Der Brief an die Römer
Kapitel 13
Indem der Apostel nun in diesem Kapitel seine Ermahnungen fortsetzt, fordert er die Christen zur willigen und unbedingten Unterwerfung unter die Gewalten der Welt auf. „Jede Seele sei den obrigkeitlichen Gewalten untertan“ (Vers 1). Die Ursache dieser Unterwerfung wird gleich hinzugefügt: „Denn es gibt keine Obrigkeit, außer von Gott; diejenigen aber, die bestehen, sind von Gott eingesetzt“. Die hier niedergelegte Belehrung ist von größter Wichtigkeit für den, der Gott in allem durch Gehorsam zu verherrlichen wünscht. Der Gläubige, der berufen ist, Christus vor den Menschen zu bekennen, steht gleichzeitig als Zeuge Gottes in dieser Welt. Es ist sowohl sein Vorrecht als auch seine Verantwortlichkeit, Gott in allem zu dienen. Er ist in dieser Welt ein Pilger und Fremder. Christus hat ihm den Himmel geöffnet – nicht allein als eine Hoffnung, die später verwirklicht wird, sondern auch als sein Vaterland im Geist in der jetzigen Zeit. Wir sitzen schon in Christus in den himmlischen Örtern (Eph 2,6). Durch den Glauben, der unsere Seele in die Gegenwart Gottes gebracht hat, sehen wir unsere Erbschaft und unseren Platz im Himmel, wo Jesus wohnt. Wir sind Bürger des Himmels, und deshalb haben wir unseren Namen nicht mehr in dem Register der Bürger dieser Welt zu suchen. Er ist eingeschrieben in dem Buch des Lebens des Lammes.
Wenn der Christ in Wahrheit verstanden hat, dass er auf der Erde ein Fremder ist, so wird er auch verstehen, dass es nicht seine Sache ist, an der Regierung dieser Welt, noch an irgendetwas, was mit dieser Regierung zusammenhängt, teilzunehmen. Ebenso wird es ihm nicht schwerfallen, zu verstehen, dass sein Bürgerrecht im Himmel schon von selbst jede Einmischung in die Regierung dieser Welt ausschließt. Eine solche Einmischung würde auch ganz und gar mit dem Charakter der Zeit, in der wir leben und mit der Berufung, der wir zu folgen haben, im Widerspruch sein. Wir sind berufen, zu vergeben, zu dulden, zu leiden, ohne zu vergelten (Kap 12,19–21). Es kommt aber auch für uns einmal die Zeit des Herrschens, und zwar mit Christus über die ganze Schöpfung; aber dazu müssen wir erst durch Leiden (und nicht durch Herrschen) zur Herrlichkeit eingegangen sein. Wenn der Christ jetzt schon herrschen und groß sein will, so läuft er der Zeit, die Gott für seine Herrschaft bestimmt hat, voraus und handelt deshalb gegen den wohlgefälligen Willen Gottes.
Der Christ hat es als Fremder in dieser Welt in allem nur mit Gott zu tun. Er ist ein Knecht Gottes, und darum muss es sein einziges Begehren sein, in allem so zu wandeln, wie es sich für einen Knecht Gottes gehört. Da nun die Gewalten durch Gott verordnet sind und die Regierung eine Dienerin Gottes ist, so ist das Verhalten des Christen dieser gegenüber sehr einfach. Wir gehorchen Gott in der Regierung; und sobald dieser Grundsatz für uns feststeht, verschwinden alle Schwierigkeiten von selbst, und alle Fragen sind gelöst. Wenn die Liebe Gottes unser Herz erfüllt, dann ist es sehr leicht, Ihm zu gehorchen. Der Grundsatz, dass man Gott in der Regierung gehorcht, lässt uns auch leicht verstehen, dass der, der sich den Gewalten widersetzt, sich der Ordnung Gottes widersetzt und dadurch Gericht auf sich zieht. Wir gehorchen aber der Regierung nicht um ihretwillen, sondern um Gottes willen; und darum ist es klar, dass wir solchen Befehlen, die mit dem bestimmten Willen Gottes und mit unserem Charakter als Christ im Widerspruch stehen, nicht Folge leisten können; denn wir würden dann nicht mehr Gott, sondern den Menschen gehorchen, und das würde den Worten entgegen sein: „Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen“ (Apg 5,29).
Es ist also unsere Pflicht, uns jeder Macht zu unterwerfen, ohne uns im Geringsten mit der Frage zu beschäftigen, auf welche Weise dieselbe entstanden ist, wer sie ist und was sie tut. Wo auch der Christ sich befinden mag, er hat der Regierung zu gehorchen, die heute regiert; kommt morgen eine andere, so hat er sich dieser zu unterwerfen. Er stellt die leidende Seite dar. Auch hat er nicht zu untersuchen, ob die durch die Regierung gegebenen Gesetze recht oder unrecht sind; er hat nur zu gehorchen, wenn das für ihn auch Schaden und Leiden zur Folge hat. Doch ist stets, wie schon bemerkt, das ausgeschlossen, was gegen die Autorität Gottes ist. Dieser Gehorsam gegen die Regierung darf nicht gezwungen, sondern muss freiwillig sein, „nicht allein der Strafe wegen, sondern auch des Gewissens wegen“ (Vers 5); Wir sind zur Freiheit berufen; und die wahre Freiheit besteht in der wahren Abhängigkeit von dem Willen Gottes. Unter den guten Werken, von denen in Vers 3 die Rede ist, haben wir hier namentlich die Ausübung der weltlichen Gesetze zu verstehen. Wer darin seinen Gehorsam beweist, hat die Regierung nicht zu fürchten, sondern im Gegenteil Lob von ihr zu erwarten.
Noch ein anderer Grundsatz ist hier bemerkenswert: Die Regierung ist „Gottes Dienerin, dir zum Guten“ (Vers 4). Gott herrscht jetzt durch die Gewalten und Mächte, wie Er früher persönlich in Israel geherrscht hat. Diese Herrschaft aber ist uns nützlich, „damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und würdigem Ernst“ (1. Tim 2,2). Wir werden deshalb auch ermahnt, für die Regierung zu beten, damit sie sich als eine wahrhaftige Dienerin Gottes darstellt.
In Vers 6 ermahnt uns der Apostel weiter, die bestehenden Ordnungen in der Welt anzuerkennen und uns ihnen zu unterwerfen. Wenn die Regierung Steuer fordert, so ist der Christ verpflichtet, diese zu bezahlen, ohne zu fragen, ob es recht oder unrecht sei. Es ist immer ein Beweis von Weltlichkeit, wenn sich der Christ weigert, das zu tun. O möchten wir doch nie vergessen, dass alles, was auf der Erde ist, wie eine Blume des Grases verwelkt und dass unser Gut und unser Geld nicht unser, sondern Gottes Eigentum ist! Ebenso ist der Christ verpflichtet, einem jeden die ihm zukommende Ehre zu erweisen, der Stellung entsprechend, worin sich ein jeder befindet. Im Blick auf die Welt ist das ganz einfach. In der Versammlung des Christus aber gilt ein anderer Grundsatz. Das Wort ermahnt uns, nicht nach hohen Dingen zu trachten, sondern als Glieder ein und desselben Leibes, die alle auf gleiche Weise vom Herrn geliebt und geehrt sind, miteinander brüderlich zu verkehren. Sollte aber ein in dieser Welt hochgestellter Christ menschliche Ehre verlangen, so gebe man ihm so viel, wie er zu haben wünscht. Doch wie gut, wenn jemand nach dem Vorbild des Königs der Könige und nach den Ermahnungen des Apostels sich in seinem Leben auf der Erde zu den Niedrigen hält!
Weiter ermahnt der Apostel: „Seid niemand irgendetwas schuldig“ (Vers 8). Wenn diese Ermahnung auch vornehmlich auf die in den vorigen Versen ausgesprochenen Verpflichtungen hinzielt, so ist aber auch das nicht ausgeschlossen, dass der Christ berufen ist, um welcher Ursache willen es auch sei, keine Schulden zu machen, und dass er, wenn er Schulden hat, mit allem Eifer bemüht sein soll, diese zu begleichen. Von dieser allgemeinen Regel aber ist eine Sache ausgenommen, nämlich die Liebe. Diese soll er fortwährend als seine Schuld betrachten und immer aufs Neue bezahlen oder ausüben. In der Liebe ist das ganze Gesetz zusammengefasst und sie tut „dem Nächsten nichts Böses“ (Vers 10). Darum ist sie sowohl die Erfüllung des Gesetzes als auch die Offenbarung der Vollkommenheit desselben.
Außer der Liebe ist noch, wie wir in den folgenden Versen sehen, ein anderer Grundsatz vorhanden, der den Christen ermahnt und ermuntert, treu zu sein: „Und dieses noch, da wir die Zeit erkennen, dass die Stunde schon da ist, dass wir aus dem Schlaf aufwachen sollen; denn jetzt ist unsere Errettung näher, als damals, als wir gläubig wurden“ (Vers 11). Der Blick auf die vor uns liegende Seligkeit oder die vollkommene Errettung aus dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf und seinen vielfältigen Versuchungen lässt den Christen vom Schlaf aufstehen und ermuntert ihn zu einem nüchternen Wandel. Im Gegensatz zu dem kommenden Tag ist es jetzt Nacht; aber es ist nicht die Zeit zum Schlafen für uns, sondern wir sollen mit Nüchternheit dem kommenden Tag entgegeneilen; und das umso mehr, je mehr wir sehen, dass die Nacht weit vorgerückt und der Tag nahe ist (Vers 12). Die Werke der Finsternis stehen im Gegensatz zu den Waffen des Lichts; die einen sind wir ermahnt, abzulegen, die anderen sollen wir anziehen. Diese Waffen des Lichts lassen uns auf der Erde stets als Kämpfende erscheinen.
Dann ermahnt der Apostel zu einem reinen Wandel, im Gegensatz zu einem Wandel in Dingen, die der Nacht und der Finsternis angehören. Zu jeder Zeit sollen wir als solche erscheinen, die den Herrn Jesus Christus angezogen haben, die so leben und gesinnt sind, dass Christus selbst immer an ihnen erkannt wird; und schließlich sollen wir nie für unser Fleisch auf eine Weise besorgt sein, dass dadurch die darin wohnenden Begierden Nahrung finden (Verse 13 und 14).