis geht jetzt der Gläubige durch eine Welt, die unter dem Fluch liegt, und in der die Merkmale der Sünde überall sichtbar sind. Er hat durch Glauben seinen Weg zum Schoß des Vaters gefunden, und während er dort geborgen ruhen kann, erfreut er sich an der gesegneten Gewissheit, dass der Eine, der ihn dorthin geführt hat, vorangegangen ist, um ihm in den vielen Wohnungen des Vaterhauses eine Stätte zu bereiten, und dass Er bald wiederkommen wird, um ihn zu sich zu nehmen in die Herrlichkeit des Reiches des Vaters. So findet der Gläubige in dem Schoß, dem Haus und dem Reich des Vaters jetzt sein Teil und in der Zukunft seine Heimat und Belohnung.